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Pflege und Geriatrie
Lesezeit: 19 Minuten

Aspekte psychiatrischer Pflege

Was bedeutet Psychiatrie, Gerontopsychiatrie, psychiatrische Pflege?

Die Psychiatrie ist ein Fachgebiet der Medizin, sie ist die Lehre der Krankheiten der Psyche und ihrer Behandlung. Die Psychiatrie befasst sich mit der Gesamtheit der psychischen Abläufe und Reaktionen wie Denken, Wahrnehmen, Fühlen und Wollen.

Im Gegensatz zur Somatik = Körperheilkunde bedeutet Psychiatrie Seelenheilkunde. Und damit fangen die Schwierigkeiten an. Wenn das Bein gebrochen ist, kann man es eingipsen, man kann die Ursache klar benennen, kennt die Mechanismen des Knochenwachstums, weiß in etwa, wann der Heilungsprozess abgeschlossen ist, aber wenn die Seele einen Knacks hat, kann man sie nicht eingipsen. Woher kommen die Erkrankungen der Seele? Der Psychiater sagt:,, Die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit ist fliessend. Jeder hat mal Hochgefühle und mal Stimmungstiefs, jeder hat Phantasien und Träume, auch Angstträume und Angstgefühle. Krankheit setzt dann ein, wenn diese Gefühle überhand nehmen. Das kann soweit gehen, dass man sie nicht mehr kontrollieren kann, sondern von ihnen total beherrscht wird. Mit anderen Worten kann eine psychische Erkrankung jeden von uns treffen. Genauso wie die körperlichen Erkrankungen sind die psychischen Erkrankungen sehr verschieden. Aber über sie wird selten gesprochen. Die Leute haben eine sehr ablehnende Haltung gegenüber der “lrrenanstalt”, dem “Irrenhaus”. Ein Integrationsbedürfnis besteht nicht, es macht Angst. Die Patienten dort bekommen kaum Besuch, Blumen oder Geschenke. Manche Besucher fühlen sich sichtlich unwohl, empfinden die Atmosphäre als beklemmend, bedrohend und sind schnell wieder weg. Filme wie “Einer flog über´s Kuckucksnest” prägen das Bild von der Psychiatrie und damit möchte man nach Möglichkeit nichts zu tun haben. Man spricht in der Öffentlichkeit über das Magengeschwür des Angehörigen, aber von seiner Schizophrenie soll niemand erfahren.

Wir in Gilead Illa haben beruflich mit dem Zweig der Gerontopsychiatrie oder Alterspsychiatrie ab 60 Jahre zu tun. Die Furcht vor der Gerontopsychiatrie ist nicht geringer als die vor der Allgemeinpsychiatrie. Dort treffen zwei Komponenten zusammen: das Alter und der Abbau. Alt werden die meisten von uns, vor dem Abbau – besonders des geistigen Abbaus, des Verrücktwerdens – fürchten wir uns alle.
Es ist aber ein häufiger Fehler, die Gerontopsychiatrie allein als die Psychiatrie der Demenz und anderer hirnabbaubedingter Erkrankungen zu verstehen: die Alterspsychiatrie befasst sich sowohl mit den alt gewordenen psychisch Kranken wie auch mit den psychisch krank gewordenen alten Menschen und ist für das breite Feld der psychischen Konflikte und Störungen im Alter zuständig.
Ziel der gerontopsychiatrischen Pflege ist es – neben der medizinischen Versorgung – den Patienten bei der Selbstpflege von Gesundheit und Krankheit, bei seinen Aktivitäten des täglichen Lebens zu unterstützen und zu fördern, um dadurch zur Erhaltung und Wiederherstellung seines Gleichgewichtes beizutragen. Die Pflege bezieht sich nicht nur auf die physischen, und psychischen sondern auch auf die sozialen Aspekte des Lebens- d.h. sie hilft und unterstützt den Patienten in seinem sozialen Umfeld, im Umgang mit seinen Mitmenschen.

Gerontopsychiatrie ist engagiertes Bemühen um körperlich und seelisch müde gewordene Menschen, mit denen eine sprachliche Verständigung kaum noch möglich erscheint. Da ist immer wieder geduldiges Bemühen, einen Überblick in einer verwirrenden und verwirrten Umwelt zu gewinnen. Das Erreichen dieser Ziele setzt eine intensive und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Patienten voraus, daher ist das Eingehen einer echten Beziehung mit ihm von grundsätzlicher Bedeutung.

Kurze geschichtliche Entwicklung der Psychiatrie.

Psychiatrische Erkrankungen haben von jeher die Menschheit fasziniert und beschäftigt. Bei den Naturvölkern und Urzeitmenschen lösten sie Verehrung und/oder Entsetzen aus. In der Antike beschrieb Hippokrates präzis Manie, Depression, Fieberdelir, Wochenbettpsychose sowie Epilepsie. Erst um 1800 mit “Kurze geschichtliche Entwicklung der Psychiatrie”, dem Beginn der Industrialisierung, wurde die Psychiatrie offiziell institutionalisiert, d.h. in Einrichtungen kanalisiert und um 1900 durch die Arbeiten von Kräpelin und Bleuler (Beschreibung der Schizophrenie) als medizinische Disziplin anerkannt.

1970 vollzog sich durch die “Psychiatrische Enquete” eine Reform der Psychiatrie. Es kam zur Entwicklung der Gemeindepsychiatrie mit Gründung von Ambulanzen und Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern, um eine bedürfnisgerechte Versorgung zu gewährleisten. Es vollzog sich ein Wandel von einer verwahrenden zu einer therapeutischen Psychiatrie, sowie eine Zersplitterung von grossen psychiatrischen Krankenhäusern in Funktionsbereiche wie Jugendpsychiatrie, Geriatrie, Sucht- und Rehabereiche. Sozialpsychiatrische Dienste, Wohnheime und Tageseinrichtungen wurden eröffnet. Jedoch wurde erst 1992 eine eigene gerontopsychiatrische Fachgesellschaft in Deutschland gegründet und nach wie vor ist die Gerontopsychiatrie in nur wenigen Ausnahmen mit eigenen Lehrstühlen oder Abteilungen an den psychiatrischen Hochschulkliniken vertreten.

Warum erfolgt eine Aufnahme in ein psychiatrisches Akutkrankenhaus?

Die Gründe sind recht vielfältig. Manche Patienten kommen freiwillig, auf eigenen Wunsch, weil sie die Vorboten einer beginnenden Krise spüren oder um sich vor sich selbst zu schützen, da sie wieder Suizidgedanken entwickeln. Andere Patienten werden im Rahmen einer Krisenintervention über den Krisendienst des Gesundheitsamtes mit einem Unterbringungsbeschluss durch die Feuerwehr oder die Polizei eingeliefert. Diese Patienten haben entweder randaliert, andere oder sich selbst gefährdet oder haben nach einem versuchten Suizid sich nicht behandeln lassen wollen und/oder sich davon nicht distanzieren können. Mit Beschluss kommen auch Personen, die in ihren verdreckten Wohnungen verwahrlosen oder aber nachts im Nachthemd völlig desorientiert auf der Strasse herumirren. Andere Patienten wiederum kommen aus sozialer Indikation, weil z.B. die pflegende Ehefrau plötzlich selber ins Krankenhaus muss oder zur Entlastung der völlig überforderten pflegenden Angehörigen (oder des Pflegeteams).

Mit welchem Krankheitsbild kommt ein alter Mensch in die Gerontopsychiatrie?

Die Krankheitsbilder sind ebenfalls vielfältig. In erster Linie ist die Psychiatrie für die klassischen psychischen Erkrankungen zuständig. Es sind Psychosen wie Depression, Manie, Schizophrenie in ihren verschiedenen Formen und Neurosen wie Zwänge (z.B. Waschzwang) oder Ängste/Phobien (z.B. Platzangst).
Ein Großteil der Klientel der Gerontopsychiatrie bilden die Altersverwirrten. Es sind Patienten, die an verschiedenen Demenzformen leiden, wobei zwischen primären und sekundären Demenzen unterschieden werden sollte. Dies ist nicht so sehr für die Pflege, als für die spätere Therapie von grosser Bedeutung.
Bei den primären Demenzen handelt es sich um degenerative zerebrale Erkrankungen – wie die senile Demenz vom Alzheimer-Typ, der Morbus Pick, der Morbus Parkinson, die Chorea Huntington oder die Creutzfeldt-Jakob z.B. oder um cerebro-vaskuläre Erkrankungen – wie die Multi-Infarkt-Demenz (M.1.D.) – oder um Mischformen aus der Demenz von Alzheimer-Typ und M.I.D.
Bei den sekundären Demenzen handelt es sich um Folgezustände, die durch diverse andere Erkrankungen ausgelöst werden, wie chronisch entzündliche Hirngefäßerkrankungen (Lues), Hirninfektionen (Toxoplasmose), subdurale Hämatome oder durch Toxine, Vitaminmangel, Sauerstoffmangel, Exsikkose, endokrine Störungen (Funktionsstörung der Schilddrüse), Störung des Schlaf-Wachrhythmus, Störung der Wärme- und Blutdruckregulation, der Ausscheidung, aber auch durch Nachlassen der Seh- und Hörfähigkeit, durch soziale Deprivation, Reizarmut und schliesslich bei depressiven antriebsgestörten Patienten als Pseudo-Demenz.
In die Gerontopsychiatrie kommen auch Patienten mit Suchtproblemen: Medikamentenabusus – gewollt oder auf Grund einer ärztlich verordneten Überdosierung – oder Alkoholabhängigkeit und die daraus resultierende Abbauprozesse, – wie z.B. beim Korsakow-Syndrom (Desorientiertheit, Gedächtnisstörungen, Merkfähigkeitsstörung, Konfabulationen). Relativ viele Patienten kommen aus Pflegeheimen oder von zu Hause mit der Einweisungsdiagnose “gestörter Tag-Nachtrhythmus” oder “paranoid-halluzinatorische Psychose mit aggressiven Tendenzen”. Einige Patienten weisen Verhaltensstörungen auf. Gelegentlich “verirren” sich in die Psychiatrie Patienten nach einem Apoplex oder nach OPs mit einem Durchgangssyndrom (Verlangsamung aller psychischen Funktionen, Gedächtnisstörung, Denkstörung, Störung der Affektivität, eventuell Konfabulation und Halluzinationen).

Im Gegensatz zur Allgemeinpsychiatrie, wo die Patienten “nur psychisch krank sind, sind sehr viele Patienten der Gerontopsychiatrie aufgrund ihres Alters ausserdem internistisch schwer krank. Hoher Blutdruck, Herz-, Lungen-, Niereninsuffizienz, Diabetes Mellitus, Folgen von Apoplex, Arthrose, Rheuma etc. müssen mitbehandelt werden und stellen an den Arzt und das Pflegeteam zusätzliche Anforderungen.

Was passiert mit dem Patienten in der Gerontoklinik?

Allgemeine Grundsätze – Milieutherapie

Es werden sich, um es vorweg zu sagen, verschiedene Berufsgruppen (Ärzte, Krankenschwestern/-pfleger, Altenpfleger/innen, Musiktherapeuten, Ergotherapeuten, Krankengymnasten, Sozialarbeiter, Seelsorger) an der Behandlung des Patienten beteiligen, da die Behandlung in der Psychiatrie grundsätzlich im Rahmen multiprofessioneller Teamarbeit erfolgt. In der Pflege wird nach dem Prinzip des Bezugspersonensystem gearbeitet. Das Wichtigste an diesem System ist die Beziehung zum Patienten sowie der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Die weiteren Ziele sind die Kontinuität der Pflege, Koordination der verschiedenen Massnahmen sowie “Anwaltsfunktion” hinsichtlich der Lebensperspektive. Das Bezugspersonensystem bietet die Möglichkeit, ganzheitliche Pflege zu verwirklichen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der psychiatrischen Pflege ist die Tagesstrukturierung: ein klar und übersichtlich geordneter Stationsalltag trägt zur Gesundung bei (dazu gehören z.B. die gemeinsam eigenommenen Mahlzeiten, die Morgenrunde mit anschließender Morgengymnastik).
Von grosser Bedeutung in der Gerontopsychiatrie ist ebenfalls die Realitätsorientierung. Diese hat nicht den Anspruch, die Desorientiertheit zu beseitigen, soweit sie auf eine hirnorganische Schädigung beruht, sondern soll den Umgang mit dieser Behinderung erleichtern und die vorhandenen Fähigkeiten stärken. Die Realitätsorientierung wird nicht isoliert als Training angeboten sondern ist in dem täglichen Stationsablauf eingebaut (z.B. Uhren und Grossdruckkalender in jedem Zimmer, Zahlen bzw. Symbole an den Türen, Schränke und Betten mit Namen versehen, Namensschilder für die Mitarbeiter, fester Sitzplatz am Tisch, eindeutiges Verhalten, einfache eindeutige Sätze etc.).
Zu dem therapeutischen Programm gehört es auch, dass die Patienten tagsüber nicht im Bett sein sollen. Im Gegensatz zu dem somatischen Krankenhaus verbringt niemand den Tag in Nachtwäsche und Bademantel. Ebensowenig wie die Patienten “Patientenkleidung” tragen, tragen die Pflegenden typische Krankenhauskleidung. Als weiterer Beitrag zur Lebensqualität und Normalität ist ferner vom Tablett-System Abstand genommen worden. Die Patienten nehmen gemeinsam die Mahlzeiten im Wohnzimmer ein. Die Tische werden durch die Patienten gedeckt und abgeräumt, abends verrichten sie in der Stationsküche Küchendienst.
Durch die Schaffung einer wohnlichen Atmosphäre und eines möglichst “normalen” Milieus sollen die Aussichten auf Heilung und Resozialisierung verbessert werden. Ein ungünstiges Milieu kann dagegen krankheitsfördernd wirken, daher ist die Bezeichnung Milieutherapie berechtigt.

Untersuchungen

Unmittelbar nach der Aufnahme in der Klinik laufen für alle Patienten, nach der Erhebung der Krankenanamnese und der Untersuchung durch den Stationsarzt, die ersten Laboruntersuchungen (Blut und Urin). Unter anderem wird die Funktion der Schilddrüse überprüft (T3, T4, TSH-Test) sowie ein TPHA-Test (Treponema pallidum Hämaglutinationstest) durchgeführt, um eventuell Erreger der Syphilis (Err=Treponema pallidum) nachzuweisen.

Diese Tests sollen helfen, bestimmte Demenzursachen abzuklären (siehe Lues und endokrine Störungen), denn nicht alle Dementen haben den gleichen HOPS! Ferner werden Blutbild, Blutsenkung, BZ, Elektrolyten etc. kontrolliert. Patientenabhängig werden in den nächsten Tagen EKG, EEG, CT, Sonographie, Szintigraphie, Röntgen etc. sein.

Medikation

Parallel zu diesen Untersuchungen erfolgt vom ersten Tag an die Medikation. Kein Medikament kann allerdings eine psychische Krankheit heilen. Der Bereich der Psychopharmaka wird grob eingeteilt in:

  • Tranquilizer
  • Antidepressiva und
  • Neuroleptika

In nicht allzu schweren Fällen kann die Naturheilkunde durchaus erfolgreiche Resultate erzielen. Als Antidepressiva und Tranquilizer stehen uns eine ganze Reihe hochwirksamer Johanniskraut-Präparate oder Kava-Produkte zur Verfügung. Die Verordnung von Neuroleptika sollte man, da es sich um komplexere Krankheitsbilder handelt, Fachärzten überlassen.

EKT- Elektrokrampftherapie

Neben der medikamentösen Therapie existiert in der Psychiatrie noch eine somatische Behandlungsform: die Elektrokrampftherapie, auch EKT genannt.
Diese Therapie hat einen sehr engen Indikationsbereich und wird relativ selten angewendet. EKTs werden bei schweren endogenen Depressionen, bei schwerstverlaufender Schizophrenie, bei nicht ansprechen von Medikamenten oder in Einzelfällen bei allgemeiner Therapieresistenz oder absoluter Unverträglichkeit von Psychopharmaka angewendet. EKTs sind ebenfalls bei Katatoner Schizophrenie unentbehrlich, um eine katatonische Starre (völlige Bewegungslosigkeit) sehr schnell zu lösen.
Bei der Elektrokrampftherapie handelt es sich um die künstliche Auslösung eines generalisierten Krampfanfalls aus therapeutischen Gründen. Mittels zweier Elektroden wird in Kurznarkose unter Muskelrelaxation und Sauerstoffbeatmung ein kurzer (1/1000 sec.) elektrischer Reiz (0,9 Ampere) auf das Gehirn ausgeübt und dadurch ein künstlicher epileptischer Anfall ausgelöst. Durch die EKTs kommt es zu zahlreichen neurochemischen Veränderungen sowie Beeinflussungen an verschiedenen Rezeptorsystemen des Gehirns. Im allgemeinen besteht die EKT-Behandlung aus einer Serie von 4 bis 9 Einzelbehandlungen in Abständen von 2 bis 3 Tagen. Die Serie wird solange fortgesetzt, bis keine weitere Besserung mehr zu beobachten ist. An die EKT-Serie schliesst sich in der Regel zur Prophylaxe eines Rückfalls eine Pharmakotherapie an.

Krankengymnastik

Je nach Bedarf können noch physikalische Therapie (Massagen, Heupackung etc…) und/oder Krankengymnastik verordnet und durchgeführt werden.

Therapien

Neben der medizinischen Betreuung spielen Ergo- und/oder Musiktherapie eine wichtige Rolle im Genesungsprozess. Laut Pschyrembel bedeutet das Wort, Therapie” Heilverfahren, Behandlung von Krankheiten. Aus dieser Definition heraus ist ersichtlich, dass die Therapiestunden keine Freizeitangebote sind, in denen ein bisschen gemalt, gebastelt, gesungen oder musiziert wird, sondern dass sie den Patienten die Möglichkeit bieten, nicht nur behandelt zu werden, sondern aktiv an ihrer Gesundung mitzuarbeiten. Aus diesem Grund haben die Patienten ein persönliches Wochenprogramm mit therapeutischen Aktivitäten.

Die Ergotherapie
findet Anwendung zur Behandlung von Störungen der Motorik, der Sinnesorgane, der geistigen und psychischen Fähigkeiten bei Patienten jeden Alters. Ziel ist die weitestmögliche Selbständigkeit im täglichen Leben. Zweimal wöchentlich gehen die Patienten dorthin zur Einzel- oder Gruppenarbeit mit kreativen Mitteln. Vermeintlich verlorene Fähigkeiten sollen dort wiederentdeckt werden, Ressourcen aktiviert und erweitert, das Bewusstsein gestärkt und Vertrauen in sich selbst wiedergewonnen und gefestigt werden. Denkspiele sollen Konzentrations- und Kombinationsfähigkeiten fördern. Das Vorlesen von Geschichten soll zum Nachdenken und Miteinanderreden animieren. All das ist eine Möglichkeit, sich in einer kleinen Gruppe aktiv zu erleben und wieder zu sich selbst zu finden.

Die Musiktherapie
ist eine Form der Psychotherapie (psychologische Behandlung von psychischen und psychosomatischen Störungen und Erkrankungen), bei der die Selbstwahrnehmung durch das Anhören von Musik oder durch das Musizieren verbessert werden soll. In der Musiktherapie werden musikalische Kreisspiele gemacht, mit Instrumenten frei improvisiert, Lieder gehört, die alte Erinnerungen wecken: es kann helfen, Spannungen zu äußern, den eigenen Rhythmus wieder zu finden, eine Kontaktaufnahme zu sich selbst und zur Umwelt zu erleichtern, die Erlebnisfähigkeit durch eigenes kreatives Tun zu fordern, den Respekt vor sich selbst zu bewahren. Durch das Medium Musik wird versucht, Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die auf der verbalen Ebene gegenwärtig nicht erreichbar sind Durch Lieder und Tänze soll Gemeinschaft und Solidarität erzeugt werden und eventuell Anknüpfungspunkte für therapeutische Gespräche geschaffen werden. Zweimal wöchentlich gibt es auch die Möglichkeit der Teilnahme an einer Entspannungsgruppe. Dort werden im kleinen Kreis Entspannungsübungen durchgeführt und eine gezielte Muskelentspannung trainiert, um im Alltag auch bei seelischen Belastungen lockerer zu bleiben. Eine Gesprächsgruppe für Suchtabhängige wird durch die hauseigene Psychologin angeboten und geleitet. Der Therapieplan der einzelnen Patienten wird im multiprofessionellen Teamgespräch besprochen, festgelegt und/oder aktualisiert Nicht alle Patienten haben einen Therapieplan: es sind eben anhand einer Erkrankung verordnete Therapien und keine Freizeitangebote. Manche Patienten sind auf Grund ihres Krankheitsbildes nicht in der Lage, an Therapien oder Gruppentreffen teilzunehmen. Für sie ist die Einhaltung des Tagesprogramms (aufstehen, sich waschen, an den Mahlzeiten teilnehmen) und das Zurechtfinden auf der Station schon Therapie.

Außenaktivitäten

r9902_as2Eine Besonderheit auf der Station F3 ist die wöchentliche “Montag-Außenaktivität”, die alle Patienten anspricht und durch das Pflegeteam organisiert wird. Angestrebt wird, dass möglichst viele Patienten an den Spaziergängen, Ausflügen und Besichtigungen teilnehmen. Durch das Verlassen der Station und den Kontakt mit der Außenwelt sollen die Patienten ein Stück Normalität erfahren. Normalität kann dazu beitragen, dass sich Gesundes wiederentfaltet. für das Pflegeteam bietet es die Möglichkeit, die Patienten aus einer völlig anderen Perspektive zu erleben. Bei schlechtem Wetter oder für die Patienten, die nicht mehr gehfähig sind, werden als Alternative Spiele, Film- oder Diavorführungen, Bastelarbeiten, Singen, Vorlesen etc. angeboten. Auch diese “im-Haus-Aktivitäten” sollen nach Möglichkeit ausserhalb der Stationsräume stattfinden.

Neben dem Spass ergeben sich aus all diesen Aktivitäten Gespräche, die die Beziehungsarbeit fordern. Der Patient mit seinen emotionellen und Intellektuellen Fähigkeiten wird anders erlebt und dadurch wird das Gesamtbild vervollständigt bzw. korrigiert Neben den ,Montag-Aktivitäten’ ist das Pflegeteam im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten für das Ausfüllen der freien Zeiten der Patienten zuständig.

Gespräche

Die zentrale Grundlage der psychiatrischen Behandlung bilden die Gespräche zwischen Patienten und allen all der Genesung Mitwirkenden. Das allererste sehr wichtige Gespräch – die Pflegeanamnese – findet bei der Aufnahme statt: der Patient, seine Begleitung (Angehörige oder Mitarbeiter einer Pflegeeinrichtung), der Arzt und eine Person aus dem Pflegeteam besprechen die Lebensgeschichte, die Störungen und möglichen Ursachen. Aber auch die Wünsche und Erwartungen an den Klinikaufenthalt werden erfragt. Von zentraler Bedeutung sind ebenfalls die Gespräche in den späteren Arzt-, Oberarzt bzw. Chefarztvisiten. Es wird sich nicht nur nach der Befindlichkeit des Patienten erkundigt, sondern mit ihm der Stand der Therapie sowie die Lebensperspektiven besprochen, daher nimmt neben einem Mitarbeiter aus der Pflege auch die Sozialarbeiterin an diesen Visiten teil.
Die Sozialarbeiterin wird sich zusammen nur den Angehörigen um Koordinationsarbeiten mit den Behörden im Bezug auf Pflegegeld oder Betreuung, mit den ambulanten Diensten für Hilfe im häuslichen Bereich oder mit einem Altenwohn- und Pflegeheim für eine Heimunterbringung kümmern. Sie hat nicht nur eine beratende und unterstützende Funktion, sondern beteiligt sich aktiv an der Planung des Lebens nach dem Klinikaufenthalt. Zusammen mit dem Patienten macht sie Hausbesuche oder besichtigt mit ihm die künftige Pflegeeinrichtung (diese Aufgaben werden auch teilweise durch die Mitarbeiter des Pflegeteams wahrgenommen).
In regelmässigen Abständen werden die Angehörigen zu Gesprächen mit dem Arzt, einer Pflegeperson und der Sozalarbeiterin eingeladen. Der Patient nimmt auch an diesen Runden teil – schließlich geht es um ihn. Lebt der Patient in einer Einrichtung, wird ein Mitarbeiter bzw. die Bezugsperson zum sogenannten Pflegegespräch eingeladen. Bei diesen Treffen wird der Ist-Zustand sowie die Lebensperspektive besprochen. Zweimal im Monat werden die Angehörigen zu hausübergreifenden Gesprächsrunden eingeladen. Diese Runden sollen Gelegenheit geben, miteinander ins Gespräch zu kommen, um Rat, Hilfe und Begleitung zu erfahren.

Belastungsversuche

Am Ende der Behandlung stehen für alle Patienten, die nach Hause entlassen wenden, Belastungsversuche an. Sinn und Zweck dieser Versuche ist es herauszufinden, ob der Patient mit den Belastungen seiner alltäglichen Umgebung klarkommt, ob er zu Absprachen fähig ist, wie er die Zeit außerhalb der schützenden, aber auch kontrollierenden Stationswelt verbringt, in welcher Verfassung er zurückkommt. Die Belastbarkeit des Patienten soll überprüft werden und damit auch die Möglichkeit einer Entlassung. Anfangs verläßt der Patient, begleitet durch eine Pflegekraft, für wenige Stunden die Station. In einem weiteren Stadium verbringt er allein den Nachmittag in seiner Wohnung. Vor der Entlassung bleibt er das ganze Wochenende zu Hause.

Entlassung

Statistisch gesehen bleiben alle Patienten 27 Tage in der Klinik, jedoch variiert die Verweildauer zwischen 8 Tagen und fast einem Jahr. Am Entlassungstag gehen viele Patienten zurück nach Hause und werden dort teilweise von ambulanten Diensten betreut. Für einige Patienten schliesst sich noch eine Nachbehandlung in der Tagesklinik an oder es erfolgt die Anbindung an eine der Gerontotagesstätten. Nach Abschluss der stationären Behandlung übersiedeln ca. 15% der Patienten in ein Wohn- und Pflegeheim, manchmal freiwillig, jedoch vorwiegend durch den Willen eines gesetzlichen Betreuers. Patienten, die aus einem traditionellen Altenheim oder einer Wohngruppe kommen, werden in der Regel bis auf ganz wenige Ausnahmen zurückverlegt. Wer nicht zurückverlegt wird, findet Aufnahme in einem gerontopsychiatrischen Wohn- und Pflegeheim.

Psychiatrie und Gewalt

Man kann nicht von der Psychiatrie reden ohne das Thema Gewalt anzuschneiden. Gewalt und Psychiatrie gehen in der allgemeinen Vorstellung einher und die Gewalt taucht in der Tat in vielfältiger Form auf. Auch in der Gerontopsychiatrie gehört sie zum Alltag, wenn auch nicht so massiv und dramatisch wie in der Allgemeinpsychiatrie. Manche Patienten werden schon im Vorfeld der Aufnahme mit der institutionellen Gewalt, der Zwangsbehandlung konfrontiert. Aufgrund des Psychisch-Kranken-Gesetz (Psych KG) zur Regelung der Psychiatrie und Gewaltgeschlossenen Unterbringung bzw. Zwangseinweisung oder aufgrund des Betreuungsgesetzes zur Regelung der Betreuung im Lebensbereich Heilbehandlung werden sie auf eine geschlossene Station gebracht. Das Umfeld der Einlieferung selbst ist manchmal hochdramatisch und demütigend: in Begleitung der Polizei, festgeschnallt auf der Liege irgendeines Krankentransportes. Die Tür fällt zu, der Tatbestand des Freiheitsentzugs ist erfüllt. Manche Patienten müssen fixiert werden, entweder im Bett mit Fixiergurten oder in einem Sessel mit Bauchbrett. Auch dies ist eine institutionelle Form der Gewalt: der Arzt ordnet zur Sicherung des Patienten, des Pflegeteams, der Mitpatienten die Massnahme an, der Richter gibt ihr innerhalb von 24 Stunden die Rechtsgrundlage. Die Fixierung selber verläuft meist unter Anwendung von körperlichen Gewalt seitens des Patienten sowie seitens des Personals.
Eine etwas andere Form der Gewalt ist mit der Einnahme von Medikamenten, von Psychopharmaka verbunden. Der Aufenthalt in der Psychiatrie ist fast immer mit einer Einnahme von Psychopharmaka schon vom Aufnahmetag an verbunden. Nach Meinung der Experten haben die Psychopharmaka einen ganz wesentlichen Beitrag zur Humanisierung der Psychiatrie geleistet. Dennoch können Medikamente mannigfaltige negative Auswirkungen auf den Patienten haben, denen er ausgeliefert ist. Manche Patienten erleben auch die Medikamentengabe als eine Form der institutionellen Gewalt und verweigern deren Einnahme mit der Folge, dass ein gewisser psychiatrischer Zwang auf sie ausgeübt wird. Es geht von dem mit leichtem Nachdruck guten Zureden, bis hin zur Zwangsmedikation in der Fixierung.

Diese drastischen Massnahmen sind in der Geronto eher selten. Dass Medikamente ohne Wissen des Patienten im Pudding oder Getränke verabreicht werden, um eine Konfrontation zu vermeiden, wird nicht gemacht. Es verstösst gegen die Prinzipien der psychiatrischen Arbeit – nämlich Ehrlichkeit und Offenheit -, um eine sehr wichtige Vertrauensbasis zwischen Patient und Pfleger zu schaffen. lsolierzimmer und Weichzimmer (Gummizelle) sind abgeschafft worden. Jedoch können Patienten teilweise vom Stationsalltag ausgeschlossen werden. Z.B. in Form von einem Verweis aus dem Esszimmer, wenn die Situation dort eskaliert oder im Rahmen eines Esstrainings wird allein mit einem Mitarbeiter auf dem Zimmer gegessen. Das Verletzen der Privatsphäre ist auch eine Form der Gewalt, die manche erdulden müssen. Es handelt sich dabei um das Durchsuchen der Privatsachen, des Schrankes, des Bettes, des Nachttisches des Patienten nach Suchtmitteln oder nach für ihn und die Allgemeinheit gefährlichen Gegenständen wie z.B. Feuerzeug, wenn jemand äussert, imperative Stimmen zu hören, die ihm befehlen, das Haus anzuzünden. Dieses “Filzen” erfolgt nach den Grundsätzen der Offenheit im Beisein des Patienten, nachdem er über dessen Sinn und Zweck informiert wurde. Es bleibt jedoch sehr entwürdigend und belastend für alle Beteiligten, sowohl für die Patienten wie auch für die Pflegenden.
Gewalt ergibt sich auch durch die räumliche Enge auf der Station. Die Patienten können nicht hin und her gehen wie sie möchten. Die Stationstür ist zu, manchmal auch die Tür zum eingezäunten Garten. Es gibt Patienten, die nur Ausgang in Begleitung eines Mitarbeiters haben. Diese Patienten müssen sich dem Dienstplan beugen und warten, bis genügend Mitarbeiter im Dienst sind. Zahlreiche Anordnungen regeln das Leben auf der Station, um die Pflege, Betreuung und Gesundung der Patienten zu sichern. Wenn diese Regeln zu starr und nicht transparent genug für jeden einzelnen sind, werden sie als institutionelle Gewalt empfunden und rufen unter Umständen Gegengewalt hervor. Manche Krankheitsbilder wie schwere Psychosen, Alkoholabhängigkeit oder Unverständnis und Hilfslosigkeit auf Grund schwerer Demenz prädestinieren gerade die davon betroffenen Menschen zu gewalttätigen Handlungen. Starre Regelungen, mangelnde Bewegungsfreiheit tun ihr übriges. Die Aggressionen entladen sich nicht nur gegen das Pflegepersonal oder Gegenstände, sondern auch gegen Mitpatienten. Neben diesen offenen Formen der Gewalt existieren auch subtile Formen der Gewalt. Dazu gehören z.B. die verschlossenen Schranktüren, das Aufbewahren von Wertgegenstände oder Zigaretten im Dienstzimmer. Dies geschieht vordergründig zur Sicherung des Eigentums vor verwirrten Mitpatienten und auch zur Arbeitserleichterung für das Pflegepersonal, jedoch steckt darin auch eine Bevormundung des Patienten.

Literaturverzeichnis

  • Irren ist menschlich”, Dörner/Plog, Psychiatrie Verlag
  • “Psychopharmaka – Medikamente, Wirkung, Risiken”, Otto Benkert, Beck’sche Reihe
  • “Grauzonen der Psychiatrie”, Friedrich Leidinger, Psychiatrie Verlag
  • “Menschen mit psychischen Störungen”, Leben in Bethel, Heft 4

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