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Naturheilkunde
Lesezeit: 10 Minuten

Sanfte Homöopathie bei psychischen Erkrankungen

© kasto I © Alex011973 - Fotolia.comDie Entwicklung der Homöopathie hat sich seit Samuel Hahnemanns Leben in zwei Epochen vollzogen. In den Jahren zwischen 1790 und 1824 hat Hahnemann die Grundlagen seiner Heilkunst formuliert und stellte die Anwendung der Ähnlichkeitsregel und die Gabe von verdünnten und verschüttelten Arzneien in den Vordergrund.

1810 beschrieb Hahnemann seine neuen Entdeckungen im Organon der Heilkunde. Die zweite Auflage dieses Werkes, nun mit dem Titel „Organon der Heilkunst“, folgte 1819, die dritte 1824. In der dritten Auflage führt Hahnemann die Zuckerkügelchen ein. Diese „Globuli“ halfen ihm, die Gabe der Arznei weiter zu verdünnen und somit beim Patienten eine mildere Wirkung zu erreichen. Trotz der weiteren Verdünnung kam es bei den Patienten immer wieder zu Verschlimmerungen der vorhandenen Symptome.

In der Zeit zwischen 1824 bis 1843 folgte die zweite Epoche in Hahnemanns Leben. In dieser Zeit forschte er unermüdlich, um die Arzneigaben zu optimieren. Hahnemanns Ziel war es, Erstverschlimmerungen zu eliminieren und schnellere Heilverläufe zu erreichen.

Aus diesem Grund entwickelte er in der „Pariser Zeit“ um 1840 noch höher verdünnte Arzneien. Nun wurde die Ausgangssubstanz nicht mehr im Verhältnis 1:100, sondern 1:50000 verdünnt. Er änderte die Anzahl der Schüttelschläge von 10 auf 100 pro Stufe. Durch die höhere Anzahl an Schüttelschlägen waren die neuen Potenzen in der Wirkung stärker und durch die höhere Verdünnung gleichzeitig milder in ihrer Wirkung. Hahnemann setzte die neuen Arzneien in seinen letzten Lebensjahren zwischen 1840 und 1843 vermehrt ein. Die C-Potenzen verloren für Hahnemann an Bedeutung. Er begann die homöopathische Behandlung mit den tiefen LM-Potenzen, zunächst fast ausschließlich mit Sulfur und Hepar sulfuris. In der Folgekonsultation wechselte er zum nächsten Mittel oder zur nächst höheren Potenz. So schrieb er im Organon § 270: „… so fährt man fort, bis durch gleiche Behandlung ein aufgelöstes Kügelchen XXIX mit 100 Tropfen Alkohol und mittels 100 Schüttelschlägen eine geistartige Arzneiflüssigkeit gebildet hat. Damit befeuchtete Streukügelchen erhalten den Dynamisationsgrad XXX.“

Hahnemann setzte die LM-Potenzen also nur bis zu LM 30 ein. In der heutigen Therapie werden vielfach auch Potenzen genutzt, die höher sind. Mit diesen Potenzen erzielen die Therapeuten gute Ergebnisse und setzen diese Arzneien vermehrt ein. Der Trend zu höheren Potenzen zeichnet sich besonders bei psychischen Erkrankungen ab. Zustände nach Schreck und Schock, also sogenannte Traumamittel, müssen schnell, zuverlässig und effizient wirken. Der Therapeut muss bei Bedarf schnell die Arznei wechseln können, ohne lange Wartezeiten einzuhalten. Diese Wirkqualitäten werden insbesondere von den hohen LMPotenzen abgedeckt und eine Potenz springt dabei besonders ins Auge: LM 500. Bei dieser Arznei handelt es sich um eine Potenz, bei der der Ausgangsstoff 500 Mal 1:50000 verdünnt wurde. Allerdings ist diese Arznei auch 50000 Mal verschüttelt worden. Aus diesem Grund liegt mit der LM 500 eine sehr kräftige, aber gleichzeitig auch milde Arznei vor. Unter der Therapie mit dieser Potenz sehen wir schnelle und sanfte Fallverläufe.

Die Behandlung von psychischen Erkrankung mit homöopathischen Medikamenten

Die Bandbreite an psychischen Erkrankungen, die uns in der heutigen Praxis begegnen, ist groß. Der Therapeut ist gefordert, diesen Patienten eine schnelle und effektive Therapie anzubieten. Diese sollte nebenwirkungsfrei sein und die unter Umständen verordneten Psychopharmaka nicht in ihrer Wirkung beeinflussen. Bei dem Einsatz von pflanzlichen Arzneien gibt es jedoch häufig Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen mit den chemischen Psychopharmaka. Daher sollte man bei einer unterstützenden Behandlung psychischer Erkrankungen auf homöopathische Medikamente zurückgreifen.

Die Homöopathie versteht sich als eine individualisierte Therapieform. Die Frage bleibt nur, wie der Therapeut die passende homöopathische Arznei für seinen Patienten findet. Bei psychisch kranken Menschen liegt häufig ein einseitiges Symptombild vor, da die Krankheit den kompletten Menschen in Mitleidenschaft gezogen hat. So stellt sich die Frage, welche Symptome zur Arzneimittelwahl herangezogen werden sollten.

Außer dem mentalen Bild haben wir auch noch die örtlichen Symptome, die Allgemeinheiten, eventuelle Leitsymptome, wodurch eine fundierte Wahl des Heilmittels ermöglicht wird. Wenn es bei einem Patienten nur mentale Symptome gibt, wird die Differenzialdiagnose zwischen den einzelnen Heilmitteln schwieriger. Psychische Krankheiten entspringen nach Hahnemanns Ansicht der psorischen Verfassung eines Patienten. Sie kommen als einseitige Äußerung anfänglich als eine akute miasmatische Krankheit an die Oberfläche und bestimmen nach und nach das ganze Krankheitsgeschehen.

Die wahre Ursache ist somit die psorische Veranlagung des Patienten, und die psychische Entgleisung fungiert als Überdruckventil, wodurch die psorisch-dynamische Spannung entweichen kann.

Organon § 215: „Fast alle Geistes- und Gemütskrankheiten sind Körperkrankheiten, bei denen das, jeder eigenthümliche Symptom der Geistes- und Gemütsverstimmung, sich unter Verminderung der Körpersymptome (schneller oder langsamer) erhöhet und sich endlich bis zur auffallendsten Einseitigkeit, fast wie ein Lokalübel in die unsichtbar feinen Geistesoder Gemütsorgane versetzt.“

Da Hahnemann schreibt, dass die psychischen Krankheiten nichts anderes sind als körperliche Krankheiten, muss der Therapeut eine komplette Anamnese aufnehmen. Die Gesamtheit der Symptome (körperliche und mentale Symptome) führen zum richtigen Heilmittel. In einer akuten Phase der Krankheit ist es allerdings nicht sinnvoll, eine tiefgreifende Behandlung mit „Konstitutionsmittel“ durchzuführen, denn der Patient muss zunächst stabilisiert werden. Sinnvoll ist es, in einer akuten Phase mit nicht antipsorisch wirkenden Arzneien zu arbeiten. Besonders die homöopathischen Pflanzenmittel wie z. B. Aconitum, Gelsemium sempervirens etc. haben einen stabilisierenden Effekt auf den Patienten. Starke psychische Schwankungen werden so vermieden. Je nach Dauer der Erkrankung ist es sinnvoll, noch eine Weile mit den Pflanzenmitteln fortzufahren und allmählich das tiefer wirkende antipsorische Mineralmittel (z.B. Sulfur, Hepar sulfuris) einzuführen. Das Mineralmittel wird nun im Wechsel mit dem pflanzlichen Arzneimittel eingenommen. Sobald das Mineralmittel gut vertragen wird, kann das pflanzliche Arzneimittel abgesetzt werden.

Beispielfall aus Hahnemanns Praxis

Am 12.09.1842 verlor Julie Moulin, 14 Jahre alt, den Verstand. Sie hatte in der Sonne geschlafen und bekam ohne Anlass große Panik, glaubte, einen Wolf zu sehen. Weitere vier Tage später wurde sie vollständig wahnsinnig. Verwirrter Gedankendrang, wobei sie weinte und Gewaltausbrüche hatte.

Hahnemann verordnete dieser Patientin Belladonna. Diese Arznei brachte schnell wieder Ruhe in den Fall, die Patientin war nach vier Tagen frei von allen Symptomen. Im Anschluss wurde Julie noch Sulfur verordnet, um die Psora wieder in einen latenten Zustand zu überführen. Die ausschließliche Behandlung mit dem pflanzlichen Arzneimittel hätte die Gefahr von Rezidiven gehabt, da sie nicht tief genug wirken und keinen Einfluss auf die Psora nehmen.

Kasuistik aus der heutigen Praxis

Ein 33 Jahre alter Mann stellt sich vor. Er lebt in geordneten Verhältnissen, ist verheiratet und Vater einer Tochter. Der Patient arbeitet als Manager in einer Unternehmensberatung und ist beruflich stark gefordert. Häufig muss er sich mit Geschäftskunden treffen und wichtige Verhandlungen führen. Er ist geschmackvoll gekleidet, macht einen wachen und aufgeschlossenen Eindruck.

In der Anamnese gibt er folgende Aussage: „Ich bin ständig überreizt und stehe total unter Stress. Ich schlafe schlecht. Immer wenn ich mit einem Kunden zusammensitze, fängt mein Magen an, Probleme zu machen. Ich muss schnell zur Toilette, da ich häufig Durchfall bekomme. Der Magen grummelt noch und irgendwie wird mir schlecht. Mein Herz rast.

Ich kann meinen Puls hinter den Augen sehen. Ich habe das Gefühl, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben. Ich verliere total mein Selbstvertrauen.

Mit meiner Tochter gehe ich sehr gereizt um, ich will zu Hause meine Ruhe haben. Ich will in einer Ecke sitzen und nichts mehr tun. Auf Geschlechtsverkehr habe ich schon lange keine Lust mehr, mir fehlt das Verlangen.

Ich bin sehr kritisch mit mir und habe hohe Ansprüche. Wenn ich gestresst bin, wird mein Atem ganz flach und mein Rücken versteift sich. Rückenschmerzen habe ich seit vielen Jahren. Eigentlich ist es eine Steifigkeit des Rückens, besonders beim Aufstehen vom Sitzen. Ich habe totale Angst vor Kontrollverlust. Angst vor Ohnmacht. Ständig habe ich Erwartungsängste. Einige Male hatte ich in den vergangenen sechs Monaten Panikattacken. Mir wird dann schwarz vor Augen, ich bin schweißgebadet und mein Herz rast. Nun hab ich immer Angst, dass sich dieser Vorfall wiederholt. Ich habe Angst, mich zu blamieren und dass die Leute etwas merken. Ich hab immer Angst, einen solchen Anfall zu bekommen.“

Aus der Familiengeschichte erzählte der Patient noch, dass sein Vater starker Alkoholiker war und ihn häufig als Kind geschlagen hat. Seine Mutter, eher liebevoll, ist vor drei Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.

Analyse

Der Patient zeigt ein sehr interessantes Bild eines psychisch erkrankten Menschen. Der Psychiater stellte die Diagnose „Burnout“.

In der Homöopathie ist es wichtig, anhand der individuellen Symptome die passende Arznei für den Patienten zu finden. Daher müssen die Symptome zunächst geordnet werden, um im Anschluss eine Repertorisation durchzuführen.

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Die Alkoholkrankheit des Vaters wurde in der Repertorisation mit einer syphelitischen Veranlagung erfasst, die Krebserkrankung der Mutter mit Krebsleiden allgemein.

Diese erste Repertorisation muss noch weiter analysiert werden. Aus der Zuordnung der Arzneien ergibt sich, dass für die akute Symptomatik pflanzliche bzw. tierische Arzneien den mineralischen Arzneien vorzuziehen sind. Die konstitutionelle Behandlung (Ablage 1 der Repertorisation) sollte mit einer mineralischen Arznei durchgeführt werden.

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Unter den pflanzlichen Arzneien sticht neben Ignatia das Carbo vegetabilis und das Aconitum napellus ins Auge. Der Patient bekam also Aconitum napellus LM 500 verordnet. Diese Arznei sollte dreimal täglich eingenommen werden. Es wird jeweils ein Tropfen pur auf die Hand gegeben und mit der Zunge abgeleckt. Nach sieben Tagen sollte der Patient sich melden.

Seine Rückmeldung nach einer Woche: „Die Angstsymptome sind wesentlich besser geworden. Ich fühle mich ruhiger und ausgeglichen. Dennoch bin ich total von meinem Kind genervt. Ich will einfach meine Ruhe haben. In den Geschäftsterminen bin ich nach wie vor sehr angespannt und denke, dass ich es nicht schaffe.“

Das Aconitum napellus sollte die Angstsymptome bzw. die Panikattacken verbessern. Diese Arznei hat keinen Einfluss auf die Symptome im Hintergrund. Die erste Reaktion des Patienten passt daher in den Wirkungsbereich der Arznei. Aus diesem Grund wurde die Dosierung beibehalten.

Rückmeldung zwei weitere Wochen später: Der Patient habe bisher keine weiteren Angstanfälle gehabt. Insgesamt fühlte er sich besser. Die nervösen Darmbeschwerden mit Durchfall sind auch nicht mehr vorhanden.

Ab diesem Zeitpunkt wurde die zweite Arznei parallel verordnet.

Dem Patienten wird Arsenicum album in der LM 500 verordnet, einmal täglich zur Nacht einen Tropfen pur auf die Hand geben und mit der Zunge ablecken.

Rückmeldung nach 14 Tagen: „Insgesamt geht es mir besser. In Terminen mit Geschäftspartnern bin ich gelassener geworden und denke, das wird schon. Wenn ich nun nach Hause komme, schaffe ich es wieder, etwas mit meiner Tochter zu unternehmen. Mein Schlaf ist allerdings etwas schlechter geworden und ich muss häufiger zur Toilette gehen. Auf Gerüche von Speisen reagiere ich empfindlich“.

Der Patient soll die Dosierung beibehalten und sich melden, wenn sich etwas verändert.

Rückmeldung nach weiteren zwei Wochen: „Insgesamt geht es mir ganz gut. Allerdings bekomme ich immer mehr Probleme mit meinem Rücken. Er ist sehr schmerzhaft verspannt. Die psychischen Symptome sind deutlich besser geworden.“

Die Einnahme wird nun für eine Woche pausiert, um zu sehen, ob bzw. welche Reaktionen eintreten. Auch Aconitum wird abgesetzt. Dem Patienten geht es ohne weitere Arzneieinnahme gut.

Dieser Fall zeigt deutlich, dass eine parallele Einnahme von Arzneien aus unterschiedlichen Ausgangsstoffen möglich ist. Zu beachten ist allerdings, dass die Einnahme zeitlich versetzt stattfinden muss, sodass jede Arznei genügend Zeit zur Wirkung hat.

Die Einnahme von LM 500-Potenzen zeigt in der Regel schnelle Fallverläufe, sodass eine enge Verbindung mit dem Patienten sinnvoll ist. Nach der Ersteinnahme sollte der Patient nach ca. sieben Tagen eine Rückmeldung geben, anhand dieser kann dann die Dosierung bzw. die Mittelwahl angepasst werden.

Dirk Bettenworth Dirk Bettenworth
Apotheker, seit Februar 2014 in Ausbildung zum Heilpraktiker, Dozent an den Paracelsus Schulen
dbettenworth@arcana.de

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