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Psychotherapie
Lesezeit: 6 Minuten

„Ich bin O.K. – Du bist O.K.”

„Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein,
aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.“
(Khalil Gibran – Von den Kindern)

Gefühle werden Stühle
2011-03-OK1Schulkinder der 3. Klasse lernen, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen.

Während meiner Ausbildung zur Psychologischen Beraterin an der Paracelsus Schule Kassel entwickelte ich als Abschlussarbeit das Projekt „Ich bin O. K. – Du bist O. K.“, das in Zusammenarbeit mit einer 3. Grundschulklasse über einen Zeitraum von einem Jahr und vier Monaten angelegt war.

Da ich im Zuge meiner Ausbildung die Fachqualifikation systemische Familien-, Paar- und Einzelberaterin sowie die Zusatzqualifikation systemische Kinder- und Jugendberaterin erworben hatte, betrachtete ich das laufende Projekt unter systemischen Gesichtspunkten.

Meine Überlegungen zum Projekt
Familien und Schulen haben eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft. Unter den zunehmend komplexen Rahmenbedingungen der modernen Industriegesellschaft sind sie den Belastungen und Veränderungen nur gewachsen, wenn sie in der Lage sind, das kommunikative und kreative Potenzial ihrer Mitglieder zu aktivieren.

Neben den akademischen Fächern ist es daher dringend notwendig, auch Selbstvertrauen, Sozialverhalten und Gesundheitsbewusstsein zu schulen.

Unsere Kinder und Jugendlichen lernen in der Schule viele Dinge – das kleine 1×1, wie hoch der Eiffelturm, wie lang die Elbe oder die Werra sind und vieles mehr an reinen Dateninformationen. Was sie leider nicht lernen, ist die Antwort auf die Frage, wie sie eigentlich gut durchs Leben gehen können, wie man sich selbst Ziele setzt und diese auch erreicht, wie man erfolgreich und glücklich leben kann.

Ich will diesen Zustand verändern und unseren Kindern eine Orientierungshilfe geben, so entstand mein Projekt.

Das Konzept
Unser Gehirn kann wesentlich mehr, als wir bis jetzt gebrauchen. Jeder von uns hat viele ungenutzte Ressourcen in sich und um diese zu fördern, lege ich bei der Arbeit mit Kindern auf vier Bereiche großen Wert:

  • Selbstvertrauen und Eigenverantwortung
  • Ganzheitliches Gesundheitsbewusstsein
  • Soziales Miteinander
  • Lernmethoden, ganzheitliche Lernstrategien

Im Vordergrund der lösungsorientierten Arbeit stehen die Aufdeckung der individuellen Fähigkeiten und die Stärkung des Selbstbewusstseins.

Die Grundannahme lautet
Wir Menschen haben alles in uns, um unsere Probleme zu lösen. Auf der Suche nach Lösungen nutzen wir das, was positiv wirkt und hilft. Wertschätzung und die Besinnung auf die eigenen Stärken sind wichtig, aber auch neue Blickwinkel.

Die Lösung in den Blick zu nehmen und nicht das Problem. So finden Menschen neue Sichtweisen, gewinnen zusätzliche Handlungsmöglichkeiten und entdecken ungenutzte Ressourcen.

Es geht nicht um Schuld oder Wahrheit, sondern einzig um Lösungen.

Das Ziel
ie Kinder entwickeln eine positive Einstellung zu ihren Gefühlen und wissen, was sie selbst dafür tun können.

Die Kinder lernen die Bedeutung von Gefühlen kennen.

Die Kinder entwickeln persönliche und soziale Kompetenzen:

  • Was sehe ich?
  • Was fühle ich?
  • Ich nehme den Anderen wahr!

Sie lernen mit Gefühlen und Stress umzugehen, Konflikte zu lösen, sich selbst zu behaupten.

„Das, was wir tun, wirkt viel mehr, als das, was wir sagen.“

Praktische Umsetzung
„Ich bin, was ich lerne.“ Nach dem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erik H. Erikson, in diesem Fall die 4. Stufe, heißt es, dass Kinder im Grundschulalter – 6. Lebensjahr bis zur Pubertät – sehr neugierig und wissbegierig sind. Sie wollen zuschauen, mitmachen und beobachten, wollen, dass man ihnen zeigt, wie sie sich mit etwas beschäftigen und mit anderen zusammenarbeiten können. Das Bedürfnis des Kindes, etwas Nützliches und Gutes zu machen, bezeichnet Erikson als Werksinn bzw. Kompetenz.

Und genau das hat mich dazu motiviert – und ist meine absolute Überzeugung, in diesem Alter hier und jetzt mit den Kindern zu arbeiten und einen Grundstein zu legen.

Die Schüler, Eltern und Lehrer der Grundschule in meinem Wohnort brachten mir sehr viel Vertrauen entgegen und ich bekam die Möglichkeit, meinen Unterricht völlig selbstständig, eigenverantwortlich und allein zu gestalten. Wöchentlich wurden mir eine bzw. zwei Stunden zur Verfügung gestellt, je nach Bedarf.

Zusammen mit den Schülern befasste ich mich mit den vielfältigen Emotionen. Um diese sichtbar zu machen, wurden mithilfe von Stühlen z.B. die Gefühle Wut, Freude oder Stärke dargestellt, indem sie die Stühle mit Bildern beklebten, bemalten oder Poster bastelten, die sie daran befestigten.

Bedeutung der einzelnen Stühle für die Kinder:

2011-03-OK2Der Stärke-Stuhl
Die Kinder lernten, ihre verloren gegangenen Kräfte – nach einem anstrengenden Vormittag in der Schule – wieder zu mobilisieren, z.B. durch ihre Hobbys, Familienmitglieder oder Freunde. Denn nur wer sich einen Ausgleich schaffen kann, der kann auch wieder Leistung erbringen. Die Waage zu halten, zwischen Kraft abzugeben und Kraft wieder einzusammeln, das war für sie die wichtigste Erkenntnis. „Und so ganz nebenbei hat das auch noch Spaß gemacht!“, war die Aussage der Schüler. „Kraft auftanken, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen! Denn jetzt unseren Spaß zu haben heißt: morgen früh wieder gut lernen zu können!“

2011-03-OK3Der Wut-Stuhl
Sie sind sich im Einzelnen darüber klar geworden: Was macht mich überhaupt wütend? Zum Beispiel: Mithilfe von Spiegeln haben sie festgestellt, wie sie aussehen, wenn sie wütend sind und wie ihre Mitmenschen sie wahrnehmen, wenn sie wütend sind, dass es Kraft kostet und sogar Spaß machen kann, wenn sie sich im Spiegel anschauen und dabei dachten, sie würden ganz anders aussehen, wenn die Wut über sie kommt. Hier einige Aussagen der Schüler:

  • „Es ist so anstrengend wütend zu sein!“
  • „Und ich dachte immer, alle haben Angst vor mir, wenn ich wütend bin.“

Endlich einmal das alles aussprechen zu dürfen, was einen wütend macht, und auch zu wissen, was den anderen wütend macht, das war das Wichtigste überhaupt.

2011-03-OK4Der Freude-/Freunde-Stuhl
Sie haben darauf bestanden, diesen Stuhl so zu nennen, denn sie haben festgestellt, wie toll ihre Gemeinschaft ist. Wie viel Freude sie zusammen hatten und wie viele Freunde sie in dieser gemeinsamen Zeit gewonnen haben.

Zur Freude der Schulklasse wurden die Stühle in Schaufenstern unterschiedlicher Geschäfte in unserem Städtchen ausgestellt und ein Zeitungsartikel wurde in unserer Tageszeitung veröffentlicht. Mittlerweile habe ich weitere Anfragen von anderen Schulen bekommen und so werde ich in zwei Städten, sogar länderübergreifend, mein Schulprojekt weiterführen können. Begeisterte Schüler, Eltern und Lehrer haben mir die Energie gegeben, dranzubleiben und meine Arbeit mit viel Freude auszuüben!

Weiterführende Projekte
Zurzeit arbeite ich daran, die „Wut“ gesellschaftsfähig zu machen. Ich bin mir bewusst, wie provokant dieses Thema ist, jedoch gibt es z.B. in Japan an den Schulen bereits täglich tolle Wut-Übungen und -Projekte, welche mich sehr beeindrucken.

Auf Dauer kann ich die Schulen nicht allein abdecken. Mein Ziel ist daher, mein Projekt zu unterrichten, damit es in Zukunft möglichst viele „systemische Berater“ an den Schulen gibt. Mein Projekt wird gerade zertifiziert, ein Fernsehauftritt im Herbst ist ebenfalls in Planung!

Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Paracelsus-Dozenten herzlich bedanken und natürlich auch bei meinen Kommilitonen, die mich während des gesamten Projekts unterstützt haben.

Sandra Ehrenberg
Sandra Ehrenberg
Psychologische sowie systemische Familien-, Paar- und Einzelberaterin
info@sandraehrenberg.de

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