Arzneimittel in der Heilpraktikerpraxis – Teil 2
Checkliste, Erklärungen, Tipps und mehr
In Teil 1 (Paracelsus 05.20) haben wir über apothekenpflichtige Arzneimittel, die Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL), den Arzneimittelschrank, die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) mit ihrer Anlage 1, Bedenkliche Arzneimittel, die Betäubungsmittelverordnung, Entsorgung von Arzneimitteln, Freiverkäufliche Arzneimittel, das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, Händedesinfektionsmittel, Injektions- und Infusionslösungen gesprochen. Aber wir haben noch mehr Tipps zum Umgang mit Arzneimitteln in der Heilpraktikerpraxis für Sie:
K wie Kühlpflichtige Medikamente
Ihr Medikamenten-Kühlschrank muss eine Betriebstemperatur zwischen +2 °C und +8 °C gewährleisten. Gut wären eine akustische sowie optische Warnung bei Temperaturabweichung.
Beim Befüllen des Kühlschranks ist ein direkter Kontakt der Arzneimittel mit der kühlenden Wand zu vermeiden, da sie sonst festfrieren oder die Verpackungen durchfeuchten können. Bitte den Kühlschrank nicht überfüllen, da sonst die Luft nicht ausreichend zirkulieren und die Kühlleistung des Gerätes eingeschränkt sein kann.
Die Temperatur sollte täglich abgelesen und dokumentiert werden. Bei Unter- oder Überschreitung des Sollwerts müssen Sie entsprechende Maßnahmen festlegen, z.B. die Medikamente verwerfen, um Ihre Patienten nicht zu gefährden.
Der Inhalt des Kühlschranks muss regelmäßig auf Verfallsdaten hin geprüft werden.
Lebensmittel und Arzneimittel dürfen nicht zusammen gelagert werden.
L wie Lagerung
Bei der Lagerung von Arzneimitteln ist es wichtig, die Herstellerangaben zu beachten, damit die Zusammensetzung und Wirkung der Medikamente nicht beeinträchtigt werden.
Arzneimittel sind trocken, staub- und lichtgeschützt sowie unzugänglich für nicht-befugte Personen in der Originalverpackung und mit Packungsbeilage aufzubewahren.
Die Verfallsdaten (geöffnet/ungeöffnet) dürfen nicht überschritten und angegebene Lagerungstemperaturen müssen beachtet werden.
Raumtemperatur: 15-25 °C
Kalt/kühl: 8-15 °C
Kühlschrank: 2-8 °C
Tiefgekühlt: unterhalb -15 °C
Lagerungstemperatur und die Temperatur bei der Anwendung können unterschiedlich sein!
Achtung: Arzneimittel können im Laufe der Lagerung unwirksam werden oder giftige Abbauprodukte enthalten.
L wie Leitlinien
Unsere bundeseinheitlichen Überprüfungsleitlinien legen fest, welche Kompetenzen man von uns Heilpraktikern in der Praxis erwartet. Hier ist klar definiert, dass wir die notwendigen Kenntnisse in der Pharmakologie haben müssen und unser Handeln gemäß Arzneimittelrecht ausrichten können:
„1.1.3. Die antragstellende Person kennt die medizinrechtlichen Grenzen sowie Grenzen und Gefahren allgemein üblicher diagnostischer und therapeutischer Methoden bei der Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten aufgrund von Arztvorbehalten insbesondere im Bereich des Infektionsschutzes, im Arzneimittel- oder Medizinprodukterecht, und ist in der Lage, ihr Handeln nach diesen Regelungen auszurichten.
1.5.1. Die antragstellende Person verfügt über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse der Anatomie, pathologischen Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie sowie Pharmakologie.“
M wie Medikamente zur Mehrfachentnahme
Bei der Verwendung von Tuben oder Mehrdosenbehältnissen ist darauf zu achten, dass ein direkter Kontakt der Vorratsbehälter mit dem Patienten zu vermeiden ist. Anbruchdatum, Verwendungsdauer und Uhrzeit müssen auf der Verpackung vermerkt werden. Salben werden mit Hilfe eines Einmalspatels entnommen, Mehrdosenbehältnisse für Spritzen und Infusionen dürfen nicht mit offenen Entnahmekanülen stehen gelassen werden (Bei jeder Entnahme ist eine neue sterile Spritze zu verwenden!). Kanülen mit Mini-Spikes sind verschlossen zu halten.
M wie Medikationsplan
Patienten haben seit Oktober 2016 Anspruch auf einen Medikationsplan, wenn sie mindestens drei Medikamente, die systemisch wirken, dauerhaft einnehmen müssen (über einen Zeitraum von mindestens 28 Tagen).
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verordnung vom Arzt oder vom Heilpraktiker erfolgt ist oder ob der Patient sich selbst etwas „verordnet“ hat. Wichtig ist, dass sämtliche verschreibungspflichtigen und freiverkäuflichen Arzneimittel aufgelistet werden, damit der Patient den Überblick behält, die Einnahme der verschiedenen Präparate erleichtert wird und weitere Behandler sich schnell einen Überblick verschaffen können.
Ziel des Medikationsplans ist, die Therapiesicherheit bei der Einnahme von Arzneimitteln zu erhöhen. Das bedeutet, dass der Erfolg des Medikationsplans entscheidend davon abhängt, dass tatsächlich auch alle Arzneimittel auf dem Medikationsplan erscheinen und er vom Patienten zu den Behandlungen mitgebracht wird.
Erstellt wird der Medikationsplan i.d.R. von demjenigen, der den Patienten hauptsächlich betreut. Aktualisiert wird vom Behandler. Das kann handschriftlich auf dem Medikationsplan oder durch einen „Arztbrief“ erfolgen.
Einen Muster-Medikationsplan für Ihre Praxis finden Sie auf der Website des VUH im Mitgliederbereich unter „Downloads“, Punkt 7, „Qualitätsmanagement“.
M wie Muster
Streng genommen sind Arzneimittel-Muster nur zum Kennenlernen für den Heilpraktiker bestimmt. Die Rechtslage ist nicht klar. Wenn Sie Arzneimittelmuster an Ihre Patienten weitergeben wollen, dann zu diesen Bedingungen:
- Die Weitergabe muss kostenlos erfolgen.
- Die Verpackung des Arzneimittels muss vollständig sein (inkl. Beipackzettel und Umkarton). Es dürfen keine Teilmengen abgegeben werden.
- Das Verfallsdatum darf nicht abgelaufen sein.
- Die Lagerungshinweise müssen beachtet werden (z.B. „Vor Licht geschützt aufbewahren“).
N wie Nicht mehr verwendbare Arzneimittel
Diese Anzeichen können laut Bundesministerium für Gesundheit ein Hinweis auf die Veränderung eines Arzneimittels sein:
- Verflüssigung oder Verfärbung von Gelen, Cremes, Salben und Zäpfchen
- Verfärbungen oder Risse bei Tabletten
- Aufgeblähte Verpackungen
- Geruchsentwicklung
- Manche Arzneimittel haben von Natur aus eine Trübung. Bei Unsicherheit sollte das Arzneimittel nicht angewendet werden.
N wie Notfallmedikamente
Immer wieder taucht in der Praxis folgende Frage auf: Darf der Heilpraktiker im Notfall auch verschreibungspflichtige Medikamente anwenden? Hier gibt es nur einen Fall, der in der Arzneimittelverschreibungsverordnung konkretisiert ist, und das ist der anaphylaktische Notfall nach Neuraltherapie.
Das ist wörtlich zu nehmen! Nur wenn die Anaphylaxie im Rahmen der Neuraltherapie auftritt, darf der Heilpraktiker Dexamethason und Epinephrin in seiner Praxis einsetzen!
Als Neuraltherapeut erhalten Sie diese verschreibungspflichtigen Medikamente unter Vorlage Ihrer Heilpraktikererlaubnis und Ihres Personalausweises. Bitte geben Sie folgenden Anwendungszweck an: „Für die Notfallbehandlung schwerer anaphylaktischer Reaktionen nach Neuraltherapie“.
O wie Off-Label-Use
Wenn zugelassene Arzneimittel außerhalb ihrer Zulassung, z.B. abweichend von ihrer Indikation, der altersbezogenen Anwendung oder der vorgeschriebenen Menge, eingesetzt werden, spricht man von Off-Label-Use.
Grundlage für den Off-Label-Use ist der „Nikolausbeschluss“ vom 06. Dezember 2005, Az.: BvR 347/98:
- Gegenstand der Behandlung muss eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung sein.
- Andere Therapien, die zugelassen sind, dürfen nicht verfügbar sein.
- Aufgrund der Datenlage muss eine begründete Aussicht bestehen, dass mit dem Arzneimittel ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann, z.B. durch Ergebnisse einer PhaseIII-Studie oder anderweitig erlangter Erkenntnisse von gleicher Qualität, die einen relevanten Nutzen oder eine relevante Wirksamkeit mit einem vertretbaren Risiko belegen.
- Ausgehend vom Patientenrechtegesetz bedeutet Off-Label-Use eine Abweichung vom Behandlungsstandard nach § 630 a Abs. 2 BGB. Die Grenze für abweichende Vereinbarungen wird bei Sittenwidrigkeit und medizinisch unvertretbarem Handeln gezogen.
- Wenn Sie einen Off-Label-Use verantworten können, ist es wichtig, dass Sie Ihren Patienten gut aufklären (mündlich, persönlich, ggf. unterstützend in Textform), dies schriftlich dokumentieren und das Einverständnis des Patienten festhalten (z.B. durch schriftliche Einwilligungserklärung).
R wie Risiko-Nutzen-Abwägung
Weniger ist oft mehr. Bevor Sie Ihrem Patienten ein Arzneimittel verordnen, wägen Sie bitte ab: Tue ich meinem Patienten Gutes, wenn ich ihm dieses Arzneimittel gebe? Entlastet es den Körper oder stehen Nebenwirkungen in Relation? Stellt die Gabe in der jetzigen Situation eine Belastung dar oder ist das Arzneimittel an dieser Stelle sogar eher unnütz?
R wie 6-R-Regel
Diese Regel ist v.a. in größeren Praxen mit mehreren Mitarbeitern von Bedeutung, wenn der Kontakt zum Patienten nicht immer 1:1 ist und andere Therapeuten in die Behandlung eingebunden sind. Sie lautet:
„Der richtige Patient muss zur richtigen Zeit das richtige Arzneimittel in der richtigen Applikationsform in der richtigen Dosierung erhalten. Zudem muss dieser Prozess richtig dokumentiert werden.“
S wie Sachkundenachweis
Wenn Sie Einzelhandel mit freiverkäuflichen Arzneimitteln betreiben wollen, benötigen Sie nach § 50 AMG einen Sachkundenachweis („Kräuterschein“) und unterliegen nach § 67 Abs. 1 AMG einer Anzeigepflicht.
Zusätzlich müssen Sie beim zuständigen Gewerbeamt nach § 14 GewO oder 55 c GewO ein Gewerbe anmelden und eine Extra-Buchführung anlegen.
Der Sachkundenachweis wird nach erfolgreicher Prüfung von der IHK vergeben, Vorbereitungskurse dafür bieten die Paracelsus Heilpraktikerschulen an.
Q wie Qualität
Verwenden Sie nie ein Arzneimittel, dessen Qualität zweifelhaft ist (z.B. billige Importe). Diese können mehr Schaden anrichten als nutzen und sind somit ein Risiko für Ihren Patienten.
V wie Verschreibungspflicht
Diese wird in § 48 des Arzneimittelgesetzes geregelt. Verschreibungspflichtig sind solche Arzneimittel, die mit besonderen Anwendungsrisiken verbunden sind. Sie dürfen nur von Ärzten verordnet werden. Wichtig unter (3): Auch „Stoffe mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannten Wirkungen oder Zubereitungen solcher Stoffe, dürfen nur bei Vorliegen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden.“
Beispiel für einen solchen Stoff ist das synthetische „3-Bromopyruvat“, das in jüngster Vergangenheit durch unsachgemäße Anwendung traurige Berühmtheit erlangte. Zum Zeitpunkt des Einsatzes in Brüggen-Bracht war die Substanz weder als Arzneimittel zugelassen, noch war klar, ob es nicht vielleicht verschreibungspflichtig ist. Da es sich um einen Wirkstoff handelt, dessen Wirkungen in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt sind, wurde 3-Bromopyrovat im Zuge der öffentlichen Diskussion vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im September 2016 als verschreibungspflichtig eingestuft.
Fazit
Der richtige Umgang mit Arzneimitteln in der Heilpraktikerpraxis ist ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung und erhöht den Patientenschutz.
Wenn Sie oder Ihre Patienten bei der Anwendung eines Arzneimittels Nebenwirkungen feststellen, besteht die Möglichkeit, dies direkt und digital an die für die Arzneimittelsicherheit zuständigen Bundesoberbehörden zu melden. Hierfür haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut zwei Portale eingerichtet, eines für Angehörige der Heilberufe (www.humanweb.pei.de) und eines für Patienten (www.nebenwirkungen.pei.de), über die Verdachtsfälle sicher angezeigt werden können. (Quelle: BfArM)
Sonja
Kohn
Heilpraktikerin, Mitglied im Präsidium des Verbandes Unabhängiger Heilpraktiker e.V.,
Vorstandsbeirat
info@heilpraktikerverband.de
Foto: © flashpics / adobe.stock.com
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