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Naturheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Neuraltherapie – Für eine schnelle Linderung akuter Beschwerden

In der Neuraltherapie geht man davon aus, dass überwiegend langanhaltende Beschwerden durch Störfelder verursacht und genährt werden. Grundsätzlich kann jede Struktur und jedes Organ im Körper, das sich in Dysbalance befindet, ursächlich sein. Die meisten klassischen Störfelder lassen sich im Kopfbereich (Zähne, Kiefer, Tonsillen) lokalisieren. Des Weiteren sind Narben häufige Auslöser für solche Blockaden. Segmentale Störungen, alte Verletzungen und energetische Dysbalancen führen sehr oft zu Funktionseinschränkungen und teils dramatischen Schmerzzuständen, die die Lebensqualität der Patienten massiv einschränken und Folgeerkrankungen, z.B. psychische Störungen, nach sich ziehen können. In diesen Fällen ist uns mit der Neuraltherapie ein wirksames Mittel an die Hand gegeben, mit dem wir sehr gezielt helfen und einen Ausweg aus dem langen Leiden anbieten können. Eingebettet in einen breitgefächerten Werkzeugkasten in der Praxis, bietet diese Methode einen wichtigen Schlüssel zur Lösung von Blockaden, die bei Patienten mit chronischen Erkrankungen häufig sind.

Geschichte der Neuraltherapie

In den 1920er-Jahren wurde das Verfahren von den Ärzte-Brüdern Ferdinand und Walter Huneke entwickelt. Aufgrund einer eigentlich unbeabsichtigten Injektion mit Procain in die Vene der gemeinsamen Schwester verschwanden deren langjährige Migräneattacken spontan und traten viele Jahre lang nicht mehr auf. Dieses Ereignis wurde später als „Sekundenphänomen“ bezeichnet. Die Gebrüder entwickelten in den folgenden Jahren ein geschlossenes Therapiekonzept, das sie „Neuraltherapie“ nannten.

Ihre drei Grundsätze waren:

  1. Jede Erkrankung kann störfeldbedingt sein.
  2. Jede Erkrankung oder Verletzung kann ein Störfeld hinterlassen.
  3. Jede Störfelderkrankung ist ausschließlich durch Ausschaltung des Störfeldes heilbar.

Die therapeutische Anwendung geschieht auf drei Ebenen: im Rahmen einer lokalen Therapie, einer Segmenttherapie und einer Störfeldtherapie.

Lokale Therapie

Hier wird mit Hilfe eines Lokalanästhetikums, z.B. Procain, nach der DAWOS-Methode (da, wo es weh tut) am Ort des Geschehens gequaddelt. In der Folge kann der Schmerzreiz unterbrochen und Blockaden gelöst werden. Dieser Ansatz geht fließend in die Segmenttherapie über, bei der ganzheitliche Zusammenhänge berücksichtigt werden.

Segmenttherapie

Durch Palpation in den entsprechenden Segmenten kann man über Reflexzonen eines erkrankten Organs die Injektionsstelle eruieren. In diesem ertasteten Bereich injiziert man anschließend das Neuraltherapeutikum. Hierbei gilt, mit minimaler Dosierung und möglichst wenigen Injektionsstellen maximalen Erfolg zu erzielen. Sehr häufig spritze ich in meiner Praxis den entsprechenden Organ-Punkt an den Reflexzonen des Ohres mit. Dies hat sich als signifikant wirkungsverstärkend herausgestellt.

Störfeldtherapie

Die Suche nach dem Störfeld, das das natürliche Gleichgewicht im Körper beeinträchtigt und die Beschwerden verursacht, ist der zentrale Punkt zu Beginn der Neuraltherapie. Wie bereits beschrieben, handelt es sich oft um kranke und wurzelbehandelte Zähne, Narben, akute oder chronische Entzündungen. Über eine ausführliche Anamnese und Voruntersuchung ergeben sich hierzu wichtige Hinweise. Lokale Erscheinungen können über Nervenleitbahnen und Reflexzonen ferne Körperregionen schwächen und Krankheiten hervorrufen. Durch eine gezielte Injektion mit einem Lokalanästhetikum wird das Störfeld ausgeschaltet. In der Folge können nicht nur lokale, sondern auch systemische Symptomatiken beseitigt werden. Unsere Erfahrungsheilkunde zeigt, dass viele Krankheiten auf ein oder mehrere Störfelder im Körper zurückzuführen sind. Nach 15-20 Minuten lässt die betäubende Wirkung des Lokalanästhetikums langsam nach. In dieser Zeit und darüber hinaus werden im Körper Um- und Restrukturierungsprozesse in Gang gesetzt.

Rechtliche Fakten zu Lokalanästhetika

Das Bundesministerium für Gesundheit hat aufgrund §48 Abs. 2/3 des Arzneimittelgesetzes (Fassung vom 12.12.2005) mit Zustimmung des Bundesrates eine Verordnung zur Neuordnung der Verschreibungspflicht von Arzneimitteln erlassen. Für den Heilpraktiker bedeutet dies, dass Procain und Lidocain bis zu einer Konzentration von 2% weiterhin frei in der Apotheke käuflich sind. Diese Präparate müssen für die intrakutane Anwendung bzw. zur Neuraltherapie geeignet und zugelassen sein. Gängig im Handel sind Konzentrationen von 0,5%, 1% und 2%. Erhältliche Präparate sind z.B. Steigerwald Procain 0,5%, Procain Loges 1% (Fa. Dr. Loges) und PasconeuralInjektopas 2% (Fa. Pascoe).

Risiken und Nebenwirkungen

Bekannte unerwünschte Wirkungen oder Risiken bei der Behandlung mit Procain und Lidocain sind ZNS-Symptomatiken, Effekte im Herz-Kreislauf-System und allergische Reaktionen. Die Wirkungsdauer von Procain liegt bei 45-60 Minuten, von Lidocain bei 2-4 Stunden. Das sind die nackten Fakten. In meiner nun schon 30-jährigen Praxis hatte ich bis auf leichte Kreislaufprobleme noch nie einen ernsthaften Zwischenfall nach Anwendung der Neuraltherapie und zum Glück auch keine anaphylaktische Reaktion.

Wichtig ist natürlich, dass man immer mit solchen Nebenwirkungen rechnet und im Ernstfall auch damit umgehen kann. Regelmäßig einen Notfall-Kurs zu besuchen, ist notwendig und sinnvoll.

Allergische Reaktionen

Das Lokalanästhetikum Lidocain hat nur eine geringe allergische Potenz. Die hier gelegentlich zu beobachtenden Unverträglichkeitsreaktionen werden meist durch zugesetzte Konservierungsstoffe (z.B. Methylparaben) verursacht. Nach Anwendung des Lokalanästhetikums Procain hingegen können häufiger allergische Reaktionen auftreten. Deshalb setze ich bei Patienten, bei denen ich das erste Mal die Neuraltherapie anwende, anfangs eine „Testquaddel“ am Unterarm und beobachte die Einstichstelle 10-15 Minuten lang. Ist die Stelle danach reizlos, fahre ich mit der eigentlichen Therapie fort.

Im Falle einer Allergie können leichte Symptome mit lokaler Rötung oder harmlosen urtikariellen Exanthemen auftreten. Es kann auch zur Auslösung eines allergischen Asthmas, sogar zum anaphylaktischen Schock kommen. Wie bereits beschrieben, kann ich nach langjähriger Praxistätigkeit nur von leichten Kreislaufreaktionen berichten.

Alternativen zu Procain/Lidocain

Es gibt keine echten Alternativen zu Procain und Lidocain, zumindest was die anästhesierende und schmerzlindernde Wirkung angeht. Eine Reiztherapie kann dennoch mit Mitteln wie z.B. Gelsemium comp. Hevert Injektionslösung als homöopathisches Neuraltherapeutikum empfehlenswert sein. Ebenso hilfreich zeigt sich Sensiotin 2ml (Fa. Steigerwald) als Komplexmittel bei Nervenschmerzen. Formica D3 bis D12 von Weleda, Formidium D6 und D12 von DHU sowie die Infi-Lachesis-Injektion von Infirmarius-Rovit gelten ebenfalls als effektive Helfer im Rahmen einer Reiztherapie. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den neuraltherapeutischen Impuls mit einfacher Kochsalzlösung (NaCl) zu setzen.

Physiologie der Schmerzentstehung

Während meiner Recherchen zu diesem Artikel fand ich folgende interessante Erläuterung dazu, die ich gerne mit einbringen möchte:
Wird ein Nerv traumatisiert, so lockern sich die Grenzflächen auf und werden durchlässig. Im weiteren Verlauf treten Kaliumionen aus, und Natriumionen dringen in die Nervenfaser ein. Als Folge bricht das Membranpotenzial zusammen, der Nerv entlädt sich und das Schmerzleitungssystem reagiert. Dies ergibt sich aus dem entstandenen elektrischen Ladungszustand. Alle Gewebsprodukte, die depolarisierend wirken, erzeugen hier den Schmerz. Dazu gehören H-Ionen, Histamin, Serotonin und Ca-entionisierende Säuren. (Quelle: Dr. Bernhard Ost)

Anwendungsgebiete

Bei u.a. folgenden Beschwerden kann die Neuraltherapie eingesetzt werden:

  • Arthrose
  • Asthma bronchiale
  • Bronchitis
  • Chondropathia patellae
  • Epikondylitis
  • Funktionelle Herzbeschwerden
  • Gallensteine
  • Gastritis
  • Gefäßerkrankungen (z.B. Krampfaderleiden, Chronisch-venöse Insuffizienz)
  • Gicht
  • Harnwegsinfekte
  • Hörsturz
  • Karpaltunnelsyndrom
  • Kollagenosen
  • Kopfschmerz/Migräne
  • Lebererkrankungen
  • Lumbago
  • Lymphödem
  • Morbus Bechterew
  • Morbus Menière
  • Morbus Scheuermann
  • Morbus Sudeck
  • Neuralgien
  • Osteoporose
  • Postherpetische Neuralgie
  • Reizdarm-Syndrom
  • Rheumatoide Arthritis
  • Roemheld-Syndrom
  • Schulter-Arm-Syndrom
  • Traumata (z.B. Knochen-, Muskel-, Bänderverletzungen)
  • Trigeminusneuralgie

Praktischer Ablauf

Die neuraltherapeutische Praxis besteht aus einem diagnostischen und einem therapeutischen Anteil. Innerhalb der präzisen mündlichen Anamnese ist es sehr bedeutend, Erkrankungen, Verletzungen sowie deren chronologische Reihenfolge zu beachten. Ist das ausführliche Vorgespräch abgeschlossen, folgt eine klinisch umfassende manuelle Untersuchung des Patienten. Das weitere Vorgehen erschließt sich letztendlich aus diesen zwei Elementen. Aus neuroanatomischen und segmentalen Zusammenhängen ergeben sich die Injektionsstellen. Diesbezüglich möchte ich das Buch „Reflexzonen und Somatotopien: Vom Mikrosystem zu einer Gesamtschau des Menschen“ von Dr. Jochen Gleditsch hervorheben. Ich habe daraus mein eigenes Verständnis über die Verbindungen im menschlichen Körper enorm erweitern können.

Reaktionen bestimmen den Therapieverlauf

Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich meines Erachtens folgende Punkte: Auch wenn das Sekundenphänomen ein seltenes Ereignis ist, können regulative Reaktionen oder Schmerzreduktionen recht schnell eintreten. Die Interpretation der unterschiedlichen Reaktionen nach einer neuraltherapeutischen Behandlung bestimmt die weiteren Behandlungsschritte. So kann nach einer Anwendung eine Besserung auftreten, die nach wenigen Tagen wieder abklingt. Ebenfalls möglich sind eine vorübergehende leichte Verschlechterung der Beschwerden über 1-3 Tage mit anschließender Besserung, eine vorübergehende Verschlechterung ohne Besserung des Krankheitsbildes wie auch keinerlei Änderung der Beschwerden.

Grundsätzlich sollte angestrebt werden, dass die Zeitintervalle, in der sich Beschwerden mindern, von jeder Behandlung zur nächsten länger werden, bis zur vollständigen Beschwerdefreiheit. Daraus ergeben sich bei akuten Erkrankungen Behandlungen im Abstand von anfänglich 1-2 Tagen, bei chronischen Erkrankungen von anfänglich 1x wöchentlich, später ausgedehnt auf 2-3 Anwendungen pro Woche. Je nach Komplexität der Krankheitszusammenhänge können zwischen 5 und 10 Behandlungen notwendig sein.

FALLSTUDIE Migräne

Die Patientin, 54 Jahre, 2 erwachsene Kinder, beruflich sehr ein- und auch ansonsten angespannt, fühlt sich für alles verantwortlich. Sie leidet unter periodisch auftretendem Kopfschmerz, der sich zur Migräne ausweitet. Die Schübe treten 2-3x im Monat auf. Weiter bestehen Nackenverspannungen, die schon vor der Migräne-Entwicklung aufgetreten sind. Die Patientin hat bereits viele Therapieversuche mit wenig Erfolg durchlaufen.

Die Anamnese ergibt, dass sie wenig Sport treibt und sich auch allgemein nicht viel bewegt. Sie trinkt sehr wenig, teilweise weniger als 1 Liter am Tag. Weiter berichtet sie von zwei Narben in den Bereichen Galle und Blinddarm, die sich bei Wetterwechsel und Aufregung mit leichtem Juckreiz bemerkbar machen.

Ich beginne mit einer Migräne-Therapie und injiziere im Wechsel 2x wöchentlich die Präparate Infi-Belladonna und Infi-Spigelia (beide Fa. Infirmarius). Nach zweimaliger Neuraltherapie der HWS-Segmente plus Ausschaltung der Narbenstörfelder gehen die Migräne-Attacken um 90% zurück. Die Patientin kommt danach noch 6 Wochen lang jeweils 1x wöchentlich in die Praxis. Während dieser Termine werden HWS und Schulterpartie gequaddelt, anschließend erhält sie eine Massage. Schließlich ist sie so gut wie beschwerdefrei und kommt seitdem halbjährlich zur Lagebesprechung und zur prophylaktischen Behandlung.

Dieses Beispiel zeigt, welche Erfolge wir mit dieser wirksamen, gut verträglichen und leicht erlernbaren Therapiemethode erzielen können. Mit Einfühlungsvermögen, ganzheitlichem Denken und dem Vertrauen des Patienten ist es möglich, durchaus segensreiche Heilungsprozesse in Gang zu setzen.

Fazit

Mit der Neuraltherapie haben wir Heilpraktiker eine sehr wirksame Methode zur Hand, die es uns erlaubt, eine schnelle Linderung akuter Beschwerden zu erreichen.

Mit der Segment- und Störfeldtherapie fokussieren wir das Ziel, Blockaden zu lösen und Lebensenergien wieder in Fluss zu bringen. Alles, was fließt, ist lebendig. Wichtig ist natürlich, dass wir lege artis mit dieser Methode umgehen und uns immer an unsere Sorgfaltspflicht erinnern – zu unserer eigenen Sicherheit und zum Wohle des Patienten.

Kurt-Lorenz Sohm
Heilpraktiker mit Schwerpunkten Allergien, Bioresonanz und Akupunktur, Dozent an den Paracelsus Schulen

info@holomedic.de

Fotos: © Alextanya / adobe.stock.com, © deagreez / adobe.stock.com

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