Familienaufstellungen nach Bert Hellinger
Die systemische Familientherapie Bert Hellingers erlebt seit einigen Jahren eine phänomenale Entwicklung. Kaum ein Therapeut in Deutschland der nicht zumindest schon davon gehört hat. Veranstaltungen, in denen Bert Hellinger mit zum Teil schwerkranken Menschen arbeitet, füllen Säle mit fünfhundert Teilnehmern und mehr. Dieses überwältigende Interesse ist nicht allein auf die Persönlichkeit Hellingers zurückzuführen. Es ist die Arbeit selbst, die Fachleute und Laien gleichermaßen fasziniert. Familienstellen oder Familienaufstellungen, wie es auch genannt wird, ist eine von mehreren Formen der Systemischen Familientherapie und wird als Kurztherapie in Seminaren oder Einzelarbeit angeboten.
Die Ursprünge systemischen Denkens in der Therapie stammen aus den fünfziger Jahren. Damals begannen in den USA mehrere Gruppen damit, sich mit dem System Familie in der Therapie zu beschäftigen. Ein System definiert sich aus einer Anzahl einzelner Elemente. Sobald sich ein Element verändert, hat es automatisch Auswirkung auf die anderen Elemente. Gleiches gilt für das System Familie. Jedes Mitglied hat, ob bewusst oder unbewusst, Anteil an dem Leben der anderen. Die Symptomatik eines Familienmitgliedes wurde also nicht länger als eine individuelle Problematik gesehen, sondern als ein Ausdruck der Beziehungsstrukturen in der Familie. Viele Forscher und Therapeuten entwickelten aus dieser Sicht heraus neuartige Behandlungs- und Interventionsformen. Es war u. a. Virginia Satir, die wertvolle Elemente in die Arbeit mit Familien einbrachte, indem Sie die Mitglieder aufforderte ihre Rolle innerhalb der Familie szenisch darzustellen. “Skulpting” nannte sie diese Methode, und bezeichnete damit das skulpturartige Aufstellen der Familienangehörigen nach ihrem eigenen Bild. So zum Beispiel den idealisierten Vater als starken Helden mit stolz geschwellter Brust, oder die ewig träumende Mutter als tanzende Ballerina.
Diese Form der Voreinstellung im Erleben des Betreffenden gibt es in der Arbeit Bert Hellingers nicht. Wohl aber das Auf-Stellen des Familienbildes. Dabei wählt der Aufstellende aus den Gruppenmitgliedern Stellvertreter für seine Angehörigen aus und stellt sie entsprechend seinem inneren Bild im Raum auf. Es ist eher selten, dass Angehörige mit dabei sind und auch nicht nötig, denn mit Hilfe der Mitglieder der Gruppe wird ihren Gefühlen Ausdruck verliehen. Das klingt unwahrscheinlich und ist in der Tat eine Erfahrung, deren Faszination man sich kaum entziehen kann. Mit-Gefühl bekommt plötzlich einen ganz anderen Sinn.
Familienaufstellungen nutzen etwas völlig Neues, das bislang in keiner Therapierichtung bewusst eingesetzt wurde. Albrecht Mahr prägte dafür den Begriff des “Wissenden Feldes” in Anlehnung an Sheldrakes Vorstellung vom “Morphogenetischen Feld”. Bezeichnet wird damit der Umstand, dass Stellvertreter die “Wirklichkeit” ihnen fremder Menschen spüren und erleben können. Diejenigen, die ihr Familienbild gestellt haben, sind immer wieder erstaunt, wie genau die persönlichen Eigenarten des Dargestellten wiedergegeben wird. Bei so viel “Wirklichkeit” gerät schon mal in Vergessenheit, dass wir es mit dem inneren Bild eines Menschen und dessen Repräsentanzen zu tun haben. Nachdem alle Stellvertreter ausgewählt und aufgestellt wurden, beginnt der Therapeut, sich auf die Suche zu machen. Die Stellvertreter sind in ihren Rollen von ihren eigenen Geschichten frei (und kennen doch mitunter Parallelen). Sie sind viel weniger befangen als der Klient selbst, und sind meist zutiefst motiviert eine Lösung zu finden. Der Therapeut befragt die Protagonisten nach dem Befinden und stellt das Bild Schritt für Schritt um. Dabei prüft er durch Nachfragen, ob der neue Platz besser ist. Während der einzelnen Schritte kann es zu starken Gefühlen kommen (Schmerz, Wut, Trauer, Erleichterung, Freude etc.), die die Stellvertreter erleben können, als wären es ihre eigenen.
Zum Schluss, wenn eine Lösung gefunden ist wird der Klient selbst in das Bild gestellt. Manchmal sind dann noch
weitere Schritte nötig oder es werden noch lösende Sätze an den einen oder anderen Stellvertreter gerichtet. Das
Lösungsbild nimmt der Klient so ganz in sich auf. Die Wirkung einer Aufstellung bleibt bei ihm und überträgt sich
nicht auf die angesprochenen Familienmitglieder. Vielleicht geschieht dies einmal später, wenn sich mit Hilfe der
gewonnen Einsichten auch die Gefühle verändert haben, und die Liebe auch in der Realität wieder fließen
kann.
Während des Prozesses geht es nicht darum, eventuelle Ursachen für Dieses oder Jenes herauszufinden. Die
Basis der Beziehung zu den Eltern ist und bleibt die Liebe. “Wir sind unsere Eltern”, sagt Bert Hellinger, und erst
wenn das geachtet wird, kann die Liebe und auch die Kraft wieder fliessen. Das ist eine ungewöhnliche Sicht, denn
Psychotherapie, wie sie die meisten Menschen kennen, sucht gerne Schuld und Ursachen in der Herkunft und im
Fehlverhalten des Vaters oder der Mutter. Doch es waren unsere Eltern, die uns das Leben gaben und nur durch sie kann
es zu uns fließen. So wie es vielleicht durch uns in unsere Kinder weiterfließt. Das ist eine ganz tiefe Ebene der
Anerkennung und Achtung großer Kräfte. Wenn das in einer Aufstellung gelingt, ist es sofort für alle überzeugend
sichtbar. Der Klient entspannt sich, atmet tief durch und berichtet oft von einem Gefühl der Leichtigkeit.
In den Aufstellungsgruppen entsteht sehr schnell eine vertrauensvolle mitfühlende Gestimmtheit. Die Thematik betrifft schließlich jeden von uns, und es mag erleichternd sein zu erkennen, dass uns fremde Menschen oft ganz ähnliche Geschichten haben. Wer selbst eine Aufstellung machen möchte, sollte vorher möglichst genaue Daten über die Mitglieder seiner Familie erfragen. Wichtig sind dabei die eigenen Geschwister, die Eltern und ihre Geschwister, die Großeltern und deren Geschwister, jetzige oder frühere Partner und die Kinder. Aber auch wenig Beachtete oder längst Vergessene, wie z. B. früh Verstorbene und abgetriebene Kinder können wichtig sein. Sie alle gehören schließlich dazu, waren und sind Teile des Systems. Innerhalb der Familien gibt es, wie in jedem anderen System auch, Bedingungen die erfüllt sein müssen. Bert Hellinger hat im Verlauf vieler Jahre einige wesentliche Erkenntnisse über diese Grundordnungen und die darin wirkenden Kräfte herausgefunden. Er verweigert sich jedoch gegen jeden Versuch, daraus eine allgemein gültige Theorie zu konstruieren. Sein Vorgehen ist phänomenologisch: das, was ist, stellt keine objektive Wirklichkeit dar oder ein Gesetz, sondern die lebendige Wirklichkeit, etwas Schöpferisches. Folglich sieht er auch die Rolle des Therapeuten eher als die eines Begleiters, der einem System hilft, seinen Weg und seine Ordnung zu finden. Er stellt sich auf die Seite der Eltern und derer, denen Unrecht getan wurde. “Denn das Heilende geht von denen aus, nicht von mir.”
Tasso Hildebrand, geb 1958, Autor unseres Beitrags, hatte 1996 ersten Kontakt zu Familienaufstellungen, nach Selbsterfahrungen und Mitwirken in der FA Arbeitsgruppe, hat anschließend 1,5 Jahre Fortbildung und Supervision bei Laszlo Mattyasovsky besucht, der in der Essener Paracelsus Schule ein Seminar durchführen wird.
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