Osteopathie ist angekommen
Unser Organismus ist ein wahres Wunder der Natur, er reguliert sich und funktioniert völlig autonom. Doch von Zeit zu Zeit werden wir krank: Unser Immunsystem ist geschwächt, ein Keim zu stark, wir erleiden einen Unfall, unser Körper bekämpft sich selbst in Form von Autoimmunprozessen oder entgleist durch die Entartung von Zellen in seiner Integrität. Dies führt unweigerlich zu Symptomen, die das alltägliche Leben eines Menschen mehr oder weniger stark einschränken, im schlimmsten Fall führen sie zu seinem Ende.
Seit Anbeginn der Zeit hat die Menschheit daher Wege zur Linderung und Heilung von körperlichen und psychischen Leiden gesucht – oftmals auch gefunden. Wir kennen heute jahrtausendealte Heilkundesysteme (z. B. TCM, Ayurveda), wissen um die Herangehensweisen von Naturvölkern und bauen noch heute auf dem Erbe unzähliger Heilkundiger auf, die sich mit Gesundheit und Krankheit beschäftigt haben. Auch die moderne Wissenschaft erforscht seit vielen Jahrzehnten intensiv das Wesen zahlreicher Krankheiten. Und es konnten bisher wichtige Meilensteine erarbeitet werden. So können wir heute viele der häufig auftretenden Symptome und Krankheiten gut therapieren und darüber die Lebensqualität betroffener Menschen immens verbessern.
Dennoch: Die biochemischen Prozesse, die den lebendigen Organismus steuern, sind komplex – und niemand auf der Welt hat dieses Rätsel bislang vollends lüften können.
Fortschritt mit blindem Fleck
Die medizinische Wissenschaft ist dennoch enorm vorangekommen, und von diesem Fortschritt werden wir in Zukunft profitieren können. Wir werden Organe in vitro herstellen und damit Leben retten können, da wir nicht mehr auf geeignete Spender angewiesen sein werden. Wir werden die Hirnfunktion verbessern und damit Demenz vorbeugen können. Unser Wissen über Alterungsprozesse im Organismus wird uns ein längeres und unbeschwerteres Leben führen lassen etc. Aber so groß die Errungenschaften der modernen Medizin auch sein mögen, es lässt sich leider nicht leugnen, dass die Wissenschaften zum einen auf ihr jeweiliges Spezialgebiet fokussiert sind und dadurch oftmals den Blick für das große Ganze verlieren. Zum anderen basiert die westliche Medizin auf Sichtbarkeit (von Symptomen und deren Ursachen) und Messbarkeit (einer Therapiewirkung). Solange noch keine geeignete Methode gefunden wurde, um eine Erkrankung sichtbar zu machen, z. B. in Form eines Blutmarkers oder durch bildgebende Verfahren, existiert diese für die Schulmedizin nicht. Finden wir allerdings einen auffälligen Blutwert oder eine abnorme Struktur, so ist der Verlauf der Therapie für den jeweiligen Patienten vorbestimmt.
Gesundheit statt Krankheit
Naturheilkundliche Methoden setzen dahingegen nicht unbedingt auf die Bekämpfung einer Krankheit, sondern vordergründig auf Gesunderhaltung und die Förderung von Gesundheit. Sie zählen u. a. auf die Macht der Psyche und die Lebenskraft Qi. Wie aber soll man das messen? Da einige Therapieansätze aktuell wissenschaftlich nicht greifbar sind und die finanziellen Mittel für großangelegte Studien fehlen, sind diese für viele Menschen wenig nachvollziehbar. Das führt zu Unsicherheit, Zweifel und Skepsis.
Es gibt aber auch traditionelle Methoden, die inzwischen Einzug gehalten haben in unser Gesundheitssystem. Verdientermaßen, wie ich finde. Und warum? Ganz einfach: Was funktioniert, findet früher oder später Akzeptanz. Ein Beispiel dafür ist die Osteopathie.
Osteopathie ist angekommen
Die Osteopathie ist eine mittlerweile weltweit renommierte Methode. Seit nunmehr 150 Jahren findet diese Heilkunst Anwendung und hat sich ihren Platz in den Köpfen der Bevölkerung und auch in denen vieler konventioneller Ärzte verdient. Allgemeinmediziner, Ärzte für Schmerztherapie, Orthopäden, Unfallchirurgen sowie Hebammen haben die Osteopathie in ihr Portfolio aufgenommen. Krankenhäuser stellen Osteopathen an, die Neugeborene osteopathisch untersuchen und bei Bedarf behandeln. Selbst unsere Bundeswehrsoldaten werden im Auslandseinsatz osteopathisch versorgt.
Was ist das Geheimnis dahinter?
Osteopathie bietet mit einer Vielzahl an sanf- ten und effektiven Techniken eine immense Bandbreite für jede Altersklasse. Schwangere und Neugeborene profitieren genauso wie Schulkinder und Erwachsene. Bis hinein ins hohe Alter findet sich für jeden die passende Behandlung. Es können sowohl akute wie auch chronische Probleme behandelt werden. Nicht zuletzt „sehen“ Osteopathen, welche Probleme zukünftig entstehen können, und beugen diesen vor.
Dabei ist Osteopathie nicht nur eine Abfolge gelernter Techniken, sondern vielmehr eine Denkweise, ein Hineinspüren in den Körper, eine Suche nach dem Gewebe oder der Körperregion, die ursächlich für die Beschwerden verantwortlich ist. Das System Mensch wird als Ganzes unterstützt und die Selbstheilungskräfte aktiviert. Dies führt zu nachhaltiger Heilung und Gesunderhaltung.
Selbst wenn nicht jeder meiner Patienten genau versteht, wie die Osteopathie in ihrem Körper wirkt, so verstehen sie in jedem Fall, dass sich etwas verändert hat und es ihnen anschließend besser geht. Ist das nicht ähnlich wie in der konventionellen Herangehensweise? Auch hier verstehen im Grunde nur die wenigsten unserer Patienten ganz genau, wie ein Medikament wirkt.
Ein wichtiges Bindeglied
Die Osteopathie verbindet wissenschaftlich geprägte Schulmedizin mit empirischer Heilkunst. Nie zuvor war eine naturheilkundliche Methode so auf Augenhöhe, dass Ärzte, wenn sie mit ihren Patienten nicht weiterkommen, diese zum Osteopathen weiterleiten oder Zahnärzte begleitend zu ihrer Behandlung die Osteopathie empfehlen.
Auch wenn wir noch nicht jede Technik der Osteopathie wissenschaftlich untermauern können, wurden auch auf diesem Gebiet in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die Studienlage wird immer dichter, und für einige Symptomkomplexe ist bereits eine „nachweislich positive Beeinflussung durch Osteopathie“ festgestellt worden, so z. B. für Rückenschmerzen und Migräne.
Osteopathie in der Zukunft
Ich gehe davon aus, dass die Osteopathie in naher Zukunft eine in medizinischen Fachkreisen anerkannte Behandlungsmethode sein wird. Die ganzheitliche Sicht auf den Patienten wird weiter Einzug in die Schulmedizin halten und die interdisziplinäre Kommunikation zwischen den Fachbereichen, zu denen die Osteopathie gehören wird, wird intensiviert. In der Patientenversorgung wird sie einen zunehmend höheren Stellenwert erlangen.
Natürlich hat jede Methode ihre Grenzen. Kein Therapeut der Welt kann jemanden heilen, der nicht bereit ist, seine Lebensweise zu verändern. Jeder Mensch muss Verantwortung für sich und seinen Körper übernehmen. Wir Therapeuten sind lediglich die Detektive, die versuchen, das Rätsel zu lösen, warum Körper und Seele leiden und uns daher Symptome zeigen. Zum Glück gibt es in jedem Bereich – ob Ärzteschaft, Heilpraktiker, Osteopathen, Psychologen und andere Therapeuten – erstklassige Behandler, die ihre Möglichkeiten und Grenzen kennen und ihren Beitrag zur Gesundung und Gesunderhaltung leisten.
Dr. rer. nat. Nina Kurschat
Molekularbiologin und Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Osteopathie und Schmerztherapie, Vorstand des Verbandes Freier Osteopathen e.V. (VFO)
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