Osteopathie meets TCM
„Zu unserer Natur gehört die Bewegung,
die vollkommene Ruhe ist der Tod.“
Blaise
Pascal, 1623-1662
Eine zügige Wiederherstellung der Leistungs- und Belastungsfähigkeit nach Verletzungen oder Operationen ist für viele Menschen selbstverständlich geworden. Um die beste Therapie zu finden, sollten Ärzte und Therapeuten die Ursache von Beschwerden über eine gute Diagnostik erkennen, denn nicht selten summieren sich verschiedene Störfaktoren. Die Kombination von Osteopathie und TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) vermittelt einen ganzheitlichen Einblick in krankmachende Prozesse, Ursache-Folge-Ketten und wirksame Behandlungsansätze. Während in der Osteopathie die Erhaltung und Wiederherstellung der Bewegungsphysiologie im Vordergrund steht, bietet die TCM über eine ausführliche Anamnese, die Lehre von Dysharmoniemustern, Zungen- und Pulsdiagnostik, Akupunktur, Kräutertherapie etc. wirkungsvolle Konzepte, um auch andere Methoden in ihrer Stärke zu optimieren. So bleibt Patient und Therapeut manch unbefriedigende Therapie erspart.
Multifaktorielle Ursachen einer Achillessehnenreizung
Die Bindegewebsbündel von Sehnen enthalten wenige Nerven und Blutgefäße, ihr Stoffwechsel läuft dadurch im Gegensatz zu Muskeln wesentlich langsamer ab. Eine Sehnenzelle teilt sich etwa alle 8 Wochen, eine Hautzelle 1x pro Woche. So muss bei Sehnen von einem deutlich längeren Heilungsprozess ausgegangen werden.
Für viele Menschen bedeutet eine schmerzhafte, geschwollene Achillessehne nicht selten eine monatelange Behandlung, die auch in Kombination mit Schonung im Alltag und Sportpause keinen Erfolg zeigt. Besonders frustrierend ist es, wenn ein Bekannter mit gleicher Problematik durch eine bestimmte Therapie wieder beschwerdefrei ist, nur bei einem selbst klappt es damit nicht.
Die Tatsache, dass es keine einfache Erklärung für die chronische, therapieresistente Achillodynie gibt, erschwert die Suche nach der richtigen Behandlungsstrategie. Überforderung im Training, mangelnde Regenerationsphasen, Fußfehlstellungen, alte Verletzungen und dadurch verursachte Faszienverklebungen, bestimmte Antibiotika (Fluorchinolone), schlechte Sportschuhe, Übergewicht – es gibt viele Gründe, die eine Achillodynie verursachen können. Auch das Alter spielt eine Rolle: Je älter wir werden, desto eher kann durch Überlastung eine Achyllodynie entstehen. In der Regel sind es Kombinationen aus mehreren Störfaktoren.
Wenn die Summe der schlechten Einflüsse nicht zu groß ist, ist der Körper in der Lage, sich selbst zu regenerieren. Sind eine Trainingsüberlastung oder falsches Schuhwerk die Hauptursache der Reizung, so wird man in der Regel mit den üblichen physiotherapeutischen Behandlungen (inkl. Pause und Schuhwechsel) Erfolg haben.
Klassisches Training an einer Treppenstufe
Das exzentrische Krafttraining an einer Treppenstufe (Abb. 1) ist eine bekannte Therapieform bei Achillodynie, wobei es auf die korrekte Mindestdosis ankommt, wie zahlreiche Studien belegen. Je nach Körpergewicht und Fitnesszustand kann man beidbeinig starten, um dann innerhalb von 4 Wochen auf das einbeinige Training umzustellen. Empfohlen werden morgens und abends jeweils 3 Sätze mit 15 Wiederholungen pro Bein über 12 Wochen.
Weiterführende osteopathische Diagnostik
Bei hartnäckigen oder wiederkehrenden Achillessehnenbeschwerden lohnt sich die osteopathische Diagnostik in Verbindung mit der TCM. Ziel ist es, die wesentlichen Störfaktoren zu erkennen, die häufig nicht primär im muskuloskelettalen Bereich liegen, aber die Selbstheilungskräfte herabsetzen. In der Osteopathie ist der Aspekt der Bewegungsphysiologie am wichtigsten, alle anderen Bereiche werden dadurch beeinflusst.
Faszien als Grundlage für Heilungsprozesse
Andrew Taylor Still (1828-1917) entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts die Osteopathie. Seine Grundidee war es, anatomische Störungen zu behandeln, die zu Blut- oder Lymphstauungen führten oder Nerven blockierten. Er war der Meinung, die vitalisierenden Kräfte befänden sich in den Faszien, die den gesamten Körper als ein umhüllendes und verbindendes Spannungsnetzwerk durchdringen. Dieses Netzwerk unterstützt den Körper, schützt ihn und wirkt wie ein elastischer Stoßdämpfer bei Bewegungen. Bei hämodynamischen und biochemischen Prozessen spielen Faszien eine wesentliche Rolle und haben eine entscheidende Funktion bei der Abwehr des Körpers gegen Krankheitserreger und Infektionen. Nach Verletzungen bilden sie die Grundlage für den Heilungsprozess des Gewebes. Mit der Promotion Dr. Robert Schleips 2006 über Aktive Faszienkontraktilität sind die Faszien auch in der modernen Wissenschaft „angekommen“.
In der Osteopathie wird Gesundheit mit physiologisch mobilen Faszien gleichgesetzt. Auch in der TCM ist Gesundheit u.a. verbunden mit einem freien und ausreichenden Fluss des Qi (Lebensenergie) in den Meridianen. Die beiden Ansätze ähneln sich und können einander ergänzen. Das folgende Praxisbeispiel zeigt, wie eine kombinierte Diagnostik eine individuelle, effektive Behandlungsstrategie ermöglicht.
Fallstudie
Ein 54-jähriger Mann hat seit einem Dreivierteljahr Schmerzen im Bereich der linken Achillessehne. Begonnen hat alles nach einem Tennismatch. Die gängigen physikalischen Therapien helfen nicht, eine Stoßwellentherapie bricht er ab, da sich die Beschwerden dabei verschlechtern. Während der Untersuchung stellt sich heraus, dass die Nierenregion rechts und links paravertebral unter der 12. Rippe druckempfindlich ist. Insgesamt ist er sehr kälteempfindlich, neigt zu kalten Füßen und einem steifen unteren Rücken. Sein Hausarzt stellt bei Routineuntersuchungen immer mal wieder eine Proteinurie fest, die aber unbedenklich ist. Als Kind hatte er eine Nierenbeckenentzündung. Schon seit längerer Zeit ist er beruflich gestresst. Symptome eines Nieren-Yang-Mangels sind ersichtlich.
Einbezug der Niere
Nieren- und Blasenmeridian verlaufen beidseits innen und außen entlang der Achillessehne (Abb. 2 und 3). Ist ein Organ in seiner Funktion beeinträchtigt, so sind Strukturen im Meridianverlauf, besonders Muskeln und Sehnen, anfälliger.
„Das geht mir an die Nieren.“ – Dieser Satz steht sinnbildlich dafür, dass Stress, belastende Situationen etc. die Nieren ungünstig beeinflussen können, ohne dass sie gleich schulmedizinisch auffällig sind. Im Hinblick auf die Nieren gibt es bestimmte Symptome und Tastbefunde, über die man erkennen kann, ob eine Nierenproblematik die Beschwerden unterhält.
Symptome bei Nieren-Yang-Mangel
- druckempfindliche Nierenregion, paravertebral distal der 12. Rippe
- Kreuzschmerzen, Steifigkeit im unteren Rücken
- kalte Füße und Knie
- Abneigung gegen Kälte
- blasse Zunge, evtl. geschwollen mit Zahnabdrücken seitlich
- häufiges Wasserlassen von klarem Urin
- Potenzschwäche
Symptome bei Nieren-Yin-Mangel
- druckempfindliche Nierenregion
- Nachtschweiß
- sehr warme Hände und Füße
- Schlafstörungen
- trockener Mund nachts
- rote, belaglose Zunge
Fasziale Techniken
Die Therapie besteht darin, die Nierenregion am Rücken über Faszientechniken zu entspannen (Abb. 4) und die Nierenfunktion mithilfe der Akupunktur zu unterstützen. Die Sehne selbst behandle ich mit einer myofaszialen Technik (Abb. 5). Bei faszialen Techniken lässt sich zum Teil schon nach 5 Minuten eine Entspannung des Gewebes feststellen. Hinzu kommt eine Mobilisierung der Wirbelsäule des Patienten am thorakolumbalen Übergang mit aktiven Übungen, die er zu Hause ausführen kann („Übungen zur Eigenbehandlung“).
Unterstützung durch TCM
Die Sehne selbst reagiert sehr gut auf die heiße Rolle, wobei ich immer auch zusätzlich entlang des Nieren- und Blasenmeridians am Unterschenkel entlang tupfe. Den traditionellen chinesischen Lehren zufolge wirkt die Hitze auf den Fluss des Qi in den darunterliegenden Leitbahnen ein. Über einen Reflexbogen regt die Hitze den Lymphfluss an. Ödeme und durch die Entzündung entstandene Abfallprodukte werden über die Lymphe abtransportiert und der Stoffwechsel positiv angeregt. Auch Akupressur (Abb. 6) und Akupunktur, die auf die individuelle Nierendisharmonie abgestimmt werden, sind hilfreich.
Stressmanagement
Ein weiterer Therapiebaustein ist die Analyse des Lebensalltags des Patienten zur Stressreduktion. Er soll prüfen, wo er „Druck“ wegnehmen kann.
Ausblick
Nach 3 Monaten spielt der Patient wieder beschwerdefrei Tennis und hält sich an meinen Rat, nach Belastung immer einen Tag Pause einzulegen. Die Strukturen benötigen Zeit, sich zu regenerieren.
Selbstfürsorge für die Nierengesundheit
Kommt ein Patient in die Praxis, so ist es neben der therapeutischen Behandlung wichtig, ihm seinen eigenen Anteil am Gesundungsprozess bewusst zu machen. Im Folgenden einige Tipps, die Patienten selbst umsetzen können:
- den Rücken warmhalten, besonders die Nierengegend
- kalte Füße vermeiden (Ni1 liegt unten am Fuß, dort kann die Kälte leicht eindringen)
- Stress und Druck im Alltag reduzieren
- Übungen, um die Beweglichkeit zu erhalten oder wiederzuerlangen, wodurch auch die Nieren mit ihren Faszien mobilisiert werden
- möglichst auf nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) verzichten, z.B. Ibuprofen®, Diclofenac®, Voltaren®, Arcoxia®, Celebrex®. Sie belasten die Nieren und helfen oft nur kurzfristig bei Achillessehnenreizungen.
Übungen zur Eigenbehandlung
Zu einem nachhaltigen Therapieansatz gehören auch Übungen, besonders wenn Bewegungsdefizite vorhanden sind. Allen Übungsformen ist gemeinsam, dass sie über mehrere Gelenke arbeiten und sich an alltäglichen Bewegungsmustern orientieren. Ob Yoga, Organgymnastik nach Medau oder Fasziengymnastik – Hauptsache die Bewegungsreichweite wird erhöht mit komplexen und mehrgelenkigen Bewegungen. Die folgenden Übungen sollten 3x wöchentlich über ca. 15 Minuten ausgeführt werden.
Bei der Drehdehnlage (Abb. 7) wird die gesamte Wirbelsäule, auch der thorakolumbale Übergang, in die Rotation mobilisiert. Legen Sie dabei die Arme seitlich in Schulterhöhe ab, beugen Sie ein Bein an und bewegen Sie das Knie zur Gegenseite. Dadurch kommt es zu einer gegensinnigen Drehung von Becken und Oberkörper. 2-3 Atemzüge halten, dann langsam wechseln zur anderen Seite. Der Schultergürtel muss liegen bleiben und der Kopf führt eine Gegenrotation aus.
Um die Rückenmuskulatur zu kräftigen, bei gleichzeitiger Faszienmobilisation der vorderen Körperstrukturen, heben Sie in Bauchlage im Wechsel einen Arm und das diagonal gegenüberliegende Bein an (Abb. 8). Die Wiederholung ist individuell zu dosieren, bis man eine deutliche Ermüdung der Rückenmuskulatur spürt. Dann in den Päckchensitz gehen (Abb. 9), hierbei wird die Lendenwirbelsäule mit der Lumbalfaszie mobilisiert. Solange in dieser Position bleiben, bis kein Dehnungsgefühl mehr zu spüren ist. Diese Kombination 3x wiederholen.
Für die seitlichen myofaszialen Strukturen, auch am thorakolumbalen Übergang und die Adduktoren, bietet sich der Kniekuss an (Abb. 10). Wird der Fuß des ausgestreckten Beines noch angezogen, verstärkt dies die Wirkung auf die Beinrückseitenmuskulatur bis zu den Fußbeugern.
Bei der Grätsche mit Rumpfrotation (Abb. 11) wird die Wirbelsäule effektiv mobilisiert, zusätzlich wird die Beinrückseite des gebeugten Beines gedehnt. Hierzu wird in der Grätsche die diagonale Hand nah beim Fuß des gebeugten Beines aufgestützt und der jeweils andere Arm senkrecht nach oben geführt. Das andere Bein muss im Knie gestreckt bleiben und die LWS gerade gehalten werden.
Bei der Yoga-Übung Herabschauender Hund werden die Faszien der gesamten Körperrückseite ausgehend von den Füßen über die Achillessehnen bis zum thorakolumbalen Übergang der Wirbelsäule mobilisiert und gedehnt. Leichter funktioniert die Ausführung mithilfe eines Stuhls. In beiden Fällen können als Variante die Knie im Wechsel gebeugt werden (Abb. 12 und 13).
Fazit
Als Therapeut unterstützt man den Heilungsprozess durch die Behandlung; trotzdem muss die Lebensführung stimmen, sonst ist der Erfolg nicht nachhaltig. Osteopathie und TCM sind keine Wundermethoden, die mit Griffen, Nadeln und Kräutern Beschwerden verschwinden lassen. Auch wenn sich das viele Menschen wünschen – so funktioniert es nicht. Es gilt, individuell zu helfen und Tipps für den Alltag zu geben (Ernährung, Übungen, Entspannung), um die täglichen „kleinen Sünden“ zu reduzieren und die Patienten dafür zu sensibilisieren, dass sie selbst sehr viel für ihre Gesundheit tun können und auch sollten.
Der Körper muss ein Leben lang Belastungen jeglicher Art kompensieren, allein das Älterwerden ist ein gewisser Störfaktor. Bei jungen Menschen heilt vieles schneller und qualitativ besser aus. Die Nierenenergie nimmt jedoch mit zunehmendem Alter ab. Ich bin seit über 30 Jahren in diesem Beruf tätig und kann die Aussage eines TCM-Arztes zu Gesundheit und Heilung nur unterstreichen: 80% sind Lebensführung, 20% Therapie.
Buch-Tipp
Osteopathie im Sport
Petra Michaelis
Meyer &
Meyer Verlag
ISBN: 978-3840375095
Petra
Michaelis
Heilpraktikerin, Osteopathin, Physiotherapeutin und Gymnastiklehrerin, Autorin, Betreuung von
Leistungssportlern verschiedener Sparten
info@petra-michaelis.de
Foto: © Oleg Breslavtsev I adobe.stock.com
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