Aromatherapie in der Geriatrie
Altern ist ein natürlicher biologischer Prozess. Der Stoffwechsel in Zellen und Gewebe verändert sich, in Folge auch die Funktionen des Bewegungsapparates, des Gehirns und anderer Organe. Es kommt zu einer Verlangsamung des Denkens und Handeln, zu Unsicherheiten im alltäglichen Leben, vielleicht sogar zu sozialem Rückzug und Isolation. Den häufig einhergehenden emotionalen Missempfindungen sowie psychischen und psychosomatischen Beschwerden lässt sich mit gezielten aromatherapeutischen Anwendungen, z.B. Massagen, Einreibungen und Raumbeduftungen, begegnen. So kann das seelische Gleichgewicht erhalten und positiv unterstützt werden.
Warum Düfte so effektiv sind
Bevor ich näher auf den Einsatz von Aromaölen im geriatrischen Umfeld eingehe, möchte ich einen kurzen Ausflug in die Welt der Geruchsforschung machen.
Heute wissen wir u.a. von Prof. Hanns Hatt der Ruhr Universität Bochum, seit vielen Jahrzehnten einer der bedeutendsten Geruchsforschern weltweit, dass unsere Nase rund 1 Billion Düfte unterscheiden kann. Hierfür nutzt sie auf einzelne Aromen spezialisierte Rezeptortypen. Etwa 350 davon sind heute definiert, jedoch geht man davon aus, dass man bisher nur einen Bruchteil kennt.
Aufgrund der direkten Verbindung zwischen unserer Nase und dem Limbischen System im Gehirn (nachgeschaltet auch zum Hypothalamus und zur Hypophyse) können mit Duftreizen verschiedene Emotionen und Erinnerungen sowie körperliche Reaktionen hervorgerufen werden. Je nachdem, um welchen Duft es sich handelt und welche Erfahrungen und Gedächtnisinhalte damit verknüpft sind, resultieren fast augenblicklich Entspannung, Aktivierung oder Harmonisierung. Selbst dann noch, wenn ein Erlebnis, mit dem man einen Duft verknüpft, Jahrzehnte zurückliegt.
Aber nicht nur in der Nase findet man Duftrezeptoren, sondern erstaunlicherweise auch in verschiedensten Geweben des Körpers. So sind in den Keratinozyten der Haut bis zu 30 Rezeptoren, die man aus der Nase kennt. Das bedeutet, dass der Körper über die Haut auf Beduftung reagieren kann, selbst wenn die Nase nichts mehr riecht.
Auch Krebszellen bilden in großen Mengen Riechrezeptoren aus. Diese sind zum Teil im Urin nachweisbar und können als diagnostischer Marker herangezogen werden. Es konnte festgestellt werden, dass bestimmte ätherische Öle Wachstum und Teilung von Krebszellen hemmen können. Wir dürfen gespannt sein, welche Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie sich hieraus entwickeln!
Aromatherapie und -pflege
Nun zur praktischen Anwendung von Düften. Aromatherapie und Aromapflege entstammen der Phytotherapie. Im Rahmen dieser Arbeit werden hochwertige Pflanzenöle, ätherische Öle und Pflanzenwässer (Hydrolate) für unterschiedliche Zwecke eingesetzt.
Pflanzenöle
Für Einreibungen und Massagen werden kaltgepresste Bio-Pflanzenöle mit pflegenden und hautregenerierenden Eigenschaften verwendet, z.B. Kokos-, Jojoba-, Mandel- und Sesamöl. Sie können allein oder in Ergänzung mit ätherischen Ölen genutzt werden. Massagen und Einreibungen beruhigen, entspannen und sind wohltuend.
Achtung: Bei Nussallergie bitte auf Nussöle verzichten. Jojobaöl ist eine gute Alternative.
Ätherische Öle
Für ihre Anwendung gilt „Weniger ist mehr“, denn ihre Wirkung kann selbst in geringsten Mengen sehr intensiv sein. Gerade im Alter und bei sensiblen Personen sollten sie sehr sparsam eingesetzt werden. Bereits 1 Tropfen ätherisches Öl reicht für 20-25 Tassen Tee. Auf 10 ml Pflanzenöl kann man 3-6 Tropfen geben.
Durch die Vielzahl der in den ätherischen Ölen enthaltenen Substanzen ergibt sich ein breites Anwendungsspektrum. So hat z.B. die Rose über 400 Inhaltsstoffe, die bis heute noch nicht alle erforscht sind.
Hydrolate
entstehen bei der Herstellung ätherischer Öle. Um sie haltbarer zu machen, werden Pflanzenwässer oft mit einem geringen Alkoholanteil versehen. Sie verströmen einen feinen Duft und können versprüht oder zum Tränken von Kompressen verwendet werden.
Gegenanzeigen beachten
Wer sich näher mit der Anwendung ätherischer Öle beschäftigen möchte, sollte sich auch mit ihren Kontraindikationen auseinandersetzen, denn diese sind durchaus vorhanden. Beispiel Bergamotte: Ihre Inhaltsstoffe erhöhen die Lichtempfindlichkeit der Haut. Nutzt man das Öl in einer Massagemischung und möchte danach ein Sonnenbad nehmen, kann es zu intensivem Sonnenbrand kommen.
Für die Anwendung nur das Beste
Bei der Auswahl geeigneter Produkte ist immer auf sehr gute Qualität zu achten. Demeter-Qualität, der Zusatz „kbA“ (kontrolliert biologischer Anbau) oder die Angabe, dass die verwendeten Pflanzen aus Wildsammlungen stammen, bieten sich an. Ätherische Öle sollten zu 100% naturrein und in dunklen Flaschen vor Sonneneinstrahlung geschützt sein.
Synthetische oder chemisch veränderte Produkte haben in der Aromatherapie nichts zu suchen. Der Körper ist auf sie nicht eingestellt und muss einen Mehraufwand betreiben, um die enthaltenen Stoffe wieder abzubauen. Deshalb schaden sie mehr, als dass sie helfen.
Ätherische Öle im Pflegealltag
Wenn ätherische Öle im geriatrischen Umfeld eingesetzt werden, verwendet man am besten solche, die sowohl bei den alten Menschen als auch bei den Pflegenden gut ankommen. Daraus entsteht ein verstärkender Effekt, weil beide Seiten der Anwendung positiv gegenüberstehen. Eine Win-Win-Situation.
Raumbeduftung für mehr Wohlbefinden
Hierfür nimmt man die ätherischen Öle und je nach Gerät oder Gefäß etwas Wasser für die Verdampfung. Verwendet werden Tücher, Duftsteine, elektrische Duftlampen oder Diffuser.
Um z.B. Menschen mit Atemwegsproblemen zu unterstützen und ihr Nervensystem zu beruhigen, haben sich 1-2 Tropfen Lavendel bewährt, die man auf ein Dufttuch oder einen Duftstein auf dem Nachttisch gibt.
Der Duftimpuls ist entscheidend. Eine Daueranwendung mit immer demselben Duft sollte vermieden, der Raum zwischenzeitlich gut gelüftet, das ätherische Öl oder die Öl-Mischung hin und wieder gewechselt werden. Eine Beduftung über 1-2 Stunden hat sich bewährt.
Förderung des Geruchssinns
Im Alter ist das Riechvermögen zunehmend eingeschränkt. Mehr als 30% der über 75-Jährigen haben ihren Geruchssinn verloren. Riechstörungen findet man ebenso als Erstsymptom im Rahmen der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen (z.B. Parkinson, Alzheimer), und zwar schon lange, bevor sich die Krankheiten manifestieren. Tägliches Schnuppern an intensiven Düften, z.B. Gewürznelke, Rose, Zitrone oder Kräuteraromen, trainiert die Nase.
Steigerung der Trinkmenge
Genügend zu trinken, wird im Alter zunehmend zur bewussten Entscheidung, da das Durstgefühl nachlässt. Mit einem guten, aromatisierten Wasser kann man ältere Menschen unterstützen und zum Trinken animieren. Hierfür 1-1,5 Liter leicht kohlensäurehaltiges Wasser mit 1 Tropfen Orangen- oder Pfefferminzöl (lebensmittelecht) vermischen. Anstelle der ätherischen Öle kann man auch Bio-Orangen- oder Zitronenscheiben sowie Pfefferminzblätter ins Wasser geben. Dieses duftet herrlich, stimmt fröhlich und hat nicht einmal Kalorien.
Vertraute Situationen schaffen
Gerade für ältere Menschen sind Rituale wichtig, sie geben Struktur und Halt. Nebenbei sorgen sie als Anker dafür, dass Situationen wiedererkannt werden. Beispielhaft könnten ätherische Öle wie folgt im Tagesablauf eingesetzt werden:
Morgens Einer neutralen Waschlösung Zitrusdüfte zugeben, damit der Tag mit einem Lächeln beginnen kann.
Mittags Den Essbereich mit frischen Zitrus-, Kräuter- oder Baumaromen beduften, um den Appetit anzuregen.
Abends Vor dem Schlafengehen eine Lavendelöl-Jojoba-Mischung sanft an den Füßen einmassieren, das sorgt für besseren Schlaf.
Dekubitusprophylaxe/-behandlung
Aufgrund der fehlenden Bewegung im Alter oder bei Bettlägerigkeit kann sich aufgrund dauerhafter Druckbelastung und entstehender Minderdurchblutung ein chronisches Geschwür entwickeln, das dringend behandlungsbedürftig ist. Um das Fortschreiten bestehender Hautläsionen zu verhindern, ist folgende Mischung aus der Pflege nicht wegzudenken: 5 Tr. Lavendel, 2 Tr. Niaouli, 2 Tr. Rosengeranie und 2 Tr. Rosmarin cineol in 50 ml Johanniskrautöl geben und die entsprechenden Stellen damit einreiben bzw. sanft betupfen. Bei Dekubitus können auch Lavendel- oder Rosenwasser aufgesprüht werden.
Weitere Anwendungsmöglichkeiten
• Allgemeine Entspannung
50 ml Mandel- oder Jojobalöl, jeweils 10 Tr. Lavendel fein und Ylang
Ylang, 5 Tr. Neroli 10% in eine Braunglasflasche geben und verschütteln. Von der Mischung etwas in die Handflächen
kippen, verreiben und daran schnuppern. Die Fußsohlen können ebenso eingerieben werden, z.B. vor dem Zubettgehen.
• Ängste, Anspannung, Reizbarkeit
Neroli, die Orangenblüte, wird u.a. bei Ängsten und Traumata
eingesetzt. Etwas Jojobaöl mit 1 Tr. Neroli im Brustbereich auftragen und den Duft einatmen. Des Weiteren eignen sich
Benzoe siam, Koriander, Rosen-, Sandel- und Zedernholz. Sie beruhigen bei Anspannung, wirken harmonisierend und können
gut mit Zitrusölen gemischt werden. Beispiele:
10 ml Jojobaöl-Basis + jeweils 1 Tr. Neroli, Lavendel, Benzoe siam, Rosenholz
3 Tr. Grapefruit + jeweils 1 Tr. Lavendel, Rose, Koriander, Zedernholz
2 Tr. Orange und Rose + jeweils 1 Tr. Weihrauch und Vanille
• Entzündungshemmung
Antimikrobiell wirksame Öle sind Cajeput, Niaouli, Myrte, Oregano, Teebaum,
Thymian und Zitrone. Welches Öl genau angezeigt ist, kann durch einen Labortest herausgefunden werden. Die Erstellung
dieses „Aromatogramms“ erfolgt in Speziallaboren und kann durch den Arzt oder Heilpraktiker in Auftrag gegeben werden.
So wirkt z.B. Niaouliöl erfahrungsgemäß gut bei Staphylococcus aureus sowie bei A- und B-Streptokokken. Besonders
vorteilhaft bei der Anwendung ätherischer Öle ist, dass eine Resistenzentwicklung seitens der Mikroben sehr erschwert
ist.
• Hämatome, Wunden, Verbrennungen
Immortelle, Cistrose und Lavendel zu gleichen Teilen mischen.
Zur Hautpflege 8. Tr. dieser Mischung mit 10 ml Mandel- und 10 ml Johanniskrautöl mischen. Die Haut damit mehrmals am
Tag einreiben. Cistrose hilft der „zerknitterten Seele“ und wirkt ausgleichend. Immortelle hat blutstillende,
hautberuhigende und regenerierende Effekte. Lavendel harmonisiert.
• Schlafförderung
Lavendel und Mandarine rot oder orange zu gleichen Teilen in eine
Braunglasflasche geben. Daran schnuppern lassen oder 1-2 Tr. dieser Mischung auf einen Duftstein geben. Alternativ 4
Tr. der Mischung in 10 ml Mandelöl geben und damit den Körper, die Hände oder Fußsohlen einreiben.
• Stimmungsaufhellung
Zitrusöle, z.B. Bergamotte, Grapefruit, Limette, Mandarine, Neroli, Petit
Grain oder Zitrone, wirken motivierend und konzentrationsfördernd. Zudem vermitteln sie Fröhlichkeit und Geborgenheit.
Sie werden von den meisten Menschen positiv aufgenommen und eignen sich gut zur Anwendung bei depressiven
Verstimmungen, Traurigkeit, Sinnlosigkeit, Energieverlust, Schlafstörungen und Reizbarkeit.
• Verspannungen, Schmerzen
Warme Lavendelöl-Kompressen helfen bei Muskelverspannungen und
-schmerzen, z.B. im Nackenbereich. Eukalyptus-Kompressen werden eingesetzt bei Blasenschmerzen und Harnverhalt (z.B.
postoperativ).
Fazit
Werden hochwertige ätherische Öle mit Blick auf Indikationen und Kontraindikationen verantwortungsvoll sowie dosisbezogen mit Bedacht eingesetzt, dann lohnt sich die aromatherapeutische Arbeit für alle Beteiligten. Gerade am Ende des Lebens sind viele Menschen dankbar, wenn sie vertraute Düfte um sich herum haben. Deshalb empfiehlt es sich, rechtzeitig bestehende Vorlieben abzufragen, um diese später im Pflegealltag einsetzen zu können. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die ich auf ihrem letzten Weg für einige Monate mit ätherischen Ölen begleiten durfte, diesen wesentlich leichter gehen konnten.
Sabine
Warzecha
Heilpraktikerin und Yogalehrerin, Dozentin an den Paracelsus Schulen
sabine.warzecha@paderborn.com
Foto: © Anna Om / stock.adobe.com
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