Natürliche Hormone als Gesundheitsbooster
Die Bioidentische Hormontherapie in Theorie und Praxis
Die BHT (Bioidentische Hormontherapie) ist eine effektive und erprobte Methode für die Behandlung hormoneller Störungen. Sie kopiert die Natur, was immer der beste Weg zur Gesundheit ist. Zum Einsatz kommen bioidentische Hormone, deren Struktur mit der von Hormonen, die im menschlichen Körper vorkommen, übereinstimmt. Hier sind z.B. Testosteron, Progesteron, DHEA und Östrogene (Östradiol, Östron, Östriol) zu nennen, auch Melatonin und Pregnenolon.
Vom Nachahmen und Unterdrücken
Die BHT versucht, den physiologischen Hormonspiegel wiederherzustellen, während die schulmedizinische HET (Hormonersatztherapie) darauf abzielt, hormonmangelbedingte Symptome zu schwächen, und zwar nicht nur mit künstlichen Hormonen, sondern auch mit starken Antidepressiva.
In der BHT werden Substanzen eingesetzt, die eine genaue Kopie unserer körpereigenen Hormone darstellen. Im Gegensatz dazu werden in der HET synthetische Hormone verwendet, die in Bioverfügbarkeit, Wirkstärke und -dauer verändert wurden.
Auch die Art der Applikation unterscheidet sich. Während die HET nicht auf natürliche
Rhythmen von Hormonspiegeln
eingeht (v.a. bei Frauen wichtig: Pflaster und Spiralen geben permanent Hormone ab), wird in der BHT auf die optimale
Menge jedes einzelnen Hormons, das richtige Verhältnis der applizierten Substanzen zueinander und auf den natürlichen
Rhythmus der Hormonsekretion geachtet (z.B. Gabe von Testosteron morgens, DHEA abends). Dabei wird der dermale
Applikationsweg als optimal erachtet. Somit ist die BHT bestrebt, das hormonelle Milieu so naturgetreu wie möglich
nachzubilden.
Anhängsel verändern alles
Bioidentische Hormone werden hauptsächlich aus Sojabohnen (Phytosterine) oder der mexikanischen Yamswurzel (Disogenin) gewonnen und verarbeitet. Diese sehen am Ende der Produktionskette genauso aus wie unsere eigenen Hormone – mit identischer Wirkung und Pharmakologie, was für Risikobewertung und Verständnis der Materie von enormer Wichtigkeit ist. Denn Östrogen ist nicht gleich Östrogen. Das erkennt man am Beipackzettel eines Präparats, wenn am Wirkstoff Östradiol ein „valerat“ anhängt oder statt Östradiol „Ethylöstradiol“ angegeben wird. Dazu kommen konjugierte Östrogene, die aus dem Urin trächtiger Stuten gewonnen werden, und Substanzen wie Equilin, die über 100 Mal potenter sind als humane Östrogene und somit nicht mehr als „natürliche Hormone“ bezeichnet werden können.
Die meist patentrechtlich begründeten, künstlichen Modifikationen der chemischen Struktur gehen auch mit Risiken und Nebenwirkungen einher, z.B. mit erhöhter Gefahr für die Entstehung von Brust- und Gebärmutterkrebs, Thrombose und Herzinfarkt. Allein die Änderung der Halbwertzeit kann erhebliche Folgen haben. Die von bioidentischem Östrogen beträgt 45 Minuten, wohingegen die gleiche Menge Ethylöstradiol erst nach über 40 Stunden zur Hälfte abgebaut ist. Auch kann der Körper die synthetischen Hormone nicht so verstoffwechseln wie körpereigene, weshalb Metaboliten entstehen, die schädliche Wirkungen entfalten können.
Exkurs
Das in der Yamswurzel enthaltene Diosgenin wird während der Weiterverarbeitung in Cholesterol, Pregnenolon und Progesteron umgewandelt. Da unser Körper nicht die enzymatische Ausstattung besitzt, um aus Diosgenin Cholesterol herzustellen, erscheint die Einnahme von Yamswurzel-Präparaten (als natürliches DHEA propagiert) wenig sinnvoll. Zwar ist ein geringer hormonähnlicher Effekt möglich, aber das führt nicht zum Ansteigen der Steroidhormone wie Progesteron oder Testosteron.
Gefahrenabschätzung
Die Daten der WHI-Studie (Women’s Health Initiative), die dazu veranlassten, von einer langjährigen Hormonersatztherapie abzuraten, basierten auf Anwendung synthetischer Hormone.
Für den Einsatz bioidentischer Hormone gibt es Studien mit konträren Ergebnissen. Die französische EPIC-E3N-Studie (mit 80000 Frauen) konnte nachweisen, dass das Brustkrebsrisiko mit steigender Konzentration an bioidentischem Progesteron sinkt – im Unterschied zu synthetischen Progesteronderivaten (Progestine). In der französischen MISSION-Studie mit über 6700 postmenopausalen Frauen konnte gezeigt werden, dass eine Einnahme bioidentischer Hormone über durchschnittlich 8,3 Jahre kein(!) erhöhtes Brustkrebsrisiko mit sich brachte – im Gegensatz zur WHI-Studie.
Auch wenn 2016 einige Autoren der WHI-Studie ihre Ergebnisse aus der 2002 veröffentlichten Arbeit relativieren, gibt es mittlerweile Meta-Analysen, die die WHI-Studie weiter untermauern, sowie unzählige Studien und Anwendungsbeobachtungen, die den Nutzen bioidentischer Hormone im Vergleich zu synthetischen Hormonen belegen.
Cave
Es existieren natürlich auch einige
Kontraindikationen, wie hormonpositive Krebs- entitäten. Die gleichzeitige Einnahme synthetischer Hormone muss bei der
Therapie berücksichtigt werden.
Lange erfolgreiche Tradition
Die Geschichte der BHT reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück. Im alten China war es Wissenschaftlern bekannt, dass Substanzen, die den Körper antreiben, im menschlichen Urin vorkommen. Zu dieser Zeit verdampfte man den Harn junger Männer und Frauen, um das kostbare Kristallisat anschließend mit Harzen, Gummi und Gewürzen in Pillenform zu pressen, die als Arznei für ein langes, gesundes Leben eingenommen wurden.
Die Vorreiter der BHT in unserer Zeit sind Dr. John Lee und Dr. Jonathan Wright aus den USA. Beide Ärzte wendeten schon in den 1970er-Jahren die BHT im Rahmen der Naturheilkunde an und konnten Tausende von Patientinnen erfolgreich behandeln. Nach Deutschland gelang die BHT in den 1980er-Jahren.
Arzt sucht Apotheker
Die Philosophie hinter der modernen BHT war es anfangs, den Hormonstatus von Frauen in den Wechseljahren mit entsprechenden Arzneimitteln wieder auf das Level der fruchtbaren Jahre zu heben. Davon versprach man sich viele Vorteile. Den naturheilkundlich praktizierenden Ärzten war es wichtig, Hormonersatzpräparate zu konstituieren, die wie unsere körpereigenen wirken, ohne die Risiken der synthetischen Hormone zu haben. Die Herausforderung war nicht nur chemischer Natur (Herstellung bezahlbarer bioidentischer Hormone), sondern es gab auch pharmazeutische Hürden: Die Herstellung geeigneter Arzneiformen in Kapsel- bzw. Gelform war zu damaliger Zeit ein schwieriges Unterfangen. Heute gibt es in den USA und Kanada „compounding pharmacies“, die diese besonderen Arzneimittel individuell herstellen. Auch in Deutschland haben sich einige Apotheken auf die Fertigung bioidentischer Hormonpräparate in Form von Kapseln, Cremes, Gels und Zäpfchen spezialisiert.
Insbesondere arbeiten Gynäkologen und Internisten mit den Präparaten, aber auch einige Heilpraktiker haben sich auf dem Gebiet veritables Wissen angeeignet. Da die Medikamente rezeptpflichtig sind, muss eine Kooperation zwischen Arzt und Heilpraktiker existent sein, damit sinnvolle Therapiemaßnahmen in die Tat umgesetzt werden können. Heilpraktikern steht noch die Möglichkeit zur Verfügung, bioidentische Hormone in Form von Cremes in einer Potenz von D4 zu verordnen. Bis zu dieser Potenz sind bioidentische Hormone nicht rezeptpflichtig. Einige Therapeuten arbeiten erfolgreich damit.
Im Gegensatz zur HET wird in der BHT eine regelmäßige Feinjustierung der Dosierung durch Bestimmung des Hormonspiegels (alle 3-6 Monate) vorgenommen, bis der Wert im „Zielkorridor“ angekommen ist. Hier empfehlen wir einen Bluttest, da ein Speicheltest für die Verlaufskontrolle der Therapie mit bioidentischen Hormonen nicht geeignet ist.
Breites Anwendungsspektrum
Die BHT kann bei Frauen und Männern sinnvoll zum Einsatz kommen, da der Rückgang aller drei Sexualhormone in der zweiten Lebenshälfte bei beiden Geschlechtern vorkommt und ähnlich verläuft. Während er sich bei Männern über viele Jahre erstreckt, verzeichnet man bei Frauen im Klimakterium ein rapides Absinken, wobei Progesteron 2-3 Jahre vor dem Östradiol fällt. Deshalb ist es für gesundes Altern wichtig, mit der Substitution von Progesteron perimenopausal zu beginnen.
Die stärkste Indikationsgruppe stellen Frauen in der Menopause dar. Schätzungsweise beobachtet ein Drittel aller Frauen fast keine Symptome, zwei Drittel jedoch leiden unter teilweise massiven Beschwerden, die von Hitzewallungen und spontanen Schweißausbrüchen über Haarausfall, Bluthochdruck, Libidoverlust, erhöhte Entzündungs- und Schmerzneigung bis hin zum Rückgang kognitiver Fähigkeiten und geistiger Belastbarkeit, Stimmungsschwankungen und Depressionen reichen.
Zu den Indikationen für den Einsatz bioidentischer Hormone bei Frauen gehören auch PMS, Dysmenorrhoe und Kinderwunsch.
Bei Männern kommt die BHT in der Andropause zum Tragen. Häufige Symptome dieser Periode können sein: massive Schweißausbrüche, Bluthochdruck, Nachlassen von Gedächtnis und Libido, Schlafstörungen. Übrigens ist es ein Irrglaube, dass Männern in dieser Lebensphase immer nur Testosteron fehlt; häufig sind auch die Östradiol- und Progesteron-Spiegel zu niedrig.
Die Anwendung bioidentischer Hormone geht mittlerweile weit über die genannten Beschwerden aus dem gynäkologischen und andrologischen Bereich hinaus:
So stellte sich heraus, dass bioidentische Östrogene bei Frauen und Männern positiv auf die Knochenfestigkeit wirken, Fett- und Zuckerstoffwechsel verbessern, Endothelgefäße unterstützen, eine Rolle bei der Gesunderhaltung der Nervenfunktion und Regeneration des Nervensystems spielen (Schutz vor seniler Demenz).
Progesteron wird oft in seiner Bedeutung vernachlässigt, obwohl es enorm wichtige Effekte bewirkt. So trägt es zur Stoffwechselaktivierung, Schlafförderung, Insulinresistenzminderung und Cholesterinsenkung bei. Es hat eine antidepressive Wirkung und dient als natürlicher Schutz gegen Endometrium-, Mamma- und Prostatakarzinom. Da Progesteron ein Gegenspieler von Adrenalin ist, können viele Krankheiten, die mit Adrenalindominanz einhergehen, wie Fibromylagie, ADHS, Reizdarm- oder Restless-Legs-Syndrom (RDS bzw. RLS), erfolgreich mit Progesteron (hochdosiert) unter Einhaltung spezieller Diäten therapiert werden. Progesteron steht Insulin als Antagonist gegenüber und kann bei der Behandlung eines Diabetes Typ-2 oder bei einer effektiven Diätplanung erfolgreich eingesetzt werden. Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass wir im Gehirn 20 Mal mehr Progesteronrezeptoren besitzen als an irgendeinem anderen Ort in unserem Körper. Diese Tatsache unterstreicht die Bedeutung von Progesteron für die mentale und kognitive Gesundheit beider Geschlechter.
Weitere Spieler in der BHT
Zu den bioidentischen Hormonen zählen auch Melatonin, DHEA und Pregnenolon, wovon letzteres nicht nur als Stoffwechselzwischenprodukt verstanden werden sollte, da es auch selbst prägnante Wirkungen aufweist.
Pregnenolon
Der Ausgangsstoff für Steroidhormone fungiert als Botenstoff im Gehirn (Neurotransmitter). Es verbessert das Gedächtnis, wirkt positiv auf Stimmungslage und Vitalität, damit kann es die Symptomatik einer Altersdepression verringern. Pregnenolon wird gegen Altersdemenz eingesetzt und in der Rheumatologie als schmerz -und entzündungslinderndes Agens gehandelt.
Melatonin
Das „Schlafhormon“ ist das Gegenstück zum Stresshormon Cortison und trägt zu einem normalen Schlaf-WachRhythmus bei. Es hat eine hohe antioxidative Kapazität und daher eine präventive Wirkung gegen im Alter auftretende neurodegenerative Erkrankungen. Melatonin hat sich neben Progesteron in der Migräneprophylaxe und -therapie bewährt.
DHEA
Das „Jungbrunnenhormon“ ist das zweite Gegenstück zu Cortison. Es zeigt von allen Steroidhormonen die höchste Konzentration im Körper, fällt aber auch am stärksten ab, was ab dem 30. Lebensjahr beginnt. Während die Konzentration von DHEA mit dem Alter abnimmt, steigt die von Cortison an.
Man wusste bereits in den 1970er-Jahren, dass DHEA bei Tieren lebensverlängernd wirkt und sie vor Gefäßverkalkung, Krebs und Infektionen schützt. Es hemmt das Enzym Glucose6-Phosphat-Dehydrogenase, ein wichtiger Bestandteil der anaeroben Glykolyse, aus der Krebszellen ihre Energie beziehen. Aus Studien geht hervor, dass DHEA fast alle Zelltypen unterstützt, klimakterische Beschwerden positiv beeinflusst und das Immunsystem stärkt. Somit spielt das Hormon eine entscheidende Rolle für Gesundheit und Vitalität.
Vor der Menopause werden 50-75% der Östro- gene und nahezu alle männlichen Hormone aus DHEA hergestellt, nach der Menopause auch die Östrogene zu nahezu 100%. Bei Frauen und Männern, die DHEA einnehmen, verbessert sich das subjektive physische und psychische Wohlbefinden signifikant. Regelmäßige Einnahme führt zu gesteigertem Energieniveau und höherer Stresstoleranz. DHEA senkt den Insulin-, Glukose- und Cholesterinspiegel und kann vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen.
Zu guter Letzt hat es positive Effekte auf Alterungsprozesse. So verhindert es den altersbedingten Kollagenabbau. In einem Artikel der Pharmazeutischen Zeitung (39. Ausgabe, 2019) beschreibt Prof. Dingermann detailliert den Anti-Aging-Effekt von DHEA (Triim-Studie). Es hat demnach eine thymotrophe Wirkung. Der Thymus wird über die Jahre von Fettgewebe umgeben und schrumpft. Regelmäßige Einnahme von DHEA (nicht Yamswurzelextrakt) befreit den Thymus von Fett und aktiviert ihn, sodass er seine Immunaufgaben (u.a. Inaktivierung von Krebszellen) viel effektiver bewältigen kann. Durch die Substitution von DHEA gelang es nicht nur, den biologischen Alterungsprozess zu verlangsamen, sondern, gemessen an der epigenetischen Uhr, tatsächlich sogar umzukehren.
Applikationsform
In einigen Ländern wie den USA gibt man der dermalen Anwendung den Vorzug. Die bioidentischen Östrogene, Progesteron, DHEA und Testosteron diffundieren durch die Haut und gelangen so direkt ins Blut, metabolisch unverändert und ohne zerstörerische Umwege durch Leber und Verdauungstrakt. Dadurch verhindert man die unnatürlich hohen Spitzen, die mit der oralen Applikation einhergehen, und kommt dem sukzessiven Sekretionsmuster der endokrinen Drüsen nahe.
Es sei daran erinnert, dass die positiven Effekte nur bei bioidentischen Hormonen in Betracht gezogen werden können. Die Beschaffenheit der Hormone und die Art der Herstellung spielen eine enorme Rolle bei der Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Eine herausragende Zubereitungsform bioidentischer Hormone ist deren Mikronisierung, denn es konnte in der Forschung festgestellt werden, dass man die Hormonmenge, die unbeschadet in den Körper gelangt, durch Zerteilung in winzige Partikel erhöhen kann. Spezialisierte Apotheken setzen bioidentische Hormone mikronisiert (Partikel <20 µm) und suspendiert in Olivenöl ein. Ihre Wirksamkeit in Kapselform wird durch die Mikronisierung enorm gesteigert, ein schneller Abbau durch die Leber (First-Pass-Effekt) verhindert. Die Suspension passiert den Darm als Chylomikron, wird im Lymphsystem aufgenommen und verteilt sich von dort im Körper. Hier wird evident, wieso eine DHEA-Pulverkapsel nicht dieselbe Effektivität hat wie eine Suspensionskapsel mit mikronisiertem DHEA.
BHT in der Prävention
Bemerkenswert ist die Schutzfunktion der bioidentischen Hormone. Ihre Wirkungen gegen Altersdemenz, Osteoporose, Harninkontinenz, Abnahme der Gedächtnisfunktion und Kollagenabbau (AntiAging-Effekt) sowie zur Stärkung der Endothelfunktion und konsekutiven Herzgesundheit macht sie auch in der Prophylaxe zu einem wertvollen Bestandteil des Methodenrepertoires in der Praxis. Deshalb empfehlen einige naturheilkundlich arbeitende Therapeuten, die bioidentische Hormone verschreiben, mit der Einnahme so früh wie möglich zu beginnen und sie über Meno- und Andropause hinaus fortzusetzen, um sich auch im Alter über gute Gesundheit und mehr Lebenskraft freuen zu können.
Reza Azizi
Apotheker, Heilpraktiker
azizi@adlerapotheke-rodgau.de
Literatur
- Wright, Jonathan: Bioidentische Hormone. VAK Verlag, 2014
- Platt, Michael E.: Die Hormonrevolution. VAK Verlag, 2014
Foto: ©Kristina / stock.adobze.com
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