Wurzeln alternativer Tiermedizin
Es gab schon immer den Mann im Dorf,
der besonders viel vom Vieh verstand
Karsten Kulms
“Ich Hufschmied kann die Pferd‘ beschlagen, dazu die Räder, Karrn und
Wagen, Schwänzen1,
(ab-)lassen2 ich wohl kann, den Pferden, die auch
Schäden3 haben.
Ich kann heilen
Rotz4 und Räude, den Feifel5 und die Angstel6 schneiden.
Zu den Zyklopen trag´
ich Gunst, die erfunden des Schmiedwerks Kunst.”
So oder so ähnlich lautete bereits im ausgehenden
Mittelalter die Berufsbeschreibung
des Hufschmiedes
(Erläuterung der
Begriffe im Kasten). Interessant bei diesen
Ausführungen ist dabei die deutliche
Einbeziehung
der Tierheilkunst in dieses, ja
eigentlich handwerklich geprägte Berufsbild.
Die
Schmiedemeister früherer Zeiten
waren zugleich als “Roßärzte” tätig und
ersetzten in vielen Bereichen den
heutigen
studierten Veterinär oder Tierheilpraktiker.
Verblüffend ist dabei die lange Tradition
und
Formtreue der noch heute verwendeten
Instrumente, die bei der tierärztlichen
Behandlung oftmals zum Einsatz
kommen.
So etwa die Nasenbremse oder die Zahnraspel,
die noch heute eine annähernd
gleiche Ausformung
aufweisen wie vor
Hunderten von Jahren.
Betrachtet man die Behandlungsweisen
und -konzepte früherer
Zeiten, dann fällt
einem zunächst der deutliche Bezug zur
Natur und naturheilkundlichen Heilverfahren
ins
Auge.
Phytotherapeutische Anwendungen wie in
dem folgenden Rezept gegen Husten bei
Tieren sind dort genauso vorzufinden wie
Verfahren, die an “moderne” (tier-) heilkundliche
Therapien, etwa die
Blütentherapie
nach Bach erinnern (die nachfolgend
gebrauchte Bezeichnung “Vieh” wurde
im damaligen
Wortschatz in der Regel auf
Tiere im allgemeinen angewendet):
“Vor den Husten oder Keichen der Rind-Viecher!
Nimm grünen Beyfuß 4 Hände voll,
stoße sie klein, und drücke mit dem dazu
geschütteten Wasser den Saft
heraus, und
dies soll man 7 Tage nacheinander dem
Vieh eingeben.”
Oder:
… das Wasser von den
Blättern distalliert,
ist für böse Augen gut, wann sie offt
damit gewaschen werden, desgleichen
auch
getruncken, ist gut für die Nieren
und Gelbsucht …”
Natürlich sorgten sich die Menschen der
früheren Zeit um das Wohlergehen der
von ihnen gehaltenen Tiere. Oft
stand
dabei der wirtschaftliche Schaden bzw. die
Bedrohung der eigenen
Existenz (z. B. durch Hungersnöte)
im
Krankheitsfalle der Tiere im Vordergrund,
wenn man dabei selbstverständlich auch
die z. T. recht enge
emotionale Bindung
der Menschen an ihre Tiere nicht außer
Acht lassen darf.
Die Einbettung spiritueller Kräfte und
Mächte in das Bedürfnis, die eigenen
Tiere vor Unheil zu schützen,
zeigt sich
auch in folgendem Rezept:
“Vor Bezauberung des Viehes!
Man nehme Knoblauch und Dill, oder
Bärwurzel Foten, oder Wohlgemut, wohl
durcheinander gestoßen, und mit Salz
vermischet, und dem Vieh davon gegeben,
praeservieret das Vieh vor
aller Seuche
und Zauberung.”
Abstrakter zeigt sich der Wille um die
Gesunderhaltung der Tiere etwa am
Beispiel des “Wurmsegen” aus der
Zeit
um ca. 1600:
“Das pfert beyssen die worme. Also sie
synt weys, swarcz und rot:
lieber herre Jhesu Crist, die worme
die
seint tot!”
Dieses Zurückgreifen auf höhere Mächte
bei der Pflege und Behandlung von Tieren
wirft ein deutliches Licht
auf die enge
Verbindung zwischen damaliger Heilkunst,
Religion und Aberglaube. Es weist
aber auch m. E.
einen gewissen Aspekt
der Ganzheitlichkeit auf, die Heilung
von Tieren nicht nur der empirischen
Beobachtung und Erfahrung der damaligen
(Natur-) Heilkunde zu überlassen,
sondern auch nichtmaterielle
Einflüsse
und “Energien” im weiteren Sinne in
den Gesundungsprozess eines Tieres mit
einzubeziehen.
Ganz ähnliche Prozesse finden sich bei
entsprechender Betrachtung auch noch in
der “modernen” Tierheilkunde.
So schreibt etwa von Künsberg (2002) im
Zusammenhang mit der energetischen
bzw. feinstofflichen Wirkungsweise
der Blütentherapie nach Bach und in
Rückbesinnung auf deren
übergeordnete
theoretische Weltanschauung, dass es “…
in der unsichtbaren Welt sehr liebevolle
Wesen, auch
Engel genannt (gibt), deren
Schwingung unendlich viel höher und
reiner ist als die unsere …”.
Die moderne Zuhilfenahme übergeordneter
Wesen bei der Heilung oder besser
“Regulation” von Tieren als
beseelten
Wesen ist also im Wesentlichen nichts
anderes als die bereits erwähnte Einbeziehung
christlicher
Anschauungen und
Manifestationen, wie etwa am Beispiel
des o. g. “Wurmsegen” des Mittelalters
festzustellen ist.
Bemerkenswert an der Feststellung von
von Künsberg ist die selbstverständliche
Einbeziehung kosmischer Kräfte
oder
“Wesen” innerhalb eines bestimmten Therapiegebietes
(hier: Bach-Blütentherapie),
um einen Zugang zur
Gesamtkonzeption
der heilenden Schwingungen der unterschiedlichen
Blüten und Blütenmischungen
herzuleiten.
Es lassen sich in der Folge Parallelen zum
weitaus spiritueller geprägten Weltbild
früherer Zeiten ziehen, in
denen das
Vorhandensein kosmischer Kräfte und
Wirkungen (z. B. “Mondkalender”, Heilanweisungen
der
Hildegard von Bingen etc.)
als unzweifelhaft und selbstverständlich
existierend und vorgegeben angesehen
wurde. Hieraus lässt sich natürlich in Folge
auch die Einbeziehung dieser Kräfte in die
frühe “Tierheilkunde”
ableiten.
Diese naturheilkundlich-kosmische Sicht
auf die Heilung (nicht nur) von Tieren
hat sich als Volksglaube
überaus lange
gehalten.
Im Hausbuch einer alten Hammerschmiede,
die in einem entlegenen Seitental der
Tauber in der Nähe von
Rothenburg ob
der Tauber seit dem Mittelalter bis ins 18.
Jahrhundert in Betrieb war, fanden sich
noch
Anweisungen und Rezepte eines
Schmiedes, mit denen man damals Not
und Übel von Tier und Mensch fern zu
halten
suchte und Krankheiten heilen wollte.
Wenn auch zu dieser Zeit bereits die
“Aufklärung” längst
Einzug in das
mitteleuropäische Gedankengut gehalten
hat, konnten sich in entsprechend abseits
gelegenen
Regionen noch alte Rezepte
und Heilweisen erhalten, die auch die
Austreibung negativer Kräfte (Dämonen,
Hexen etc.) in einen Behandlungsprozess
einbezogen, wie folgendes Beispiel zeigt:
“Ein Mittel wenn die Milch (der Tiere,
Anm. d. Autors) durch die Hexen
gestohlen wird!
So machen etliche ein paar Sichel im
Feuer glühend, und löschen sie in der
Milch ab,
thun Ruß aus dem Rauchloch,
und Schwefel hinein, gießen es
dann in das heimliche Gemach, meinen
da sie
werde den Hexen gesalzen
genug seyn.” (aus: “Nützliches Kunst-
Büchlein, geschrieben im Jahr
1798”).
Dieses Rezept verlagert die Behandlung
der Erkrankung eines Tieres, wie im Beispiel
oben etwa die Agalaktie
einer
Mutterkuh, dahingehend, dass der Dämon,
der für die Erkrankung verantwortlich
ist, getäuscht und
damit vertrieben
wird. Die Hilflosigkeit der damaligen
Menschen gegenüber Krankheiten psychosomatischer
Ätiologie, wie etwa das
oft zu beobachtende Verhalten der Milch
bei jungen Muttertieren (v. a. Großtiere),
findet ihren Ausfluss und ihre “Überwindung”
in Handlungsanweisungen gegen
das “Unbekannte”, die nicht
materiell
fassbare Ursache eines Leidens.
Das Überlisten und Täuschen des krankheitsauslösenden,
nicht-materiellen Agens
bedeutet aber auch dessen organische,
letztendlich somit “ganzheitliche”
Einbeziehung
in den Therapieansatz.
Bei weiterführender Überlegung lassen
sich wiederum Parallelen zur
modernen
Naturheilkunde finden, wenn man die
Sicht um den Aspekt der energetischen
“Störfelder”
geopathischer, elektromagnetischer
oder sonstiger Natur erweitert.
So finden etwa das Reiki oder auch die
Radiästhesie bei der Behandlung von Tieren
immer mehr Eingang in entsprechende
naturheilkundliche
Behandlungskonzepte.
Die Anerkennung der Existenz mehr oder
weniger immaterieller Störfelder und
ihrer
negativen Auswirkungen auf die
(Tier-)Gesundheit steht somit in einem
sehr ähnlichen Verhältnis zu der
Loslösung
der reinen Behandlung am und mit
dem Patienten und der Hinwendung zu
exogenen Ursachen wie das
o. g. Konzept
des Beschützens bzw. Austreibens von
“Dämonen” und anderen unbekannten
(und unheimlichen
weil nicht materiell
fassbaren) Kräften.
Dieser Beitrag wird in der nächsten Ausgabe
von Paracelsus fortgesetzt.
Literaturhinweis:
von Künsberg, Isabella (2002): Bach-Blütentherapie. Harmonie und Wohlbefinden für die Einheit
von Mensch und Pferd. Müller Rüschlikon Verlags AG, CH–6330 Cham, S. 33.
Niederrheinisches Museum für Volkskunde
und Kulturgeschichte: Der Schmied als Roßarzt. Führer des Niederrheinischen Museums für Volkskunde und
Kulturgeschichte Bd. 28, Kevelaer 1990.
Gohl, Christiane, 1993: Was der Stallmeister noch wußte. Hausmittel,
Heilmittel, Tips und Tricks. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co., Stuttgart, S. 24.
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