Homöopathische Betrachtung des unerfüllten Kinderwunsches
Irgendwann kommt bei vielen Paaren der Zeitpunkt, an dem man sich die Frage stellt, ob man Kinder möchte. Nicht immer klappt es auf Anhieb. Viele Paare suchen dann auch in den klassisch homöopathischen Praxen Hilfe – entweder begleitend zu den schulmedizinischen Maßnahmen oder als direkte Hilfe.
Wird eine Frau nicht innerhalb eines Jahres schwanger, kann es dafür verschiedene Ursachen bei beiden Partnern geben. Spätestens dann wird eine Abklärung der Ursachen v.a. für die homöopathische Therapie wichtig, und klinische Untersuchungen beider Partner sind notwendig.
Sicht der Schulmedizin
Schulmedizinisch betrachtet können die Gründe für einen unerfüllten Kinderwunsch mannigfaltig sein.
Hormonelle Ursachen
können bei beiden Geschlechtern vorliegen und dafür sorgen, dass es zu jedem
Zeitpunkt, von der Stimulierung der Eierstöcke über die Spermienbildung bis hin zur Einnistung des befruchteten Eis in
der Gebärmutter, zu Störungen kommt und somit nicht zu einer Schwangerschaft. Aber auch bei den übergeordneten
Hormonen, die Einflüsse auf die Produktion der Geschlechtshormone haben, kann die Ursache liegen: Allen voran die
Schilddrüse mit ihren vielfältigen Funktionen sowie die Hypophyse.
Immunologische Sterilität
Das Immunsystem hat die Aufgabe, zwischen ungefährlichen und vom
Körper dringend benötigten Stoffen einerseits und gefährlichen Substanzen, z.B. Erregern, andererseits zu
differenzieren und zu schützen. Fehlt die fortpflanzungsspezifische Immuntoleranz gegenüber körperfremden Substanzen,
kann eine Schwangerschaft nicht aufrechterhalten werden. Das Spermium oder der Blastozyst werden vom Immunsystem als
„fremd“ erkannt und bekämpft. Auch gibt es Autoantikörper, die zu einer immunologischen Sterilität beim Mann führen
und sich gegen bestimmte Bestandteile des Spermiums richten, wodurch sie zur Unfruchtbarkeit beim Mann führen.
Noxen
Gerade hinsichtlich der Spermienbildung beim Mann ist nach Noxen im Umfeld des Patienten
Ausschau zu halten. Blei, radioaktive Strahlen (auch Röntgen), viele Antibiotika und alle Chemotherapeutika sind
potenzielle Sterilitätsmittel.
Weitere Ursachen aus dem Umfeld des Paares
Neben den klinischen Ursachen, die im Labor messbar sind, müssen auch noch andere Faktoren in Betracht gezogen werden:
Psychische und seelische
Belastungen
Allem voran ist klarzustellen, dass nicht jede Erkrankung, bei der nicht gleich eine
Ursache ersichtlich ist, ein Fall für den Psychologen ist. Dennoch sollte man sich den Hintergrund und den
Lebensalltag des Paares anschauen: Gibt es Stressoren bei einem oder beiden Partnern, die sie übermäßig belasten, und
sind beide überhaupt glücklich in der Beziehung? Denn Stress setzt eine Kaskade von Hormonausschüttungen in Gang, die
Einfluss auf die Fruchtbarkeit nehmen kann.
Auch die körperliche Belastung kann zu Sterilität führen. Bei Leistungssportlern bzw. bei Menschen, die exzessiv Sport treiben, kann es zu hormonellen Störungen kommen, bei Frauen z.B. zu einer Amenorrhoe führen.
Zuletzt kann die Ernährung eine Rolle spielen. Liegt eine Esssucht oder eine Anorexie vor, kann dies ebenfalls die Hormonfunktionen im Organismus negativ beeinflussen.
Sicht der klassischen Homöopathie
Dazu ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, wie es zu einer homöopathischen Arzneimittelwahl kommt. Eine homöopathische Verschreibung basiert nicht allein auf dem Vergleichen der Patientensymptome mit den Symptomen des Arzneimittels – sprich: auf der Repertorisation mittels eines Buches oder Computerprogrammes. Dies mag genügen bei einer akuten Krankheit, z.B. einer Erkältung oder einer Zystitis. Bei einer chronischen Krankheit hingegen, wozu die Sterilität zählt, gilt dies auf gar keinen Fall.
Chronische Krankheiten, aber auch bestimmte akute Krankheiten, kommen nicht einfach angeflogen, sondern haben eine tiefsitzende Krankheitsursache, die wir in der Homöopathie „Miasma“ nennen. Es gibt drei Grundmiasmen: die Psora, die Sykose (basierend auf einer Gonokokken-Infektion) und die Syphilis, sowie Kombinationen aus diesen. Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, wies schon vor 230 Jahren auf diese Ursachen hin.
Miasmen als Wurzel der Sterilität
Die erwähnten Grundmiasmen ähneln sehr den Doshas, die man aus der ayurvedischen Medizin kennt. Jeder von uns kommt mit einem oder einer Kombination dieser Miasmen zu Welt, und wir können uns entsprechend auch im Laufe unseres Lebens z.B. an der Sykose oder Syphilis anstecken und sie an unsere Kinder weitervererben. Über die Vererbbarkeit von Krankheiten sprach Hahnemann ebenso bereits vor über 200 Jahren, lange bevor die Schulmedizin es tat.
Fast alle Miasmen oder Miasmenkombinationen können eine Sterilität hervorrufen, jedoch bei jedem auf eine andere Art und Weise und mit anderen Begleiterscheinungen:
• Psora
In der reinen Psora kommt es zu keiner Fehlgeburt; sie ist das harmloseste der Miasmen.
• Sykose
Bei der Sykose sieht es schon anders aus. Sie ist verantwortlich für eine Vielzahl von
unerfüllten Kinderwünschen. Die Sykose basiert auf einer Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit, der Gonorrhoe.
Auch Chlamydien oder HPV können zu einer Sykose führen. Man findet hier in der Vorgeschichte womöglich eine konkrete
vorangegangene Erkrankung bei einem der beiden Partner. Diese könnte durchaus schulmedizinisch erfolgreich, z.B. mit
Antibiotika, behandelt worden sein. Die Erreger können dennoch eine Information im Organismus hinterlassen, die gerade
die Reproduktionsorgane oftmals ihre Arbeit nicht mehr ordnungsgemäß verrichten lassen. Es kommt zu folgenden
Erscheinungen:
Bei der Frau Rezidivierende Blasenentzündungen, Vaginalpilze, Unterleibsentzündungen, Herpes genitalis, Kondylome, Gebärmutterentzündung, Unterleibsabszesse, Verwachsungen, Ovarialzysten, hartnäckiges Schwangerschaftserbrechen und schließlich Fehlgeburten in den ersten 12 Wochen (auch und v.a. sich wiederholende Aborte), Sterilität nach der ersten Schwangerschaft.
Beim Mann Harnröhren-, Blasen- und Hodenentzündungen, Prostatavergrößerung und -entzündung, Harnröhrenstriktur, Sterilität.
Kommen diese Erkrankungen bereits bei den Eltern des Paares verstärkt vor, kann dies ebenfalls zu Unfruchtbarkeit führen.
• Syphilis
Beim Miasma Syphilis finden wir andere Arten der ungewollten Kinderlosigkeit. Auch
hier kann die Syphilis schulmedizinisch ausgeheilt sein, es aber doch zu nachfolgenden Erkrankungen kommen:
Bei der Frau Zu kleines Becken, Kondylome, Ovarialzysten, Dermoidzysten, Fehlbildungen oder Unterentwicklung der Geschlechtsorgane, Uterusprolaps, späte Fehlgeburten (nach dem 3. Monat), Frühgeburten, Hydramnion, Totgeburten, Sterilität.
Beim Mann Fehlentwicklungen der Spermien und Geschlechtsorgane, Mumps in der Vorgeschichte, Hodendermoidzyste, Sterilität, Orchitis.
Gemischte Miasmen
• Tuberkulinie
Bei der Tuberkulinie finden wir folgende Erscheinungen:
Allgemein Migräneneigung, Schilddrüsenerkrankungen.
Bei der Frau Uterusatrophie, Lageanomalien des Uterus, Uterusprolaps, Menorrhagie, starke Dysmenorrhoe, primäre und sekundäre Amenorrhoe, Plazentamissbildung, Fehlgeburt, Sterilität.
Beim Mann Prostataerkrankungen, Hodenverhärtungen, Impotenz, Sterilität.
• Kanzerinie
Bei der Kanzerinie sieht man diese Beschwerden:
Allgemein Krebs in der Vorgeschichte oder bei den Vorfahren, Autoimmunerkrankungen (auch in der Familie vorkommend), Neigung zu Burnout.
Bei der Frau Brustzysten oder -tumore, eingezogene Brustwarzen, primäre und sekundäre Amenorrhoe, Hypomenorrhoe, Schwangerschaftsgestose, Präeklampsie, Fehlgeburten, Totgeburten, Sterilität.
Beim Mann Prostatakrebs in der Vorgeschichte, Kondylome, Nachlassen der Libido, Impotenz, Sterilität.
Findung des homöopathischen Mittels
Wie zu sehen ist, sind die Vorgeschichten teilweise ganz unterschiedlich. Um das richtige homöopathische Mittel bzw. die beiden passenden Mittel für das Paar zu finden, ist es unerlässlich, den miasmatischen Hintergrund zu eruieren, um ursächlich behandeln zu können. Daher ist eine ausführliche homöopathische Anamnese notwendig.
Homöopathische Erstanamnese
In der homöopathischen Erstanamnese wird das Paar komplett beleuchtet: Der aktuelle Zustand inkl. der schulmedizinischen Diagnosen, warum die Kinderlosigkeit besteht, wird besprochen. Des Weiteren frage ich nach allen anderen Beschwerden und Erkrankungen, die die beiden sonst noch aktuell haben, die nichts mit der Kinderlosigkeit zu tun haben, und nach den Erkrankungen, die im Laufe ihres Lebens aufgetreten sind. Dazu gehören Kinderkrankheiten, spätere Infektionskrankheiten, Unfälle (ein Hodentrauma z.B. kann zu Sterilität führen), Operationen und andere Erkrankungen oder Beschwerden. Schließlich lasse ich mir einen Stammbaum der Familie aufstellen, worin die Erkrankungen und Todesursachen verzeichnet sind.
Aus diesen umfassenden Informationen kann ich mir i.d.R. ein klares miasmatisches Bild machen und dann auf die Suche nach der homöopathischen Arznei gehen, die dem Miasma entspricht. Mit dieser miasmatischen Arbeitsweise hat die Homöopathie einen ganzheitlichen Ansatz, der auch die Heredität (Erblichkeit) mitberücksichtigt.
Fallstudie
Eine 37-jährige Frau mit Kinderwunsch kommt in meine Praxis. Sie berichtet, dass sie bereits in ihrer ersten Ehe 5 Jahre den erfolglosen Versuch unternommen hat, schwanger zu werden. Mit ihrem jetzigen Partner ist sie erst nach 10 Monaten schwanger geworden. Sie möchten gerne ein zweites Kind, doch seit einem Jahr sind die Versuche erfolglos geblieben.
Anamnese und Krankheitsbilder
Die Patientin berichtet mir im Rahmen der Anamnese von folgenden Beschwerden und Krankheitsbildern: Hypothyreose mit Knotenbildung seit ihrer Jugend, Astigmatismus mit Kurzsichtigkeit, starke Dysmenorrhoe, Anämieneigung, Neigung zu kalten Händen und Füßen sowie zum Frieren (zieht sich die Decke beim Schlafen bis über die Ohren), Längsrillen an den Fingernägeln. Sie bezeichnet sich als sehr perfektionistisch und hat Angst, dass es mit der zweiten Schwangerschaft nicht klappt. Während ihrer ersten Schwangerschaft ging es ihr sehr gut.
Wir sehen hier bereits einige Leitsymptome des tuberkulinischen Miasmas: Schilddrüsenerkrankung, Astigmatismus, Dysmenorrhoe, das ausgesprochene Wohlbefinden während der Schwangerschaft.
Im Laufe ihres Lebens hatte sie folgende weitere Erkrankungen und Beschwerden:
- Hüftgelenksdysplasie und Nabelhernie im Säuglingsalter
- Im Kindesalter Windpocken, Masern und Kopfläuse
- Später mussten Zähne gezogen werden, da der Kiefer zu eng war
- 18.-20. Lebensjahr: rezidivierendes, azetonämisches Erbrechen
- 24.-31. Lebensjahr: vesikulärer Ausschlag an den Händen
- Mit 26 Jahren wurden Dornwarzen an den Füßen entfernt
- Mit 27 wurde die Netzhaut wegen „Löchern“ gelasert
- Seit dem 34. Lebensjahr: Entwicklung von Knoten an der Schilddrüse
- Mit 35: Schwangerschaft, Hausgeburt ohne Komplikationen
Auch hier sind wieder Leitsymptome für das tuberkulinische Miasma zu finden.
Familienanamnese
Zum Abschluss analysiere ich den Familienstammbaum:
Vater
- Darm-Ca
- Schilddrüsenvergrößerung – kindskopfgroß
- Darm-Polypen – EX
Mutter
- Schilddrüsenunterfunktion – Hormone (schon zur Schwangerschaft von Pat.)
- Uterus-Ca – EX
- Wahnvorstellungen/Albträume nachts, wenn überlastet (ist vertrieben worden aus Pommern)
- Ischiasbeschwerden
- Loch im Trommelfell (Ohrerkrankungen sind meist tuberulinischen Ursprungs)
Auffallend ist, dass bereits beide Elternteile Schilddrüsenerkrankungen hatten und sich dies bei der Patientin fortsetzt, zumal die Mutter während der Schwangerschaft mit der Patientin Schilddrüsenhormone eingenommen hat, die selbstverständlich auch Auswirkungen auf das werdende Kind hatten.
Wie wir wissen, hat die Schilddrüse einen großen Einfluss auf die Geschlechtsorgane und die Hormonbildung, was ich als Ursache für die Kinderlosigkeit sehe. Das bedeutet, dass meine Wahl zu einem tuberkulinischen Mittel tendieren muss, das eine große Wirkung auf die Schilddrüse hat!
Repertorisation und Therapie
Das wichtigste Schilddrüsenmittel unter den ersten 10 auftauchenden (s. Abb.) und noch dazu tuberkulinisch dreiwertig ist Silicea. Liest man es in den gängigen Materia medicas nach, stellt man fest, dass es sehr gut zur Patientin passt. Also verordnete ich ihr Silicea LM6 als Tropfen: 2x wöchentlich 3 Tropfen einnehmen.
Verlauf
Zweieinhalb Monate nach dem Ersttermin erhalte ich den freudigen Anruf, dass die Patientin in der 8. Woche schwanger sei. Ich lasse sie das Mittel weiternehmen, um weiterhin auf die Schwangerschaft positiven Einfluss zu nehmen und Schilddrüse und Miasma zu unterstützen. Etwas mehr als 7 Monate später bringt die Patientin im Geburtshaus einen gesunden Jungen ohne Komplikationen zur Welt.
Fazit
Wie schön ist es doch, mit einer ganzheitlichen und so sanften Heilmethode wie der klassischen Homöopathie einen Menschen zur Gesundung zu führen und hier sogar noch einem neuen Menschen den Start ins Leben zu ermöglichen.
Patricia Torff
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten klassische Homöopathie und
Schmerztherapie nach Liebscher & Bracht, Dozentin an der Paracelsus Schule Zürich
info@patricia-torff.de
Fotos: © urika / adobe.stock.com, © Prostock-studio / adobe.stock.com
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