Das Pferd – eine Chance für den Menschen
Das Therapeutische Reiten gibt es mittlerweile in vielen Ländern und in jedem Land ist der Ursprung seines Entstehens unterschiedlich. In Deutschland entstand das Therapeutische Reiten während und vor allem nach dem Krieg. Medizinische Zielsetzungen, die sich den typischen menschengangähnlichen rhythmischen Gang des Pferdes zunutze machten, um dem Menschen zu helfen, waren die Ursprünge. Heute ist diese Arbeit noch in der Hippotherapie verankert.
Bei der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd handelt es sich um pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und soziointegrative Angebote mithilfe des Pferdes bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit verschiedenen Behinderungen oder Störungen. Bekannt sind hier insbesondere das Heilpädagogische Voltigieren und Reiten.
Dabei steht nicht die reit- oder voltigiersportliche Ausbildung, sondern die individuelle und ressourcenorientierte Förderung über das Medium Pferd im Vordergrund. Eine günstige Beeinflussung der Persönlichkeitsentwicklung gehört insbesondere in den Bereichen Motorik, Wahrnehmung, Lernen, Befindlichkeit und Verhalten zu den Zielsetzungen.
Mein Interesse an dieser Methode hat mit einem 4-jährigen Trakehner-Vollbluthengst namens Windfeuer begonnen. Ein gutmütiges, freundliches und schönes Pferd, das ich mir für das Dressurreiten gekauft hatte. Damals arbeitete ich in einem Kinderheim mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen. Zu einem kleinen Jungen hatte ich eine ganz besondere Beziehung (wir nennen ihn hier Paul). 1993 gab es zwar auch schon den Begriff der Hyperaktivität, damals Zappelphilipp genannt, aber er war nicht so weit verbreitet wie heute. Paul würde man heute als hyperaktiv und verhaltensauffällig bezeichnen, mit allen dazu gehörenden Symptomen wie innere Unruhe, aggressives Verhalten, überschießende Reaktionen, die nicht vorhersehbar sind, motorische Unruhe, aber auch Konzentrationsstörungen und Traurigkeit mit tiefer Sorge und Ängsten vor der Zukunft. Da die Reiterei und Windfeuer mein Privatvergnügen waren, konnte Paul nicht daran teilhaben. Über viele Tage hat er mich damals „bearbeitet“, dass er mitgenommen werden wollte, um an diesem Teil meines Lebens teilhaben zu können. So dachte ich damals zumindest. Heute weiß ich, dass sein ganzes Interesse dem Tier galt. An einem meiner freien Tage war es dann soweit. Wenn ich heute daran denke, so spüre ich immer noch leichte Gänsehaut. Paul und Windfeuer begegneten sich und hatten sofort eine für mich nicht einschätzbare Beziehung zueinander. Paul war ruhig, konzentriert und freundlich. Keine Eigenschaften wie Unruhe, Aggressivität oder Eigensinn, die Paul sonst immer gezeigt hatte, waren erkennbar. Er war vollkommen mit sich und diesem großen Tier im Einklang und das Tier war ihm immer freundlich zugewandt. Windfeuer war damals noch sehr jung, ein Hengst mit allen Trieben, sportlich und eigentlich vor Kraft nur so strotzend. Und dann diese Harmonie, Ruhe und Freundlichkeit, wie die beiden sich aufeinander einließen. Lange habe ich die beiden an diesem Tag beobachtet und gespürt, hier sehe ich etwas, was nur wenigen Menschen geschenkt wird. Es muss etwas Unsichtbares geben, das ich heute noch nicht kenne, das Menschen mit Pferden verbindet und diese dazu bringt, sich so zu verhalten, wie es in ihrem Inneren aussieht.
„Adieu“ sagte der Fuchs. „Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das
Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
(Antoine de Saint-Exupéry: „Der kleine Prinz“)
Meine Kollegen, die Paul damals dann am Abend betreuten, berichteten mir, wie ausgeglichen er anschließend war. Dieses Erlebnis möchte ich nicht missen und es beschäftigt mich bis heute. Windfeuer ist heute 23 Jahre alt und immer noch als Therapiepferd im Einsatz. Heute arbeitet er überwiegend mit ängstlichen und unsicheren Menschen oder mit Menschen mit körperlichen Handicaps wie MS.
In den letzten Jahren fand das Pferd Einzug in die Arbeit mit psychisch kranken Menschen und in der Ergotherapie. Die ganz besonderen Möglichkeiten des Einsatzes des Pferdes in der Pädagogik und der Psychologie wurden deutlich. Daraus entwickelte sich der Arbeitsschwerpunkt des Heilpädagogischen Reitens oder Voltigierens.
In Ländern wie Kanada, Frankreich, Italien oder der USA entwickelte sich das Therapeutische Reiten aus dem Reiten als Sport für Menschen mit Behinderung. Dieser Zweig ist auch heute noch ein maßgeblicher Bereich des Therapeutischen Reitens und gibt Menschen mit geistigen und/oder körperlichen Handicaps die Möglichkeit, einen Sport auszuüben, den sie integrativ mit Nichtbehinderten zusammen ausführen können.
Für das Therapeutische Reiten gibt es je nach Fachrichtung unterschiedliche Indikationen, aber auch Kontraindikationen. Stehen im Bereich der Hippotherapie die körperlichen Leiden und Krankheiten im Mittelpunkt, so stehen in der Heilpädagogischen Förderung pädagogische und psychologische Probleme ganz oben. Die Ergotherapie arbeitet mit dem Pferd mit ihren Methoden. Beim Reiten für Menschen mit Behinderungen stehen die sportlichen Aktivitäten als zentrale Möglichkeit im Vordergrund, um mit Menschen zu arbeiten. Kontraindikationen sind aktive und entzündliche Prozesse im Körper, Allergien, Anfallsleiden oder ein unzureichender muskulärer Haltungsapparat sowie Krankheiten wie Glasknochen oder einige unzureichend eingestellte psychische Krankheiten. Dies sollte aber jeweils eine Einzelfallentscheidung darstellen und hängt auch vom Alter des Patienten ab.
Die Arbeit mit dem Pferd braucht eine fundierte und umfangreiche Ausbildung sowohl über die Bedürfnisse, Haltung, Ausbildung und Gesunderhaltung des Therapiepartners Pferd als auch eine Grundausbildung in dem Bereich, in dem der Therapeut später arbeiten möchte. Im Verlauf der Ausbildung sollte der Therapeut sich über sein eigenes Menschenbild und den Umgang gerade mit Menschen mit Schwierigkeiten differenziert Gedanken machen. Er sollte sich im reitsportlichen Bereich sowohl auf als auch mit dem Pferd aus- und weiterbilden. Ein wichtiger Bestandteil einer Ausbildung ist die pädagogische, medizinische und psychologische Grundlage.
In der therapeutischen Arbeit mit dem Pferd gibt es unterschiedliche Ansätze. Mensch und Tier kommunizieren nonverbal über ihre Körpersprache, und wer gelernt hat, die Sprache der Pferde zu verstehen, kann sich selbst besser verstehen. Pferde ihrerseits sind Meister im Lesen der Körpersprache des Menschen. Ein gutes Therapiepferd hilft seinem Gegenüber, sich und seine Umwelt besser zu verstehen und einzuordnen. Über verhaltenstherapeutische Maßnahmen und Verhaltensweisen lernt der Mensch nicht nur, sich zu verstehen, sondern auch sich zu verändern, da nur so ein harmonisches Miteinander zwischen Mensch und Pferd möglich wird. Durch die Verbindung, die zwischen beiden herrscht, ist der Mensch motiviert, sich zu verändern und so Beziehung zuzulassen, die das Pferd in ganz besonderer Weise honoriert. Hier kommt der Aspekt hinzu, dass das Getragenwerden ein ganz ursprüngliches Moment des Trostes für den Menschen darstellt. Es gibt ihm ein besonderes Gefühl der Geborgenheit und der Ruhe. Das Kleinkind und der Säugling profitieren davon. Leider ist dies nur ihnen vorbehalten, denn genau dieser Moment des Geschaukelt- und Getragenwerdens findet dann sein Ende, wenn kleine Kinder laufen und sich selber ausbalancieren können. Auf dem Pferd finden sie dieses Gefühl wieder und nicht selten kommen Kinder, aber auch Erwachsene auf dem Pferd zur Ruhe und Entspannung.
Gerade das Getragenwerden ist ein ganz besonderer Aspekt, den das Tier mit sich bringt. Pferde bieten uns Menschen dadurch die Möglichkeit, den Trost und die Geborgenheit zu finden, die wir brauchen, um das Leben besser zu ertragen oder uns zu den Menschen zu entwickeln, die in uns schlummern. Gerade dies lässt das Pferd zu etwas ganz Besonderem werden in der tiergestützten Therapie für uns Menschen.
Ursula Bretz
Dipl.-Sozialarbeiterin FH,
Reittherapeutin DKThr, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Trainerin Reiten, Reiten als Gesundheitssport und Reiten
als Behindertensport
u.bretz@sonnenhof-ebersbach.de
Literaturempfehlungen
- Pietrzak, Inge-Marga: Kinder mit Pferden stark machen, Cadmos Verlag, Schwarzenbek, ISBN 978-3-8404-6016-6
- Kröger, Antonius: Partnerschaftlich miteinander umgehen, FN Verlag, Warendorf, ISBN 978-3-8854-2465-9
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