Evolutionsbiologisch gesehen: Der Bauch lebt im Neandertal!
Warum wir unter so vielen ernährungsbedingten Krankheiten leiden
und was geändert werden sollte
Dr. rer. nat. Sabine Paul
Der engagierte Konzertpianist hatte innerhalb weniger Wochen stark abgenommen, quälte sich mit Durchfällen und
chronischer Müdigkeit.
Für seine noch junge Karriere wurde der Leistungsabfall bedrohlich, die körperlichen
Beschwerden lösten ernsthafte familiäre
Probleme und schließlich auch Existenzangst aus. Eine Reihe von Besuchen
bei Spezialisten führte dann zur entscheidenden Diagnose:
Zöliakie – eine chronische Entzündung der
Dünndarmschleimhaut, hervorgerufen durch das in glutenhaltigen Getreidesorten wie Weizen,
Roggen, Dinkel und
Hafer enthaltene Klebereiweiß. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht – der Patient muss sich daher für den
Rest
seines Lebens glutenfrei ernähren, wenn er das Auftreten der unangenehmen Symptome verhindern will. Trotz
aller Einsicht in diese
Notwendigkeit fällt dem jungen Mann die Ernährungsumstellung sehr schwer.
Nahrungmittelallergien
treten bei 40 % der Bevölkerung
auf
Von einer ähnlichen Problematik sind sehr
viele Menschen betroffen. Die Ursachen
von Magen-Darm-Beschwerden
sind allerdings
vielfältig – und zudem unterschiedlich
häufig in der Bevölkerung verteilt.
Etwa einer von
zweihundert Menschen
ist in Deutschland von Zöliakie betroffen.
Noch häufier sind in Mitteleuropa
verzögerte Nahrungsmittelallergien, die
schätzungsweise bei 40% der Bevölkerung
auftreten. An einer
Fruktose-Malabsorption
leiden etwa 30 bis 40% und an
einer Laktose-Intoleranz ca. 10 bis 15%.
Warum sind
Magen-Darm-Probleme
so häufig, aber auch Übergewicht und
verschiedene Allergien? Und warum sind
die häufig
notwendigen Ernährungsumstellungen
so selten erfolgreich, sei es bei
Diäten oder bei anderen medizinischen
Indikationen? Die Deutsche Gesellschaft
für Ernährung stellt nach mehr als 50
Jahren Aufklärungsarbeit
enttäuscht fest,
dass ihre Appelle und Anstrengungen nicht
fruchten: (Nicht nur) die Deutschen essen
nach
ihrer Einschätzung zu fett und zu
salzig, zu wenig Obst und Gemüse. Allen
guten Vorsätzen zum Trotz kommen
Menschen
offensichtlich kaum gegen bestimmte
Nahrungspräferenzen an. Ernährungswissenschaftler,
Mediziner,
Soziologen und
Gesundheitspolitiker können das Problem
derzeit nicht lösen. Könnte es sein, dass
ein
entscheidender Faktor bislang nicht
beachtet wurde?
Evolutionsbiologisch auf andere
Ernährung programmiert
Unterstützung bei der Lösung dieser
Rätsel könnten die Fachkreise bei einem
der bedeutendsten Biologen
finden:
Charles Darwin, dessen Geburtstag sich
dieses Jahr zum 200. Mal jährt. In seinem
berühmten Werk
“Über die Entstehung
der Arten durch natürliche Zuchtwahl”
beschrieb er vor 150 Jahren die Grundprinzipien
der Evolution. Demnach sind
oder waren alle erblichen heutigen
Merkmale und Verhaltensanlagen von
Organismen nützlich, da sie zu einer
bestimmten Zeit einen Überlebens- bzw.
Reproduktionsvorteil darstellen.
Dies führt
dazu, dass langfristig körperliche Merkmale
und Verhalten optimal an ihre Funktion
in einer
bestimmten Umwelt angepasst
sind. Ändert sich die Umwelt, können aber
auch andere Eigenschaften
vorteilhaft
sein und die bisherigen Merkmale oder
Verhaltensweisen einen Nachteil darstellen.
Nicht nur im
Darwin-Jahr 2009 lohnt
daher der Blick auf die evolutionsbiologischen
Zusammenhänge von Ernährung,
Stoffwechsel, Zivilisationskrankheiten und
Verhaltensbarrieren (1).
Die Menschheitsgeschichte ist von
ca. zwei Millionen Jahren Jäger- und
Sammler-Dasein in der Altsteinzeit
(Paläolithikum)
geprägt. Die Ernährung dieser
Zeit lässt sich inzwischen sehr gut rekonstruieren.
Dabei
fällt auf, dass sie sehr
vielfältig war: Neben Fleisch, Fisch (und
die heute für mitteleuropäischen Küchen
eher ungewohnten Insekten, Schlangen
und Weichtiere) bestand der Großteil der
Nahrung aus Früchten, Nüssen,
Samen,
Beeren, Wurzeln, Knollen, Blättern, Blüten
und Pilzen. Durchschnittlich war etwa ein
Drittel der
Nahrungsquellen tierischen
und zwei Drittel pflanzlichen Ursprungs
(2). Außerdem erhitzten die Jäger und
Sammler seit mindestens 800.000 Jahren
(vermutlich sogar seit 1,8 Millionen Jahren)
ihre Nahrung. Dadurch
erschlossen
sie sich neue Nahrungsquellen, die roh
nur schwer verdaulich oder giftig wären
(3). Insgesamt
entwickelten die Menschen
in dieser Zeit also ein Nährstoff-Optimierungsprogramm:
Die
kontinuierliche
Suche nach einer sehr vitamin- und mineralstoffreichen
Kost mit vielen Ballaststoffen
und
einem verhältnismäßig hohen
Proteinanteil.
Nur die beste Nährstoffversorgung
sicherte das Überleben
und die erfolgreiche
Reproduktion.
Im Lauf von Hunderttausenden von Jahren
bildeten unsere Vorfahren ein immer größeres
Hirnvolumen aus – der
Energiebedarf
stieg daher stark an, denn das Gehirn
verbraucht am meisten Energie unter
allen Organen: ca.
20 bis 30%. Überlebensvorteile
hatten daher diejenigen, die
besonders energiereiche Nahrungsquellen
fanden. Unter den Nährstoffen ist Fett
der energiereichste. Mit 9 kcal / Gramm
hat Fett mehr als doppelt
soviel Energie
wie Proteine und Kohlenhydrate. Zusätzlich
waren aber auch Nahrungsquellen
gefragt, die
schnell Energie zur Verfügung
stellen können – und das sind vor allem
die einfachen Kohlenhydrate wie
Glukose,
die im Stoffwechsel sofort zur Energiegewinnung
genutzt werden können. Insgesamt
entstand daher
eine Geschmackspräferenz
für Quellen, die viel und / oder
schnelle Energie liefern, also ein Energie-
Maximierungsprogramm. Allerdings war
dieses Ernährungsprogramm nur unter
ganz bestimmten
Umweltbedingungen
erfolgreich:
Die Lebensweise der Jäger
und Sammler war von Bewegungsaktivität
und körperlicher
Anstrengung
geprägt.
Analysen der altsteinzeitlichen Skelette ergaben,
dass der Körperbau etwa heutigen
Profisportlern entsprach.
Der Energiebedarf
war also nicht nur auf Grund des
zunehmenden Gehirnvolumens und der
großen Muskelmasse
sehr hoch, sondern
auch auf Grund der energieaufwändigen
Lebensweise.
Divergenz von Genetischem
Programm und Nahrungsangebot
hat einen hohen Preis
Nach dem Ende der letzten Eiszeit begann
vor etwa 10.000 Jahren die Neolithische
(jungsteinzeitliche)
Revolution: Die
Menschen wurden sesshaft und stellten
ihren Nahrungserwerb auf eine völlig
neue Grundlage
um: auf Ackerbau und
Viehzucht. Kohlenhydrate wurden nun in
großem Stil nutzbar gemacht durch den
Anbau
von Getreide. Als weiteres energiereiches
– und vor allem von den Jahreszeiten
unabhängiges –
Nahrungsmittel
setzte sich Milch immer weiter durch. Vor
etwa 5.000 Jahren kam die Verwendung
von
gepressten Pflanzenölen in größeren
Mengen und seit 500 Jahren die Gewinnung
von Zucker hinzu. Das
altsteinzeitliche
Energie-Maximierungsprogramm blieb
auch weiterhin in Kraft: Wer Zugang
zu energiereichen
Nahrungsquellen hatte,
profitierte vor allem bei schlechten Ernten
oder grassierenden Krankheiten und
hatte
höhere Überlebens- und Reproduktionschancen.
Überraschenderweise führte diese neue
Ernährungsform aber nicht zu einer
verbesserten Gesundheit. Die
Körpergröße
der Menschen nahm ab, es finden sich
signifikant mehr Schäden an den Zähnen
im Vergleich mit
Jäger- und Sammlerkulturen.
Knochen- und Gelenkentzündungen
konnten von Paläopathologen nachgewiesen
werden, ebenso Hautkrankheiten und
eine erhöhte Sterblichkeit. Diese Funde
sind eindeutige Hinweise auf eine
Fehl- und
Mangelernährung (4).
Vor gut 175 Jahren setzte dann ein weiterer
großer Umbruch ein: die Industrielle
Revolution. Sie bewirkte
einerseits eine
starke Industrialisierung bei der Nahrungsmittelverarbeitung,
andererseits kam es
durch
Hygienemaßnahmen, die Einführung
der Anästhesie in der Chirurgie und dem
Einsatz von Antibiotika zunächst zu
einer
steigenden Lebenserwartung. Allerdings
veränderten sich die Haupttodesursachen.
Starben die Jäger-
und Sammlergesellschaften
meist an Infektionskrankheiten,
durch Kindersterblichkeit und akute
Verletzungen,
so fallen moderne Menschen in
der Regel chronischen Krankheiten zum
Opfer:
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs
und Diabetes. Inzwischen sinkt die Lebenserwartung
sogar wieder, wie in den
USA
seit dem Jahr 2000 in der Gruppe der unter
54-jährigen nachgewiesen wurde (5).
Wie konnte es innerhalb von nur 10.000
Jahren – und insbesondere in den
letzten 150 Jahren – zu solch
drastischen
Veränderungen kommen? Evolutionsbiologisch
kann dies mit der Diskordanz- oder
Fehlanpassungs-Theorie erklärt werden:
Körperliche Gesundheit setzt
voraus, dass die genetischen
Anlagen eines Organismus
und seine Umwelt
zusammen
passen.
Die den Körper und das Verhalten der
Menschen prägenden Gene haben sich
im Lauf von zwei Millionen Jahren an
das
Leben als Jäger und Sammler bestmöglich
angepasst. Die moderne Ernährung unterscheidet
sich jedoch
stark davon. Während
sich unsere Gene in den letzten 10.000
Jahren kaum verändert haben, bilden
unsere
Nahrung und unsere Lebensweise
in vielerlei Hinsicht eine neue Umwelt. Die
notwendigen genetischen
Anpassungen,
um die – evolutionär gesehen – neuen
Lebensmittel schadlos in großen Mengen
nutzen zu können,
sind in diesem kurzen
Zeitraum größtenteils noch nicht erfolgt.
Kurz gesagt: Heute treffen paläolithische
Gene auf neolithische Ernährung und
Lebensweise – sie passen nicht mehr
zueinander, woraus sich eine
Fehlanpassung
entwickelt, die zu gesundheitlichen
Problemen führt.
Schlechter Rat macht krank
Die offiziellen Ernährungsrichtlinien
propagieren viele Vollkornprodukte, Milch,
Obst und Gemüse, mäßig
Fleisch, wenig
Fette und Zucker als gesunde Ernährung
für die Industrienationen. Eine optimale
Zusammensetzung der Makronährstoffe
werde mit ca. 53% Kohlenhydraten, 16%
Protein und 31% Fett erreicht (6).
Diese
Vorgaben passen aber in vielerlei Hinsicht
nicht zu unserem paläolithischen Erbe
und zu unseren
Nahrungspräferenzen.
Man kann daher sogar so weit gehen zu
behaupten, dass die Richtlinien nicht den
natürlichen Bedürfnissen der Menschen
entsprechen und damit letztlich sogar
krank machen können. Warum?
Die Zusammensetzung der Makronährstoffe
lag im Paläolithikum im Mittel bei
etwa 41% Kohlenhydrate, 37% Protein
und 22% Fett. Die heutigen Ernährungs-
Empfehlungen weichen davon
deutlich
ab und führen zu einer starken Verlagerung
hin zu Kohlenhydraten und Fett. Die
vorherrschenden
industriell gefertigten
Lebensmittel erleichtern zusätzlich den
umfänglichen Konsum von einfachen
Kohlenhydraten (Auszugsmehl, Zucker)
anstelle komplexer Kohlenhydrate aus
Gemüse und Früchten. In der Folge
kommt
es häufig zu Störungen wichtiger Stoffwechselvorgänge:
z. B. chronisch überhöhte
Blutzucker- und
Insulinspiegel mit Auswirkungen
auf den Kohlenhydratstoffwechsel,
der sich mit Diabetes mellitus und
Krebserkrankungen bemerkbar macht.
Die suboptimale Nährstoffsituation wird
auch durch die veränderte Beschaffenheit
unserer Nahrungsquellen
verschärft.
Anstelle von Wildtieren und -pflanzen
werden heute in ihren Eigenschaften
veränderte
Zuchttiere und Zuchtpflanzen
verwendet. Zudem werden Fette gehärtet
und in Formen überführt, die es
natürlicherweise
nicht gibt, große Mengen an
raffiniertem Zucker und raffinierten Pflanzenölen
stehen zur
Verfügung, Kochsalz
wird bei mehr als 90% aller industriell
verarbeiteter Nahrungsmittel zugegeben.
Ein
typisches Beispiel ist auch das veränderte
Fettsäuremuster unserer Nahrung.
Bei den für den Körper wichtigen
mehrfach
ungesättigten Fettsäuren hat sich das
Verhältnis in ungünstiger Weise hin zu den
pro-entzündlichen Omega-6-Fettsäuren
verschoben (Verhältnis Omega-6 zu Omega-3 im Paläolithikum etwa 2:1,
heute
10-20:1). Störungen des Fettstoffwechsels
führen häufig zu Übergewicht und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (7). Hinzu
kommen Schädigungen der Darmflora
durch einseitige Ernährung, die
Dysbiosen,
Mykosen und Mineralstoffmangel auslösen
können. Die Proteinunterversorgung
kann sich
schließlich mit negativen Konsequenzen
bei der Neurotransmitterbildung
(die aus Aminosäuren erfolgt)
bemerkbar
machen – ein möglicher Ausgangspunkt
für die Zunahme von Depressionen und
Konzentrationsschwächen.
Milch und glutenhaltige Getreide sind
heute Basis der Standard-Ernährungspyramiden,
waren aber als
Nahrungsquellen
für Jäger und Sammler nahezu unbekannt.
Wie im Eingangsbeispiel der Zöliakie
gezeigt
wurde, aber auch von den noch
häufiger vorkommenden verzögerten
Nahrungsmittelallergien bekannt ist,
können glutenhaltige Getreide massive
Darmschäden verursachen. Auch Milch ist
nicht problemlos verträglich.
Ursprünglich
war der Zustand der Milchzuckerunverträglichkeit
verbreitet: Jäger und Sammler
bildeten nur
während der Stillzeit das
Enzym Laktase, welches den Milchzucker
spaltet und verdaulich macht. Nach
Ende
der Stillzeit wurde die Bildung der
Laktase eingestellt, da sie nicht weiter
benötigt wurde – andere
Milchquellen
als Muttermilch waren nicht vorhanden.
Erst mit Beginn der Viehhaltung vor rund
8.000 Jahren
breitete sich in Zentral- und
Nordeuropa die Fähigkeit aus, die Laktase
bis ins Erwachsenenalter aktiv zu
halten
und so die Milch der Nutztiere als weitere
Energiequellen nutzen zu können (8).
Dass die meisten Menschen
in Mitteleuropa inzwischen
Milch vertragen, ist eines der
sehr wenigen
Beispiele einer
genetischen Anpassung in
den letzten 10.000 Jahren
und deutet auf einen enormen
Selektionsvorteil hin.
Allerdings sind trotz überbordender Angebote
an Milch und Milchprodukten noch
immer ca. 15% der Bevölkerung
Laktoseintolerant
– in anderen Ländern der Erde
ist die Laktose-Intoleranz noch weiter
verbreitet,
teilweise bis über 90%.
Autoaggressive Erkrankungen wie Allergien
stehen ebenfalls mit der Ernährung
im Zusammenhang.
Interessanterweise
reagieren die meisten Allergiker kaum
auf paläolithische Nahrungsquellen wie
Fleisch,
Salat, Gemüse etc., jedoch überproportional
häufig auf Proteine, die erst
seit dem Beginn von Ackerbau und
Viehzucht
in großen Mengen verzehrt werden
(Kuhmilch, Hühnerei, Getreide) oder sogar
erst vor wenigen
Jahrhunderten aus anderen
Regionen eingeführt wurden (z. B. die
Erdnuss aus Südamerika). Auch bei den
immer bekannter werdenden verzögerten
Nahrungsmittelallergien (die Beschwerden,
meist Magen-Darm-Probleme,
treten
mehrere Stunden oder Tage nach dem
Verzehr auf) findet man die meisten
Reaktionen bei den
evolutionär neuen
Lebensmitteln: Kuhmilch, Hühnerei und
glutenhaltige Getreide. Nach Schätzungen
der
British Allergy Foundation sind ca.
40% der Bevölkerung in Mitteleuropa
von dieser Problematik betroffen.
Evolutionär betrachtet liegt die Ursache
für viele der heutigen Stoffwechselstörungen,
Magen-Darm-Beschwerden
und
Allergien in der weitgehenden Inkompatibilität
der modernen Ernährung mit
den genetisch fixierten
Nährstoff- und
Energieprogrammen. Mit diesem Wissen
ließe sich die menschliche Ernährungsweise
theoretisch
an eine ihren natürlichen
Bedürfnissen entsprechende und gesundheitsförderliche
Form anpassen.
Erfahrungsgemäß
stößt man bei Ernährungsumstellungen
aber auf die Problematik,
dass Menschen eine
ausgeprägte Vorliebe
für fette und zuckerreiche Nahrungsquellen
haben – eine Auswirkung unseres
seit fast
zwei Millionen Jahren genetisch
fixierten Energie-Maximierungsprogramm,
das mit der Gehirnentwicklung im
Zusammenhang
steht. Es ist also nicht einfach
eine Charakterschwäche, wenn Menschen
den Verlockungen von
Kuchen, Torten,
Süßigkeiten, Softdrinks und Hamburgern
erliegen. Menschen sind sozusagen auf
Fett und
Zucker programmiert, weil diese
Nahrungskomponenten in Mangelsituationen
der Vergangenheit einen
Überlebensvorteil
darstellten – allerdings in
einer Umwelt, die durch deutlich höhere
körperliche Leistung
gekennzeichnet
war als heute. Inzwischen sind fett- und
kohlenhydratreiche Nahrungsmittel kein
Mangel
mehr, sondern im Überfluss
vorhanden, ein zusätzlich stark ausgeprägter
Bewegungsmangel führt damit zu
einer Energie-Disbalance. Die aktuellen
Folgen sind u. a. die rasante Zunahme
an Übergewicht, vor allem bei
Kindern
und Jugendlichen, gefolgt von Diabetes
mellitus Typ II und koronaren Herzerkrankungen.
Aber
Ernährungsempfehlungen
zur drastischen Fett- und Zuckerreduktion,
die die noch immer vorhandene Präsens
des Energiemaximierungs-Programms
einfach ignorieren, werden scheitern.
Glücklicherweise liefert das Wissen um
die
evolutionären Zusammenhänge dennoch
einen Ausweg aus erfolglosen Ernährungsprogrammen.
Einwände oder Ausreden?
Mit Blick auf die Evolutionsbiologie
ist offenkundig: Unser paläolithisches,
genetisch fixiertes
Ernährungsprogramm
passt nicht zur heutigen Umwelt und Lebensweise.
Die typischen Krankheiten der
modernen
Zivilisationen sind die Folge.
Gelegentlich wird der Einwand erhoben,
dass diese Erkenntnis nichts anderes
als
eine nostalgische “Paläo-Fantasy” sei,
dass man doch gar nicht genau wisse,
wie Ernährung und
Lebensweise in der
Altsteinzeit wirklich aussahen, es sich also
um eine Art Steinzeitmärchen handele.
Außerdem
habe die Evolution in den letzten
10.000 Jahren nicht still gestanden – also
seien auch
Anpassungen an die neolithischen
Nahrungsmittel zu finden.
Natürlich ist es schwieriger, aussagekräftige
Daten zur Ernährung in der Altsteinzeit
zu sammeln als heutige
Ernährungsgewohnheiten
zu studieren. Dennoch gibt
es eine umfangreiche Datenlage sowohl
durch fossile
Funde als auch von rezenten
Jäger- und Sammlerkulturen. Außer der
Ausbildung einer Laktose-Toleranz (die
aber weltweit immer noch nicht vollständig
ist) sind bislang kaum nennenswerte
Beispiele für genetische
Anpassungen
an die neolithische Ernährung bekannt.
Momentan sprechen alle Daten dafür,
dass sich die
genetische Konstitution eben
nicht in größerem Ausmaß an die neue
Ernährung angepasst hat. Dies könnte
zukünftig zwar möglich sein, jedoch sind
die evolutionären Zeiträume, in denen dies
geschieht, so lang, dass
wir diese Entwicklung
nicht mehr miterleben werden.
Auffällig ist auch, dass die Kritiker der
evolutionären Ernährungstheorie noch
keine Alternative aufbieten
können, um
die beschriebenen Phänomene umfassend
und stringent erklären zu können – z. B.
warum wir heute
an spezifischen Krankheiten
leiden oder warum ganz bestimmte
Allergene dominieren. Die Erklärung ist mit
einem evolutionären Ansatz jedoch sehr
gut möglich. Der “Paläo-Fantasy”-Vorwurf
erscheint daher vielmehr als
Ausrede denn
als überzeugendes Argument – vielleicht
auch benutzt, um Fehler in der Ernährungspolitik
nicht offen legen zu müssen.
Zwei Alternativen stehen zur Verfügung,
um den aktuellen Gesundheitsproblemen
zu begegnen:
- weiterhin ratlos abwartend und mehr
schlecht als recht die offiziellen Ernährungsempfehlungen
umzusetzen und undifferenziert an die vorherrschende Form
von gesunder Ernährung zu glauben oder - mit evolutionsbiologischem Wissen
Ernährungsprogramme zu formulieren, die
den natürlichen menschlichen Bedürfnissen
und Präferenzen entsprechen und
damit eine hohe Chance auf erfolgreiche
Umsetzung haben.
PaläoPower: Wie Ernährung
erfolgreich umgestellt werden
kann
Menschen haben im Lauf ihrer evolutionären
Geschichte zwei unterschiedliche
Ernährungsprogramme entwickelt.
Das
Nährstoff-Optimierungsprogramm führte
zu Vielfalt, Qualität, einer ausgewogenen
Mineralstoff-,
Vitamin- und Proteinversorgung.
Die daraus entstehende Vitalität,
die in zwei Millionen Jahren
erfolgreichen
Überlebens im Paläolithikum entwickelt
wurde, ist unsere “PaläoPower”, die
wiederentdeckt
werden sollte. Gleichzeitig
existiert aber auch ein Energie-Maximierungsprogramm,
welches eine starke
Präferenz für fett- und kohlenhydratreiche
Nahrungsmittel ausgebildet hat. Beide
Programme waren unter
paläolithischen
Bedingungen erfolgreich und wurden über
Lust- / Unlustgefühle bei der Auswahl der
Nahrungsmittel umgesetzt.
Nach Lust und Laune essen
ist daher sehr wichtig –
jedoch im Bewusstsein, dass
die Energiemenge nicht
mehr
limitiert ist und die Nahrungsquellen
heute nicht immer
die beste Qualität haben.
Welche Komponenten sollte daher ein
erfolgreiches Programm zur Ernährungsumstellung
unter
evolutionsbiologischem
Aspekt umfassen?
- Die Zusammensetzung der Nahrungsmittel
sollte sich an den paläolithischen
Vorgaben orientieren: im Mittel bei etwa
41% Kohlenhydrate, 37% Protein und
22% Fett. Bevorzugte Quellen sollten
Gemüse, Salat, Früchte, Nüsse und Pilze
(insgesamt etwa zu zwei Dritteln) sowie
Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte (insgesamt
etwa ein Drittel) sein. - Auf die individuelle Verträglichkeit
unserer Nahrungsmittel sollte intensiv
geachtet werden. Dazu zählen vor allem
glutenhaltige Getreide, Milch und Hühnerei. - Vielfalt und Qualität (artgerechte
Tierhaltung, Urformen etc.) sollten im
Vordergrund stehen, um die Nährstoffe in
optimaler Zusammensetzung zu erhalten.
Möglichst frische, naturbelassene und
wenig industriell verarbeitete Nahrungsquellen
sollten den höchsten Anteil
ausmachen. - Die Energiebalance sollte durch körperliche
Bewegung, bevorzugt im Freien,
gefördert werden. - Die genetisch fixierte Vorliebe für
fett- und kohlenhydrat- / zuckerhaltige
Speisen muss ernst genommen und diese
Nahrungsquellen angemessen zugelassen
werden. Verbote und zu starke Restriktionen
sind kontraproduktiv und werden
erfolglos bleiben. - Gemeinsam genießen statt verbieten:
Entscheidend ist es, Genuss – möglichst
auch in Gemeinschaft – zu erzeugen.
Genuss macht Familienmitglieder, Freunde
und Arbeitskollegen zu Mitstreitern im
sozialen Umfeld, die zur erfolgreichen
Umsetzung entscheidend beitragen.
Die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung
dieser Forderungen bereiten die
Anforderungen des modernen
Alltags: Der
Bedarf an einfacher, schneller, unkomplizierter
Nahrungsaufnahme – auch auf
Reisen – wächst,
während das Angebot
in Supermärkten, Restaurants, Rast- und
Tankstellen kaum den oben geforderten
Aspekten
entspricht und derzeit noch
einiges an Eigeninitiative abverlangt.
Andererseits ist es häufig einfacher als
gedacht,
auf natürliche Weise zu genießen.
Inzwischen finden sich glücklicherweise
immer mehr hochwertige
Nahrungsmittel
und schmackhafte “PaläoPower”-Rezepte,
die oft ohne Gluten, Milch und Ei auskommen.
Auf
eine kurze Formel gebracht
lautet das Erfolgsgeheimnis natürlicher,
gesundheitsförderlicher und
genussvoller
Ernährung:
Evolutionsbiologie der
Menschen verstehen –
konsequent anwenden –
und genießen.
Dr. rer. nat. Sabine Paul
ist Molekular- und Evolutionsbiologin
mit
interdisziplinärer Promotion
zur Technikfolgenabschätzung.
Sie ist seit 1999 als Leiterin
des
wissenschaftlichen Marketings
verschiedener Unternehmen tätig
und arbeitet zudem als freiberufliche
Wissenschaftsautorin,
Referentin und Trainerin insbesondere
zu den Themen Gentechnik,
evolutionäre
Ernährung, evolutionäre
Medizin und evolutionäre
Psychologie. Aktuelle Publikation:
Der Darwin-Code (siehe
Lit.).
Literaturhinweise
- 1. Junker, T., S. Paul. Der Darwin-Code: Die
Evolution erklärt unser Leben. C.H.Beck Verlag,
München, 2009, ), www.darwin-code.de - Eaton, S.B., M. Konner. Paleolithic
nutrition – a consideration of its nature
and current implications. The New England
Journal of Medicine 312:283-289, 1985 - Wrangham, R., N. Conklin-Brittain. Cooking
as a biological trait. Comparative Biochemistry
and Physiology Part A, 136:35-46, 2003 - Diamond, J. The third chimpanzee. HarperCollins,
New York, 1992 (Dt. Ausgabe: Der
dritte Schimpanse, 1998) - Nemetz, P.N. et al. Recent Trends in the
Prevalence of Coronary Disease. Archives of
Internal Medicine 168(3):264-270, 2008 - Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Der neue
DGE-Ernährungskreis. DGE-Info 1. April 2004 - Cordain, L., et al. Origins and evolution
of the Western diet: Health implications for
the 21st century. American Journal of Clinical
Nutrition 81:341-354, 2005 - Burger, J. et al. Absence of the lactasepersistance-
associated allele in early Neolithic
Europeans. Proceedings of the National
Academy of Sciences 104:3736-3741, 2007
und www.evolution-ernaehrung-medizin.de
Weitere Artikel aus dieser Ausgabe
- 1Allergische Rhinitis in der TCM
Heuschnupfen ist eine Immunreaktion auf Pollen, die durch schulmedizinische und naturheilkundliche Ansätze behandelt wird. In der TCM spielt die Stärkung des Verteidigungs-Qi eine Schlüsselrolle.
Naturheilkunde - 2Alles, was Recht ist
Der Artikel beleuchtet verschiedene rechtliche Fragen rund um Heilpraktiker. Themen sind u.a. die freie Wahl des Prüfungsortes, Schweigepflicht und Bedingung zur Titelführung.
- 3Die Milch macht´s! Wirklich?
Der Artikel beleuchtet die gesundheitlichen Risiken des Milchkonsums, insbesondere die Rolle von Hormonen in der Milch schwangerer Kühe und deren potenziellen Beitrag zu hormonabhängigen Krebsarten.
- 4Unsere Heilpflanze: Die Schafgarbe – Achillea millefolium
Die Schafgarbe, bekannt als Achillea millefolium, beeindruckt mit ihren zahlreichen Verwendungszwecken in der Heilpflanzenkunde - von der Wundheilung bis zur Verdauungsunterstützung.
Naturheilkunde - 6Fallstudien aus der HP-Praxis
Fallstudien in der HP-Praxis: Morbus Boeck, Morbus Crohn und Tennisellenbogen. Heilpraktische Methoden, Anamnese und Therapieansätze im Fokus.
Naturheilkunde - 7Für Sie gelesen!
Erfahren Sie mehr über die heilende Wirkung von Metallen in der Naturheilkunde und deren Anwendungsmöglichkeiten. Entdecken Sie, wie Metalle sowohl körperliche als auch geistige Symptome adressieren können.
Naturheilkunde - 8Gehirn-Fitness
Gehirn-Fitness wird immer wichtiger, um mentale Gesundheit zu erhalten. Aktives Ruhe-Training kann die Plastizität des Gehirns fördern und ist entscheidend für ein ausgeglichenes Leben.
Psychotherapie - 9Geobiologie am Arbeitsplatz
Geobiologische Einflüsse können am Arbeitsplatz ebenso negativ wirken wie im Schlafzimmer. Dieser Artikel beleuchtet die Risiken und zeigt Lösungen auf.
Naturheilkunde - 10Informationsmedizin
Der Artikel beleuchtet die zunehmende Bedeutung geräte- und computergestützter Therapie- und Diagnosesysteme in der Medizin und hinterfragt deren Wirksamkeit.
Naturheilkunde - 11Mukoviszidose
Mukoviszidose ist eine der häufigsten angeborenen Stoffwechselkrankheiten. Fermentierte Enzymkost kann helfen, das Verdauungssystem zu entlasten und die Gesundheit zu unterstützen.
Naturheilkunde - 12Optimieren Sie Ihren Auftritt im Internet
Viele Internetauftritte von Heilberufen sind angreifbar oder unverständlich. Erfahren Sie, wie Sie Ihre Webseite werbewirksam und rechtssicher gestalten können.
- 13Paracelsus Schulen
Die Paracelsus Schulen verbessern die Unterrichtsqualität durch Dozentenratings und bieten Rabatte auf VHS-Material. Zusätzlich gibt es neue Hörbücher zur Psychotherapie-Ausbildung.
- 14Patient zwischen den Fronten
Der Artikel diskutiert die Kluft zwischen Schulmedizin und Esoterik und plädiert für eine Zusammenarbeit zum Wohle der Patienten. Unterschiede in den Ansätzen sollen überwunden werden.
Energetik und Spiritualität - 15Psychologische Beratung übers Internet
Die Internetplattform Questico bietet "liebevolle, kompetente Lebensberatung", hauptsächlich in den Bereichen Astrologie, Tarot und Hellsehen. Seriöse Anbieter nutzen neue Portale.
Energetik und Spiritualität - 16Rezepte für Schönheit, Leib und Seele
Entdecken Sie verschiedene Rezepte, die sowohl Ihrer Schönheit als auch Ihrem Wohlbefinden zugutekommen und Körper und Seele stärken.
Beauty und Wellness - 17Seelische Konflikte mit der Psychosomatischen Energetik lösen
Psychosomatische Energetik ist eine komplementärmedizinische Methode, die Energieblockaden durch seelische Konflikte im Energiefeld löst und so das Wohlbefinden verbessert.
Energetik und Spiritualität - 18Spondylose beim Hund
Spondylose verursacht Bewegungsstörungen und Schmerzen bei Hunden. Naturheilkunde bietet durch gezielte Behandlung Linderung, um die Lebensqualität der Tiere zu verbessern.
Naturheilkunde - 19Tai Chi hält Senioren fit
Tai Chi und Qi Gong können die Lebensqualität älterer Menschen erheblich verbessern. Barbara Reik präsentiert leicht erlernbare Übungen zur Förderung von Wohlbefinden und Gesundheit.
Beauty und Wellness - 20Trinkwasseraufbereitung
Wasser ist lebenswichtig für den menschlichen Körper, aber welches Wasser ist optimal? Der Artikel beleuchtet die physikalischen Parameter, die gutes Trinkwasser ausmachen und wie verschiedene Faktoren die Wasserqualität beeinträchtigen können.
- 21Wurzeln alternativer Tiermedizin
Der Artikel beleuchtet die historischen Wurzeln alternativer Tierheilkunst und ihre Verbindung zu naturheilkundlichen und spirituellen Anwendungen bis in die moderne Zeit.
Tierheilkunde