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Psychotherapie
Lesezeit: 6 Minuten

Beratung als helfender Prozeß – Teil 6

r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 6
Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

Strukturierung von psychologischen Beratungsgesprächen

Der Beratungsprozeß wird oft dadurch erschwert, daß der organisatorische und zeitliche Rahmen so eng ist, daß sich die Entwicklung zur Einsicht und Erkenntnis beim Klienten nicht natürlich entwickeln kann.
Was tun Berater bzw. was sollten sie tun, damit jener natürliche Lernprozeß beim Klienten sich entwickelt, der die angestrebte Veränderung nach sich zieht?

  • Der Berater sollte sich bezüglich der Problematik des Klienten ein differenziertes Bild verschaffen, auf Grund dessen er den Vorgang der Beratung in eine gewisse Zielorientiertheit versetzt (Informations- und Intentionskomponente [Bedeutung] der Beratung).
  • Der Berater sollte anregende und unterstützende Einflußnahme zur Förderung der Eigenaktivität des Klienten umsetzen (Interventionskomponente [Einschaltung] der Beratungshandlung).
  • Der Berater sollte den Erfolg der Einflußnahme mit den Teil- und Gesamtzielen der Beratung vergleichen (Kontrollkomponente der Beratungshandlung).

Zur Informations- und Intentionskomponente der Beratung

Zunächst ist es für den Berater wesentlich, sich umfassend über den aktuellen Zustand des Klienten in dessen Lebenslage zu informieren; davon hängt wesentlich eine erfolgreiche Intervention ab.
Also muß der Berater sehen, in welchem Zustand befindet sich der Klient gegenwärtig, bevor er überhaupt gemeinsam mit dem Klienten überlegen kann, in welchem Zustand der Klient in Zukunft sein könnte. Der Klient benötigt zunächst das Verständnis des Beraters für seine gegenwärtige Situation und die damit zusammenhängenden Probleme, bevor überhaupt eine Veränderung in eine neue Richtung erfolgen kann (vgl. Paracelsus report 3/98 S.28 ff.).
Das dazu erforderliche diagnostische Gespräch ermöglicht das “Offenlegen” vieler Daten aus dem früheren und derzeitigen Leben des Klienten. Das Ergebnis ist eine Art skizzenhafter Lebenslauf und ein bestimmtes Bild vom Klienten. Annahmen über mögliche Ursachen und Zusammenhänge zum Problem und zum Klienten werden gebildet. Dieses “Ausfragen” ist aber auch problematisch, weil:

  • der Klient oft unbeabsichtigt die Fragen in Richtung sozialer Erwünschtheit beantwortet,
  • dem Klienten oft bestimmte Wertungen zugeteilt werden, die ihn in der Beratung und auch außerhalb begleiten (Sich-selbst-erfüllende Voraussage),
  • die Vielzahl der Informationen oft von individuellen Problemen ablenken,
  • die Beratung sich dahingehend entwickeln kann,
    – für dieses Symptom diesen Rat
    – das kenne ich schon
    – da muß man das machen.

Entscheidend für das diagnostische Gespräch ist, daß die Daten nicht zur bloßen Voraussage und alleiniger Qualifizierung der Leistungsmängel erhoben werden, sondern aus einer qualitativen Fehleranalyse Hilfs- und Fördermaßnahmen abgeleitet werden. Der Berater sollte demnach fragen: “Wem dient diese Information?” “Welche hilfreichen Maßnahmen sind umzusetzen?” “Wie kann durch Verallgemeinerung des Problems vermieden werden?”
Das reine Ausfragen kann als Kommunikationssperre wirken. Um das zu vermeiden, ist es hilfreich, in der Beratung folgendes zu beachten:

  • Gefühle und Verhalten genau zu beschreiben
    Der Klient beschreibt z. B. konkret seinen Tages- und Wochenablauf. Er beobachtet sein problematisches Verhalten und notiert die Verhaltensweisen.
  • Die problematische Situation genau analysieren
    Wie sah die konkrete Handlung aus? Was ging dem problematischen Verhalten voraus, was folgte?
  • Die Motive offen legen
    Was will der Klient mit dem problematischen Verhalten erreichen? Was will er mit der Beratung verändern?
  • Das Problem skizzieren
    Wie fing alles an? Gab es schon einmal ähnliche Situationen? Wie hat sich das Problem entwickelt?
  • Eigenkontrolle erläutern
    Wie hat der Klient versucht, das Problem bisher zu bewältigen? Welche Ergebnisse waren vorhanden?
  • Soziale Beziehungen und Umwelteinflüsse darlegen
    Beziehungen zu anderen Personen, zu Tätigkeiten, dem Arbeitsplatz, zu Räumen.

Gemeinsame Problemlösungsversuche im Beratungsprozeß haben große Vorteile. Es sind vor allem die, die bei der Entscheidungsfindung mitarbeiten, besser motiviert.

Sogenannte “Killerphrasen”: “das geht bei mir nicht”, “andere haben das auch schon vergebens versucht”, “das hat alles keinen Zweck” sollten im Vorfeld besprochen und entschärft werden. Es geht um kreatives Gestalten, damit bessere Lösungen gefunden werden können.

Zur Interventionskomponente der Beratung

Es ist die Hauptaufgabe der psychologischen Beratung, Anregung und Unterstützung für den Lernprozeß zu geben. Hier kann sich das Notwendigkeits- und Möglichkeitsbewußtsein des Klienten entfalten und richten. Es kann sich im Hinblick auf das Ziel der Beratung ein neues Wirklichkeits- und Wertbewußtsein entwickeln und die alte problembetreffende Erfahrungs- und Handlungsstruktur durch eine neue ersetzt werden. Aus der gemeinsamen Bestandsaufnahme bezüglich der Problematik des Klienten erfolgt eine Zielformulierung und Zielsetzung. Die Zielsetzung ist so weit wie möglich genau zu bestimmen und gegebenenfalls in Teilzielen zu untergliedern, die dann als Mittel für die Erreichung des Endzieles eingesetzt werden. Auf dieser Grundlage wird dann eine Rahmenplanung der Intervention durchgeführt. Diese sollte jedoch Möglichkeiten der aktuellen Anpassung an den tatsächlichen Beratungsverlauf und die Fortschritte zulassen.

Z. B.

  • Beratungsziel: Veränderung der erlernten Fehlformen des Verhaltens und deren Ersatz durch angepaßte Verhaltensweisen.
  • Methoden: Hinführen des Klienten zur intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst, im Rahmen einer angstfreien Atmosphäre, die der Berater durch sein Verhalten (Einfühlung, Wärme, Echtheit, Konkretheit) zu schaffen hat.

Welche Zielstellung man im einzelnen verfolgen und welcher Methode der Veränderung man sich im Rahmen der Beratung auch bedienen mag – von entscheidender Bedeutung ist die Art und Weise, wie sich der Berater selbst in der Beratungssituation darstellt. Die in der Beratung durchgeführten Interventionen erfolgen auf der Basis sprachlicher Kommunikation. In der beratenden Praxis hat sich folgende Position des Beraters bewährt:

  • engagierte Haltung, aufmerksames Zuwenden, kontrolliertes Zuhören,
  • einfühlsames Verstehen und Rückmeldung des Verstandenen,
  • ständige Aktivierung des Klienten, sich mit sich selbst und seiner Lebenslage auseinanderzusetzen,
  • Alternativen prüfen, Entscheidungen treffen, Handlungskompetenzen entwickeln,
  • Gleichberechtigung und Toleranz, Wertschätzung,
  • Vermeidung von Routine und Oberflächlichkeit.

Zur Kontrollkomponente der Beratung

Der Verlauf jeglicher beratender Tätigkeit orientiert sich am angestrebten Beratungserfolg. Die Bewertung ist gleichzeitig interventionsbegleitende und abschließende Erkenntnis. Gleichzeitig werden damit Fragen des Beratungsprozesses, Verlauf, Ergebnisse, Organisations- und Institutionalisierungsformen beantwortet.

Als Vorgehensweise ist folgendes möglich:

  • Problemdefinition (Problem wahrnehmen und beschreiben)
    – die verschiedenen Sichtweisen darstellen,
    – Problem konkret beschreiben mit den Gedanken und Gefühlen,
    – Notwendigkeit der Konfliktlösung.
    Ziel/Absicht: Das Problem kann anders betrachtet werden
  • Analyse der Bedingungen (Problem in Zusammenhänge stellen)
    – die Bedingungen klären, die zum Problem geführt haben oder es aufrecht halten. Wann tritt das Problem auf? Wie geht es voran? Was folgt danach?.
    Ziel/Absicht: Veränderbare Bedingungen erkennen
  • Analyse des Zieles und Lösungsauswahl (mögliche Ziele aufstellen und nach Lösungen suchen und auswählen)
    – was ist zu erreichen, welche Richtung, welcher Weg?
    – wie sieht eine Problemlösung letztendlich aus?
    – Lösungen ohne Wertung sammeln,
    – mögliche Lösungen nach Brauchbarkeit prüfen, sind sie durchführbar im Interesse der Ziele?
    Ziel/Absicht: Mögliche Ziele und Lösungen werden erkannt. Einsichtentwicklung.
  • Lösungsumsetzung/Lösungen durchführen
    – Lösungsbedingungen werden geplant und umgesetzt.
    Ziel/Absicht: Problemlösung
  • Kontrolle und Bewertung der Lösung
    – Stand der Lösungsrealisierung wird geprüft,
    – bei Nicht-Realisierung: Fehlersuche.
    Ziel/Absicht: Erfolgskontrolle und eventuelle Korrekturen

Algorithmus der beratenden Tätigkeit

  • Problemdefinition
  • Analyse der vorhandenen Bedingungen
  • Analyse von Ziel und Lösungsauswahl
  • Umstellung der Lösung
  • Kontrolle der Lösung/Problem gelöst: Problem nicht gelöst

Mit diesem Beitrag wird die Reihe “Beratung als helfender Prozeß”, die den Beratern und Psychotherapeuten gleichermaßen helfen sollte, sich einen zusätzlichen Überblick über bedeutsame Fachbereiche der Beratungspraxis zu verschaffen, beendet.

Anmerkung der Redaktion:
Ein auf die Praxis angelegtes Skript der Paracelsus Schule “Psychologische Beratung, ein helfender Prozeß”, verfaßt durch den Autor, ist in Vorbereitung. Im Mittelpunkt dieses Skripts steht die Überlegung, daß der ratsuchende Klient als ein selbständiges Individuum zu sehen ist, dessen psychische Wachstums- und Selbstverwirklichungsprozesse durch widrige Lebensumstände gestört worden sind. Einer sach- und fachgerechten Psychologischen Beratung fällt dann die Aufgabe zu, diese nicht vollständigen Prozesse unterstützend zu begleiten.
Dr. H. Gutsche wird 1999 im Paracelsus report weiter über die Praxis der Psychologischen Beratung berichten, sowie mit einer neuen Serie über “Psychotherapeutische Praxis” beginnen.

Dr. paed. Hartmut Gutsche
Psychotherapeut (HPG)
Trübenbachstraße 2
98527 Suhl
Tel. 03681/721430

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