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Naturheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Ein Plädoyer für Bitterstoffe

Vier Powerpflanzen für Darmgesundheit und Immunsystem

Bitterstoffe wurden unglücklicherweise aus unseren Nahrungsmitteln systematisch herausgezüchtet. Beispielsweise hat die hybride Grapefruit von heute geschmacklich kaum mehr etwas zu tun mit einem ihrer „Elternteile“, der Pampelmuse. Im Blindversuch könnte ich sie heute oft kaum noch von einer Orange unterscheiden. „Was soll´s?“, könnte man denken. Aber Züchtungsziele, selbst im Bio-Landbau, haben häufig nichts mit Gesundheit zu tun, leider. Im Fall „Bitterstoffe“ ist dies sogar fatal, denn diese optimieren unsere Verdauungstätigkeit und die Regeneration der Darmschleimhaut. Sie entlasten die Leber und stärken die Bauchspeicheldrüse. Schließlich balancieren sie das Nervensystem, aktivieren Stoffwechsel und Immunsystem. Eine ausreichende Zufuhr von ausgewählten Bitterstoffen bringt demnach große gesundheitliche Vorteile mit sich.

Fester Nahrungsbestandteil früherer Zeit

Das intuitive Vermeiden von Bitterem war und ist evolutionsbedingt sinnvoll, sind doch einige Kräuter für uns ungenießbar, wenn nicht sogar giftig und somit potenziell gefährlich. Dennoch hatten unsere Vorfahren, im Gegensatz zu uns heute, noch keine allgemeine Abneigung gegen die Geschmacksrichtung „bitter“. Wildkräuter, wie z.B. Wegwarte und Löwenzahn, wurden häufig als Gemüse, Salat oder Heilmittel verzehrt. Auch ursprüngliche Gemüsesorten (z.B. Pastinake) brachten Bitterstoffe auf den Teller. In dem Maße aber, wie viele Bitterstoffe als geschmacksstörende Elemente aus Gemüse entfernt wurden und Wildgemüse sowie ursprüngliche Gemüsesorten nicht mehr auf den Tisch kommen, nahmen Verdauungs- und Verwertungsprobleme in unserer Gesellschaft zu.

Charakteristika

Bitterstoffe gehören keiner einheitlichen Stoffgruppe an, ihre einzige gemeinsame Eigenschaft ist die Geschmacksnote „bitter“. Dazu gehören auffallend viele wertvolle bioaktive Substanzen wie Phenole, Terpenoide, Glykoside und Purine. Neben reinen Bitterdrogen unterscheidet man in solche mit Scharf- oder Schleimstoffen sowie aromatische Bitterstoffe. Bitterstoffrezeptoren finden sich im Körper nicht nur auf der Zunge und im Verdauungstrakt, sondern auch in den Atemwegen, Herz und Gehirn. Das Wirkspektrum von Bitterstoffen ist somit weit gefächert.

Bitterstoffe als Verdauungsturbo

Nehmen wir Bitterstoffe auf, wird ein Kaskadenprozess durch all unsere Verdauungs- und Stoffwechselorgane in Gang gesetzt. Über Nervenimpulse werden Verdauungsreflexe ausgelöst: erhöhter Speichelfluss zur Verdauung von Kohlenhydraten, Sekretion von Magensäure und Pepsin zur Verdauung von Eiweiß, von Gallensäure zur Emulgierung von Fetten und von Pankreassaft zur Verdauung von Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten. Daneben regen Bitterstoffe die Motorik von Magen und Darm an und sorgen auf diese Weise für eine optimale Aufspaltung und Aufnahme der Nahrung. Im Übrigen können Mikronährstoffe nur dann ausreichend resorbiert werden, wenn genügend Magensaft und Gallenflüssigkeit bereitgestellt werden. Dazu gehören Vitamin B12, die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K sowie das Spurenelement Eisen.

Die durch Bitterstoffe ausgelöste vermehrte Sekretion von Verdauungssäften beträgt 25- 30% und hält 2-3 Stunden nach ihrer Aufnahme an. Daneben wird ein langanhaltender Sättigungseffekt bewirkt, der rund 4 Stunden dauert und das Risiko für Übergewicht und Diabetes minimiert.

Aufgrund der durch die Bitterstoffe aktivierten Verdauungstätigkeit kann auch die Darmentleerung öfter und gründlicher verlaufen. Ein häufiger Stuhlgang, wie auch heute noch bei Naturvölkern üblich (1 Mahlzeit = 1 Darmentleerung), senkt die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung entzündlicher Prozesse im Darm, die zu zahlreichen Erkrankungen führen können. Außerdem werden so Giftstoffe und gesundheitsschädigende Bakterien schneller aus dem Darm entfernt.

Gegner von Blähbauch und Übergewicht

Verstopfung ist eine Volkskrankheit geworden. Oft ist ein Mangel an Magensäure und anderen Verdauungssäften neben Bewegungsmangel und zu niedriger Aufnahme von Ballaststoffen und Flüssigkeit schuld an einer Verdauungsinsuffizienz. Es kommt hierbei zu einer Beeinträchtigung der Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettaufspaltung. Unverdaute Nahrung reichert sich im Dünndarm an, es entwickeln sich Fäulnis- und Gärungsprozesse, was schließlich zur Entgleisung der Darmflora führt, einer Dysbiose. Pathologische Dickdarmbakterien stehen im Zusammenhang mit Meteorismus und Blähbauch. Toxische Stoffwechselprodukte schädigen die Schleimhäute des Darms, belasten die Leber und verursachen Stoffwechsel- und Hautprobleme. Eine Fehlbesiedelung des Darms gilt nicht zuletzt als mitverantwortlich bei bauchbetontem Übergewicht oder viszeralem Bauchfett. Dieses bildet Substanzen, die chronische Entzündungen, Immunschwäche und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach sich ziehen können.

Um all diese Symptome zu vermeiden, kommen wir an der Frage nach dem Verzehr von Bitterstoffen nicht vorbei. Sanieren wir den Darm und den Verdauungstrakt mithilfe geeigneter Bitterstoffe, verschwindet mit der Zeit auch der „Rettungsring“. Und ist die Darmschleimhaut intakt, bildet sie ein Milieu, in dem pathogene Keime nicht gedeihen können.

Unterstützung des Herz-Kreislauf-Systems

Bitterstoffe aktivieren die Leber, die neben der Ausscheidung von mehr Gallensäuren auch überschüssiges Cholesterin unschädlich macht und darüber den Cholesterinspiegel im Blut senkt, ein Hauptrisikofaktor für Arteriosklerose und damit für Bluthochdruck und Herzinfarkt.

Immunstärkende Wirkung

Bitterstoffe sensibilisieren und aktivieren das Immunsystem über die Schleimhäute. Ebenso wird die Bildung antimikrobieller Peptide über Bitterstoffrezeptoren stimuliert. Bitterdrogen mit Schleimstoffen können Mund- und Rachenschleimhaut vor Krankheitserregern schützen. Der Körper kann sich somit schon frühzeitig gegen Infektionen und im besten Fall gegen eine Bildung von Biofilmen wappnen, in denen Bakterien einen Verbund bilden und damit für die Immunabwehr schwerer zugänglich sind.

Nerventonisierende Effekte

Durch die Zufuhr von Bitterstoffen wird auch das Vegetative Nervensystem gestärkt. Das Darmhirn kommuniziert via Darm-Hirn-Achse mit dem Zentralen Nervensystem und sorgt bei einer gesunden Darmflora für Resilienz, gute Stimmung, besseres Gedächtnis, Konzentration und Lernfähigkeit. Eine Behandlung depressiver Verstimmungen mit Bitterdrogen war über längere Zeit gängige Praxis, und erste Studien bestätigen ihr bedeutsames antidepressives Potenzial.

Die „Stars“ unter den Bitterkräutern

Schon unsere Vorfahren nutzten sie als Nährstoffquelle und zur Optimierung von Verdauung und Stoffwechsel: Wald-Wegwarte, Wilder Löwenzahn, Brennnessel und Wild-Artischocke. Diese vier Powerpflanzen wirken anregend, entgiftend und harmonisierend.

Wald-Wegwarte

Wird bis zu 1,5 m hoch und besticht durch ihre leuchtend hellblauen Blüten, die ein solches Himmelblau haben, dass die Pflanze auch „Wegleuchte“ genannt wird. Es handelt sich um ein magen- und verdauungsstärkendes Wildgemüse mit Bitterstoffen wie Cichoriin, Lactucin, Intybin und Sesquiterpenlactonen. Paracelsus empfahl die Pflanze, um den inneren Alchemisten zu stärken, also Leber, Milz und Bauchspeicheldrüse. Der gesundheitsfördernde Effekt auf Leber, Galle, Darmflora und die gesamte Verdauung ist sehr hoch. Die Wegwarte wirkt heilkräftig zur Blutreinigung, bei Übergewicht und Fettsucht, Stoffwechselerkrankungen, Nierenbeschwerden, Milz- und Lebererkrankungen, Gallenleiden, Verdauungsproblemen, Hautunreinheiten, Flechten und Menstruationsbeschwerden.

Wilder Löwenzahn

Der zweite „Bitter-Star“ ist der Wilde Löwenzahn. Seine Bitterstoffe – v.a. Sesquiterpensäuren, Taraxacosid und Taraxin – reduzieren einen zu hohen Cholesterinspiegel, optimieren die Verdauung, entgiften Schwermetalle, reduzieren das Krebsrisiko, wirken als Immunbooster und senken das Risiko, eine Demenzerkrankung zu entwickeln. In der Chinesischen Medizin und im Indischen Ayurveda ist der Löwenzahn als Heilmittel bei Hepatitis und Leberbeschwerden hoch angesehen. Kräuterexperte Wolf-Dieter Storl schreibt dazu: „Der Löwenzahn scheint die Verkörperung der Lebenskraft an sich zu sein.“

Wild-Artischocke

Die Wild-Artischocke wächst 1-2 m hoch und blüht mit auffällig großen blauroten Blüten. Die Pflanze ist extrem bitter, ihre Blätter enthalten bis zu 6% Bitterstoffe. Dennoch war sie bereits den alten Griechen als Lebensmittel und Heilpflanze bekannt. Die Bitterstoffe Cynarin und Cynaropikrin wurden als Hauptwirkstoffe nachgewiesen. Diese und die Flavonderivate Cynarosid und Luteolin unterstützen die Cholesterinsynthese-Hemmung, indem sie Cholesterin aus dem Gewebe mobilisieren und es zur Ausscheidung bringen. Die Bitterstoffe der Wild-Artischocke regenerieren und entgiften die Leber, verbessern ihre Durchblutung und fördern Gallenbildung und Verdauung über das Gewebshormon Cholecystokinin. Gleichsam optimieren sie die Fettverdauung, senken einen zu hohen Blutzuckerspiegel und beugen Thrombosen vor. Eine Doppelwirkung auf Gallenwege und Leber besitzen nur wenige Heilpflanzen.

Brennnessel

Die vierte Pflanze im Glückskleeblatt der gesundheitsfördernden Bitterstoffe ist die Brennnessel, ihres Zeichens Heilpflanze des Jahres 2022. Wegen ihrer Heilkräfte wurde sie schon von Ärzten der Antike geschätzt. Ihre Inhaltsstoffe, darunter auch Bitterstoffe, bremsen Haarausfall, wirken stimmungsaufhellend, schützen das Gehirn vor degenerativen Erkrankungen, wirken gegen Rheuma, stärken das Immunsystem, optimieren die Verdauung und gelten als potentes Blutreinigungsmittel. Rudolf Steiner nannte die Brennnessel „Königin der Beikräuter“.

Forschung

In einer doppelblinden, randomisierten und placebokontrollierten Vergleichsstudie zum Nachweis der Wirksamkeit eines Kombi-Präparats (Urbitter® BIO N Granulat, Fa. Dr. Pandalis) bei Verdauungsschwäche, Blähungen und Verstopfung konnte bei guter Verträglichkeit des Mittels gezeigt werden, dass der Bauchfettanteil der zu Studienbeginn etwas übergewichtigen Teilnehmer signifikant zurückgegangen war und diese nach 6 Wochen durchschnittlich 4,4 kg abgenommen hatten. Am Ende der Studie fühlten sich die Teilnehmer geistig und körperlich fitter. Daneben hatte die Anzahl der wöchentlichen Stuhlgänge deutlich zugenommen, die Konsistenz des Stuhls hatte sich normalisiert, und vormals erlebte Blähungen waren bei fast allen Studienteilnehmern verschwunden.

Fazit

„Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch“, so ermutigte uns schon der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin. Mit dem Herauszüchten der Bitterstoffe aus unseren Nahrungsmitteln haben wir uns jedoch, gesundheitlich gesehen, einen Bärendienst erwiesen. Zum Glück, wird inzwischen wieder verstärkt über Bitterstoffe aufgeklärt. Außerdem gibt es sie noch: ursprüngliche, unverändert natürliche Wildkräuter, die einen Ausgleich im Körper schaffen können. Wir können die Heilpflanzen, wenn wir uns ausreichend Wissen angeeignet haben, selbst sammeln und verarbeiten, in der Küche oder als Tee, aber auch Mischungen in der Apotheke zusammenstellen lassen oder auf erhältliche Fertigpräparate zurückgreifen.

Studien zeigen, dass durch die Zufuhr von Bitterstoffen natürlichen Ursprungs der Teufelskreis von Verdauungsstörungen, bauchbetontem Übergewicht und ungesunder Ernährung durchbrochen werden kann wie auch das geistige und körperliche Wohlbefinden wächst. Wenn wir unsere Verdauung optimieren und unseren Darm sanieren, entziehen wir vielen Krankheiten den Boden. Wir kommen wieder ins Gleichgewicht und finden zurück zu Lebensfreude, Vitalität und Resilienz, die wir alle in diesen bewegten Zeiten dringend brauchen.

Buch-Tipp
Barbara Simonsohn
Löwenzahn – Wunderkraut für Resilienz und Lebenskraft
Mankau Verlag

Barbara Simonsohn
Gesundheits-Autorin, Expertin für Ernährung und Yoga, Reiki-Ausbilderin
info@barbara-simonsohn.de

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