Gesundheitskiller STRESS
Klinisch kaum erkennbare oder latente Entzündungen gelten als Risikofaktor für chronischdegenerative Erkrankungen. Ebenso spielt oxidativer Stress eine wesentliche Rolle bei der Entstehung solcher Leiden. Negativ empfundene Belastung im Lebensalltag (Stress, genauer: Distress) triggert beide Einflussgrößen. Insofern ist Stress ein ernstzunehmender pathogenetischer Faktor, der auf mehreren Ebenen Zivilisationskrankheiten begünstigt. Da berufliche und soziale Rahmenbedingungen eine deutliche Vermeidung von Stress im Alltag in sehr vielen Fällen schwer machen, sind neurotrope Behandlungsstrategien zur Unterstützung gefragt. In diesem Zusammenhang sind antiinflammatorisch und antioxidativ wirksame Naturstoffe von Relevanz.
Gestörtes Gleichgewicht mit Folgen
Stress führt zu einer Reihe von Anpassungen im Körper, die u.a. das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem betreffen, aber auch negative Auswirkungen auf die Neuroregeneration ausüben. Im Zuge dieser stressbedingten biochemischen Reaktionen erfolgt eine vermehrte Ausschüttung von Hormonen bzw. Neurotransmittern wie Cortisol, Adrenalin, Dopamin, Noradrenalin und Glutamat. Gleichzeitig versucht der Körper, mit einer erhöhten Freisetzung der dämpfenden Nervenbotenstoffe GABA (GammaAminobuttersäure) und Serotonin eine überschießende Wirkung der anregenden Neurotransmitter zu vermeiden. Insgesamt handelt es sich bei dem Stoffwechsel der genannten Botenstoffe um ein fein aufeinander abgestimmtes System, das empfindlich gestört werden kann. Auf molekularer Ebene kann die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen beeinträchtigt oder verhindert werden, unter Umständen mit weitreichenden Folgen für Befindlichkeit und Gesundheit.
Ein Überschuss an Cortisol begünstigt u.a. Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Immundefizienz und neurotoxische Effekte. Letztere können sich z.B. durch eine Reduktion der mentalen Leistungsfähigkeit mit verminderter Merk- und Konzentrationsfähigkeit zeigen. Auch das Verhältnis zwischen Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin ist stressbedingt häufig gestört. Nach anfänglichem Ungleichgewicht fallen die Konzentrationen aller drei Neurotransmitter ab, was mit vermehrter Müdigkeit, Depressionsneigung, verminderter Durchblutung und Verdauungsstörungen einhergehen kann. Diese Begleiterscheinungen werden durch Serotoninmangel, der durch Stress begünstigt wird, getriggert. So können zahlreiche Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen unter der Mitbeteiligung neuroendokriner Dysbalancen entstehen.
Folgend einige Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen, die durch (stressbedingtes) Ungleichgewicht an Neurotransmittern begünstigt werden:
- Adipositas/Zunahme an viszeralem Fett
- AD(H)S
- Burnoutsyndrom
- Chronisches Fatiquesyndrom
- Depression
- Dyslipoproteinämien
- Hypertonie
- Immundefizienz
- Schlafstörungen
- Sexualstörungen
- Verlust mentaler Leistungsfähigkeit
- Verdauungsstörungen
Neuroprotektion durch Polyphenole
Die durch Distress bedingte Zunahme an oxi- dativem Stress und subklinischen Entzündungsreaktionen ist an den pathogenetischen Mechanismen, die zu den aufgeführten Begleiterscheinungen und Krankheitsbildern bei- tragen, maßgeblich mitbeteiligt. Antiinflammatorisch und antioxidativ wirksamen Biomolekülen kommt daher in Zusammenhang mit der Prävention oder adjuvanten Therapie im Praxisalltag eine nennenswerte Bedeutung zu.
Hier sind v.a. Polyphenole interessant, die größte Gruppe sekundärer (bioaktiver) Pflanzeninhaltsstoffe. Inzwischen liegen Hinweise darauf vor, dass diese eine vielfältig positive Wirkung u.a. im Bereich der Herz-Kreislauf- und Nervenerkrankungen aufweisen.
In einer französischen Untersuchung wurden mehr als 1300 Personen (ab dem 65. Lebensjahr) über einen Zeitraum von 5 Jahren auf ihre Zufuhr an Polyphenolen (speziell Flavonoiden) untersucht. Es zeigte sich, dass die Gruppen mit der höchsten und mittleren Aufnahme im Vergleich zu jener mit der niedrigsten Aufnahme ein um 50% reduziertes Risiko für die Entwicklung einer Altersdemenz aufwiesen. Auch die SUVIMAX-Studie, an der über 2500 Probanden mittleren Alters teilnahmen, kam nach statistischer Auswertung zum Ergebnis, dass die Aufnahme bestimmter Polyphenole (diverse Flavonoide und Phenolsäuren, v.a. vom Typ „Anthocyane“) mit dem Risiko des Verlusts mentaler Leistungsfähigkeit invers korreliert ist. Die Probanden, die eine gute Polyphenolversorgung hatten, konnten sich besser artikulieren und hatten ein besseres Gedächtnis als jene, die eine geringe Zufuhr im Alltag praktizierten.
Auch eine Kohortenstudie mit 652Probanden bestätigte den positiven Effekt gemischter Polyphenole auf die Verbesserung kognitiver Eigenschaften. In weiteren wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass Polyphenole (v.a. jene in Beerenfrüchten) die Plastizität des Hippocampus deutlich verbessern und altersbedingte Veränderungen in Bezug auf die neuronale Signaltransduktion reversibel waren.
In tierexperimentellen Untersuchungen ergaben Polyphenole aus Beerenfrüchten und Traubenkernextrakte (OPC) einen Anstieg der antioxidativen Kapazität, eine Verminderung des Untergangs von Neuronen sowie einen Rückgang der Gehirnatrophie.
Obst und Gemüse mit Potenzial
Im Speziellen können die Polyphenole (Flavonoide, Phenolsäuren) aus bestimmten Obst-, Gemüse- und Gewürzpflanzen empfohlen werden, denn deren vielfältigen gesundheitsfördernden Effekte schließen v.a. eine effiziente entzündungshemmende und antioxidative Wirkung mit ein. Im Zusammenhang mit Stress ist zusätzlich deren neuroprotektive Wirkung von Interesse.
Als besonders polyphenol- bzw. anthocyanreich gelten Beerenfrüchte, allen voran Goji- und Acaibeeren. Die antioxidative Wirksamkeit der „Wolfsbeere“, wie die Gojifrucht auch genannt wird, ist um ein Vielfaches höher als die von Zitrusfrüchten. Sie verfügt über 4000% mehr Zellschutzstoffe als dieselbe Menge Orangen und ist zudem reich an B-Vitaminen.
Auch die Acaibeere (Euterpe oleracea), Frucht einer Palmenart aus dem Amazonas-Regenwald, weist einen hohen Wert an wertvollen gefäßschützenden Fettsäuren, Vitaminen und Polyphenolen auf. Ein Forschungsinstitut in Washington, USA wies in einer Laborstudie nach, dass Acaibeeren die Entzündungskaskade hemmen und somit auch bei entzündlichen Prozessen hilfreich sein können.
Unter den Gemüsesorten gelten v.a. Kohlarten, Knoblauch und Spinat als polyphenolreich.
In der Praxis: Wirksynergismen beachten
Schließlich wird auch Resveratrol zu den Polyphenolen gerechnet, obgleich es, chemisch betrachtet, ein Stilbenderivat darstellt. Resveratrol wird im menschlichen Organismus rasch metabolisiert und in Sulfat- und Glucuronidkonjugate überführt. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang Dosierungen von Resveratrol zwischen 0,1 und 2,5 mg/Tag, die bei mehrwöchiger bzw. längerfristiger Anwendung als probat gelten. (Höher dosierte Zufuhren von 20-25 mg werden in aktuellen Fachpublikationen allenfalls als Einmalgabe, keineswegs als längerfristige Dosierung empfohlen.)
In diversen Studien konnte gezeigt werden, dass Resveratrol am besten in Kombination mit anderen natürlich vorkommenden (antioxidativ und antiinflammatorisch wirksamen) sekundären Pflanzenstoffen funktioniert. Ein besonderer Wirksynergismus entsteht mit Kurkumin. Daher erscheint eine Anwendung beider Wirkstoffe im Verbund mit Beeren-, Gemüse- und Gewürzpflanzenextrakten (kombiniert z.B. in „plantazym“, Apotheke) sinnvoll.
Dass Polyphenole grundsätzlich am besten „im Konzert“ wirken, ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass sie sehr wirksame Antioxidanzien darstellen und bei hochdosierter Einzelgabe prooxidative Effekte nicht auszuschließen sind. Wie die klassischen Antioxidanzien (z.B. Vitamine C und E) auch, bedingen sich Polyphenole wechselseitig zur Regeneration.
Fazit
Der Organismus reagiert auf Stress mit diversen Anpassungen, die jedoch bei längerfristigem Bestehenbleiben der auslösenden Stressoren nicht nur kardiale, sondern auch neuronale Funktionen in Mitleidenschaft ziehen können. Hier ist es wichtig, neben Ge- genmaßnahmen (z.B. Entspannungsmethoden) auch auf eine ausgewogene, vitalstoffreiche Ernährung zu achten, wobei gefäß- und neuroprotektiv wirksame sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Polyphenole von besonderer Bedeutung sind. Obwohl seitens der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für Polyphenole derzeit (noch) keine Zufuhrempfehlung ausgesprochen wird, resultiert aus diversen wissenschaftlichen Untersuchungen eine Verzehrempfehlung von 100-200 mg Polyphenole pro Tag. Die tatsächliche Aufnahme ist derzeit in der Bevölkerung im Durchschnitt deutlich geringer.
Prof. Dr. rer. nat. Michaela Döll
Dipl.-Biologin mit mehrjähriger
Forschungserfahrung, Expertin für Lebensmittelchemie und Ernährungsmedizin, Autorin
mail@prof.drmdoell.de
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