Blutegeltherapie in Human- und Tierheilkunde
Gezielt eingesetzter „Vampirismus“
Beim Gedanken an die schnecken- oder wurmähnlichen Blutegel rümpfen viele Menschen die Nase. Manch einen wird sogar Ekelgefühl bei der Vorstellung an eine Behandlung mit den feucht-warmen Tierchen erfassen. Dennoch haben sie ihren festen Platz in der Natur und sind auch in der Medizin gut aufgehoben. Dies gilt sowohl für den human- wie auch für den tierheilkundlichen Bereich.
Welchen Nutzen haben die Blutegel? Was passiert, wenn sie beißen? Gibt es Risiken? Diese und viele weitere Fragen stellt man sich zurecht – nicht nur, wenn man vor die Wahl gestellt wird, eine Blutegeltherapie an sich selbst durchführen zu lassen. Diese Fragen sind gleichermaßen berechtigt, wenn man die Maßnahme im Rahmen einer tierheilkundlichen Therapie erwägt, ist man als Halter doch auch verantwortlich für das Wohl seiner Tiere.
Der Artikel stellt alles Wissenswerte über die kleinen tierischen Heiler und deren Anwendung in den Mittelpunkt. Daneben werden Einsatzmöglichkeiten in der Tierheilkunde, speziell bei Pferden, aufgezeigt.
Ursprung der Blutegeltherapie
Über das Entstehen sowie die Weiterentwicklung des gezielten Einsatzes von Blutegeln (Hirudo medicinalis) gibt es unterschiedliche Meinungen. Am weitesten verbreitet ist, dass deren Bedeutung für die Heilkunde erstmalig 1500 v. Chr. in Indien auffällig wurde. Man beobachtete, dass kranke, im Fluss trinkende Tiere, an denen Blutegel gehaftet hatten, anschließend geheilt schienen. Auch leidende Menschen, die in den Flüssen gebadet hatten, kamen mit den fleißigen Helfern an Land und waren unmittelbar danach symptomfrei. Daraufhin folgte die Anwendung der Egel bei nahezu allen Krankheiten und der Bekanntheitsgrad dieser Heilmethode wuchs weit über die Grenzen Indiens hinaus.
Im Laufe der Jahrhunderte bestätigten Blutegel durch erzielte Heilerfolge bei diversen Krankheitsbildern ihre Wirkung: von Knochenschmerzen über Wundheilungsstörungen bis hin zu unerklärlichen Leiden. Mit der Einführung der wissenschaftlichen Schulmedizin und dem daraus resultierenden Umdenken im 19. Jahrhundert trat diese traditionelle Naturheilmaßnahme neben vielen anderen bewährten Praktiken jedoch in den Hintergrund. Das Ansetzen von Blutegeln galt fortan als barbarisch und geriet folglich mehr und mehr in Vergessenheit.
Erst in den 1970er-Jahren, als das Interesse an Spiritualität, Schamanismus & Co. wuchs, wollte man auch wieder mehr über „Altbewährtes“ aus der Heilkunde wissen. So erfuhr man mehr über die medizinische Anwendung von Blutegeln.
Lebensraum der kleinen Blutsauger
Blutegel fühlen sich in dunklen, kühleren Süßwasser-Gewässern am wohlsten. Flache Teiche, Tümpel, ruhige Bäche oder Seen mit darin wachsenden Pflanzen sind ihre idealen Wohnorte. Solange sie sich im Wasser aufhalten, verhalten sich die Egel sehr ruhig und verstecken sich gerne unter Steinen, an denen sie sich regelmäßig zum Häuten reiben. Lediglich bei Bewegungen oder einfallendem Licht werden sie aktiv und schlängeln sich durchs Wasser.
Merkmale und Einsatz der Blutegel
Um zu erkennen, wo vorne und hinten ist, bedarf es einer kurzen Beobachtung, wie sich das Tierchen auf den Weg macht. Während sie sicher angedockt mit dem hinteren Teil – einem Saugnapf – ihr komplettes Eigengewicht (und noch mehr) stemmen können, sucht der Kopf systematisch die Region zur Nahrungsaufnahme ab. Von Zeit zu Zeit oder nach einigen Zentimetern lässt der hintere Saugnapf los, um sich auf eine neue Position festzulegen. Dabei übernimmt der Kopf das sichere Festhalten, bis der hintere Saugnapf wieder eine für ihn gute Stelle zum Andocken gefunden hat. Nun beginnt die Suche erneut.
Am Kopf befindet sich ein sternförmig angeordneter Mund mit drei Kiefern und ihren jeweils 80 Zähnchen. Folglich umfasst das Gebiss eines Blutegels stolze 240 Zähne, mit denen sie eine ungefähr stecknadelgroße Bissstelle hinterlassen.
Ausgewachsene Egel werden 5-10 cm lang, wiegen 4-10 g und können das bis zu Zehnfache ihres Körpergewichtes an Verköstigung aufnehmen. Interessanterweise resorbieren sie bereits während des Saugvorgangs die wässrigen Bestandteile aus dem Blut unmittelbar über den Körper und verwerten lediglich den in ihrer Natur vorgesehenen, schmackhaften Teil des Blutes. Folglich kann der Blutegel – je nach Größe – mühelos ein Volumen von bis zu 60 ml Blut von seinem Wirt abzapfen.
Wichtig: Aus diesem Grund ist die Unterteilung in kleine, mittlere und große Blutegel von immenser Bedeutung und muss Beachtung finden bei der Auswahl für den zu behandelnden (Tier-)Patienten! Je nach Größe können sie auch eine entsprechende Blutmenge des Wirtes verarbeiten. Körpergröße und Allgemeinzustand des Patienten sind daher zu beachten und ins Verhältnis zu setzen.
Leider wurde diesem Sachverhalt in früheren Zeiten kaum Beachtung geschenkt, und man setzte teilweise unverhältnismäßig viele und auch große Egel an, um schnellere Heilungs ergebnisse zu erzielen, oder einfach, weil kein genaues Wissen über den Einsatz dieser Helfer dokumentiert wurde. Das konnte schließlich bei manchen Patienten zu Blutarmut oder sogar zum Tode führen.
In diesem Zusammenhang muss natürlich erwähnt werden, dass nicht nur die abgesaugte Menge des Blutes durch den Egel zu berechnen ist, sondern auch die nicht zu unterschätzende und messbare Menge an Blut, die aus der Bissstelle austritt, sobald der Egel überdrüssig abfällt.
Vollends gesättigt, kann der Blutegel diesen Zustand sehr gut durch seine vielen winterschlafartigen Pausen bis zu 2 Jahre ohne weitere Nahrungsaufnahme aufrechterhalten.
Arbeitsweise der Blutegel
Zugegeben: Blutegeln steht nicht gleich jeder aufgeschlossen gegenüber. Die Vorstellung, dass die feucht-warmen Tierchen auf der Haut herumkriechen und man sich absichtlich von ihnen beißen lassen muss, bewirkt bei vielen ein Unwohlsein. Genauso wie die Anwendung bei dem einen oder anderen menschlichen Patienten ein wenig Überwindung und Selbstdisziplin erfordert, lässt sich beobachten, dass auch so manches Tier den ersten Kontakt mit den Egeln gefühlt eher dem Besitzer zuliebe erträgt. Manche reagieren etwas schreckhaft auf die ungewohnte Situation und das Kitzeln des Parasiten, der sich auf ihnen auf Nahrungssuche begibt. Andere begutachten ihn neugierig. In der Regel gewöhnen die Tiere sich jedoch schnell an den Blutegel und lassen ihn seiner Aufgabe nachgehen.
Sobald sich der Egel die passende Stelle ausgesucht hat, in die er sich einbeißen möchte, beginnt die eigentliche Arbeit.
Soll der Egel an einer ihm zugewiesenen Stelle beißen, kann man ihn mit Hilfsmitteln, z.B. einer Pipette, einem Schnapsglas oder anderen „eingrenzenden Möglichkeiten“, so positionieren, dass man seinen Bewegungsradius minimiert. Als Bissstellen werden gerne auch Meridianpunkte ausgewählt, die in der TCM ihren Ursprung haben. Hierüber können auch inneren Organe von außen zugänglich gemacht werden.
Die Heilkraft des Speichels
Bereits beim Anbeißen stößt der Blutegel mit dem Speichel ein Sekret aus, das u.a. schmerzlindernde Substanzen enthält. Folglich wird lediglich ein kleines Zwicken, ähnlich einem Nadel- oder Insektenstich, wahrgenommen.
Bei Pferden ist zu beobachten, dass sie kurz aufhorchen, um den kurzzeitigen Schmerz zu registrieren und einzusortieren, dann aber rasch aufschnauben, ihn als gefahrlos einstufen und sogar die Behandlung zu genießen beginnen, da tatsächlich unmittelbar nach Ansetzen der kleinen Blutsauger eine Erleichterung oder Schmerzlinderung zu spüren ist.
Je länger der Saugvorgang andauert, umso mehr Speichel gibt der Blutegel ab und injiziert nun einen kompletten natürlichen Medikamentencocktail mit nachgewiesenermaßen über 40 verschiedenen Wirkstoffen. Die bekanntesten sind Hirudin, Heparin, Calin und eine Vielzahl entzündungshemmender Stoffe wie Hyaluronidase. Bis heute sind noch nicht alle Substanzen, die sich im Speichel verstecken, erforscht. Seine Bestandteile werden sowohl ins Gewebe unmittelbar um die Bissstelle herum als auch über die Blutbahnen in den gesamten Organismus verteilt. Eine lokale Gefäßerweiterung mit gleichzeitiger gerinnungshemmender, immunsteigernder und lymphflussbeschleunigender Wirkung stellt sich zeitnah bereits während der Behandlung ein.
Kurz vor Beendigung der Einnahme ihrer Mahlzeit löst sich zuerst der hintere Saugnapf und der Egel scheint sich zu strecken, um noch etwas mehr Blut aufnehmen zu können. Dies ist auch der Moment, in dem die Pferde etwas unruhig werden können, da sie die Beendigung der Behandlung womöglich kurz vorher spüren. Sie findet ihren Abschluss darin, dass der Egel vom Wirt abfällt.
Wundheilungs- und Verstoffwechselungsprozess
Rund um das Einsatzgebiet des Egels werden abgestorbene Zellen und nekrotisches Gewebe zersetzt, mit dem Blut aus der Bisswunde ausgeschwemmt oder über Leber und Niere entsorgt. Nicht nur Toxine, sondern auch angestaute Flüssigkeiten werden so zum Abtransport angeregt und finden schnell den Weg über das abfließende Blut aus dem Körper.
Durch die in die Wunde injizierten Substanzen wird der normal einsetzende Prozess der Blutgerinnung bzw. des Wundverschlusses gehemmt, gleichzeitig die Blutung angeregt. Das resultierende Nachbluten kann zwischen 2 und 24 Stunden andauern, ohne dass die Wunde sich verschließt. Der stundenlange – teilweise auch mit kurzen Unterbrechungen erfolgte – Blutfluss ist absolut wünschenswert. Man sollte daher nicht versuchen, ihn mit Druckverbänden zu stoppen.
Zeit- und stellenweise kann ein Juckreiz einsetzen, der aber gut mit altbewährten Hausmittelchen, z.B. Quarkwickeln, gekühlt und gelindert werden kann, ohne die Wundheilung zu unterbrechen.
Blutegeltherapie als Ausleitverfahren
Diese Behandlungsform zählt auch zu den Ausleitverfahren in der Medizin, mit deren Hilfe die Körpersäfte von außen zur Reinigung angeregt werden, damit eine Entgiftung des Körpers stattfinden kann.
Nicht nur die Blutegeltherapie ist bekannt als ausleitendes Verfahren. Das Mobilisieren und Ausscheiden von Giftstoffen kann durch verschiedenste Möglichkeiten, z.B. mit Hilfe von Homöopathie oder Kräutern, angeregt werden. Auch das Schröpfen kann sehr effektiv eingesetzt werden. Aber egal, welches Ausleitverfahren angewendet werden soll, so sollte dies niemals ohne einen fachkundigen Therapeuten erfolgen, da es hierbei eine Vielzahl an Faktoren zu berücksichtigen gilt.
Früher wurde der Aderlass bei Mensch und Tier oftmals als bestes Heilverfahren für fast alle Krankheitsbilder mit Entzündungsmarkern im Körper angewendet. Man war der Meinung, dass der Körper binnen kürzester Zeit eigenständig zur Blutneubildung fähig sei, wenn er möglichst viel Blut verlöre, sodass er sich auf diese Weise mit neuem, frischem Blut selber reinigen, heilen und die Organe besser versorgen könne. Tatsächlich wird auch heute noch auf diese Maßnahme zurückgegriffen. Beim Menschen werden je nach Statur des Patienten 500-1000 ml Blut entnommen, um die Neubildung zeitnah anzuregen. Wenn man sich nun vorstellt, dass ein großer Egel bis zu 60 ml Fassungsvermögen hat und man auch noch den ungefähren anschließenden Blutverlust hinzurechnen muss, so kommt man auf die ungefähre Anzahl an Blutegeln, die verwendet werden sollten, und kann dies auch auf die Anwendung an Tierpatienten übertragen. Wobei man sich bei der Blutegeltherapie noch die zusätzlich unterstützende, nachhaltige Wirkung der durch den Speichel übertragenen Hilfsstoffe zunutze machen darf. Wir haben hier also nach wie vor eine hervorragende Methode, bei der die Heilerfolge für sich sprechen.
Einsatz von Blutegeln bei Pferden
Blut kann im Körper auf Abwege geraten, sei es durch einen Tritt bei einer Herdenrangelei oder durch Stöße, z.B. beim Herausholen aus der Box. Diese hinterlassen oftmals nicht sofort sichtbare Verletzungen. Da die oberflächliche Haut zwar noch heil ist, aber die Äderchen darunter mehr in Mitleidenschaft gezogen wurden als gedacht, bildet sich plötzlich eine Beule. Oft sind solche Hämatome auch Begleiterscheinungen nach OPs. (Wobei man bedenken sollte, dass nicht jede sichtbare Flüssigkeitsansammlung im oder am Körper ein Hämatom sein muss!) Nicht resorbierte oder bereits verkapselte Hämatome sind nicht nur teilweise sichtbare Schönheitsfehler, sondern können – je nach Lage – sogar den Bewegungsablauf stören. Auf diesem Gebiet hat sich die Blutegeltherapie als äußerst erfolgreich bestätigt.
Bei Pferden gibt es eine Vielzahl weiterer bestätigter Heilerfolge nach dem Ansetzen der Blutegel. Diese beziehen sich meist auf Leiden des gesamten Bewegungsapparats, egal ob muskulär bedingt oder wenn Läsionen an Sehnen und Bändern ursächlich sind. So reagieren z.B. Fesselträgerentzündungen, Sehnenschäden, Patellaluxationen, Muskelverspannungen und -verhärtungen extrem gut, was mit einer verkürzten Genesungsdauer quittiert wird.
Auch bei Gelenks- oder Knochenerkrankungen (z.B. Arthrose, Kissing Spines, Spondylose, Spat, Lumbago, Gallen) werden immer wieder Vorteile der Blutegelanwendung offensichtlich, z.B. eine unmittelbare Schmerzlinderung, die auch Nachwirkung zeigt und sogar einen Verzicht auf „chemische Keulen“ ermöglicht.
Ebenso können bei Erkrankungen, die den Hufmechanismus beeinträchtigen (z.B. Rehe, Schale, Hufrollenentzündungen, Hufkrebs, Hornfäule), in kürzester Zeit schmerzfreie Genesungsabläufe erzielt werden.
Weitere Anwendungsfelder sind: Sommerekzem, Mauke, verstopfte Talgdrüsen, Satteldruck, schlecht heilende Wunden, Narben, diverse Stoffwechselerkrankungen sowie die Entgiftung des gesamten Organismus.
Kontraindikationen
Auch wenn es vergleichsweise wenig Gegenanzeigen gibt: Bei manchen Krankheiten sollte man Vorsicht walten lassen oder gänzlich vom Einsatz absehen. Gefährlich werden kann es bei einer Anämie oder einer Bluterkrankheit, hier wird von einer Anwendung dringend abgeraten. Auch Magenschleimhautentzündungen, -blutungen und -geschwüre zählen zu den Ausschlusskriterien.
Fazit
Vielseitig einsetzbar, unter therapeutischer Begleitung einfach anzuwenden und gut zu kalkulierende Kosten, sodass die Therapie für jedermann erschwinglich ist – die Vorteile sprechen für sich. Des Weiteren bietet die Blutegeltherapie eine gute Aussicht auf Genesung und Schmerzfreiheit. Auch die moderne Medizin greift immer öfter auf den gezielt einsetzbaren „Vampirismus“ zurück und geht hier Hand in Hand mit der Komplementärmedizin und ihren Naturheilern – den Blutegeln.
Rosa-Marina Sinzig
Pferdeosteopathin und Tierheilpraktikerin mit Schwerpunkten
Blutegeltherapie, Lasertherapie, Dry Needling und Stresspunktmassage
rms-pferdeosteo@web.de
Fotos: © Sergey Goruppa / adobe.stock.com, © Grubärin / adobe.stock.com
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