Schönheit – was ist machbar?
Kritische Aspekte
Schönheits-OPs und Drunkorexia
Systemtherapeut Götz Egloff beleuchtet, wie gefährlich sinnlose Schönheits-OPs sein können, und warum immer mehr Teenager der Drunkorexia verfallen.
Ein neuer Trend schwappt zu uns über den Ozean: Hungern, Trinken und plastische OPs. Was in den USA vor allem bei Schülerinnen und Studentinnen seit einigen Jahren immer häufiger zu beobachten ist, stellt eine heikle Suchtkombination dar, die mit erheblichen körperlichen und seelischen Gefahren einhergehen kann. Angesichts der zunehmenden Selbstverständlichkeit hochindividueller Lebensentwürfe erscheint die Problematisierung dieser Themen mit Patientinnen schwierig, wenn diese keinen oder wenig Leidensdruck verspüren.
„We´re plastic but we still have fun“. Mit dieser Zeile aus einem Song von Lady Gaga begann eine 22-jährige Privatpatientin die neunte Sitzung einer insgesamt 25-stündigen systemisch-interpersonellen Psychotherapie.
Eine enge Freundin hatte sich die Brüste „machen lassen“, obwohl diese es, so die Patientin, überhaupt nicht nötig gehabt habe. Mit ihrer eigenen Brust hingegen sei die Patientin nicht mehr so zufrieden, weshalb sie selbst nun auch an Implantate denke.
Die sympathische Wirtschaftsstudentin, die wegen teils anorektischer, teils bulimischer Symptomatik in Behandlung gekommen war und eine sehr attraktive, aber nahezu untergewichtige Erscheinung abgab, verbrachte ihre Nächte mit „Koma-Saufen“, die Tage mit sehr geringer oder manchmal rauschhafter Einnahme von Essen, dann oftmals mit herbeigeführtem Erbrechen. Dies sei bei ihr, mit gewissen Unterbrechungen, seit der Pubertät so.
Ein Trend, der im englischsprachigen Raum „Drunkorexia“ (Trunksucht & Anorexie) genannt wird, ist auch im deutschsprachigen Raum zu beobachten. Exzessives Hungern, um dem Ideal der Kate Moss-Figur zu entsprechen, dazu rauschhaftes Trinken als Folge von Impulsdurchbrüchen scheint ein neuer Lebensstil bei jungen Frauen zu werden. Tamara Pryor, Leiterin des Eating Disorder Center in Denver, USA, stellt fest, dass in den letzten zehn Jahren „the prevalence of both eating disorders and binge drinking has increased on college campuses” (AAPA, 12, 4, 2009, 9).
Dies wusste auch o.g. Patientin zu bestätigen, für die dieses Verhalten über lange Jahre völlig normal gewesen sei. Einige ihrer Freundinnen seien auch heute noch so. An erster Stelle stände die Notwendigkeit, in eine Size Zero-Jeans zu passen – was der Größe 32 entspricht. Danach käme lange nichts. Also: hungern, hungern, hungern, so die Patientin.
Da man dies jedoch mit der Zeit kaum aushalte, sei dann hoher Alkoholkonsum das Mittel der Wahl gegen den Frust gewesen. Nun jedoch habe die Patientin gemerkt, dass es so nicht mehr weiter ginge, ihre Konzentration ließe erheblich nach und ihre Studienleistungen würden schlechter. Außerdem gab es starke Störungen im Elektrolythaushalt, was angesichts häufigen Erbrechens nicht verwunderlich ist (vgl. Selke, 2009).
Dass es noch dazu im Rahmen von insbesondere Anorexie bei deutlichem Gewichtsverlust schon nach wenigen Monaten zu einem starvationsbedingten Abbau grauer Substanz kommen kann, hat ein Forscherteam um Beate Herpertz-Dahlmann, Aachen, im Rahmen einer Bildgebungsstudie nachgewiesen. „Die pseudoatrophischen Veränderungen erstrecken sich auf fast alle kortikalen Bereiche und werden unter einer Therapie wieder weitgehend normalisiert“ (Ameri, 2010).
Nicht nur die Gratifikation durch die Umwelt – nicht nur die männliche – sondern auch die eigene Überwindung der biologischen Notwendigkeit des Essens erlebte o.g. Patientin als tolles Gefühl. „Sicherheit und auch ein Gefühl von Macht“ sind Aspekte, die im Erleben von Anorektikerinnen meist eine große Rolle spielen (Schauenburg et al, 2009). Dass „überwiegend intelligente, leistungsstarke und ehrgeizige Mädchen durch die Disziplinleistung des Hungerns eine Lösung für ihre eigentliche Sehnsucht nach Anerkennung, Außerordentlichkeit und Autonomie“ (Gille et al, 2009) erleben, hätte die Patientin jederzeit unterschrieben.
Im Laufe der Psychotherapie konnten solche Themen in den Kontext der Herkunftsfamilie eingeordnet werden. Versorgungs-Autarkie- Themen als Leitkonflikte der Patientin wurden ebenso greifbar wie frühe Nähe-Distanzkonflikte, sodass die Patientin mehr von sich selbst zu verstehen begann und die Essstörung deutlich milder wurde. Was jedoch blieb, war der relativ hohe Alkoholkonsum in Gesellschaft, sowie die Idee, mittels plastischer OPs Makel am Körper auszubessern. Die Patientin schien in ihrem Umfeld allerdings noch eher zurückhaltend zu sein. Keine Körperregion ihrer Freundinnen schien vor einem chirurgischen Eingriff sicher. Dass der Anstieg von Schönheits-OPs auch im Intimbereich rasant vonstatten geht, ist in letzter Zeit deutlich geworden (vgl. Brandenburg, 2009).
Die Patientin und deren Freundinnen sangen Lady Gagas Textzeile bei jeder Gelegenheit fröhlich mit, so die Patientin. Man könnte ihnen den Spaß gegönnt haben, bliebe nicht ein skeptisches Gefühl zurück, dass die eine Sucht von der nächsten ersetzt, wenn nicht ergänzt würde. Magersucht, Trunksucht, OP-Sucht?
Was nun im Behandlungssinne angezeigt wäre, ist nicht leicht abzuschätzen. Immerhin gibt es verschiedenste Ansätze, von SSRI über Psychotherapie bis hin zu klassischen naturheilkundlichen Verfahren, sowie Kombinationen der Verfahren. In der TCM wären in der Ohrakupunktur sicherlich Suchtpunkte zu nadeln wie 97 Leber, 95 Niere und den antitragalen 29c Punkt der Begierde (vgl. Velling et al, 2009). Die Suchtthematik zeigt sich doch recht ausgeprägt bei den allermeisten Essstörungspatientinnen, die über kurz oder lang in jeder Therapie lernen müssen, ihre starken Wünsche und Bedürfnisse zunächst überhaupt einmal zu erkennen, um dann autonomer damit umgehen zu können. So ist und bleibt Psychotherapie das Mittel der Wahl. Es muss allerdings erst einmal Leidensdruck verspürt werden, um überhaupt in Behandlung zu kommen. Dies ist bei Essstörungen zunächst keineswegs gängig; zudem fürchten die Patientinnen selbst bei vorhandenem Leidensdruck doch die Gewichtszunahme und den Autonomieverlust erheblich. Jedwede Therapie bedeutet somit ein mühsames Unterfangen, dessen Ausgang offen ist.
Literaturnachweise:
- Ameri, A., Auswege aus der Magersucht gesucht. In: InFo Neurologie & Psychiatrie, 12, 1, Springer/Urban & Vogel, München, 2010, 46ff.
- Annals of the American Psychotherapy Association, 12, 4, Springfield MO, 2009, 9.
- Brandenburg, U., Lifting für die Schamlippen. In: Gynäkologie & Geburtshilfe, 14, 12, Springer/ Urban & Vogel, München, 2009, 32.
- Gille, G. et al., Körperlicher Frühstart und seelische Aufholjagd. In: Gynäkologie & Geburtshilfe, 14, 12, Springer/Urban & Vogel, München, 2009, 33ff.
- Schauenburg, H. et al., Fokale psychodynamische Psychotherapie der Anorexia nervosa. In: Psychotherapeut, 54, 4, Springer, Heidelberg, 2009, 270-280.
- Selke, M., Elektrolyte – Salze mit lebenswichtigen Funktionen für den menschlichen Organismus. In: Report Naturheilkunde, 13, 3, Tischler, Berlin, 2009, 36-41.
Götz Egloff M.A.
Systemtherapeut SG – Psychotherapie –
Forschungstherapeut Uni Heidelberg; Arbeitsschwerpunkte: Prä- und Perinatalpsychologie, Psychosomatik der Frauen- und
Kinderheilkunde, Eltern-Säuglings-Therapie
Kontakt: goetz.egloff@web.de
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