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Psychotherapie
Lesezeit: 5 Minuten

Progressive Muskelrelaxation in der psychotherapeutischen Praxis

r9806_pm1Bei der Vielzahl der heutigen Entspannungsverfahren hat sich als Ergänzung in der Psychotherapeutischen Praxis eine Methode seit Jahrzehnten bewährt: Die Progressive Muskelrelaxation (-entspannung) nach Edmund Jacobson. Schon 1934 hat Jacobson eine physiologische Methode entwickelt, um Angst und Verspannung anzugehen. Er entdeckte, daß durch systematische Anspannung und Entspannung verschiedener Muskelgruppen und die Konzentration auf die dabei entstehenden Gefühle fast jeder in der Lage ist, tiefe Entspannung zu erleben.
Seit 1948 arbeitete Joseph Wolpe an der Weiterentwicklung der Technik: er verringerte den benötigten Zeitaufwand und verlagerte den Schwerpunkt der Behandlung von der eigentlichen Angstreaktion auf die Bedingungen, bei denen Angst überhaupt auftritt: Angst, oft eine erlernte Reaktion auf einen bestimmten Reiz, wird am wirkungsvollsten beseitigt, indem eine unvereinbare Reaktion (z.B. Entspannung) gefunden und die angstauslösende Situation untersucht wird. (Im Zustand der Entspannung sind Angstgefühle nicht möglich!) Wolpes Behandlungsprogramm, bei dem Entspannung nur ein Gesichtspunkt war, wurde als systematische Desensibilisierung bekannt.

Wissenschaftliche Untersuchungen

Die Progressive Muskelrelaxation wurde einer Reihe von vergleichenden Untersuchungen unterzogen. Eine sorgfältig kontrollierte Studie zeigte eine stärkere Abnahme der subjektiv empfundenen Spannung, der Herzfrequenz, Atemfrequenz und Muskelspannung im Vergleich zu einer Gruppe, die nur gebeten worden war, sich zu entspannen.
Nach der ersten Euphorie, die jede neue Therapiemethode mit sich bringt und glauben läßt, jedes Problem könne nun behandelt werden, erfolgten Forschungen zur Wirksamkeit gegenüber anderen Methoden und zum Spektrum der Anwendungsgebiete.
In einem Experiment mit drei Versuchsgruppen zeigte die Progressive Muskelrelaxation größere Entspannung und Senkung der Herzfrequenz als die Vergleichsverfahren Hypnose und durch Eigeninstruktion herbeigeführte Entspannung. (Hypnose senkte stärker die Atemfrequenz und die subjektive Angst). Erkennbar wurde bei den Untersuchungen auch, daß die Tiefe der erreichten Entspannung und z.B. eine Steigerung der Lernfähigkeit durch Entspannungstraining von der Motivation des Klienten abhängig ist.

Anwendungsgebiete

Für die bisherige Forschung war die Wirkweise der Progressiven Muskelrelaxation in folgenden Richtungen u.a. relevant:

  1. für die Therapie: z.B. bei Schlafstörungen, Angstzuständen (Phobien, Panikattacken, Angstneurose, Prüfungsangst), Streß, Herz-Kreislaufstörungen, Magen-Darmstörungen, Asthma bronchiale, Dermatosen, Chronischer Kopfschmerz, Spannungskopfschmerz, Lernleistungsstörungen, Depressionen. Sie kann auch dann angebracht sein, wenn der Klient am Beginn einer Therapie wegen hoher innerer Anspannung unkonzentriert oder nicht in der Lage ist, über emotionale Dinge zu sprechen;
  2. für die Leistungsförderung: z.B. Lernleistung (Gedächtnis), Hochleistungssport;
  3. für die allgemeine Entspannung und Erholung;
  4. als Prophylaxe in der allgemeinen Gesundheitsvorsorge.

Voraussetzung für das Entspannungstraining

Voraussetzung in der psychotherapeutischen Praxis ist für die Aufnahme der Behandlung: organische Ursachen müssen nach Rücksprache mit dem behandelndem Arzt auszuschließen sein, und es sollte abgeklärt werden, ob die Möglichkeit besteht, sedierende Medikamente abzusetzen.
Der Klient selber sollte in der Lage sein, sich zu konzentrieren, die Muskelgruppen anzuspannen und zuhause regelmäßig zu üben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gibt es nach oben keine Altersgrenze für das Training.

Vergleiche zur Hypnose

Ein oft angestellter Vergleich zur Hypnose, die immer noch von vielen mit Vorurteilen und Unsicherheiten behaftet ist, kann gezogen werden. Zwischen beiden Methoden gibt es Parallelen und klare Unterschiede:

Gemeinsame Charakteristika (nach Paul) sind

  1. begrenzte sensorische Aufnahme,
  2. eingeschränkte Körperbewegung,
  3. verminderte Aufmerksamkeit,
  4. absichtliche eintönige Reizung,
  5. geänderte Körperwahrnehmung,
  6. geschlossene Augen,
  7. Anwenden motivierender Anweisungen.

Abweichungen der Progressiven Muskelrelaxation von der Hypnose sind:

  1. Suggestionen von Entspannung, Wärme ect. sind indirekt und richten die Aufmerksamkeit des Klienten auf tatsächlich wahrgenommene muskuläre Phänomene,
  2. der Klienten erlernt selbst durch Übung sein Können und kontrolliert es,
  3. Ziel der Progressiven Muskelrelaxation ist es, den Klienten entspannt und gezielt aufmerksam zu machen.

Die Methode

Zur Veranschauung läßt sich das Prinzip der Progressiven Muskelrelaxation am Beispiel eines unbewegt nach unten hängenden Pendels gut verdeutlichen: wird das Pendel leicht in die entgegengesetzte Richtung, in die es sich bewegen soll, gezogen, schwingt es über die Vertikale hinaus von allein in die gewünschte Richtung. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Progressive Muskelrelaxation: eine Anspannung der Muskeln führt zu einer anschließenden Entspannung, die weit unter der Ausgangsspannung liegt.

Das Training

Nach der Erläuterung der Grundzüge des Verfahrens werden zuerst 16 Muskelgruppen trainiert. Der Klient sitzt/liegt dabei bequem und gut gepolstert in einem angenehmen, ruhigen, leicht verdunkelten Raum, in lockerer und bequemer Kleidung.
Mit geschlossenen Augen spannt der Klient, auf ein vereinbartes Signal hin, die einzelnen Muskelgruppen für ca. 5-7 Sekunden an und konzentriert sich danach für ca. 30-40 Sekunden auf die anschließende Lockerung. Jede der vorher besprochenen 16 Muskelgruppen wird zweimal angespannt und wieder gelockert. Falls noch Restspannung vorhanden ist, kann die betreffende Region nochmals ange- und entspannt werden. Suggestive Formulierungen während des Trainings vermeidet der Therapeut, aber Tonfall und Lautstärke der Stimme wird verlangsamt und leiser. Bei der Aufforderung zur Anspannung einer Muskelgruppe wird die Stimme zur Unterstützung der Dynamik erhöht.
Nach der Sitzung ist es für den weiteren Verlauf des Trainings angebracht, daß der Klient das Gefühl der Entspannung beschreibt und evtl. aufgetretene Probleme besprochen werden können.
Schrittweise wird in den nächsten Sitzungen das Training der Muskelgruppen bis auf vier reduziert, um dann das Anspannen der Muskeln zu unterlassen. Der Klient lernt durch Vergegenwärtigen, sich an die Gefühle von Ent- und Anspannung zu erinnern. Letztlich genügt die Technik des Zählens von eins bis zehn, um innerhalb kürzester Zeit einen völligen Entspannungszustand zu erreichen.

Ganzheitliches Vorgehen

Obwohl die Muskelentspannung heute noch vorliegend in der Praxis von Verhaltenstherapeuten als zusätzliches Verfahren eingesetzt wird, ist auch eine alleinige Anwendung möglich. Um dem ganzheitlichen Menschenbild zu entsprechen, ist ein integratives Vorgehen in der psychotherapeutischen Praxis, bis hin zu geistig-spirituellen Heilmethoden, ratsam.

(Quellenangabe: Entspannungstraining -Handbuch der progressiven Muskelentspannung Bernstein/Borkovec)

Ursula Gruschka
heilprakt. Psychotherapeutin
Bahnhofstr. 26
37520 Osterode
Tel. 05522/2112

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