Glosse: Gefühle fühlen
Ich lache gerne. Laut und mit Schnappatmung. Über Witze und Situationskomik. Ich lächle gerne Menschen an. Auch Fremde auf der Straße. Manchmal lächeln sie sogar zurück. Ich mache das, weil es mir gut tut und ich andere Menschen damit anstecken kann. Die Glückshormone entfalten ihre Wirkung und geben mir ein gutes Gefühl.
Manchmal bin ich traurig. Meist aus gegebenem Anlass, selten grundlos. Oft verbrauche ich dann viele Taschentücher und sehe danach echt mitgenommen aus. Weinen ist nun wirklich nicht meine Leidenschaft, doch hilft es mir im Umgang mit dem Leiden.
Laut Nachschlagewerk ist die Träne eine salzhaltige Körperflüssigkeit, die für die Reinigung und Befeuchtung des Auges förderlich ist. Sie kann entstehen, wenn wir traurig sind oder herzhaft lachen. Dabei gibt es einen Unterschied; weniger im Auge selbst, eher im Auge des Betrachters: Lachen wir so intensiv, dass dicke Tränen unsere Wangen hinunterlaufen, ist das für die Umwelt kein Thema. Nichts, was Unsicherheiten oder Nachfragen hervorrufen würde. Weinen wir hingegen dicke Tränen, welche die Wangen herunterkullern, dann (v)erschrecken wir unsere Mitmenschen oft. Meine Erfahrung ist, dass Menschen in meinem Umfeld irritierend reagieren, wenn ich meiner Trauer via Tränen Ausdruck verleihe. Ich vermute, sie sind schlichtweg überfordert. Mit meiner Traurigkeit, mit meinem Aussehen und dem, wie ich mich zeige. Doch warum eigentlich? Weil Weinen nicht gesellschaftsfähig ist? Weil wir in diesen Moment nicht so hübsch aussehen, eher verquollen und verschnoddert? Oder ist es wichtig, warum wir traurig sind? Zum Beispiel, wenn die Oma gestorben ist oder der Ex eine neue Freundin hat. Dann dürfen Tränen fließen, schließlich gibt es ja einen Grund. Einen Anlass, den jede Freundin nachvollziehen kann. Doch was ist, wenn es keinen wirklichen Grund gibt? Oder einen Grund, der für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist? Was ist, wenn wir traurig sind, weil es ein Symptom für ein Krankheitsbild ist, das weder der Betroffene noch seine Mitmenschen kennen? Ist Weinen dann noch angebracht?
Oft ist es so, dass das Trauerspiel hinter verschlossenen Türen stattfinden soll. Am liebsten leise. Bloß nicht mit Geräuschen. Schließlich wollen die Nachbarn nicht belästigt werden. Wenn das so ist, dann sollte es aber auch nicht allzu lange dauern. Nur kurz, nicht für Tage. Schließlich ist das Leben begrenzt und die schönen Momente warten nicht. Und auf keinen Fall sollte man die Trauer nach außen tragen. Nicht am Arbeitsplatz zeigen, dass einem zum Weinen ist. Dass es einen Grund gibt, der das eigene Leben gerade unter einen dunklen Stern rückt.
Es ist am Ende zweitrangig, ob es sich um ein Krankheitssymptom oder einen schlechten Tag handelt. Menschen wollen Trauer und Trauernde nicht in ihrer Nähe haben. Am Schluss ist das noch ansteckend, und das will ja niemand.
Wussten Sie: Nicht alle Krankheiten sind sichtbar. Und selbst die, die sichtbar sind, sind nicht immer Krankheiten. Natürlich kann man nachfragen. Ganz vorsichtig, mit Respekt und Wertschätzung. Doch dann sollte der Fragende auch mit der Antwort umgehen können und nicht verlegen zur Seite schauen. Sich gar fragen, warum er oder sie überhaupt gefragt hat. Das passiert nämlich sehr häufig. Viele Menschen haben verlernt oder gar nicht erst gelernt, wie mit Trauer umzugehen ist. Sie kennen sie nur versteckt oder aus dem Fernsehen. Beide Varianten des Umgangs mit der Trauer hat diese schlicht nicht verdient. Doch warum ist das so? Warum darf ich in der Öffentlichkeit einen Lachanfall vom Feinsten haben, aber keinen Weinkrampf? Warum machen beim Lachen viele mit und wenden sich beim Weinen ab? Letzten Endes kann hinter einem solchen emotionalen Ausbruch eine Krankheit stecken, und dieser Mensch braucht gerade Zuspruch und Unterstützung.
Erst letztens habe ich gelesen, dass die Mehrheit depressiver Menschen denkt, Urlaub sei DAS Heilmittel gegen Depression. Welch ein Irrsinn. Doch genau dieser Quatsch ist so lebendig in unserer Gesellschaft. Statt die eigenen Gefühle zu leben und sich Hilfe in der Not zu holen, übertünchen sie ihr Leid mit Essen, Urlaub oder anderen gesellschaftlichen Aktivitäten. Verstecken sich, wenn es ihnen nicht gut geht. Holen sich keine professionelle Unterstützung. Ich habe Menschen erlebt, die sich für ihre Tränen so geschämt haben, dass sie sofort in eine Übersprungshandlung verfallen sind. Das sind Verhaltensmuster, die innerhalb einer Verhaltensfolge auftreten und völlig zusammenhangslos wahrgenommen werden. Zum Beispiel bekommen die Trauernden unerwartet einen Lachanfall. Oder sie müssen ganz plötzlich zu einem Termin, den sie beinahe verschwitzt hätten. Die Strategien sind vielfältig. Oft sind die Zuhörer so erleichtert über die Stimmungsschwankung, dass sie diese dankend annehmen, statt hinter die Fassade zu schauen. Viele spüren diesen Zwiespalt, doch sie sind so sehr mit ihren eigenen Unsicherheiten beschäftigt, dass sie die Trauer des Gegenübers einfach im Sande verlaufen lassen. Immer in der Hoffnung, dass beim nächsten Zusammentreffen doch „bitte, bitte“ nicht wieder eine solch unangenehme Situation entsteht.
Selbstverständlich sind solche Momente nicht selbstverständlich. Und ja, es kann uns handlungsunfähig machen – sowohl als aktiver wie auch als passiver Teilnehmer. Doch je mehr wir das Thema Trauer und Wut und Tränen in unserer Gesellschaft tabuisieren, desto weniger lernen wir den Umgang damit. Ich will nicht sagen, dass ab sofort jeder unreflektiert seiner Trauer Ausdruck verleihen soll. Eher wünsche ich mir, dass es einen Stellenwert von „Das gehört ebenso dazu“ bekommt. Nur auf dieser Ebene haben Betroffene eine Chance auf Unterstützung. Eine Chance auf die Entwicklung von Lösungsstrategien.
Vor Jahren wollte ich einen Verein gründen, den „Heul e.V.“. Ein Ort, an dem jeder Mensch weinen und traurig sein darf. So oft und so lange es gewünscht ist. Dabei ist das „Warum“ zweitrangig. Stattdessen gibt es Eiscreme und Kuchen. Es ist ein Ort, an dem niemand mit schlauen Sprüchen wartet oder mit Vorschlägen, die helfen sollen, damit es schneller vorbei geht. Denn darum geht es nicht. Es ist unwichtig, dass es schneller vor- überzieht, dass es weniger weh tut oder wir gar fremde Menschen damit antriggern.
Nein, es geht darum, genau das auszuleben. So lange und so intensiv, wie es eben gebraucht wird. Dafür steht dann an der Eingangstür für jedes Mitglied eine Box mit Taschentüchern bereit. Anschließend setzen wir uns zusammen und weinen. Einfach so. Weil die Tränen raus müssen. Ohne Erklärungen oder Entschuldigungen. Ohne Verstecken und Abdeckstifte. Wenn alles abgeflossen ist, dann kann Neues entstehen. Ideen davon, wie es nach dem Weinen weitergehen kann. Vielleicht wird dann die Hilfe gesehen, welche die ganze Zeit schon da war. Vielleicht mache ich es eines Tages wirklich und gründe diesen Verein. Für mehr Akzeptanz und Toleranz unseren Tränen gegenüber.
Alles Gute, Ihre Jana Ludolf
Heilpraktikerin für Psychotherapie,
Mediatorin und Familiencoach
Foto: © pixelrobot / fotolia.com
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