Homöopathie in der Trauma-Behandlung
In der alltäglichen Praxissituation eines klassisch-homöopathisch arbeitenden Behandlers sind es die Anfangsformulierungen „Seitdem…“ und „Bis heute…“ von Patienten in der Anamnese, die den Therapeuten hellhörig werden lassen müssen. Wenn der Patient z.B. auf die Frage nach traumatischen Situationen antwortet: „Ich wurde als Kind von meinem Onkel missbraucht, und seitdem konnte ich keine Beziehung mehr eingehen und hatte auch noch nie einen Orgasmus.“ Oder: „Bis heute kann ich seit dem Tod meiner Tochter keine Freude mehr empfinden.“
Meist trifft man hier Angst, Sorge und Furcht an. Angst steht für menschliches Leiden, hemmt, macht mutlos und krank. Ähnliches gilt für den (inneren) Kummer, der sich meist als Wurzel einer Krankheit erweist. Nicht zufällig steckt im Wort „Kränkung“ das Wort „krank“. In das psychische Trauma werden auch noch Zorn, Ärger und Aufregung eingereiht.
Die Aufgabe des Homöopathen ist es, mit aller therapeutischen Sorgfalt und Zurückhaltung zusammen mit dem Patienten herauszuarbeiten, ob das traumatisch Erlebte nur damals eine belastende Erfahrung war, oder ob es bis heute ein Problem darstellt, was mit den gesundmachenden, umprogrammierenden Informationen des passenden homöopathischen Medikamentes ausheilen kann.
Was ist ein Trauma und wie erkennt man es?
Ein Trauma ist die im Körper immer noch festgehaltene und gebundene Energie, die ursprünglich durch physiologische und instinktive Mechanismen bereitgestellt wurde, um eine Angriffs- oder Fluchtreaktion zu ermöglichen. Sie kann sich in Überaufmerksamkeit, Schreckhaftigkeit, chronisch erhöhtem Puls oder Herzrasen ausdrücken. Oft werden die Energien auch in Form von Schreckensbildern zurückgehalten. Diese Bilder haben jedoch inhaltlich meist nicht direkt mit dem traumatischen Ereignis selbst zu tun, sondern sind ein Ausdruck der traumatisch gebundenen Energie.
Einige dieser Reaktionen werden durch den Verstand oft neu interpretiert oder unterdrückt und enden in weiteren Symptomen, z.B. Angst, Panik, Angst vor der Angst oder in sexuellen Störungen.
Mit der Zeit kann sich die Symptomatik verkomplizieren. Schlaflosigkeit sowie weitere psychosomatische Symptome (Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Übelkeit, Störungen im Verdauungssystem) können dazu kommen, ebenso körperliche Erkrankungen wie Heuschnupfen, chronische Gastritis, Erkrankungen am Bewegungsapparat (chronische Rückenschmerzen) sowie viele andere somatische Beschwerden.
Wie entsteht ein Trauma?
In der Regel durch eine lebensbedrohliche Situation, aber auch durch kleinere Stürze, Verletzungen, Unfälle ohne äußere Verletzung (Schock) oder auch als Zuschauer eines Unfalls, eines Verbrechens oder von Gewalt. Auch kleinere operative Eingriffe können Traumata verursachen.
Oft denkt der Betroffene, das Ereignis sei schon lange erledigt und verarbeitet, doch Jahre später stellen sich Trauma-Symptome ein. Die Person leidet dann beispielsweise an innerer Ruhelosigkeit, Angst- und Panikattacken sowie immer wieder auftretendem Herzrasen.
Kleinere, relativ unbedeutend erscheinende Ereignisse können längst vergessene traumatische Geschehnisse reaktivieren, so dass die Symptome erst durch dieses Ereignis beginnen. Ein einziges kleineres Ereignis am Ende einer Kette kann das Fass zum Überlaufen bringen. Begünstigt wird dies durch die Tatsache, dass der Handlungs- und Reaktionsspielraum einer Person durch jedes traumatisierende Ereignis immer kleiner wird. Der Zugang zum Körperempfinden, dem inneren Erleben wird immer mehr abgeschnitten. Dies hindert den traumatisierten Menschen an adäquaten instinktiven Reaktionen in vielen Lebenssituationen.
Besonders in bedrohlichen Situationen stehen die natürlichen Verhaltensweisen immer weniger zur Verfügung. So wird er durch falsche Reaktionen immer wieder in traumatisierende Situationen gebracht („Sog des Traumas“). Durch die Einengung der äußeren und inneren Wahrnehmung, der instinktiven Reaktionen und durch die immer stärker werdenden Symptome wird das Alltagsleben eines traumatisierten Menschen immer eingeschränkter.
Schlimme Kindheit ändert Genaktivität
Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft zeigen, dass frühe Traumata die Dichte von Anti-Stress-Rezeptoren im Gehirn verringern. Vernachlässigung oder Missbrauch in der Kindheit hat für die Betrof fenen oft dramatische Langzeitfolgen – sie verlangsamen u.a. die geistige Entwicklung und erhöhen das Suizidrisiko.
Im Hippocampus von Menschen, die als Kind misshandelt wurden, finden sich weit weniger schützende Andockstellen als in den Gewebeproben nicht misshandelter Menschen. Frühkindliche Erfahrungen be – einflussen also offenbar, wie auch der genetische Code, die „Bauanleitung“ für den Rezeptor, in dem Nervenzellen tatsächlich abgelesen werden. Den Unterschied machen dabei jene Abschnitte der DNA, die selbst keine Erbinformation tragen, sondern nur die Aktivität der Gene steuern. Diese Sequenzen waren bei den traumatisierten Spendern chemisch verändert – nach Ansicht der Forscher eine Folge der frühkindlichen Erfahrungen. Das würde erklären, warum die ersten Lebensjahre so prägend für die Stressreaktion im späteren Leben sind.
Neue Wege der Allopathie
Der Wirkstoff Propranolol soll bestimmte Erinnerungen im Angstgedächtnis blockieren. Man hofft, posttraumatische Störungen so besser behandeln zu können. Kritiker sehen dies als Gehirnwäsche. Durch den Rezeptorblocker Propranolol lassen sich die Stoffwechselvorgänge während des Wiedererinnerns an Angstzustände beeinflussen und Angstgefühle können so ausgelöscht werden. Ebenso zeigt sich eine Wirkung auf die Gedächtnisformation in der für Angst zuständigen Gehirnregion namens Amygdala.
Ob die Gedächtnisinhalte bei Einsatz dieses Stoffes komplett gelöscht werden oder die Behandlung nur den Abrufvorgang aus dem Angstgedächtnis stört, können Forscher bisher nicht genau sagen.
Bei dem Einsatz von Psychopharmaka an sich werden nicht die Ursachen der Störung angegangen, sondern lediglich in die bei diesen pathologischen Prozessen ablaufen – den Stoffwechselvorgänge eingegriffen und damit die Symptome letztlich unterdrückt. Natürlich gibt es bei akuten psychischen Erkrankungen und Störungen Situationen, in denen der effektive Einsatz von psychogen wirkenden allopathischen Medikamenten erst mal indiziert sein mag, aber Ziel einer Therapie soll immer sein, die Zusammenarbeit zwischen Hippocampus und limbischem System bzw. der für Angst zuständigen Gehirnregion Amygdala wieder herzustellen und auf ein gesundetes Maß (Homöostase des Systems) zurückzuregeln.
Die Angst zu blockieren wäre genauso, wie wenn man einem Menschen, der vor Angst schreien will, ein Pflaster über den Mund klebt. Das Problem ist so nicht behoben. Zudem geht es nicht darum, einzelne Erinnerungen zu löschen, sondern die vielverzweigte Störung im System wieder einzuregulieren, so dass ich von dem Erlebnis zwar noch weiß, die Erinnerung daran aber in meinem System keine pathologischen Prozesse, die als Symptome, Krankheit und Störung erlebt werden, ausbildet. Zu einer solchen Lösung können die Hochinformationsmedikamente der Klassischen Homöopathie beitragen.
Psychotherapie und Trauma
Die gängige Arbeitshypothese der Psychotherapie lautet in der Regel: Um posttraumatische Belastungsstörungen zu the rapieren, ist es nötig, „noch einmal durch die Hölle zu gehen“ und die belastende Situation im Gehirn zu integrieren. Gegen die traumatische Erinnerung ist jedoch kein Kraut gewachsen. Posttraumatische Störungen allein mit Psychotherapie zu therapieren, betrachte ich eher kritisch. Viele Patienten bearbeiten mit vielen Sitzungen, unzähligen Gesprächen und Übungen ihr Trauma, aber es will sich nicht auflösen. Ich erlebe immer wieder, dass es zwar gelingt, besser damit umzugehen, es anzuschauen, stehen lassen zu können, aber letztlich ist es immer noch da.
Trauma-Behandlung in der Homöopathie
Schock-Traumata sind durch verschiedene homöopathische Mittel – entsprechend ihren Indikationen – behandelbar. Die Homöopathie ist sehr geeignet für lebensgeschichtlich und psychisch tief liegende Traumata.
So kennt sie z.B. die Folge von Schock, Kränkung, Demütigung, Kummer, sexuellem Missbrauch, finanziellem Ruin und dem Tod eines geliebten Menschen mit den entsprechenden Rubriken im Repertorium und den jeweiligen homöopathischen Medikamenten. Die Homöopathie kann bei der Behandlung von Traumata und bei Unfall- Traumata große gesundende Wirkung bringen.
Die klassische Homöopathie ist für jeden Patienten mit posttraumatischen Störungen zur Behandlung geeignet und hat sich auch im Akut-Fall als Sofort-Hilfe-Maßnahme bewährt.
Homöopathische Arzneimittel haben keinerlei schädliche Nebenwirkungen und machen nicht abhängig. Dieser Aspekt ist besonders erwähnenswert für Patienten, die aufgrund ihrer Problemstellungen (posttraumatische Störungen, Ängste, Todesängste, Depressionen, Panikzustände etc.) eine medikamentöse Behandlung benötigen und auf Psychopharmaka verzichten wollen. Als akute Sofortintervention können Psychopharmaka – je nach Fall – durchaus sinnvoll und obligat sein. Bei einer Behandlung über einen längeren Zeitraum ist jedoch generell – angesichts der Nebenwirkungen und der Suchtgefahr – das Für und Wider sehr sorgfältig zu prüfen. Psychopharmaka beeinträchtigen außerdem die Psychotherapie, homöopathische Mittel hingegen nicht. Homöopathische Einzelarzneien unterstützen den Betroffenen sehr gezielt, da der Behandler die Arznei individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten auswählt und verordnet.
Die homöopathische Behandlung
Bei der Sofort-Hilfe-Leistung im Notfall werden der Patient und seine unmittelbare Reaktion auf den Vorfall (z.B. Autounfall, Tod eines geliebten Menschen, Vergewaltigung, Überfall, Zeuge eines Unfalls oder Verbrechens) analysiert. Der Behandler gibt dem Betroffenen die passende Arznei in bestimmten zeitlichen Abständen, die sich nach dem Befindlichkeitsverlauf des Betroffenen richten.
Bei der Behandlung von Patienten mit posttraumatischen Störungen werden der gesamte Symptomenkomplex und der individuelle Patient durch eine klassische homöopathische Anamnese mit dem unverfälschten Spontanbericht des Patienten und dem Nachfragen des Behandlers zur Vervollständigung erforscht. Nach Auswertung sämtlicher Informationen mit Hilfe eines Hierarchisierungsprinzips ermittelt der Behandler die passende homöopathische Arznei nach dem Ähnlichkeitsprinzip, die der Patient i.d.R. in einer einzigen Dosis erhält.
Die Heilwirkung einer homöopathischen Arznei ist die Nachwirkung, d.h. die Antwort des Organismus auf den Arzneireiz. Die Aufgabe des Therapeuten ist es dann, in Folgegesprächen mit dem Patienten die Heilwirkung der Arznei zu analysieren und zu beurteilen, bevor die nächste Gabe verabreicht wird. Der Patient schildert dem Behandler seine Beobachtungen (z.B. Gemütsreaktionen, verändertes Empfinden, verändertes Reagieren auf bestimmte Situationen, Veränderung im Schlaf) nach der Arzneigabe. Der homöopathische Behandler stellt hier zu auch konkrete Fragen und entscheidet nach dem Gespräch, ob die Wiederholung der Arzneigabe angezeigt ist, ob noch gewartet wird oder ob gegebenenfalls eine andere homöopathische Arznei verordnet wird.
Homöopathie in der Trauma- Behandlung – Zwei Fallschilderungen aus meiner Praxis
Fall 1 – Tödlicher Verkehrsunfall mit Schock- Folge
Der Sohn von Frau W. kam nach nächtlichem Disko-Besuch von der Fahrbahn ab und landete mit seinem Auto schwer verletzt im Wald. Weil ihn niemand fand, verstarb er in den folgenden Stunden. Die Polizeibeamten hatten am nächsten Morgen die schwere Aufgabe, Frau und Herrn W. diese schlimme Nachricht zu übermitteln. Trotz geschulter Kompetenz der Beamten fuhr die Information wie ein Schlag in Frau W. hinein. Sie wurde hysterisch und verneinte den Sachverhalt. Ihr Sohn liege in seinem Zimmer und würde schlafen. Dem war leider nicht so. In dieser Phase wären evtl. Aconitum oder Ignatia die homöopathischen Medikamente der ersten Wahl gewesen, aber ich war noch nicht als Therapeut aktiviert. In den nächsten Tagen und Wochen gingen in Frau W. Veränderungen vor. Sie wurde immer introvertierter und stiller, zog sich von allen Sozialkontakten zurück. Aufforderungen ihres Mannes, trotz der verständlichen Trauer um das eigene Kind sich wieder um Lebendigkeit zu bemühen, erwiderte sie mit schwacher Stimme und Achselzucken. Ihr Zustand war eine Narkolepsie. Nichts machte ihr mehr Freude. Sie war emotionslos, wie tot. Ich gab ihr Opium C1000, und schon binnen weniger Stunden wurde ihr Geist wacher und sie wurde lebendiger. Nach drei Tagen ein Rückfall, da die C1000 aufgehört hatte zu wirken. Umstellung auf Opium LM 18 Dilution, das Frau W. sehr gut tat. Es konnte eine Trauerarbeit eingeleitet werden.
Fall 2 – Vergewaltigung
Frau K. wurde als junge Frau von einem Verehrer, der nachts an ihr Fenster klopfte, nach dem Einlassen brutal vergewaltigt. Unter Tränen berichtet sie mir: „Ich dachte immer nur, hoffentlich werden meine Eltern nicht wach“. Das Ereignis liegt schon lange zurück. Die trauma-psychologische Behandlung in früheren Jahren half ihr zwar, damit umzugehen, aber sie könne bis heute nicht von sich aus auf ihren Mann, den sie wirklich liebt, zugehen, um ihn zum gemeinsamen Koitus zu animieren. Sie schlafe nur ihm zu liebe mit ihm, die Vergewaltigung von damals sei immer noch präsent und wie ein Schmerz spürbar. Die Klassische Homöopathie weiß, dass hier die Störung „Folge von Kränkung, Demütigung“ aktiv ist und in der konkreten Blockadeausformung „Staphysagria“.
Ich gebe ihr die systemregulierende Information als Staphysagria LM 18 in Flüssigkeit. Vier Wochen später geht es ihr viel besser. Das Thema, wie sie es nannte, verliere an Boden und Bedeutung. Sie spüre, dass sie den Tränen nicht mehr so nahe sei, und auch beim Zusammensein mit ihrem Mann sei sie auf einem guten Weg. Die Medikation wird beibehalten. Vier Monate später: „Ich weiß natürlich noch, dass es war, aber es macht mir nichts mehr aus und ich habe endlich wieder Zugang zu mir selbst gefunden. Ich bin wie befreit.“
Text:
Michael Leisten
Dipl. Rel. Päd. (FH), Heilpraktiker, Klassischer Homöopath und mehrfacher Buchautor.
Weiterführende Links:
Ausbildung Homöopathie
Heilpraktikerschule Würzburg
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