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Psychotherapie
Lesezeit: 10 Minuten

Nonverbale Kommunikation in der Praxis

Warum auch interkulturelle Kompetenz eine Rolle spielt

Wenn ich zu meiner Physiotherapeutin komme, fühle ich mich wohl, denn sie findet die richtigen Worte für mich. Sie begrüßt mich mit meinem Namen und fragt mich, wie es mir geht. Und sie sagt mir, dass sie sich freut, mich wiederzusehen. Soweit die Worte. Dabei schaut sie mir in die Augen und lächelt. Ich kann intuitiv erkennen, dass sie sich wirklich freut. Ihr Lächeln ist echt. Sie hält einen angenehmen Abstand zu mir, ich höre ihre Stimme gerne. Ihre Körpersprache passt zu ihren Worten. Ich fühle mich an- und ernst genommen. Meine Physiotherapeutin ist bei ihren Kunden beliebt, der Laden läuft. Im Folgenden möchte ich darlegen, was den Erfolg ihres Verhaltens ausmacht. Aber auch sie darf noch hinzulernen.

Deutschlands Therapeuten stehen vor einer großen Herausforderung. Heute hat bereits jeder Fünfte hierzulande eine Migrationsgeschichte, d.h. er/sie ist später als 1950 nach Deutschland eingewandert. Im Jahr 2050 wird dies schon jeden Zweiten betreffen, sagen Statistiker. Zurzeit suchen sich viele Patienten mit Migrationsgeschichte eher die Praxen aus, in denen man ihre Kultur und – besser noch – auch ihre Sprache versteht. Auf Dauer kann das nicht funktionieren, weil es immer mehr dieser Patienten geben wird.

Gewinner der Veränderungen werden die Therapeuten sein, die das Handwerk der interkulturellen Kommunikation beherrschen. Der Einsatz: bereit sein zu lernen. Der Gewinn: mehr soziale Kompetenz, weniger Ängste, mehr Patienten.

Die Stationen der Veränderung sind: Terminvereinbarung, Empfang in der Praxis, Begrüßung, Umgang mit Schmerzpatienten, Verhandlung von Leistungen, Verabschiedung.

Ein individuelles Profil für jeden Patienten zu entwickeln, kann man erlernen. Mit dem richtigen Profil lässt sich die Entscheidung für die beste Herangehensweise (Approach) an den Patienten viel leichter treffen.

Die Köpersprache entscheidet

Das therapeutische Gespräch besteht aus einem verbalen und einem nonverbalen Anteil. Wenn der Therapeut den Patienten während des persönlichen Erstgesprächs fragt: „Was kann ich für Sie tun?“, dann sagen seine Worte wenig über den Gesamtwert der Botschaft aus. Sie machen lediglich 7% davon aus. 38% der Bedeutung entfallen rein auf den Klang seiner Stimme. Und mehr als die Hälfte (55%) der Bedeutung kommt über seine Mimik, Gestik und Haltung zustande. Diese 7/38/55-Regel entscheidet maßgeblich über Sympathie, Vertrauen und Patientenbindung.

Körpersprache ist „ehrlicher“ als Worte. Ihr wird eher geglaubt. Darum sollten Therapeuten aktiv mit ihrer eigenen umgehen und auch die Körpersprache ihrer Patienten „lesen“ können.

Der erste Eindruck: Gewinnen oder Verlieren

Ob beruflich oder privat. Es gilt: You never get a second chance for a first impression. Der erste Eindruck entscheidet über Sympathie, Wertschätzung, Akzeptanz etc. Menschen schließen in Bruchteilen von Sekunden aus dem Gesicht anderer Personen auf deren Charakter und Persönlichkeitsmerkmale. Untersuchungen zeigen, dass manche schon nach 150 Millisekunden zu wissen glauben, welches Geschlecht ein Mensch hat, den sie auf einem Foto gezeigt bekommen, wie alt dieser ist, in welcher Stimmung er sich befindet, ob er/sie hilfsbereit, nervös, dumm oder sympathisch ist. Auch wenn die Probanden sich die Fotos länger ansehen durften (0,5-10 Sekunden), änderte dies nichts an ihrer ersten Einschätzung.

Trotzdem ist es möglich, den ersten Eindruck aktiv zu steuern.

Unsere Einstellung zu anderen zeigt sich z.B. im Bereich der Mimik deutlich. Wir können diese selbst beeinflussen (Stichwort: Autosuggestion) und positiv gestalten. Gute Gefühle und Gedanken können wir bei anderen intuitiv erfassen und „lesen“. Ist die Grundeinstellung „Ich mag meine Patienten“ ehrlich gemeint, dann wird dies gesehen. Und weil die beim Lächeln aktivierten Gesichtsmuskeln auch den Klang unserer Stimme beeinflussen, wird dieses auch hörbar.

Ein ehrliches Lächeln beeinflusst das menschliche Miteinander grundsätzlich positiv. Zum einen entsteht aufgrund der spezifischen Gesichtsmuskelkontraktion in uns selbst ein Glücksgefühl, das gute Stimmung vermittelt. Zum anderen wirkt dies ansteckend auf unser Gegenüber. Angelächelte Menschen kopieren den Gesichtsausdruck, den sie sehen, und erwidern das Lächeln. Im Gehirn gibt es spezialisierte Areale, die für die Erkennung von Gesichtsausdrücken zuständig sind. Spiegelneurone helfen dabei, die Emotionen anderer Menschen nicht nur zu lesen, sondern diese auch nachzuempfinden und im eigenen Gesichtsausdruck zu spiegeln.

Deshalb ist das Lächeln ein sehr wichtiger Bestandteil der Körpersprache. Es beeinflusst direkt die Einstellung anderer und ihre Reaktion auf den lächelnden Menschen. Therapeuten können aktiv mit diesem Wissen arbeiten.

Die Weltsprache Mimik

Den größten Teil der Informationen über unsere Patienten erhalten wir allein aus ihren Gesichtern. Über 50 Muskeln sind in ihrem Zusammenspiel millimetergenau aufeinander abgestimmt und erlauben Mund, Wangen, Augen, Stirn und Brauen eine einzigartige Feinheit im emotionalen Ausdruck.

In ihren Grundfunktionen ist die Mimik international gültig, ihre „Sprache“ wird weltweit verstanden. Wissenschaftler sagen, dass Menschen verschiedenster Kulturkreise die gleichen Gesichtsbewegungen verwenden, um grundlegende Emotionen auszudrücken:

Freude, Wut, Angst, Trauer, Überraschung, Ekel etc. (Tab.).

Das richtige „Lesen“ der Mimik anderer bedeutet einen evolutionären Vorteil, der das soziale Zusammenleben erleichtert und vor Gefahren schützt. Beispiel: Die Lüge. In allen Kulturen wird das Verheimlichen der Wahrheit mit winzigen Zuckungen der Gesichtsmuskeln verknüpft. Die nur kurz aufblitzenden Zeichen werden von verborgenen Emotionen ausgelöst. Da diese Mikrokontraktionen unbewusst ablaufen, ist es beinahe unmöglich, sie zu kontrollieren. Der flüchtige Gesichtsausdruck (Mikromimik) verrät kundigen Gesichtslesern ganz genau, ob eine Person lügt oder nicht. Aber auch intuitiv können wir manche Wahrheiten oder Unwahrheiten über diese Muskelzuckungen bei anderen erfassen und deuten.

Kulturelle Unterschiede

Es gibt aber auch Aspekte der Mimik, die international durchaus unterschiedlich gedeutet werden. Kommen wir hierfür noch einmal zurück zu meiner Physiotherapeutin. Wenn sie mich mit einem Lächeln und freundlichen Blick empfängt, entspricht dies den kulturellen Regeln Mitteleuropas. Über das Lächeln kommuniziert sie zwei wichtige Botschaften:

  • „Ich stelle keine Bedrohung dar.“
  • „Akzeptiere mich auf persönlicher Ebene.“

Die westliche Körpersprache wird jedoch von den wenigsten migrantischen Kulturen in Deutschland in all ihren Aspekten geteilt. Das Lächeln hat in anderen Teilen und Kulturen der Welt eine völlig andere Bedeutung. So gilt es z.B. in Russland im öffentlichen Dienst (Behörden, Arztpraxen/Kliniken) als Ausdruck unprofessionellen Verhaltens, Strenge ist hier erwünscht. In asiatischen Ländern ist das Lächeln womöglich ein Zeichen starker Verunsicherung. In vielen islamischen Kulturen kann es als Arroganz oder „Anmache“ missverstanden werden.

Auch die Bedeutung von direktem Blickkontakt ist in der westlichen Kultur wichtig. Wenn eine Person ihr Gegenüber gar nicht anblickt, hält man sie für unaufrichtig und nicht vertrauenswürdig, im besten Fall für desinteressiert. Jemanden zu fokussieren, kann daher – positiv interpretiert – ausdrücken, ihm eine besondere Bedeutung zu geben. Es gibt aber auch Situationen, in denen der Blickkontakt anders gewertet wird: Fremde zu fixieren oder anzustarren, gilt auch bei uns als Ausdruck von Unhöflichkeit oder gar Aggression. In anderen Kulturen kann die Tatsache, dass man jemanden näher ins Auge fasst, ihm lediglich in die Augen schaut, schon als gefährliche Form der Kommunikation bzw. als Angriff fehlgedeutet werden.

Auch die Gestik ist entscheidend

Die Gestik (lat. gestus = Haltung) bezeichnet die Gebärden eines Menschen. Sie sind ein wichtiger Teil der nonverbalen Kommunikation und können die Lautsprache ersetzen oder begleiten. Besonders relevant sind die Bewegungen der Arme, Hände und des Kopfes. Hier gibt es Signale, die allgemeingültig sind, und andere, die im jeweiligen kulturellen Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben können.

Beispiele:

Die Willkommensgeste
Diese einladende Bewegung ist sehr effektiv, wenn es darum geht, Menschen „mitzunehmen“. Hierbei streckt man einen oder beide Arme nach vorne, die Handinnenflächen sind nach oben gerichtet. Diese Geste wird immer positiv wahrgenommen, da man den Anschein erweckt, etwas zu geben, auch wenn man in Wirklichkeit vielleicht eine schwierige Botschaft platzieren muss. Ein interkulturelles „Verbot“ ist nicht bekannt.

Die Demutsgeste
Hier wird der Kopf leicht schräg gehalten. Biologisch betrachtet, ist dies ein Signal der Unterwerfung und Beschwichtigung. Im sozialen Kontext kann diese Bewegung ein Angebot zu einem friedlichen, konkurrenzlosen Miteinander bedeuten. Wo das Gespräch auf Augenhöhe stattfindet, dient der bewusst eingesetzte „schräge Kopf“ der Schaffung von respektvoller Harmonie. In Kulturen des Wettbewerbs, des Kampfes (Macho-Kulturen), ist diese Geste jedoch als Zeichen der Schwäche verpönt.

Einige Gesten verbieten sich je nach Kultur komplett. Deshalb gibt es im interkulturellen Kontext – gerade in diesem Bereich – einiges zu wissen, um individuell erfolgreich auf Patienten eingehen zu können. Dies näher zu beschreiben, würde den Rahmen des Artikels jedoch sprengen.

Die Kraft der Stimme

Meine Physiotherapeutin trifft ihre Aussagen sehr bestimmt. Ihre therapeutischen Vorschläge sind konstruktiv. Ihre Stimme ist dabei klar und deutlich, manchmal sogar ein wenig streng. Keineswegs flirtet sie stimmlich. Ihre Worte passen zu ihrer Stimme.

Sprache ist zugleich Stimme. Sie gibt der Sprache ihren Ausdruck, und damit bekommen neben den Worten auch Klang und Stimmung Bedeutung. Wie bereits erwähnt, macht die Stimme fast 40% der Botschaft, die wir kommunizieren, aus.

Grundsätzlich wirkt die Stimme unseres Gegenübers stark auf unser Empfinden. Wir alle kennen Stimmen, die wir als angenehm empfinden, und solche, die uns unangenehm sind. Für den Westen gilt: Wenn wir sympathisch wirken wollen, sollte unsere Stimme wohllautend sein, das meint zumindest Samy Molcho, Wegbereiter und Ikone der Körpersprache-Analyse. Management-Trainer Rolf Ruhleder ist der Meinung, tiefere Stimmen kämen besser an. Sein Rat an Frauen, die aufgrund ihrer höheren Stimmen im Nachteil sind: Viele kleine Sätze bilden. Am Ende eines Satzes geht die Stimme nämlich in die Tiefe.

Stimmen Wort und Klang in ihrem ganzheitlichen Eindruck überein, wirken wir glaubwürdig. Besteht eine Diskrepanz, sind wir nicht authentisch. Eine Lüge kann deshalb auch hörbar sein.

Interkulturell betrachtet, gibt es auch in diesem Bereich viele, zum Teil auch große Unterschiede. In manchen Kulturen, z.B. in Westeuropa und den USA, steht eine deutliche und laute Stimme für Direktheit, Klarheit und Macht. Im therapeutischen Kontext sollte hörbare Freundlichkeit hinzukommen. In asiatischen Ländern hingegen sprechen Menschen mit Macht eher leise.

Auch die Modulation der Stimme unterscheidet sich in verschiedenen Kulturen stark. So gilt es z.B. in Russland als Zeichen von Macht, mit wenig Mimik und lauter, monotoner Stimme zu sprechen.

Paralinguistik

Zur nonverbalen Kommunikation gehören auch die paralinguistischen Aspekte, also die Art und Weise, wie die Menschen miteinander reden. Diese Formen variieren von Kultur zu Kultur und können in der interkulturellen Begegnung zu Schwierigkeiten führen. So gibt es z.B. Völker, die gerne und viel reden, oft nur um des Redens Willen. Dies trifft auf den arabischen Kulturkreis zu.

Menschen anderer Kulturen dagegen sprechen nur, wenn sie wirklich etwas zu sagen haben. Die einen erscheinen den anderen geschwätzig, umgekehrt wirken die anderen stur und muffelig.

Auch diese Aspekte zu kennen und sich darauf einzustellen, ist von großem Wert für die Praxis.

Kulturelle Vielfalt: ein weites, aber wichtiges Feld

Neben den bereits gezeigten Unterschieden im Bereich der nonverbalen Kommunikation, gibt es noch sehr viel mehr Wissenswertes zum Umgang mit Patienten, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben. Meiner Meinung nach sollte jeder Therapeut Grundkenntnisse zu folgenden Themen haben:

  • Wer möchte wie angesprochen werden?
  • Wer kennt aus seiner Heimat welchen Umgang mit dem Therapeuten?
  • Wie zeigen Migranten/ausländische Patienten bestimmte Krankheitsbilder an?
  • Was geht gar nicht bei welcher Kultur, und was kommt gut an?
  • Welche Rolle spielt die Religion bei Patienten, und was ist zu beachten?
  • Was tun bei Konflikten (zu wenig Compliance, Unpünktlichkeit etc.)?

Die Arbeit des Therapeuten kann deutlich erleichtert sein, wenn bekannt ist, dass z.B. der Umgang mit Gefühlen (Beispiel: Angst) oder mit Schmerz sehr verschieden sein kann. So sind in den mediterranen Kulturen Ehre und Respekt wichtige Themen. Auch kann dies je nach Konstellation von einem kulturell bedingt unterschiedlichen Verhältnis zwischen Frau und Mann herrühren.

Meine Physiotherapeutin sieht der interkulturellen Zukunft entspannt entgegen. Sie ist sich sicher, mit einer konstruktiven Einstellung, Freundlichkeit und der Bereitschaft, bei Missverständnissen miteinander zu reden, auch weiterhin viel Freude am Beruf zu haben.

Dr. phil. Hermann Hagemann
Trainer und Systemischer Coach mit Schwerpunkten Sozialpsychologie, interkulturelle Kommunikation und Körpersprache, Dozent an den Paracelsus Schulen
Hagemann-Muenster@t-online.de

Fotos: © deagreez / adobe.stock.com

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