Anmelden als
Psychotherapie
Lesezeit: 6 Minuten

Glosse: Gefühle fühlen

Ich lache gerne. Laut und mit Schnappatmung. Über Witze und Situationskomik. Ich lächle gerne Menschen an. Auch Fremde auf der Straße. Manchmal lächeln sie sogar zurück. Ich mache das, weil es mir gut tut und ich andere Menschen damit anstecken kann. Die Glückshormone entfalten ihre Wirkung und geben mir ein gutes Gefühl.

Manchmal bin ich traurig. Meist aus gegebenem Anlass, selten grundlos. Oft verbrauche ich dann viele Taschentücher und sehe danach echt mitgenommen aus. Weinen ist nun wirklich nicht meine Leidenschaft, doch hilft es mir im Umgang mit dem Leiden.

Laut Nachschlagewerk ist die Träne eine salzhaltige Körperflüssigkeit, die für die Reinigung und Befeuchtung des Auges förderlich ist. Sie kann entstehen, wenn wir traurig sind oder herzhaft lachen. Dabei gibt es einen Unterschied; weniger im Auge selbst, eher im Auge des Betrachters: Lachen wir so intensiv, dass dicke Tränen unsere Wangen hinunterlaufen, ist das für die Umwelt kein Thema. Nichts, was Unsicherheiten oder Nachfragen hervorrufen würde. Weinen wir hingegen dicke Tränen, welche die Wangen herunterkullern, dann (v)erschrecken wir unsere Mitmenschen oft. Meine Erfahrung ist, dass Menschen in meinem Umfeld irritierend reagieren, wenn ich meiner Trauer via Tränen Ausdruck verleihe. Ich vermute, sie sind schlichtweg überfordert. Mit meiner Traurigkeit, mit meinem Aussehen und dem, wie ich mich zeige. Doch warum eigentlich? Weil Weinen nicht gesellschaftsfähig ist? Weil wir in diesen Moment nicht so hübsch aussehen, eher verquollen und verschnoddert? Oder ist es wichtig, warum wir traurig sind? Zum Beispiel, wenn die Oma gestorben ist oder der Ex eine neue Freundin hat. Dann dürfen Tränen fließen, schließlich gibt es ja einen Grund. Einen Anlass, den jede Freundin nachvollziehen kann. Doch was ist, wenn es keinen wirklichen Grund gibt? Oder einen Grund, der für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist? Was ist, wenn wir traurig sind, weil es ein Symptom für ein Krankheitsbild ist, das weder der Betroffene noch seine Mitmenschen kennen? Ist Weinen dann noch angebracht?

Oft ist es so, dass das Trauerspiel hinter verschlossenen Türen stattfinden soll. Am liebsten leise. Bloß nicht mit Geräuschen. Schließlich wollen die Nachbarn nicht belästigt werden. Wenn das so ist, dann sollte es aber auch nicht allzu lange dauern. Nur kurz, nicht für Tage. Schließlich ist das Leben begrenzt und die schönen Momente warten nicht. Und auf keinen Fall sollte man die Trauer nach außen tragen. Nicht am Arbeitsplatz zeigen, dass einem zum Weinen ist. Dass es einen Grund gibt, der das eigene Leben gerade unter einen dunklen Stern rückt.

Es ist am Ende zweitrangig, ob es sich um ein Krankheitssymptom oder einen schlechten Tag handelt. Menschen wollen Trauer und Trauernde nicht in ihrer Nähe haben. Am Schluss ist das noch ansteckend, und das will ja niemand.

Wussten Sie: Nicht alle Krankheiten sind sichtbar. Und selbst die, die sichtbar sind, sind nicht immer Krankheiten. Natürlich kann man nachfragen. Ganz vorsichtig, mit Respekt und Wertschätzung. Doch dann sollte der Fragende auch mit der Antwort umgehen können und nicht verlegen zur Seite schauen. Sich gar fragen, warum er oder sie überhaupt gefragt hat. Das passiert nämlich sehr häufig. Viele Menschen haben verlernt oder gar nicht erst gelernt, wie mit Trauer umzugehen ist. Sie kennen sie nur versteckt oder aus dem Fernsehen. Beide Varianten des Umgangs mit der Trauer hat diese schlicht nicht verdient. Doch warum ist das so? Warum darf ich in der Öffentlichkeit einen Lachanfall vom Feinsten haben, aber keinen Weinkrampf? Warum machen beim Lachen viele mit und wenden sich beim Weinen ab? Letzten Endes kann hinter einem solchen emotionalen Ausbruch eine Krankheit stecken, und dieser Mensch braucht gerade Zuspruch und Unterstützung.

Erst letztens habe ich gelesen, dass die Mehrheit depressiver Menschen denkt, Urlaub sei DAS Heilmittel gegen Depression. Welch ein Irrsinn. Doch genau dieser Quatsch ist so lebendig in unserer Gesellschaft. Statt die eigenen Gefühle zu leben und sich Hilfe in der Not zu holen, übertünchen sie ihr Leid mit Essen, Urlaub oder anderen gesellschaftlichen Aktivitäten. Verstecken sich, wenn es ihnen nicht gut geht. Holen sich keine professionelle Unterstützung. Ich habe Menschen erlebt, die sich für ihre Tränen so geschämt haben, dass sie sofort in eine Übersprungshandlung verfallen sind. Das sind Verhaltensmuster, die innerhalb einer Verhaltensfolge auftreten und völlig zusammenhangslos wahrgenommen werden. Zum Beispiel bekommen die Trauernden unerwartet einen Lachanfall. Oder sie müssen ganz plötzlich zu einem Termin, den sie beinahe verschwitzt hätten. Die Strategien sind vielfältig. Oft sind die Zuhörer so erleichtert über die Stimmungsschwankung, dass sie diese dankend annehmen, statt hinter die Fassade zu schauen. Viele spüren diesen Zwiespalt, doch sie sind so sehr mit ihren eigenen Unsicherheiten beschäftigt, dass sie die Trauer des Gegenübers einfach im Sande verlaufen lassen. Immer in der Hoffnung, dass beim nächsten Zusammentreffen doch „bitte, bitte“ nicht wieder eine solch unangenehme Situation entsteht.

Selbstverständlich sind solche Momente nicht selbstverständlich. Und ja, es kann uns handlungsunfähig machen – sowohl als aktiver wie auch als passiver Teilnehmer. Doch je mehr wir das Thema Trauer und Wut und Tränen in unserer Gesellschaft tabuisieren, desto weniger lernen wir den Umgang damit. Ich will nicht sagen, dass ab sofort jeder unreflektiert seiner Trauer Ausdruck verleihen soll. Eher wünsche ich mir, dass es einen Stellenwert von „Das gehört ebenso dazu“ bekommt. Nur auf dieser Ebene haben Betroffene eine Chance auf Unterstützung. Eine Chance auf die Entwicklung von Lösungsstrategien.

Vor Jahren wollte ich einen Verein gründen, den „Heul e.V.“. Ein Ort, an dem jeder Mensch weinen und traurig sein darf. So oft und so lange es gewünscht ist. Dabei ist das „Warum“ zweitrangig. Stattdessen gibt es Eiscreme und Kuchen. Es ist ein Ort, an dem niemand mit schlauen Sprüchen wartet oder mit Vorschlägen, die helfen sollen, damit es schneller vorbei geht. Denn darum geht es nicht. Es ist unwichtig, dass es schneller vor- überzieht, dass es weniger weh tut oder wir gar fremde Menschen damit antriggern.

Nein, es geht darum, genau das auszuleben. So lange und so intensiv, wie es eben gebraucht wird. Dafür steht dann an der Eingangstür für jedes Mitglied eine Box mit Taschentüchern bereit. Anschließend setzen wir uns zusammen und weinen. Einfach so. Weil die Tränen raus müssen. Ohne Erklärungen oder Entschuldigungen. Ohne Verstecken und Abdeckstifte. Wenn alles abgeflossen ist, dann kann Neues entstehen. Ideen davon, wie es nach dem Weinen weitergehen kann. Vielleicht wird dann die Hilfe gesehen, welche die ganze Zeit schon da war. Vielleicht mache ich es eines Tages wirklich und gründe diesen Verein. Für mehr Akzeptanz und Toleranz unseren Tränen gegenüber.

Alles Gute, Ihre Jana Ludolf

Jana LudolfHeilpraktikerin für Psychotherapie,
Mediatorin und Familiencoach

info@Jana-Ludolf.de

Foto: © pixelrobot / fotolia.com

Weitere Artikel aus dieser Ausgabe

  1. 1
    Editorial

    Professor Dietrich Grönemeyer plädiert für eine integrative Weltmedizin, die alternative Heilmethoden wie Yoga, Akupunktur und Schamanismus unvoreingenommen integriert und die Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen und Naturheilkundlern fördert.

    Naturheilkunde
  2. 2
    Klassische Homöopathie – aktueller denn je

    Die klassische Homöopathie bietet sanfte Heilung ohne Nebenwirkungen, indem sie Krankheiten mit ähnlichen Arzneien bekämpft. Erfahren Sie mehr über ihre Prinzipien und Anwendungen.

    Naturheilkunde
  3. 3
    Sei nicht so gestresst!

    In einer stressigen Welt ist Achtsamkeit entscheidend. Forscher zeigen, wie Stress sogar durch Beobachtung übertragen wird und epigenetische Spuren hinterlassen kann.

    Psychotherapie
  4. 4
    Bandscheibenvorfall-Behandlung

    Ein Bandscheibenvorfall kann schmerzhafte Symptome wie Rückenschmerzen und Gefühlsstörungen verursachen. Die Entscheidung für eine Operation oder konservative Behandlung liegt beim Patienten.

    Osteopathie
  5. 5
    Hämochromatose – Stoffwechselerkrankung

    Hämochromatose ist eine erbliche Stoffwechselerkrankung, die zu übermäßiger Eisenspeicherung führt. Symptome sind Müdigkeit und Organschäden. Frühe Diagnostik verhindert Spätschäden.

  6. 6
    Epigenetik

    Der Artikel beleuchtet, wie epigenetische Mechanismen die Genaktivität beeinflussen und wie Ernährung eine Schlüsselrolle spielt. Bioaktive Pflanzenstoffe können so wichtige Prozesse steuern und Krankheiten vorbeugen.

    Naturheilkunde
  7. 7
    Werden Sie besser statt älter!

    Ansätze zu natürlichem Anti-Aging, die Lebensqualität und Vitalität im Alter steigern, indem geistige Einstellung, Lebensstil und körperliche Gesundheit berücksichtigt werden.

    Beauty und Wellness
  8. 8
    Aromatherapie – Uraltes Naturheilwissen für die moderne Medizin

    Aromatherapie kombiniert uraltes Naturheilwissen mit moderner Medizin und bietet ätherische Öle als wirkungsvolle Unterstützung bei verschiedenen Beschwerden.

    Naturheilkunde
  9. 9
    Die Liebe ist keine Himmelsmacht

    Der Artikel beleuchtet die Realität und Herausforderungen der Liebe, jenseits romantischer Illusionen, und bietet Einsichten in alternative Beziehungskonzepte und die Rolle unseres Unterbewusstseins.

    Psychotherapie
  10. 10
    Hormone im Gleichgewicht

    Hormone beeinflussen viele Körperfunktionen, darunter Appetit und Stoffwechsel. Wenn sie im Gleichgewicht sind, kann dies helfen, Übergewicht und Stress besser zu bewältigen.

    Naturheilkunde
  11. 11
    Alarm im Darm – Morbus Crohn

    Morbus Crohn ist eine chronische Darmentzündung mit schmerzhaften Symptomen wie krampfartigen Bauchschmerzen und starken Durchfällen. Ursachen und Behandlungsmethoden werden vielseitig diskutiert.

    Naturheilkunde
  12. 12
    Ätherische Öle in der Tierheilkunde

    Ätherische Öle finden in der Tierheilkunde zunehmend Beachtung. Sie können nicht nur zur Insektenabwehr, sondern auch zur Behandlung diverser gesundheitlicher Probleme eingesetzt werden.

    Tierheilkunde
  13. 13
    Heilmagnetische Ordnungstherapie nach Johanna Arnold

    Dieser Artikel beleuchtet die Heilmagnetische Ordnungstherapie nach Johanna Arnold, eine ganzheitliche Methode zur energetischen Heilung durch die Hände.

    Energetik und Spiritualität
  14. 14
    Be fit Stay fit

    Erhalte einen Waschbrettbauch mit dieser effektiven Übung im Sitzen. Aktiviere deine Rumpfmuskulatur und spüre das Brennen, während du deine Knie richtung Brust ziehst.

  15. 15
    Wiederentdeckung der TRAGER®-Körperarbeit

    Die TRAGER®-Körperarbeit nutzt sanfte Bewegungen zur Lösung von physischen und mentalen Mustern und fördert Wohlgefühl sowie Bewegungsfreiheit. Ein achtsamer Ansatz ermöglicht tiefe Entspannung und stärkt die Lebensfreude.

    Psychotherapie
  16. 16
    Beauty-Tipp

    Winter kann Haare austrocknen und strapazieren. Mit richtiger Pflege und Produkten wie feuchtigkeitsspendenden Shampoos und Conditioner kann das Haar kraftvoll und glänzend bleiben.

    Beauty und Wellness
  17. 17
    Meine Paracelsus Schule & ich

    Die Paracelsus Schule Gießen bietet ganzheitliche Ausbildungsmöglichkeiten und fördert den Austausch sowie lebensbereichernde Lernerfahrungen.

    Coaching und Management
  18. 18
    Unsere Heilpflanze – Saat-Hafer – Avena sativa

    Saat-Hafer, auch bekannt als Echter Hafer, ist eine vielseitig einsetzbare Heilpflanze. Besondere Bedeutung hat er in der Diabetes-Therapie und als beruhigender Magen-Darm-Schützer.

    Naturheilkunde
  19. 20
    Fallstudien

    Einblick in eine vielschichtige naturheilkundliche Therapie bei austherapierten Patienten anhand des Falls einer 48-jährigen Frau mit Wechseljahresbeschwerden und Angstzuständen.

    Naturheilkunde
  20. 21
    Therapeuten-Porträt

    Maria Monika Lehnert, Heilpraktikerin aus Berlin, widmet sich der Stressreduktion und Persönlichkeitsentwicklung. Ihr Weg führte sie von der Touristik zur Gesundheit.

    Coaching und Management
  21. 22
    Für Sie gelesen & gehört

    Tauchen Sie ein in eine Vielzahl faszinierender Bücher und CDs, die sich mit Gesundheit, Wohlbefinden und persönlicher Entwicklung befassen. Entdecken Sie neue Ansätze zur Optimierung Ihrer Gesundheit und erfahren Sie, wie Sie mit natürlichen Mitteln Viruserkrankungen bekämpfen können.

  22. 23
    Recht in der Praxis

    Der Artikel beleuchtet die rechtlichen Herausforderungen, denen sich Heilpraktiker bei der Anwendung von Eigenbluttherapie im Kontext des Transfusionsgesetzes gegenübersehen.

    Naturheilkunde
  23. 24
    Mein Weg mit Paracelsus

    Stephanie Haartz teilt ihre Erfahrungen auf dem Weg zur Heilpraktikerin und ihre Begeisterung für Homöopathie. Sie erzählt von ihrer Ausbildung und ihrem Schritt in die Selbstständigkeit.

    Naturheilkunde
  24. 25
    Paracelsus Heilpraktikerschulen

    Die Paracelsus Heilpraktikerschulen bieten vielseitige Ausbildungen in Psychologie und Naturheilkunde an. Erfahren Sie mehr über das innovative Lindauer Coaching-Modell und die erfolgreichen Veranstaltungen an verschiedenen Standorten.

    Coaching und Management
  25. 26
    News

    MagnesiumLoges® ist ein leistungsstarkes Präparat, das schnell wirkt und leicht aufgenommen wird. Es unterstützt Energie, Muskelfunktion sowie gesunde Knochen und Zähne.

    Naturheilkunde