Warum sind die meisten Diäten zum Scheitern verurteilt…?
…oder, warum machen Diäten dick, krank und unglücklich?
von Volkmar Gerlach, Oecotrophologe
Teil 1
Jedes Frühjahr das gleiche: Der ganz normale Abspeckwahn.
Unterstützt wird die Lieblingsbeschäftigung vieler Deutschen durch kiloweise Frauenzeitschriften, die ihre neue und
sanfteste aller Diätformen in den Himmel heben und gleichzeitig die vorzeitlichen Crashkuren der Konkurrenz als höchst
ungesund darstellen.
Hier wird mit 5 bis 6 Mahlzeiten über den Tag verteilt, versprochen, ohne Frust viele Kilos
abnehmen zu können. Schaut man sich diese Diäten doch etwas genauer an, so kommt man immer auf eine etwaige
Kalorienzahl von 1000.
Der Anfangserfolg stellt sich schnell ein und die Pfunde purzeln, aber überwiegend in Form
von Wasser.
Man kann sich jedoch anstellen wie man will. Nach ein paar Tagen stagniert die Gewichtsreduktion. Genau
diese Tatsache ist dafür verantwortlich, daß entweder die Diät sofort abgebrochen oder noch wochenlang weiter
gefrustet wird. Letzteres löst irgendwann das berühmte Frustfressen aus, was in Wiederholungsfällen im schlimmsten
Fall zu ernsthaften Erkrankungen, wie Bulimie führen kann.
Natürlich gibt es auch Menschen, die mit weniger Frust
abgenommen haben und ihr Gewicht einfach und die Betonung liegt hier auf “einfach”, nur halten möchten.
In 95
Prozent aller Fälle jedoch, stellt sich die Katze wieder auf die alten Füße und der Zeiger der Waage pendelt sich
wider da ein, wo man angefangen hat zu fasten. Noch schlimmer! Man wird immer dicker.
Aber warum ist das so?
Der menschliche
Organismus läßt sich eben nicht so leicht austricksen. Warum sollte sich ein Mechanismus, der schon seit Millionen von
Jahren so funktioniert, plötzlich vorschreiben lassen, wie dick er sein darf?
Schon vor Urzeiten, als der Homo
sapiens auf die Jagd ging, und manchmal tagelang wegen des spärlichen Nahrungsangebotes nichts zu beißen bekam, mußte
sich der Körper zu helfen wissen um nicht zu entkräften oder gar zu verhungern. Der Organismus stellt auf
“Sparflamme”, d.h. sein Energieumsatz bzw. sein Grundumsatz liegt deutlich unter dem normalen. Die Körperreserven in
Form von Fett werden zurückgehalten und verlangsamt aber intensiv verstoffwechselt. Wird nun bei reichhaltigem
Nahrungsangebot wieder normal gegessen, stellt sich der Körper nur sehr langsam wieder auf das Angebot mit einer
weiterhin sehr intensiven Nahrungsverwertung ein. Der Mensch nimmt nicht nur wieder zu, sondern setzt auch noch über
sein Anfangsgewicht darüber hinaus an. Das festgelegte Überlebensprogramm, heute JOJO-Effekt, kann man halt nicht
einfach ausschalten. Daß es heute in unserer Überflußgesellschaft, wo der Grundumsatz in aller Regel freiwillig
zurückgeschraubt wird, noch ausgezeichnet funktioniert, sieht man daran, daß Diäthaltende immer dicker werden, je
öfter sie fasten. Der Körper wird sich immer daran erinnern, daß er damals nichts zu Essen bekam und hält zurück was
er kann, um für die nächste Krise gewappnet zu sein.
Eine Frage des Willens?
Im Zusammenhang mit dem Begriff Diät fällt in jüngster Zeit immer wieder der
Begriff des Setpoints. Er löste die veraltete Version des “Idealgewichts” ab und gab vielen Frustrierten wieder Mut,
denen “fehlende Willenskraft” unterstellt wurde. Der Körper strebt ein bestimmtes Gewicht an und versucht dies mit
allen Mittel zu verteidigen und hilft zu erklären, warum die allermeisten Versuche scheitern, ein einmal erreichtes
Gewicht dauerhaft zu senken.
Irgendwie ungerecht. Der Eine kann essen was er will, ohne ein Gramm zuzunehmen und
der andere setzt bereits beim “bloßen Hinsehen” an. Das Gewicht scheint also genetisch vorprogrammiert zu sein. Belege
dafür, liefern Tierversuche. Bei Mäusen beispielsweise, haben Wissenschaftler Gene entdeckt, die über schlank oder
dick entscheiden. Ein einziger Fehler im Erbgut und das Tier wiegt doppelt so viel , wie seine Artgenossen. Bei diesem
Gendefekt handelt es sich um die Unfähigkeit, Leptin zu bilden, was schließlich, von außen wieder zugeführt, zu einer
erheblichen Gewichtsreduktion bei den Tieren führte. Auch bei dicken Menschen mit Leptinmangel wurden durch
Verabreichung des Hormons bereits Erfolge erzielt.
Ebenfalls angeboren ist die Tatsache, daß einige Menschen die
Nahrungsenergie stärker in Wärme umwandeln, wofür sich besondere Eiweiße im braunen Fettgewebe verantwortlich zeigen,
und andere Menschen mehr Fettpolster bilden.
Und schon lange weiß man um Studien mit eineiigen Zwillingspaaren, die
sich nicht nur im Körperbau, sondern auch in ihren Nahrungsvorlieben sehr ähneln, selbst wenn sie getrennt
aufgewachsen sind. Ein Indiz, wie stark die Gene durchschlagen.
Es muß allerdings noch andere
Erklärungsmöglichkeiten für Übergewicht geben, denn die rapide Zunahme der Adipösen in den Industrieländern in den
letzten 30 Jahren läßt sich mit der Vererbungstheorie nicht erklären.
Der vermeintliche und so oft gescholtene
Übeltäter für übergewichtige Menschen ist das Fett. Fett wiederum wird in den Fettzellen des Körpers gespeichert. Sind
die Fettzellen gefüllt, empfinden wir weniger Hunger, sind sie leer, empfinden wir mehr Hunger. Vererbung spielt
sowohl bei der Anzahl als auch bei der Verteilung der Fettzellen eine Rolle. Zudem ist jedoch heute erwiesen, daß
durch Gewichtszunahme die Anzahl der Fettzellen vermehrt, sie durch Abspecken aber niemals abnehmen kann.
Der Grundstein für Übergewicht und hier beginnt leider das Dilemma, wird bereits in der Kindheit gelegt.
Wo bei
den Kindern früher Indianerspiele, Fußball und Räuber und Gendarm in Vordergrund traten, sind es heute Fernsehen und
Computerspiele, die das Kinderzimmer erobert haben. Etwa 10-20 Prozent der Kinder heute bringen deutlich mehr auf die
Waage als die Kinder vor 20 Jahren. Ein eindeutiger Mangel an Bewegung, sind sich die Experten heute einig. Diese
Veränderung des unkontrollierten Fettzellenanwuchs in unserm Körper ist dafür verantwortlich, die es uns im
Erwachsenenalter zu einem unmöglichen Unterfangen werden läßt, dauerhaft abzunehmen.
Die Unfähigkeit langfristig
abzuspecken ist also kein moralisches Problem, sondern ein rein biologisches Problem. Das sieht man daran, daß sich in
den Industrienationen der Konsum von Fett bei exakt 40 Prozent einpendelt, obwohl die allgemeinen Empfehlungen
zwischen 25 und 30% liegen.
Dazu kommt selbstverständlich auch noch das sogenannte falsche Ernährungsverhalten,
ausgelöst durch beruflichen Streß oder psychischen Problemen, das uns den Gang zur nächsten Pommesbude erleichtert.
Aber vielleicht verlangt der Körper genau in dieser Situation fetthaltige Speisen, um eine Befriedigung zu
erlangen.
Wissenschaftler sind der Ursache auf die Lust nach Fett auf die Spur gekommen. Ein Botenstoff im Gehirn,
das Galanin, scheint dafür verantwortlich zu sein. Der Galaninspiegel kann von Mensch zu Mensch verschieden sein, kann
aber auch von Tag zu Tag schwanken. Bei Frauen beispielsweise weiß man, daß er unter anderem von der Menge der
Geschlechtshormone abhängt. An manchen Tagen geben die Eierstöcke größere Mengen der Hormone Östrogen und Progesteron
ab. Sie gelangen ins Gehirn und verstärken hier die Bildung von Galanin. Die Folge: Der Körper verlangt nach Fett.
Die
Sache mit dem Serotonin
Wir können uns auf den Kopf stellen: Immer wieder nach den Wintermonaten zeigt
uns die Waage unmißverständlich unsere kulinarischen Sünden auf. Das waren dann wohl wieder mal die Plätzchen und
Christstollen oder die viele Schokolade.
Aber warum essen wir in den Wintermonaten mehr Süßes? Maßgeblich schuld an
diesem Zustand ist die geringere Einstrahlung des Sonnenlichts. Licht und Zucker beeinflussen die Bildung und den
Abbau des Neurotransmitters Serotonin, auch Glückshormon genannt. Ist der Serotonienspiegel hoch, so geht’s uns gut,
ist er niedrig, sind wir schlecht drauf. Licht und Zucker greifen insofern in den Serotoninstoffwechsel ein, als Licht
den Abbau von Serotonin bremst und Zucker seinen Pegel ansteigen läßt.
Da wir nun versuchen mit allen Mitteln
seinen Spiegel hoch zu halten, müssen wir das fehlende Licht durch viel Süßigkeiten kompensieren.
Und was lernen
wir aus alledem? Das Problem liegt nicht an dem Zuviel an Fett oder Zucker, sondern an den Lebensumständen, die uns
dazu zwingen, das zu essen, was wir brauchen. Wir unterliegen in den allermeisten Fällen einer natürlichen
Gewichtsregulation.
Und wie kann man nun den vielen Menschen helfen, die sich nichts sehnlicher wünschen, schöner
und schlanker zu werden?
Sie haben in der Regel bereits mehrfache Niederlagen, sprich Abmagerungskuren, hinter sich. Solchen Menschen muß man
unmißverständlich mit der Wirklichkeit konfrontieren, die sie ohnehin oft schon ahnen: daß ihr körperlicher Zustand
völlig “normal”, d.h. nicht krankhaft ist, daß ihr “Typ” ein unabänderlicher Bestandteil unserer Gesellschaft ist und
daß Nahrungsbeschränkungen gleich welcher Art nichts bewirken können als allenfalls Gesundheitsschäden.
Studien
legen nahe, daß Abspecken zumindest für einen Teil der Dicken ziemlich ungesund sein kann: Sie scheinen nach der Diät
anfälliger für einen Herzinfarkt zu sein und früher zu sterben als Dicke, die ihr Gewicht gehalten haben. Sicher ist
mittlerweile zumindest, daß jemand, der nach einer Diät wieder sein Ursprungsgewicht erreicht, gesundheitlich deutlich
schlechter dran ist, als wenn er gar nicht abgenommen hätte.
Keine Langzeitstudie konnte jemals einheitlich eine
Senkung der Sterblichkeit nach Abnehmen belegen.
Grund zum Aufatmen für Millionen von Adipösen? Ein Freibrief für
maßloses Weiteressen? Keineswegs! Man darf die Kategorie von Mensch nicht vergessen, die an Maßlosigkeit und
Bequemlichkeit leiden. Der Hauptfeind für dessen überschüssige Kalorien heißt schon seit Millionen von Jahren immer
wieder: Bewegung, Bewegung und Bewegung.
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