Der Beruf des Heilpraktikers ist wertvoll!
Alles, was man darüber wissen muss . Teil 2
In Teil 1 (Paracelsus 02/21) haben wir uns mit der Historie des Heilpraktikerberufs und den gesetzlichen Rahmenbedingungen beschäftigt. In dieser Folge geht es um die Ausbildungsmodalitäten, die Hintergründe, warum Patienten Heilpraktiker aufsuchen und die Stellung des Heilpraktikers im Gesundheitswesen.
Wie wird man zum Heilpraktiker ausgebildet? Existieren große Unterschiede in der Ausbildung von Heilpraktikern von Schule zu Schule? Gibt es Bundes- oder Landesvorschriften?
Die Ausbildung ist nicht einheitlich, da der Heilpraktikerberuf kein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf ist, sondern als Zulassungsberuf gilt. Das Heilpraktikergesetz regelt, dass jeder, der den Beruf ausüben möchte, eine Zulassung beantragen kann, und mit der Ersten Durchführungsverordnung, dass dies auf Grundlagen von bundeseinheitlichen Leitlinien geschieht, nicht jedoch, wie der Anwärter seine berufliche Qualifikation erwirbt. Deshalb sind die flexiblen Vorbereitungsmöglichkeiten für viele Menschen eine Chance, andererseits bei Gegnern der Naturheilkunde ein Ansatzpunkt für Kritik. Derzeit gibt es in Deutschland mehrere Hundert gemeldete Heilpraktikerschulen, die ihre Studenten auf eine Überprüfung nach den bundeseinheitlichen Leitlinien vorbereiten. Hinzu kommen Einzelpraxen, die die Heilpraktiker-Ausbildung in ihren Räumen anbieten.
Die meisten HP-Anwärter bereiten sich sehr gewissenhaft vor, und obwohl im Prinzip die Möglichkeit des Selbststudiums besteht, entscheiden sie sich für ein Studium an einem privaten Ausbildungsinstitut. Je nach Institut und Vorbildung können sie z.B. zwischen einem mindestens 2-jährigen Vollzeitstudium oder einem berufsbegleitenden Tages-, Abend-, Wochenend-, Intensiv-, Heim-Kombi- oder Kompaktstudium für medizinische Berufe wählen. Viele Anwärter verlängern ihre Studienzeit freiwillig.
Die bundeseinheitlichen Leitlinien erfordern umfangreiches medizinisches Wissen. Zudem legen sie genau fest, dass HP-Anwärter nachweisen müssen, dass sie Grenzen und Gefahren diagnostischer und therapeutischer Methoden des Heilpraktikers kennen, also methodensicher sind, weiterhin „angemessen mit Patienten aller Altersgruppen kommunizieren und interagieren“, außerdem Kenntnisse in Hygiene, Qualitätsmanagement, Dokumentation und Fachterminologie nachweisen.
Punkt 1.5.3 der Leitlinie legt fest: Die antragstellende Person verfügt über die zur Aus- übung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse zur Erkennung und Behandlung von physischen und psychischen Erkrankungen bei Patienten aller Altersgruppen, insbesondere in den Bereichen von:
- Erkrankungen des Herzes, des Kreislaufs und der Atmung
- Erkrankungen des Stoffwechsels und des Verdauungsapparats
- immunologischen, allergologischen und rheumatischen Erkrankungen
- endokrinologischen Erkrankungen
- hämatologischen und onkologischen Erkrankungen
- Infektionskrankheiten
- gynäkologischen Erkrankungen
- pädiatrischen Erkrankungen
- Schwangerschaftsbeschwerden
- neurologischen Erkrankungen
- dermatologischen Erkrankungen
- geriatrischen Erkrankungen
- psychischen Erkrankungen
- Erkrankungen des Bewegungsapparats
- urologischen Erkrankungen
- ophtalmologischen Erkrankungen
- Hals-, Nasen-, Ohren-Erkrankungen
Im mündlichen-praktischen Teil der Überprüfung müssen die Antragsteller auch ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und z.B. Methoden der Patientenuntersuchung demonstrieren.
Ein Großteil der Bundesländer hat 2019 die am 22. März 2018 in Kraft getretenen Heilpraktiker-Überprüfungsleitlinien bereits adaptiert oder in unveränderter Form übernommen. Über die Unterschiede in der Ausbildung der Heilpraktiker von Schule zu Schule lässt sich schwer eine Aussage treffen. Es ist davon auszugehen, dass es „Mini-Institute“ gibt, die ihre Schüler genauso gewissenhaft vorbereiten, wie es die großen Heilpraktikerschulen tun. Von Vorteil für die Ausbildung ist die Kooperation mit einem Berufsverband, da dieser schneller und besser über Überprüfungsrichtlinien und praxisrelevante Vorschriften informiert ist. Vorteil größerer Ausbildungsinstitute ist, dass sie häufig eine Art der Zertifizierung vorsehen und die Unterrichtsinhalte per Curriculum auf die aktuellen Überprüfungsmodalitäten abstimmen.
Warum gehen Patienten zum Heilpraktiker?
Die Hauptgründe sind: mehr Zeit für Patientengespräche als beim Arzt, Enttäuschung oder Aufgabe durch die Schulmedizin (nicht ernst genommen, austherapiert, abgeschoben), Vertrauen in die Heilkräfte der Natur und ein ganzheitliches Selbstverständnis, Bevorzugung bestimmter naturheilkundlicher und Ablehnung bestimmter schulmedizinischer Methoden, psychosomatisches oder persistierendes Leid (z.B. chronischer Schmerz). Patienten fühlen sich bei ihrem Heilpraktiker „gut aufgehoben“.
Im Grunde genommen ist es eine gute Idee, wenn der Patient zuerst zum Heilpraktiker geht und es mit sanften, natürlichen Methoden probiert. Wünschenswert wäre eine beständige, sektorenübergreifende Kooperation zwischen Heilpraktiker und Arzt. Eine Großzahl der Patienten wählt gezielt aus, mit welchem Anliegen sie zu welchem „Heilkundigen“ gehen, dabei geben sie das Hausarztprinzip nicht auf. Gute Heilpraktiker arbeiten komplementär und schließen schulmedizinische Methoden nicht aus. Sie geben zur rechten Zeit, ihrer Sorgfaltspflicht folgend, an den Arzt ab.
Gegner der Naturheilkunde haben sich den Begriff „Alternativmedizin“ zu Eigen gemacht und unterstellen Behandlern, die „alternative Heilmethoden“ anbieten, dass sie den Patienten zwingen, zwischen Naturheilkunde und Schulmedizin, also zwischen zwei Wegen, zu wählen. Wobei die Heilpraktiker selbst dem Patienten lediglich eine weitere Option bieten wollen.
Was jedoch feststeht: Heilpraktiker komplettieren das Gesundheitswesen. Sie decken den Bedarf der Patienten mit heilberuflichen Versorgungsleistungen aus dem heilpraktischen Spektrum. Sie bewahren traditionelle und komplementäre Heilweisen und ergänzen die individualmedizinische Versorgung (Primärversorgung) auch mit modernen minimalinvasiven Techniken. Heilpraktiker für Psychotherapie wenden freie psychotherapeutische Methoden an und erweitern damit erheblich das therapeutische Spektrum der Psychotherapielandschaft, denn die ärztliche und psychologisch-psychotherapeutische Versorgung ist in Deutschland auf nur vier Verfahren begrenzt.
Aus wirtschaftlicher Sicht entlasten Heilpraktiker das System der GKV, denn i.d.R. zahlen deren Patienten ihre Behandlung aus eigener Tasche oder nehmen die Leistungen über die PKV in Anspruch. Manche der „herkömmlichen“ Versicherer bieten als Wahlleistung eine Zusatzversicherung für Heilpraktiker an.
Weswegen geht man zum Heilpraktiker?
Die fünf häufigsten Pathologien sind:
- chronische Schmerzen und Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises
- psychosomatische Krankheitsbilder und Funktionsstörungen
- chronische Hauterkrankungen, Asthma und Allergien
- Erkrankungen von Magen oder Darm
- Alterserkrankungen und Abwehrschwäche
Wie arbeiten Heilpraktiker und Ärzte zusammen? Gibt es Wettbewerb oder Kooperation? Wie viel Anerkennung genießen Heilpraktiker in den Augen der Medizin?
Eine medizinische Kooperation zwischen Heilpraktikern und Ärzten gestaltet sich derzeit problematisch. Die
Musterberufsordnung für Ärzte enthält einige Verbotsnormen (§18, §29a Abs. 1, §23b Abs. 1), die eine
Zusammenarbeit
mit dem Heilpraktiker zwar nicht unterbinden (Ausnahme: Bayern), faktisch aber unmöglich machen und
ausschließen.
Erlaubt ist eine „Organisationsgemeinschaft“. Unter „Einhaltung besonderer Vorkehrungen“ ist die gemeinsame Nutzung von Räumlichkeiten, Einrichtung, medizinischen Geräten und Personal möglich, wenn beide Berufe getrennt werden und keine gemeinsame Behandlung erfolgt. Ärzte und Heilpraktiker müssen ihre Verschwiegenheitspflicht wahren, unter Berücksichtigung der Regelungen für den Datenschutz. Obwohl es sich bei den Vorgaben der Bundesärztekammer um einen Eingriff in das Recht auf freie Berufsausübung handelt, drohen dem Arzt bei Verstoß Sanktionen.
Trotz allem beugen sich nicht alle Ärzte ihrer Kammer. Es gibt sehr wohl Heilpraktiker und Ärzte, die wohlwollend miteinander kommunizieren. Auch im Fortbildungsbereich findet man immer mehr Ärzte und Heilpraktiker, die miteinander die Schulbank drücken. Gleichwohl existiert auch die andere Seite: Heilpraktiker und Ärzte fühlen sich voneinander bedroht. Der Heilpraktiker, weil er sich „abgelehnt“ fühlt und „um die Existenz bangt“, weil der „böse Mediziner“ ihm sicher den Garaus machen will. Der Arzt, weil er dem „unstudierten Laienbehandler“ nicht seine Patienten überlassen will oder Angst hat, dass dieser ihm jene „wegnehmen“ will. Vermutlich überholte Rudimente „alter Grabenkriege“.
Da den rund 400 000 Ärzten in Deutschland knapp 50 000 Heilpraktiker gegenüberstehen und man in Deutschland einen Ärztemangel beklagt, die Ärzteschaft das Fernbehandlungsverbot auflockern will und immer mehr auf Telemedizin und Digitalisierung setzt, ist zahlenmäßig davon auszugehen, dass Heilpraktiker und Ärzte gar nicht um Patienten konkurrieren können. Zudem entscheidet der mündige Patient sowieso selbst, von wem er sich behandeln lässt. In der deutschen Bevölkerung besitzt der Heilpraktiker eine breite Akzeptanz. 50-60% der Deutschen waren schon einmal bei einem Heilpraktiker, und die Nachfrage nach naturheilkundlichen Zusatzleistungen steigt seit Jahren stetig an.
Was die Patienten betrifft, können sie meist klar unterscheiden, dass Arzt und Heilpraktiker zwei zum Teil ganz unterschiedliche Berufe und „Berufungen“ sind. Viele von ihnen verstehen überhaupt nicht, warum unter Ärzten und Heilpraktikern „nicht viel mehr zusammengearbeitet“ wird.
Die Schulmedizin spaltet sich in Lager. Es gibt Ärzte, die sich den Naturheilweisen und ganzheitlichen Denkprinzipien näher fühlen als ihrer eigenen Wissenschaft; diese erkennen „Heilpraktiker-Kollegen“ i.d.R. wertschätzend an. Ein anderer Teil der Ärzteschaft steht Heilpraktikern eher neutral gegenüber: Solange der Heilpraktiker „seine Grenzen kennt“ und „keinen Schaden verursacht“, sollen ihre Patienten einen Heilpraktiker „ruhig ausprobieren“.
Eine weitere Gruppe von Ärzten steht dem Heilpraktiker offen gegenüber und sieht sich nicht in Konkurrenz; sind Heilpraktiker in einem bestimmten Fachgebiet eine Kompetenz, verweisen sie den Patienten dorthin und lassen sich die Erfahrungen ihrer Patienten erzählen. Jedoch gibt es auch eine Gruppe, die aufgrund gut organisierter Lobbyisten-Aktivität verstärkt gegen den Heilpraktiker ankämpft, was nicht zuletzt mit einem medialen Push und vielleicht einem zu (weiblich) passiven Agieren der Heilpraktikerschaft zu tun hat.
Der Artikel wird im nächsten Magazin fortgesetzt.
Sonja
Kohn
Heilpraktikerin, Mitglied im Präsidium des Verbandes Unabhängiger Heilpraktiker e.V.,
Vorstandsbeirat
info@heilpraktikerverband.de
Foto: © Gerhard Seybert / adobe.stock.com
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