Antibiotikaresistenzen + Infektabwehr
Schwarzer Holunder als pflanzliches Antiinfektivum
Antibiotikaresistenzen haben in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Gesundheits- und Forschungsinstitutionen verweisen auf das zeitliche Missverhältnis hin zwischen der Schnelligkeit, mit der diverse Krankheitserreger inzwischen Resistenzen ausbilden, und der Entwicklungsdauer, die für die Erforschung und Zulassung neuer antibiotisch wirksamer Medikamente benötigt wird. Die WHO warnt vor einer postantibiotischen Ära, die uns in die Zeit vor den ersten Wirkstoffentwicklungen zurückversetzen könnte. Nicht selten werden antiinfektiöse Wirkstoffe leichtfertig verordnet, was zur Verschärfung des Problems beiträgt. Pflanzlichen Antiifektiva, die durch ihren Gehalt an speziellen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen nicht nur eine antiinfektiöse Wirkung, sondern auch immunmodulatorische und entzündungshemmende Effekte aufweisen, kommt in der naturheilkundlichen Praxis eine wachsende Bedeutung zu.
Verteidigungsstrategien von Bakterien
Bakterien besitzen ausgeklügelte Systeme zur Überwindung von wachstumshemmenden, antibiotisch wirksamen Arzneimittelstoffen, die vererbt werden oder sich durch Gentransfer verbreiten können.
Vererbung: Genetisch übertragen werden Mutationen (u.a. Punktmutationen) oder spezifische Eigenschaften (intrinsische Resistenzen) einer Bakterienart gegen Antibiotika, z.B. die natürliche Unempfindlichkeit vieler gramnegativer Erreger gegen Penicilline. Diese Resistenz kommt dadurch zustande, dass der Arzneimittelwirkstoff entweder die bakterielle Zellmembran nicht durchdringen kann oder über spezielle Pumpen aus dem Zellinneren wieder nach außen befördert wird.
Arbeit mit Fremd-DNA: Weiterhin kann das Bakterium im Rahmen einer Transformation entsprechende DNA-Bruchstücke aus abgestorbenen Zellen aufnehmen. Fremde DNA mit resistenzrelevanter Information kann auch durch Viren übertragen werden. Häufig kommt es zum Austausch von Plasmiden, die Resistenzgene übermitteln.
Bakterien können über enzymatisch katalysierte Degradierungen Antibiotika in ihrer Wirkung stark beeinträchtigen oder unwirksam werden lassen. Diese Vorgänge spielen bei den Antibiotika, die einen ß-Lactam-Ring im Strukturmolekül besitzen, eine wesentliche Rolle.
Durch die bakteriellen ß-Lactamasen kommt es zum Abbau der Antibiotika (z.B. Penicillin, Cephalosporine, Carbapeneme). Weitere bakterielle Enzyme wie die Aminoglykosidmodifizierenden Enzyme (AME) können zu Resistenzen gegen Gentamycin oder Tobramycin führen. Durch das Anhängen funktioneller Gruppen (z.B. Acetat- oder Phosphatgruppen) an den Arzneimittelwirkstoff wird dieser so verändert, dass seine Hemmwirkung auf die bakterielle Proteinsynthese an den Ribosomen und damit auf das bakterielle Wachstum gedrosselt ist. Damit geht letztlich eine deutlich geringere bakterienreduzierende oder -abtötende Wirkung einher.
Einfluss von Transportproteinen: Bakterien sind in der Lage, die Wirkstoffkonzentrationen durch diverse Transportsysteme zu mindern. Hierbei spielen die Porine, die sich in der äußeren Bakterienmembran befinden, eine wichtige Rolle. Mit Hilfe von Transportproteinen (Autotransporter-Membranproteine) wird die ansonsten relativ undurchlässige Barriere (äußere Membran) gramnegativer Bakterien umlaufen und die Antibiotika werden durch diese Mechanismen nach außen befördert.
Besonders interessant: Quercetin
Der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) zählt zu den Moschuskrautgewächsen. Das strauchartige Gewächs, das bis zu 10 Meter hoch werden kann, besticht durch seine cremeweißen, duftenden Doldenrispen, aus denen sich die schwarzvioletten Steinfrüchte, die Holunderbeeren, entwickeln. Diese sind reich an Bitter-, Gerb- und Farbstoffen, die – chemisch betrachtet – vorzugsweise den Polyphenolen zuzuordnen sind.
Ein besonders interessantes Polyphenol ist das Flavonol Quercetin, das häufig mit dem Genuss von Äpfeln in Verbindung gebracht wird und als besonders gesundheitsfördernder Inhaltsstoff dieser Obstsorte betrachtet wird. Dabei ist die vergleichbare Konzentration in Schwarzen Holunderbeeren um ein Vielfaches höher.
Quercetin und seine (durch die Darmmikrobiota generierten) Metabolite haben nachweislich eine antiifektiöse, insbesondere auch antivirale Wirkung. In-vitro-, tierexperimentelle und Humanstudien lassen darauf schließen, dass Quercetin auf Signaltransduktionsebene der Virusreplikation entgegenwirkt. Untersucht wurden diese Wirkeffekte u.a. in Bezug auf Flaviviridae, Herpesviridae, Orthomyxoviridae (Influenzaviren A, B, C u.a.), Coronaviridae, Retroviridae, Picornaviridae (z.B. Coxsackievirus) und Pneumoviridae (z.B. RSV). Quercetin hemmt die Freisetzung proinflammatorisch wirksamer Enzyme (Lipoxygenase, Cyclooxigenase). Gleichzeitig induziert das Flavonol die Genexpression antiinflammatorisch wirksamer Zytokine und begünstigt die Freisetzung des Th1-abhängigen Interferon-Gamma, das auch eine antivirale Wirkung besitzt.
Antibakterielle Effekte
In einigen kontrollierten klinischen Studien, die u.a. auch mit Sportlern durchgeführt wurden, zeigte sich, dass das Risiko für Erkrankungen der oberen Atemwege durch die Gabe von Quercetin bzw. quercetinhaltigen Supplementen gesenkt werden kann. Ebenso lassen sich Krankheitssymptome und -tage mindern. Auch hinsichtlich seiner antibakteriellen Wirksamkeit ist das Flavonol untersucht und als effizient betrachtet worden. So konnten, zumindest in vitro, wachstumshemmende Effekte auf die Vermehrung von Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus, Salmonella enteriditis, Proteus u.a. beobachtet werden. Es zeigte sich, dass Quercetin die bakterielle DNA-Replikation hemmt, die bakteriellen Zellwände manipuliert und Transportmechanismen (z.B. Efflux-Pumpen) außer Kraft setzt. Ebenso, dass das Polyphenol der Bildung von Biofilmen (auf Lebensmitteln und Gegenständen) entgegenwirkt.
Quercetinhaltige Lebensmittel
Quercetin wurden aufgrund einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen antioxidative, antiinflammatorische, immunmodulierende, antikarzinogene und antiinfektiöse Wirkungen zugeordnet, was in die Empfehlung mündet, quercetinhaltige Lebensmittel vermehrt in den täglichen Speiseplan einzubauen, u.a. Zwiebeln, Äpfel, grünes Gemüse, Weintrauben, dunkle Beerensorten. Allerdings dürfte es schwierig sein, die erforderlichen therapeutisch wirksamen Konzentrationen (300-500 mg) ohne die Anwendung von Supplementen erreichen zu können. In den Früchten des Schwarzen Holunders sind weitere interessante Polyphenole enthalten, wie z.B. Anthocyane oder Phenolsäuren (Chlorogensäure), und letztlich ist immer das gesamte Wirkstoffspektrum einer Heilpflanze für deren Wirkung verantwortlich.
Sorte „Haschberg“: hochwertiger Extrakt
In Österreich (Steiermark, Burgenland) wird seit einigen Jahrzehnten eine spezielle Sorte von Schwarzem Holunder (Edelholunder, Sorte „Haschberg“) auf biologische Weise angebaut und aus den tiefschwarzen, polyphenolreichen Beeren ein hochkonzentrierter und qualitativ hochwertiger Phytoextrakt hergestellt. Eine wässrige Extraktion gewährleistet den Erhalt der ursprünglichen Fruchtmatrix mit den wertvollen Inhaltsstoffen. Für die Gewinnung des Extrakts (ElderCraft®) werden ganze Holunderbeeren der Sorte „Haschberg“ zunächst zu Saft gepresst, dieser mit der Wasserextraktion des Tresters kombiniert und anschließend einer speziellen Ultrafiltration unterzogen. Im Zuge dieses rein physikalischen Verfahrens werden die enthaltenen hochmolekularen Polysaccharide und sekundären Pflanzeninhaltsstoffe angereichert. Ergebnis ist ein reiner, hochkonzentrierter biologischer Naturextrakt in Pulverform.
Studien: Immunkraft, Krankheitsdauer und -symptome
Zu dem genannten Extrakt liegen einige klinische Studien vor: So wurde u.a. der Effekt des Extraktes auf die Gesundheit von Langstreckenflugreisenden (2014) untersucht. Bekanntlich ist das Risiko für Erkältungskrankheiten bei Langstreckenflügen erhöht und etwa jeder fünfte Passagier klagt nach der Ankunft über Symptome. An dieser Studie nahmen insgesamt über 300 Passagiere teil, die einen Flug von mindestens 7 Stunden zu absolvieren hatten. Sie erhielten täglich 10 Tage vor bis 7 Tage nach dem Flug einen standardisierten Holunderbeerenextrakt in Kapselform (hier: rubyni®, Fa. Berry Pharma). In der Verumgruppe zeigte sich eine deutlich geringere Belastung mit Erkältungssymptomen. Sowohl der Schweregrad als auch die Erkrankungsdauer waren – im Vergleich zum Placebo – um mehr als 50% reduziert.
Eine Reihe älterer klinischer Studien (1994- 2004) ergab, dass die Anwendung eines Holunderbeerenextraktes die Progredienz infektiös bedingter Erkrankungen deutlich verbessern kann. So konnte z.B. im Rahmen einer placebokontrollierten Studie mit Personen, die unter einer Grippeepidemie litten, gezeigt werden, dass die Dauer der Erkrankung verkürzt (von durchschnittlich 8 auf 4 Tage) und die Symptome des grippalen Infektes (u.a. Fieber, Husten, verstopfte Nase) deutlich gemindert wurden.
Holunderbeeren als effizienter Virenhemmer
Besonders interessant sind auch Hinweise auf eine mögliche hilfreiche Wirkung von Sambucus nigra in Bezug auf die Infektion mit SARS-CoV-2-Viren. Insgesamt wurden in dieser Publikation 39 Pflanzen(-extrakte) ausgewertet, die gemäß WHO und EMA in präklinischen oder klinischen Untersuchungen diesbezüglich vielversprechend waren. Es zeigte sich, dass die Holunderbeeren zu fünf hocheffizienten Pflanzen zählen, mit denen ein Benefit in Bezug auf die Krankheitsprogression erreicht werden kann, während den restlichen geprüften Pflanzen nur ein möglicher oder gar unbekannter Einfluss bescheinigt wurde. Auch hinsichtlich der antiviralen Wirkung gegen SARS-CoV-2-Viren sind momentan noch Forschungsaktivitäten im Gange.
Zur Erklärung der antiinfektiösen Wirkungen gibt es verschiedene Ansätze: Zum einen ist in Untersuchungen (in vitro) nachgewiesen worden, dass die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe des Holunders die virale Hämagglutination blockieren und damit der Anlagerung der Viren an die menschlichen Blutzellen entgegenwirken. Zum anderen konnte gezeigt werden, dass das Anthocyan Cyanidin-3-sambubiosid mit viralen Neuraminidasen eine Verbindung eingeht und dadurch die Virusreplikation hemmt. Zusätzlich können sowohl die Polyphenole als auch die speziellen Polysaccharide (Arabinogalaktane) in den schwarzen Beerenfrüchten für die Stimulation der Makrophagen und Komplementaktivität für die immunstimulierende Wirkung verantwortlich gemacht werden. Schließlich mehren sich auch die Hinweise darauf, dass Polyphenole das Darmmikrobiom günstig beeinflussen und sich insofern positiv auf das darmassoziierte Immunsystem auswirken können.
Fazit
Antibiotikaresistenzen wird auch durch unsachgemäße Empfehlungen und Anwendung Vorschub geleistet. In der Komplementärmedizin und Naturheilkunde sind daher Phytoextrakte von Interesse, die die Immunkompetenz der Patienten unterstützen und zusätzlich antiinfektiös wirken. Dabei sollte auf studiengeprüfte, qualitativ hochwertige Extrakte geachtet werden, die nach Möglichkeit ohne Kontaminationen auskommen, um das Immunsystem nicht zusätzlich zu belasten.
Prof. Dr. rer.
nat. Michaela Döll
Dipl.-Biologin mit mehrjähriger Forschungserfahrung,
Professorin an der TU
Braunschweig,
Expertin für Ernährung
Foto: © Yuliya / adobe.stock.com
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