Tabuthemen Inkontinenz & Blasenschwäche
Frauen sind anders krank als Männer (Stichwort „Gender medicine“). Sie verfügen u.a. über eine Körperzusammensetzung, die sich völlig von jener der Männer unterscheidet und über einen „weiblichen“ Stoffwechsel, der u.a. die Verdauung, die Entgiftungsleistung und das Immunsystem betrifft. Weiterhin unterscheiden sich Frauen durch ihre anatomischen Gegebenheiten von den männlichen Zeitgenossen, die z.B. als „Risikofaktor“ für typisch weibliche Beschwerden im Bereich der Harnwege gelten. Störungen des harnableitenden Systems wie z.B. Zystitiden oder auch die Harninkontinenz sind daher besonders bei Frauen weit verbreitet. Die offiziell vorliegenden Inzidenzen sind vermutlich mit einer hohen Dunkelziffer belegt, da diese Erkrankungen häufig tabuisiert werden und sich die Betroffenen trotz teilweise erheblicher Einschränkung an Lebensqualität den Therapeuten nicht anvertrauen.
Zur Behandlung kommen in der Praxis häufig verschiedene Medikamente zur Anwendung, die mit einer Reihe von Nebenwirkungen (z.B. Hautirritationen, Verdauungsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen) einhergehen können. Im Rahmen einer ganzheitlichen Behandlung sollte der Fokus auf der Stärkung der Blase z.B. durch die Anwendung von flavonoidreichem Cranberryextrakt, gepaart mit flankierenden Maßnahmen, wie z.B. einem gezielten Blasen- bzw. Beckenbodentraining, liegen.
Die weibliche Anatomie als Risikofaktor
Der natürliche Harndrang ist die Folge eines Wechselspiels von Gehirn, Rückenmark, Blasen- und Beckenbodenmuskulatur. Während die Blase sich mit dem von der Niere über die Harnleiter transportierten Urin füllt, erfolgen über Dehnungsrezeptoren Meldungen an das Gehirn, welche die Füllmenge der Blase betreffen. Ist die Blase etwa zur Hälfte befüllt – was einer Urinmenge von etwa 250 bis 500 ml entspricht –, erfolgt die Rückmeldung „Harndrang“. Etwa sechs- bis achtmal täglich wird die Blase auf diese Weise entleert. Während des Wasserlassens kommt es zur Entspannung der Muskulatur von Blasenausgang und Harnröhre, wobei sich der gesamte Beckenboden entspannt und der Harnfluss somit ermöglicht wird. Die An- und Entspannung der Beckenbodenmuskulatur spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Der Beckenboden besteht aus einer mehrschichtigen Muskelschale, die das Steißbein mit dem Schambein verbindet und die Harnröhre, den Enddarm und die Scheide umgibt. Diese Beckenbodenmuskulatur bildet den Abschluss der Beckenhöhle und des Rumpfes und ist als Schließmuskulatur der Harnwegs- und Darmausgänge von besonderer Bedeutung für die Kontrollfunktion des Wasserlassens. Weiterhin ist die Beckenbodenmuskulatur für die gesamte Körperhaltung von großem Einfluss. Bei Frauen ist die Beckenbodenmuskulatur deutlich schwächer ausgeprägt als bei Männern, was physiologisch sinnvoll erscheint, denn der Geburtsvorgang macht ein Dehnen und Nachgeben dieses Gewebebereichs erforderlich. Gleichzeitig ist das Bindegewebe im Urogenitaltrakt deutlich weicher, aber auch druckempfindlicher als bei den Männern. Nicht nur der Vorgang der Geburt und hormonelle Einflüsse, sondern auch starke körperliche Belastung können den Beckenboden der Frau schwächen, was letztlich Störungen im Bereich der Schließmuskelkontrolle zur Folge haben kann. Eine weitere Schwachstelle des weiblichen Urogenitalsystems ist die – im Verhältnis zu den Männern – deutlich kürzere Harnröhre, die mit einem signifikant erhöhten Risiko für Harnwegsinfektionen einhergeht.
Reizblase und Harninkontinenz – bei Frauen besonders häufig
Der unfreiwillige Abgang von Urin wird als Harninkontinenz bezeichnet, wobei dieser Begriff sowohl die tropfenweise Abgabe des Harns als auch die vollständige Entleerung der Blase umfasst. In Deutschland sind insgesamt etwa 2,6 Millionen Frauen betroffen, wobei man zusätzlich von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss. Schätzungen zufolge erkrankt im Verlauf des Lebens etwa jede vierte Frau (und etwa jeder zehnte Mann) an Harninkontinenz oder Blasenschwäche. Das Risiko für diese Krankheitsbilder steigt allgemein mit zunehmendem Alter an. Allerdings sind häufig auch jüngere Frauen betroffen. Jenseits des 70. Lebensjahres geht man von einer Prävalenz von 30% aus, wobei die Erkrankung bei etwa 15 bis 20% der Betroffenen mit einem erheblichen Verlust an Lebensqualität einhergeht. Grundlegend unterscheidet man verschiedene Formen der Harninkontinenz (s. Tabelle), die ihrerseits auch wiederum durch bestimmte Risikofaktoren begünstigt werden können.
Die Belastungsinkontinenz (auch Stressinkontinenz genannt), die vor allem Frauen betrifft, ist durch den Urinverlust bei körperlicher Anstrengung (z.B. beim Heben, Springen, Lachen, Husten oder Niesen) charakterisiert. Die Ursache ist hier häufig eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur (z.B. nach vaginalen Entbindungen, Übergewicht) oder auch eine Funktionsstörung des Schließmuskels der Harnröhre.
Für die Dranginkontinenz, die ebenfalls bei Frauen häufig vorkommt, ist das Gefühl eines ständigen Harndrangs, den man nur schwer unterdrücken kann, typisch. Verursacht wird diese Form der Inkontinenz durch eine überaktive Blase. Hierbei kommt es bereits bei geringer Blasenfüllung zu einer Kontraktion der Muskulatur der Blasenwand, wodurch der Druck in der Blase steigt und die Betroffenen sehr häufig die Toilette aufsuchen, um letztlich nur geringe Urinmengen abzugeben. Leichtere Formen der Dranginkontinenz werden auch als „Reizblase“ bezeichnet. In diesem Fall trifft zwar das Beschwerdebild in der beschriebenen Form zu, es gelingt den Geplagten allerdings doch häufig, den Harndrang zu unterdrücken. Risikofaktoren, welche diese Form der Inkontinenz begünstigen, sind z.B. diabetisch bedingte Erkrankungen (Neuropathien) oder neurodegenerative Krankheiten (Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson) sowie Blasensteine. Ebenso kann die Dranginkontinenz mit Blasenentzündungen in Verbindung stehen. Auch Medikamente wie z.B. bestimmte Psychopharmaka, Neuroleptika, Diuretika oder ACE-Hemmer können zur Steigerung der Blasenaktivität beitragen.
Als eine weitere Form der Inkontinenz sei hier noch die Überlaufinkontinenz erwähnt, die mit Urinverlusten infolge Blasenentleerungsstörungen kommt. Diese Form, die häufiger bei Männern anzutreffen ist, geht in den meisten Fällen mit einer Vergrößerung der Prostata einher. Die Reflexinkontinenz kommt bei Personen mit neurodegenerativen Erkrankungen (z.B. Demenzen) vor und wird durch eine Schädigung von Gehirn bzw. Rückenmark oder Nerven verursacht. Der unfreiwillige Harnverlust kommt hier durch eine Fehlsteuerung von Harnblase und Blasenschließmuskel zustande.
Heute Blasenentzündungen und morgen eine Herz-Kreislauf-Erkrankung?
Auch für Harnwegsinfekte sind Frauen in Bezug auf ihre besondere anatomische Ausstattung besonders empfänglich. Bei ihnen haben die verursachenden Keime (meistens E. coli) durch die Kürze der Harnröhre leichtes Spiel. Das Risiko für eine solche Infektion ist bei Frauen 50-mal höher als bei Männern. Geschlechtsverkehr und falsche Körperhygiene (z.B. falsche Wischrichtung nach dem Stuhlgang) erhöhen die Gefahr zusätzlich. Schließlich sorgen altersbedingte Veränderungen der Organe bei der Frau für einen zusätzlichen deutlichen Anstieg des Krankheitsrisikos.
Bei etwa 25% der Betroffenen stellt sich im weiteren Verlauf mehrfach im Jahr eine solche Entzündung ein. Die Bakterien heften sich, dank ihrer tentakelartigen Fimbrien, an die Blasenwand und sondern das Enzym Urease ab, welches aus der im Urin vorhandenen Harnsäure Ammoniak entstehen lässt. Dieses ist auch für den häufig vorhandenen charakteristischen Geruch des Urins bei Blasenentzündungen verantwortlich. Problematisch wird die Situation dann, wenn es den Bakterien gelingt, bis in das Nierenbecken vorzudringen, denn das könnte eine Nierenbeckenentzündung oder (bei unzureichender Behandlung) gar eine schwerwiegende Schädigung der Nieren verursachen.
Aber auch in Bezug auf die neueren medizinischen Erkenntnisse zu entzündlichen Prozessen und deren „Fernwirkung“ sind Harnwegsinfekte ernst zu nehmen, denn inzwischen ist bekannt, dass nahezu alle chronisch-degenerativen Erkrankungen eine gemeinsame Schnittstelle besitzen: die subklinische, niedriggradige Inflammation. Entzündliche Prozesse können weitere Entzündungsherde im Körper auslösen und so z.B. für die Entstehung der Atherosklerose mitverantwortlich sein. Entzündliche Prozesse spielen bei Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen (z.B. Diabetes mellitus) und neurodegenerativen Erkrankungen sowie Krebs eine Rolle. Unter diesem Aspekt ist eine Rezidivierung von Blasenentzündungen zu vermeiden, besonders wichtig.
Blasenstark: Cranberrys in Kombination mit Vitamin C
Bei Blasenschwäche, Harnwegsinfekten und Inkontinenz gilt es, im Alltag eine Regel zu beachten: Viele Betroffene fürchten die Neuansammlung von Flüssigkeit im Körper und reduzieren daher die Trinkmenge. Das ist allerdings die falsche Maßnahme, denn die eingeschränkte Flüssigkeitszufuhr führt zu einem Aufkonzentrieren des Harns, was wiederum eine verstärkte Reizung der Blasenschleimhaut zur Folge haben kann. Auch ein gezieltes Blasentraining, bei dem die Zeiten zwischen den einzelnen Toilettengängen schrittweise verlängert werden, ist sinnvoll. So kann sich die Blase wieder besser an größere Urinvolumina gewöhnen. Diese Maßnahme ist vor allem bei der Reizblase hilfreich.
Ebenso kann das Beckenbodentraining empfohlen werden, denn beim bewussten An- und Entspannen wird die Beckenbodenmuskulatur gestärkt. Bei Inkontinenz haben sich in vielen Fällen auch Vaginalkonen bewährt, die ebenfalls zur Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur beitragen können.
Als „blasenstark“ hat sich in der Vergangenheit der Cranberryextrakt erwiesen. Die Wirksamkeit zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten und Remissionserhaltung nach (klassisch) behandelter Zystitis ist mehrfach in wissenschaftlichen Studien aufgezeigt worden. So zeigte z.B. eine Untersuchung aus dem Jahre 2007, dass die tägliche Anwendung von Cranberryextrakt eine ausgeprägte Schutzwirkung vor weiteren Harnwegsinfekten aufweisen kann.
Die Probandinnen erkrankten vor der Studie bis zu sechsmal im Jahr an einer Zystitis. Durch die Verabfolgung von Cranberryextrakt waren sie über Jahre hinweg beschwerdefrei. Da die protektive Wirkung der Cranberrys in erster Linie auf dem Gehalt an Proanthocyanidinen (PAC) basiert, ist eine Standardisierung auf diese bioaktiven Pflanzeninhaltsstoffe wünschenswert. Die französische Behörde für Lebensmittelsicherheit AFSSA (Agence francaise de securité sanitaire des aliments) empfiehlt eine tägliche Menge von 36 mg PAC zur Gesunderhaltung von Blase und Harnwegen. Die Effizienz der PAC kann durch die gleichzeitige Gabe von Vitamin-C-haltigem Acerolaextrakt verbessert werden, denn die antioxidative Kapazität, die gerade bei entzündlichen Prozessen besonders wichtig ist, wird durch die kombinierte Anwendung von Proanthocyanidinen und Vitamin C im Sinne eines Wirksynergismus gestärkt.
Prof. Dr. rer. nat. Michaela Döll
Expertin für
Ernährungsmedizin und Gesundheitsvorsorge, Autorin
dr.doell@fitness-gesundheit-antiaging.de
Literaturhinweis
- Michaela Döll, Der Frauengesundheitscode: Typische Beschwerden und die beste Art, sie zu verhindern, Herbig Verlag, 978-3776-62620-9
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