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Naturheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Westliche Pflanzen in der Chinesischen Medizin

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) entwickelte eine kulturspezifische Sichtweise, die Welt zu beschreiben und in Regeln zu fassen. Hierin sind die 5 Wandlungsphasen eines der zentralen Konzepte. Jeder dieser Phasen wurden unterschiedliche energetische Wirkungen zugeordnet. Bei Nahrungsmitteln und Kräutern betrifft dies u.a. Geschmacksrichtungen, thermische Eigenschaften und Zusammenhänge mit bestimmten Organen.

Unsere einheimischen Heilkräuter sind im Laufe der Jahrhunderte ebenso in ihren Heilwirkungen beschrieben worden, allerdings im Rahmen eines anderen Systems. Bei uns zählen zuerst die Inhaltsstoffe, die energetische Wirkung der Pflanzen ist immer noch wenig oder gar nicht bekannt. Basierend auf der 4-Säfte-Lehre des Galen kann man sie zwar den Elementen Luft, Wasser, Erde und Feuer zuordnen, die chinesischen Kategorien sind jedoch anders und viel differenzierter.

Kurzum: Die chinesische Kräuterheilkunde kann auf eine ca. 2500-jährige Erfahrung zurückgreifen. Der Versuch, westliche Pflanzen nach TCM-Kriterien zu sortieren, steckt noch in den Kinderschuhen.

Unterschiedliche westliche Ansätze

Die ersten vorsichtigen und zurückhaltenden Veröffentlichungen erschienen in den 1980erJahren. Noch vor 10 Jahren war es schwierig, Literatur oder praktizierende Therapeuten für die „Westliche Kräutertherapie nach TCM-Kriterien“ zu finden. Mittlerweile gibt es einige Publikationen, die jedoch ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Rezeptierung der Pflanzen beschreiben.

Zu nennen wäre Dr. Ploberger, der die Rezepturen nach TCM-Regeln in unsere heimischen Pflanzen übersetzt. Bei ihm gibt es sowohl das Botschaftskraut als auch das Kaiserkraut als wirksamkeitsbestimmende Pflanze. Diese Verschreibungsart kommt der europäischen Rezeptierung am nächsten: Das Remedium cardinale entspricht dem Kaiserkraut, das Remedium adjuvans hat die gleiche Bedeutung wie das Ministerkraut.

Dr. Baur-Müller verordnet die Pflanzen „ad ana partes“, also zu gleichen Teilen. Sie rezeptiert die Pflanzen nach ihrer energetischen Wirkung und verschreibt Kräuter, die Hitze ausleiten oder kühlend wirken. Sie verzichtet also auf die Rangordnung der Pflanzen.

Bei beiden Autoren wird auf die Pflanzen, die sich gegenseitig ergänzen, neutralisieren oder gar „verabscheuen“, wenig eingegangen. Dies hängt sicher auch mit der kurzen Zeitspanne zusammen, während der die westlichen Pflanzen erst kategorisiert werden. Der bekannteste Experte auf diesem Gebiet dürfte Jeremy Ross sein, der die synergistischen Wirkungen der Pflanzen untereinander wunderbar beschreibt. Der Nachteil dieser Verschreibungen ist, dass alle Pflanzen als alkoholische Tinktur rezeptiert werden, was das Besorgen schwierig macht. Zudem ist eine alkoholische Tinktur nach TCM-Kriterien „heiß“, und damit kommt man bei so manchem Patienten an eine Grenze, da man bei diesen den pathogenen Faktor Hitze (Liu Yin) ausleiten möchte.

Allen Experten gemeinsam ist, dass sie die neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in die Pflanzenbetrachtungen eingearbeitet haben. Die Erfahrungen, die sie auf diesem Gebiet gesammelt und veröffentlicht haben, gibt uns Therapeuten etwas Wertvolles an die Hand, mit dem wir unsere Patienten noch besser behandeln können.

Das chinesische System

In China hat sich in den letzten 2500 Jahren eine klare Systematik der Kräuterbeschreibung entwickelt. Es werden 5 Arzneimitteleigenschaften unterschieden:

  • die 5 Geschmacksrichtungen,
  • die 4 Temperaturausstrahlungen,
  • die 5 Wirkrichtungen,
  • der Bezug zu den klassischen inneren Organen (Botschaftskraut)
  • und ihre Toxizität (Giftigkeit).

Aus den Eigenschaften Geschmack, Temperatur und Organzuordnung lassen sich die Wirkungen der Kräuter erklären.

Die Geschmacksrichtung beschreibt die Grundwirkung eines Krautes. Manche Kräuter besitzen auch mehrere Geschmacksrichtungen.

Sauer wirkt zusammenziehend und bewahrend (z.B. kann man damit das Nieren-Qi festigen; weil es die Säfte bewahrt, ist es kontraindiziert bei Nässe oder Qi-Stase).

Bitter wirkt abführend, purgierend, austrocknend, beruhigend, entzündungshemmend, blutungshemmend (bei Blut-Hitze), absenkend, toxische Hitze ausleitend und durchblutungsfördernd. Dadurch ist der bittere Geschmack kontraindiziert bei Jinye-Mangel und Blut-Mangel.

Süß wirkt befeuchtend, stärkend, entspannend, beruhigend, harmonisierend und kühlend im mittleren Erwärmer. Kontraindikation ist der süße Geschmack bei Adipositas (Übergewicht), Schleim und Nässe.

Scharf wirkt bewegend, erwärmend und die Oberfläche befreiend. Kontraindiziert ist der scharfe Geschmack bei Spasmen (Krämpfe) und Qi-Mangel.

Salzig nährt das Yin, senkt das Yang ab und wirkt aufweichend.

Die Temperaturauswirkung der Kräuter wird sowohl nach dem subjektiven Empfinden als auch nach objektiven Kriterien wie Atemfrequenz, Pulsdiagnose oder einer Hyperämie beurteilt. Man unterscheidet die 4 thermischen Wirkungen „kühl“, „kalt“, „warm“ und „heiß“. Später kam der Begriff „neutral“ hinzu, und es wurden noch Zwischenstufen eingeführt („leicht warm“, „leicht kalt“ etc.).

Für die Therapie bedeutet das, dass man bei Hitzeerkrankungen kühlende oder kalte Kräuter verschreiben sollte, wohingegen sich bei Kälteerkrankungen warme oder wärmende Kräuter empfehlen. Das bedeutet auch, Kräuter verschiedener Temperaturwirkung miteinander zu kombinieren, wenn viele Syndrome zusammenkommen. So kann ein Patient z.B. oben Hitze und unten Kälte haben.

Heiße Kräuter Bohnenkraut, Oregano und Zimt wirken erwärmend, schmerzstillend und helfen beim Ausbruch von Infektionserkrankungen.

Warme Kräuter Wermut und Bockshornklee tonisieren, wirken aromatisch (resorptionsfördernd) und karminativ (Qi-Stase lösend).

Kühle Kräuter Erdrauch, Eibisch und Hopfen vertreiben Wind-Hitze, nähren das Yin und wirken beruhigend.

Kalte Kräuter Enzianwurzel und Rhabarberwurzel leiten die Hitze aus, wirken abführend, absenkend, entgiftend und entzündungshemmend.

Die Wirkrichtungen hängen damit zusammen, dass man in der Chinesischen Medizin davon ausgeht, dass alles einem Umwandlungsprozess unterliegt (deshalb Wandlungsphasen) und die Phasen „aufsteigend“, „zerstreuend“, „fallend“ und „zusammenziehend“ durchlaufen werden.

Aufsteigend = nach oben gerichtet. Dies entspricht der Holzphase im Frühjahr. Aufsteigende Kräuter heben das Yang und das Qi, lösen Nausea (Brechreiz) aus und erwecken aus einer Ohnmacht. Sie können auch bei Diarrhoe oder Uterusprolaps (Gebärmuttervorfall) eingesetzt werden.

Zerstreuend = neben der nach oben gerichteten Bewegung eine nach außen gerichtete Bewegung. Dies entspricht der Feuerphase im Sommer. Zerstreuende Kräuter machen die Oberfläche frei, sind schweißtreibend und regen das Wei-Qi an (vergleichbar mit dem Immunsystem der westlichen Schulmedizin). Sie können bei Erkältungen und Dermatosen (Hauterkrankungen) eingesetzt werden.

Absenkend = nach unten gerichtet. Dies entspricht der Metallphase im Herbst. Absenkende Kräuter wirken abführend, antiemetisch und harntreibend. Sie senken aufsteigendes Yang und das Lungen-Qi ab. Diese Pflanzen werden bei Migräne, Cephalea (Kopfschmerzen), Hypertonie und Nausea (Übelkeit) eingesetzt.

Zusammenziehend = nach unten und nach innen gerichtet. Dies entspricht der Wasserphase im Winter. Zusammenziehende Kräuter wirken befestigend, bewahrend, beschützend und schweißhemmend. Indikationen sind Inkontinenz, Diarrhoe und zu starkes Schwitzen (Hyperhidrosis).

Manche Kräuter haben einen Organbezug und leiten ihre Wirkung (auch die der übrigen Kräuter) dort hin. Man bezeichnet sie als Botschaftskräuter.

Auf die Toxizität möchte ich hier nicht weiter eingehen.

Zubereitung

Wie die Kräuter zubereitet werden, entspricht den verschiedenen Ansätzen der westlichen Phytotherapie. Einzelne Kräuter können vorbehandelt werden, z.B. durch Anrösten, damit ein Kraut energetisch heißer wird.

Dekokt Die Kräuter werden in kaltem Wasser angesetzt und gekocht.

Infus Die Kräuter werden mit kochendem Wasser übergossen.

Mazerat Die Kräuter werden kalt ausgezogen.

Öl Die Kräuter werden in Öl angesetzt und für die äußere Anwendung gebraucht.

Alkohol Die Kräuter werden in Alkohol angesetzt und äußerlich sowie innerlich angewendet.

Erstellen einer Rezeptur

In der Traditionellen Chinesischen Kräuterheilkunde werden den eingesetzten Kräutern 4 verschiedene Eigenschaften zugeschrieben:

Kaiserkraut besitzt die entscheidende Heilqualität und weist fast immer die höchste Grammzahl auf. Ministerkraut unterstützt und verstärkt die Wirkung des Kaiserkrauts in seiner therapeutischen Aufgabe. Die unerwünschten Wirkungen werden vom Offiziers- oder Polizeikraut begrenzt bzw. vermindert. Die energetische Bewegung und Richtung der Rezeptur wird durch das Botschaftskraut bestimmt, d.h. dieses ist auf das zu therapierende Organ bezogen.

Als Beispiel wird hier ein Rezept für äußere Wind-Kälte vorgestellt. Die Wind-Kälte in der TCM entspricht einem akuten Infekt, eventuell einer akuten Bronchitis. Die Angaben beziehen sich auf eine Tagesdosis.

  • Herba Saturejae (Bohnenkraut) 4g
  • Cortex Cinnamomi (Zimt) 3g
  • Herba Absinthii (Wermut) 3g
  • Rosae pseudofructus (Hagebutten) 4g

Die Mischung mit 300 ml kochendem Wasser übergießen, 10 Minuten zugedeckt ziehen lassen, abseihen und in 2 Portionen langsam trinken.

Bohnenkraut ist warm und scharf und dient hier als Kaiserkraut. Es verteilt das Lungen-Qi und wirkt schweißtreibend. Über die geöffneten Hautporen kann der pathogene Faktor Kälte nach außen abgeleitet werden. In der westlichen Phytotherapie wird das Bohnenkraut bei Appetitmangel, Bauchkrämpfen, Husten etc. eingesetzt. Aufgrund seiner ätherischen Öle kann es auch als Mundspülung bei Entzündungen der Mundschleimhaut genutzt werden.

Zimt unterstützt die Wirkung des Ingwers als Ministerkraut. Er erwärmt die Leitbahnen und bewegt Qi. Zugeordnet wird er den (TCM-) Organen Herz, Milz, Niere und Leber. (Anmerkung: Auch wenn es sich bei Zimt nicht um eine „westliche“ oder einheimische Pflanze handelt, wurde er schon von Dioskurides zur Therapie eingesetzt.)

Als Polizeikraut dient die Hagebutte mit den Eigenschaften leicht adstringierend und leicht kühl. Sie bewahrt Blut (Xue) und Jinye (Körperflüssigkeiten), damit kann sie eine zu stark wärmende und ableitende Wirkung ausgleichen.

Wermut dient als Botschaftskraut. Er unterstützt die meisten Meridiane und fördert die Resorption der übrigen Kräuter, da er eine stärkende Wirkung auf das Milz- und Magen-Qi ausübt.

Dieses Rezept ist nur eine Möglichkeit von vielen, das richtig passende wird immer nur aufgrund von Anamnese, Puls- und Zungendiagnose erstellt. Ich habe festgestellt, dass unter Berücksichtigung der energetischen Wirkung und der wirksamen Inhaltsstoffe eine sehr individuelle Therapie möglich ist.

Um die Compliance weiter zu verbessern und das Vertrauen der Patienten in diese Therapie zu stärken, fotografiere ich oft zu Beginn der Therapie und später die Zunge des Patienten. Im Therapieverlauf kann ich ihm die stattfindenden Veränderungen direkt aufzeigen.

Fazit

Den meisten Menschen kommt die Verschreibung der westlichen Pflanzen sehr entgegen. Wir sind mit ihnen aufgewachsen. Und sie lassen sich gleich in der nächsten Apotheke kaufen. Lange Transportwege werden vermieden. Die westlichen Kräuter sind vergleichsweise günstig. Nicht zuletzt kann die Rezeptur viel schneller den veränderten Bedingungen angepasst werden.

Es braucht viel mehr mutige Therapeuten, die in dieses System eintauchen und die Thematik weiter voranbringen.

Heike KopietzHeike Kopietz
Heilpraktikerin

info@heilpraxis-kopietz.de

Foto: © Sonja Birkelbach / fotolia.com

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