Muskeltriggertherapie
Den Schmerz an der Wurzel packen
Pioniere der Triggertherapie waren die Ärzte Janet G. Travell und David G. Simons, die in den 1950er-Jahren die Entstehung und Behandlung von myofaszialen Triggerpunkten erforschten. Anfangs wurde viel mit Spritzentechniken, Kühlspray und ischämischer Kompression behandelt. In den 1990er-Jahren lernte Dr. W. Bauermeister, ein deutscher Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin, die Triggertherapie in den USA kennen und entwickelte daraufhin sein eigenes Schmerztherapiekonzept, das er Trigger-Osteopraktik nannte und erstmals im Jahre 1998 in der Schweiz unterrichtete. Dieses Behandlungskonzept beinhaltet Elemente verschiedener Therapieformen: Triggertherapie, Cranio- Sacral-Therapie, Cranio-Mandibular-Therapie, Myofaszialtherapie, Viszeraltherapie, Akupunktur, Chirotherapie, Dehnübungen und Wirbelsäulenstreckung. Das wichtigste Element der Trigger-Osteopraktik ist die Triggertherapie. Sie stellt den Trigger (Auslöser) als Hauptursache für Muskelverspannungen, viele Schmerzprobleme und Bewegungseinschränkungen in den Mittelpunkt.
Was sind Muskeltrigger?
Muskeltrigger sind dauerhaft verkürzte und verdickte Muskelfaserabschnitte innerhalb eines Muskels. Diese verkürzten Muskelfasern ziehen im Innern des Muskels und bringen ihn damit unter Spannung. Diese Spannungen können so stark sein, dass sie Skelettknochen in Fehlstellungen ziehen, ja sogar brechen können (Spannungsfrakturen, Sehnenmuskelfaser- und Muskelbündelrisse). Der Muskel verliert seine Leistungsfähigkeit, es entstehen Muskelverspannungen und Muskelverhärtungen, die früher oder später Schmerzen an derselben Stelle oder an einer anderen Stelle im Körper hervorrufen können (sogenannte Projektionsschmerzen). Das bedeutet, dass Schmerzen nicht in direkter Umgebung des Triggers, sondern in ganz anderen Körperbereichen wahrgenommen werden. Dies erklärt auch, weshalb viele symptomorientierte Therapien auf Dauer wirkungslos bleiben, da die Ursache der Symptome (Ferntrigger) nicht beeinflusst wird.
Synonyme Begriffe für myofasziale Triggerpunkte
In der Literatur finden sich viele Begriffe mit gleicher oder einander überschneidender Bedeutung für Muskeltrigger, was oft zu Verwirrung führt, z.B.:
- Interstitielle Myofibrosis
- Muscular rheumatism
- Muskelschwiele
- Myalgie
- Myogelose
- Myofasziales Schmerz-Dysfunktions-Syndrom
- Myofasziales Syndrom
Je nach Gewebe unterscheidet man:
- Myofasziale Triggerpunkte
- Kutane Triggerpunkte
- Fasziale Triggerpunkte
- Ligamentäre Triggerpunkte
- Periostale Triggerpunkte
Wie entstehen Muskeltrigger?
Meist wird die Entstehung von Muskeltriggern auf eine Über- und/oder Fehlbelastung der Muskeln durch eine ungünstige Körperhaltung am Arbeitsplatz zurückgeführt; aber auch bei Unfällen können sich in Sekundenschnelle Muskeltrigger bilden. Nicht zuletzt scheint eine genetische Veranlagung bei der Triggerentstehung eine Rolle zu spielen. Je nachdem, wie viele Muskelfasern verkürzt sind, können diese Muskeltrigger als druckempfindliche harte Knötchen, Knoten, Stränge oder Platten tastbar sein.
Wir unterscheiden zwischen
- aktiven Triggerzonen, die spontan schmerzhaft sind oder Schmerzen ausstrahlen und
- latenten Triggerzonen, die man erst auf Druck bei einer Untersuchung finden kann.
Latente Trigger können z.B. durch feuchtkaltes Wetter, kalten Luftzug, Stress, Muskelüberdehnung, Druck (Massagedüsen), Infekte usw. aktiviert werden und jedes Mal die altbekannten Schmerzen auslösen.
Die Folgen von Muskeltrigger sind
- Schmerzen, örtlich oder ausstrahlend
- Funktionsstörungen z.B. von Gelenken, Organen, Nerven, Blutgefäßen usw.
- Entzündungen von Schleimbeuteln, Sehnen, Sehnenscheiden, Knochenhaut usw., ausgelöst durch den anhaltenden übermäßigen Zug des verkürzten Muskels an den entsprechenden Strukturen.
- Knorpelschädigung: Durch stark „vertriggerte“ Muskeln wird der Gelenkspalt enorm eingeengt. Dadurch werden die Knorpelzellen schlechter ernährt und auch ihre Abfallstoffe werden schlechter abtransportiert, was zur Degeneration von hyalinem Gelenkknorpel, Menisken und Bandscheiben führt. Die Folgen sind Arthrose und Arthritis.
- Bandscheibenvorfälle sind meist die Folge von stark vertriggerter Rückenmuskulatur, die die Bandscheibe (es können auch mehrere Bandscheiben betroffen sein) wie in einem Schraubstock festhält und ihre Regeneration während der Nacht verhindert. Nachts diffundiert bei entspannter Rückenmuskulatur Flüssigkeit zwecks Regeneration in die Bandscheiben, was zur Folge hat, dass wir am Morgen zwei bis drei cm größer sind als am Abend.
- Wirbel und Gelenkfehlstellungen: Sind z.B. die Rückenmuskeln einseitig vertriggert, wird der betroffene Wirbel bei einer ungeschickten Bewegung oder nachts im Schlaf, wenn alle anderen Muskeln entspannt sind, subluxiert (zur Seite gezogen/verdreht). Dieser subluxierte Wirbel kann die entsprechenden Muskeln reizen, noch stärker zu kontrahieren, es entsteht ein sogenannter Teufelskreis.
- Wirbelsäulenschäden
- Osteophytenbildung an der Wirbelsäule oder am Fersenbein (Fersensporn). Durch starken Zug eines vertriggerten Muskels über seine Sehne an der Knochenhaut beginnt der Körper, diesen Zug durch Materialeinlagerung abzuschwächen. Es entstehen Auswüchse, wie z.B. der Fersensporn.
- Muskelfaserrisse infolge von Überbelastung vertriggerter Muskeln treten öfter bei Sportlern auf.
- Parästhesien wie Kribbeln und Taubheitsgefühl können von Muskeltriggern direkt ausgelöst werden oder indirekt, indem diese verdickten Muskelfaserabschnitte Nerven einengen. Schwindel: Sowohl Drehschwindel als auch Schwankschwindel werden oft von Triggern der seitlichen Halsmuskeln ausgelöst, die ihre Referenzzone im Innenohr haben, d. h., wenn sie gereizt werden, strahlen sie ins Innenohr und stören das Gleichgewichtorgan.
- Sehstörungen treten sehr oft nach Auffahrunfällen auf, bei denen sich in Sekundenschnelle viele und große Trigger in den Hals- und Nackenmuskeln bilden können.
- Asthma ähnliche Atembeschwerden können durch Muskeltrigger in der Rückenmuskulatur ausgelöst werden, die ihre Referenzzone im Bereich der Bronchien haben. Immer wenn diese Trigger gereizt werden, lösen sie eine Bronchokonstriktion mit entsprechenden Atembeschwerden aus.
- Depressive Verstimmungen
- Übelkeit und Erbrechen
Der Ablauf in der Praxis
Diagnosestellung – Funktionstest – Behandeln – Dehnen – Funktionstest – Hausaufgabe
Diagnose
Durch Funktionstests können verkürzte Muskeln gefunden werden, welche zu Bewegungseinschränkungen führen. In diesen Muskeln kann man durch Palpation Trigger sowie deren Eigenschaften diagnostizieren, z.B. Schmerzmuster, Schmerzausstrahlung, pilomotorische Ausstrahlungen, emotionale Reaktionen usw.
Behandlungstechnik
Nach abgeschlossener Diagnose wird der Patient so gelagert, dass der zu behandelnde Muskel in eine Dehnposition gebracht wird. Nach Auftragen eines geeigneten Gleitmittels wird mit dem Triggosanschlüssel (s. Abb.), einem ergonomisch geformten Gerät aus Kunststoff, behandelt. Dies ermöglicht es dem Therapeuten, viel Druck auf einen Muskel auszuüben und so, wenn notwendig, in tiefe Muskelschichten vorzudringen, die man mit Daumendruck nicht erreichen kann. Der Triggertherapeut muss je nach Muskeldicke und individuellem Schmerzempfinden des Patienten den Behandlungsdruck optimal abstimmen, sodass der ausgelöste Schmerz für jeden Patienten im erträglichen Rahmen bleibt. Somit ist es möglich, auch kleine Kinder und hypersensible Patienten erfolgreich zu behandeln.
Je nach Muskelform und Behandlungstiefe wird mit folgenden Techniken behandelt:
- Streichtechnik: Kapuzenmuskel, Bauchmuskel, großer Gesäßmuskel u.a.
- Ausziehtechnik: Schulterhebemuskel, Deltamuskel, Rückenstrecker, Schneidermuskel u.a.
- Punktbehandlung: Schienbeinmuskel, tiefe Nacken- und Gesäßmuskeln u.a.
- Zangengriff: Halswendemuskel, großer Brustmuskel, Kapuzenmuskel oberer Anteil u.a.
Dehnen/WS-Distraktion
Abschließend werden die behandelten Muskeln für mindestens 20 Sekunden und höchstens zwei Minuten gezielt passiv gedehnt. Der Patient erhält diese Dehnübungen als Hausaufgabe und sollte sie mindestens dreimal täglich durchführen. Die tiefen Rückenmuskeln Mm. rotatores und Mm. multifidi können mit herkömmlichen Dehnübungen nicht wirkungsvoll erreicht werden. Hier kommt das von Dr. Bauermeister entwickelte Wirbelsäulenstreckgerät zum Einsatz.
Funktionstest
Nach der Behandlung wird die Beweglichkeit noch einmal getestet, um die Verbesserung des Bewegungsradius sowie die Veränderung der Schmerzintensität und -ausstrahlung festzustellen.
Nebenwirkungen
Die Triggerbehandlung selbst ist schmerzhaft, jedoch gut erträglich. Während der Behandlung kommt es zu Hautrötungen und Hautschwellungen. Bei Patienten mit schwachem Bindegewebe kann es zur Bildung von Hämatomen kommen, auch Irritationsschmerzen und Berührungsschmerzen können bis zu drei Tage wahrgenommen werden. In seltenen Fällen sind vegetative und emotionale Reaktionen für kurze Zeit möglich.
Indikationen
- Chronische und akute Schmerzzustände
- Kopfschmerzen und Migräne
- Nacken-, Schulter-, Rückenschmerzen
- Spondylolisthesis (Wirbelgleiten)
- Spondylosis deformans (Osteophytenbildung)
- Prolaps (Bandscheibenvorfälle der Hals- und Lendenwirbelsäule)
- Lumbago (Hexenschuss)
- Ischialgie (Schmerzausstrahlung ins Bein)
- Gonalgie (Kniegelenkschmerzen)
- PHS-Syndrom (Schultergelenkschmerzen)
- Epikondylitis medialis und lateralis (Golferellenbogen und Tennisellenbogen)
- Ödeme und Parästhesien der Hände, v.a. morgens oder nachts
- Arthrose und Arthritis
- Bursitis (Schleimbeutelentzündungen)
- Karpaltunnelsyndrom
- Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit)
- Schnappfinger
- Kalkaneussporn (Fersensporn)
- Hallux valgus
- Chronische Bauchschmerzen
- Magen-Darm-Beschwerden
- Depression
Kontraindikationen
- Marcumar- und Heparin-Patienten, da bei diesen z.B. ein Kompartmentsyndrom ausgelöst werden kann.
- Muskelentzündungen müssen gänzlich abklingen, bevor der betroffene Muskel mit der Triggertherapie behandelt werden darf.
- Bei Thromboseverdacht darf der betroffene Bereich nicht behandelt werden.
- Tumore darf man keinem Druck aussetzen.
- Osteoporose-Patienten müssen sehr vorsichtig behandelt werden, um iatrogene Frakturen zu vermeiden.
Man kann zusammenfassen, dass die Trigger- Osteopraktik Einfluss auf Muskeln, Knochen, Bindegewebe, Blutgefäße, Lymphgefäße, Nervensystem, Hormondrüsen, innere Organe, die Atmung und sogar auf das seelische Befinden des Patienten nimmt. Selbstverständlich kann die Muskeltriggertherapie auch mit anderen naturheilkundlichen und schulmedizinischen Therapieformen kombinieret werden, um Synergieeffekte und somit noch schnellere Therapieerfolge zu erzielen.
Walter Michael Kasper
Heilpraktiker, Dozent an den Paracelsus Schulen
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