Geburtstraumata
Die Geburt des eigenen Kindes sollte für die Eltern ein unbeschreiblich schönes Erlebnis sein. Leider verläuft aber nicht jeder Geburtsvorgang trotz intensiver Vorbereitung wie erhofft. Schwierige Geburten oder sogar ein notwendiger Kaiserschnitt können bei Mutter und Kind traumatische Spuren hinterlassen. Unaufgelöst tragen diese stressbesetzten Geburtserinnerungen oft zu diversen Störungen der kindlichen Entwicklung und zu einer problematischen Mutter-Kind-Beziehung bei.
Begriffsabgrenzungen
- Ein traumatisches Ereignis tritt plötzlich auf und überfordert die eigene Anpassungsfähigkeit und Bewältigungsmöglichkeiten.
- Ein Trauma bezeichnet eine durch Gewalteinwirkung hervorgerufene Verletzung oder Verwundung.
- Ein Geburtstrauma stellt eine Extrembelastung, einen massiven Stress durch Wechsel zwischen hoffnungsvoller (Über-)Lebenserwartung und drohender Nichtexistenz dar.
- Transmarginaler Stress des Geburtstraumas meint ein physisches und/oder emotionales Leiden, das die Grenze dessen überschreitet, was Mutter und Kind ertragen können.
Geburtserfahrungen des Kindes
Nicht immer ist ein Geburtstrauma des Neugeborenen für Mutter, Vater und andere Beteiligte sofort erkennbar. Viel feiner als äußerlich wahrnehmbar, finden die Veränderungen vom Ungeborenen zum Neugeborenen statt. Es sind die stärksten Veränderungen, die es je im Leben erfahren wird. Die Gefühlswelt eines soeben in die Welt getretenen kleinen Menschen können wir nur erahnen. So kann sich auch eine komplikationslose Geburt auf emotionaler Ebene für das Neugeborene ganz anders als „sicher und geborgen“ anfühlen. Komplikationen wie Nabelschnurumwicklung, Geburtsstillstand, Sauerstoffmangel etc. mit lebensbedrohlichen Auswirkungen entwickeln im Nachhall von Todesangst, (Über-)Lebenswille, Existenz und Nichtexistenz ihre eigene Spätdynamik. Nicht zuletzt ist die Geburt auch heute noch ein Vorgang, der mit tiefen Urängsten und Todesangst verbunden sein kann.
Bedeutung der Nachgeburt
Nach der Geburt durchleben die Mutter und das Neugeborene die Zeit der „Nachgeburt“. Diese Phase sollte möglichst in einer sehr ruhigen, angenehmen Atmosphäre stattfinden. Sie ist unerlässlich für ein gutes Bonding von Mutter und Kind. Wird dem Neugeborenen aufgrund diverser Einflüsse diese Möglichkeit des „Nachgebärens“ nicht ermöglicht, können sich daraus je nach Anpassungs- und Regulationsfähigkeit bedeutende Probleme für das Neugeborene und sein späteres Leben entwickeln. Diese Kinder durchleiden oft eine lange Phase des „Gebärmutter-Heimwehs“. Sie sehnen sich nach der ruhigen Geborgenheit der Gebärmutter zurück. Jene Kinder äußern sich später z.B. so: „Ich möchte so gern nochmal Baby sein und in Mamas Bauch zurück.“ Bei Mutter-Kind-Spielen übernehmen sie freiwillig die Babyrolle. Die „Babysprache“ wird lange beibehalten, und das Saugen am Schnuller oder Daumen kann nur sehr schwer abgewöhnt werden.
Perinatale Ursachen und Auslöser
Geburtseinleitung
Ein natürlicher Geburtsbeginn wird vom Kind signalisiert und ausgelöst. Bei
einer Geburtseinleitung wird dieser Vorgang fremdbestimmt. Es wird vor seiner Zeit geholt, und sensible Kinder fühlen
sich wie hinausgestoßen, bevor sie für die Geburt bereit waren. Die späteren Folgen können ein immerwährender Protest
(Schreien, Zorn, Wutausbrüche) oder ein Mangel an Intuition für zeitgerechtes Handeln (zu früh, zu spät) sein. Ihr
Vertrauen, sich voll und ganz auf das Leben einzulassen, kann nachhaltig gestört sein.
Kaiserschnittgeburt
Sehr belastend ist es, wenn ein Kaiserschnitt ohne vorausgegangene
Wehentätigkeit vorgenommen wird. Während der Wehen produziert der kindliche Organismus wichtige Hormone für den
Stressabbau nach der Geburt. Bleibt die Wehentätigkeit aus, verbleiben die Stresshormone im Neugeborenen zurück, was
prägende Folgen in Form von gestörter Stressverarbeitung haben kann. Da das Abtasten („Scannen“) des eigenen
Körperschemas während der Passage durch den engen Geburtskanal ausgeblieben ist, kann es in der Folge zu einer
veränderten Sinnes- und Eigenwahrnehmung kommen. Diese Kinder können später große Schwierigkeiten mit dem Einhalten
von Grenzen haben. Auch können sie ihre eigene Kraft oft nicht kontrollieren. Im Umgang mit anderen Kindern sind sie
körperlich sehr grob, was im sozialen Umfeld häufig zu Missverständnissen führt. Sie werden irrtümlich als aggressiv
und übergriffig eingeschätzt, womit man diesen Kindern aber Unrecht tut.
Langfristige Verhaltensfolgen
Die Folgen des psycho-emotionalen und physischen Geburtsstresses bei kleinen Kindern können mannigfaltig sein. Sie sind unruhig, schreien viel und lassen sich nur sehr schwer bis kaum beruhigen. Das Ablegen (im Bett oder Kinderwagen) gelingt nicht und löst anhaltendes Schreien aus. Nur während des Tragens oder an der mütterlichen Brust schlafen sie ein. Nachts sind sie alle 1-2 Stunden wach und schreien. Oft ist dabei ein Opisthotonus (Überstrecken) zu beobachten. Angst vor Dunkelheit und starke Trennungsängste können sich entwickeln und machen Kita-Eingewöhnung und Übernachtungen außerhalb der elterlichen Umgebung schwierig. Inzwischen weiß man, dass Kinder mit traumatischer Geburtserfahrung ein erhöhtes Risiko für Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen haben. Besonders fallen Defizite der Motorik, Koordination, Konzentration und Lernfähigkeit auf. Hyperaktivität, mangelnde Impulskontrolle und Reizoffenheit werden beobachtet. In der Schule können sich diese Kinder schlecht an Regeln halten. Fehlverhalten Mitschülern und Lehrkräften gegenüber sind leider keine Ausnahme.
Psychisch prägende Spätfolgen
Die Geburt ist der Übergang vom pränatalen zum postnatalen Leben. Sie bewirkt mit ihren dazugehörigen Erfahrungen eine tiefe Prägung in unserem Unterbewusstsein und ist möglicherweise der wichtigste Grundstein unserer späteren Lebensgestaltung. Unbewusst versuchen wir unser gesamtes Leben lang, die unaufgelösten (unbehandelten) Geburtstraumata zu kompensieren, sollten solche existieren. In stark belasteten emotionalen Lebenssituationen und Übergangsphasen (Umzug, Kita-Eingewöhnung, Schuleintritt, Schul- und Berufswechsel) kann unser Unterbewusstsein die Geburtserinnerung und damit verbundene Gefühle wieder wecken.
Die Prägung einer physisch-emotional belasteten Geburt kann mit folgenden Botschaften bzw. Glaubenssätzen oder Denkmustern einhergehen:
- „Ich habe mich angestrengt, es aber nicht durch eigene Kraft geschafft.“
- „Ich kann mich nicht selbst befreien.“
- „Mein Bemühen war erfolglos.“
- „Die Welt ist bedrohlich.“
- „Ich fühle mich nicht sicher.“
Traumaarbeit
Die Kunst besteht nun darin, bestehende Geburtstraumata zu erkennen und diese gemeinsam zu bearbeiten. Einige dafür elementare Werkzeuge stelle ich im Folgenden vor.
Anamnese
Jede Anamnese sollte Fragen aus prä-, peri- und postnataler Sicht enthalten, und zwar aus der Perspektive von Mutter und Kind. Das Ungeborene lernt die Gefühlswelt der Mutter kennen und hat bereits prä- und perinatal eine eigene Wahrnehmung, die zu zahlreichen emotionalen und psychischen Verknüpfungen des sich entwickelnden Nervensystems führen. Hinsichtlich der späteren psychischen Gesundheit von Mutter und Kind sind folgende Fragen von erheblicher Bedeutung:
„Ist das Kind ein Wunschkind?“ – „Von beiden Elternteilen?“ – „Was war Ihre erste Empfindung, als Sie von Ihrer Schwangerschaft erfuhren?“ – „Was war Ihre erste Empfindung, als Sie hörten, dass es ein Mädchen/Junge wird?“ (Erste Wahrnehmung der eigenen Identität des Kindes: „Ich bin richtig so, wie ich bin“ vs. „Ich sollte anders sein“).
Achtung: Das Geburtserleben der Mutter (ggf. auch des Vaters) abzufragen, erfordert viel Erfahrung, Einfühlungsvermögen und Empathie seitens des Therapeuten, da viele Mütter durch die Erinnerung traumatischer Geburtserlebnisse schon an diesem Punkt regelrecht in sich zusammenbrechen können.
Homöopathie
Die homöopathische Herangehensweise bei Geburtstraumata und ihren Spätfolgen ist eine vielversprechende Möglichkeit, tief gespeicherte Emotionen und Empfindungen adäquat zu verarbeiten, sodass sie das künftige Leben nicht mehr blockieren oder belasten. So können Geburtstraumata aus dem aktuellen „Empfindungsspeicher“ im Gehirn (Amygdala) als verarbeitet abgelegt werden.
Alles Erlebte ist geschehen und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Durch entsprechende therapeutische Interventionen aber, z.B. tiefenpsychologische Homöopathie, haben wir die Möglichkeit, eine Verarbeitung dieser tiefgreifenden Erlebnisse bei Mutter, Kind und auch beim Vater einzuleiten, ganz nach dem Motto: „Es darf alles wieder gut werden.“
Achtung: Die homöopathische Auflösung von Geburtstraumata gehört in die Hände eines hierin erfahrenen Homöopathie-Kundigen! Bei entsprechender Indikation kann Aconitum C 30 (1-3 Globuli) bei großer Angst als Sofortmaßnahme gegeben werden.
Bach-Blüten
Auch die Anwendung von Bach-Blüten, die vom englischen Arzt Dr. Bach ursprünglich für die Verarbeitung seelischer Prozesse und Traumata entwickelt wurden, kann in Betracht gezogen werden. Die Mittel können bei Mutter und Kind gleichermaßen angewandt werden und ggf. auch den Vater bei der Verarbeitung seiner ganz persönlichen Geburtserfahrung unterstützen. Als allererste Hilfe eignen sich die Rescue-Tropfen, aber auch Star of Bethlehem kann sehr wohltuend wirken.
Spieltherapie
Die Spieltherapie hat in der Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten eine große Bedeutung. Hierbei sollten wir als Therapeuten jedem Verhalten des Kindes, sei es auch noch so auffällig, einen Sinn unterstellen. Unverarbeitete Geburtserfahrungen können sich auch durch scheinbar sinnloses Verhalten Ausdruck verschaffen. Psychomotorisch experimentieren die Kinder und schaffen sich so Freiräume für ihre Bedürfnisse. Vor allem Spiele mit Höhlen (Mutterleib), Tunnel (Geburtsweg) und Seilen (Nabelschnur) können symbolisch und repräsentativ für das Geburtserlebnis genutzt werden. So entstehen Situationen, in denen traumatische Geburtserlebnisse erinnert, wiedererlebt und heilsam verarbeitet werden können.
Narbenentstörung
Traumatische Emotionen können im Narbengewebe gespeichert werden und sich als Störfeld auf allen Ebenen negativ auswirken. So kann der Nabel ein Störfeld sein, aber auch die Sectio-Narbe der Mutter. Nach Kaiserschnitt-Geburten sollte sie in jedem Fall mitbehandelt werden.
Für die Entstörung einer Narbe stehen je nach Alter und Konstitution der Betroffenen sowie abhängig von der therapeutischen Ausrichtung des Behandlers unterschiedliche Therapieoptionen zur Verfügung. In meiner Praxis wende ich bei Kindern Bioresonanz, ionisierte Salben, Akupunkturpflaster oder Softlaser-Licht an, bei Erwachsenen zusätzlich Neuraltherapie.
Fazit
Bei allem Wissen um traumatische Geburten und ihre möglichen Folgen für die physische, psychische und emotionale Gesundheit der Kinder dürfen wir nicht vergessen, dass ein Geburtstrauma manchmal unvermeidlich und lebensrettend für das Ungeborene und/ oder die Mutter sein kann. Eine sehr große Bedeutung für das notwendige heilsame Verarbeiten hat daher die Art und Weise, wie das Neugeborene in der Welt aufgenommen wird, welche Möglichkeiten es für die Verarbeitung bekommt und welche weiteren Erfahrungen es in seiner frühen Kindheit macht. Wächst es in einem belasteten Umfeld auf, ohne entsprechende Hilfestellungen, können sich die gemachten traumatischen Erfahrungen verstärken und ernstzunehmende psychische und emotionale Probleme hervorrufen. Wächst das Kind umgekehrt in einem sicheren, liebevollen und behüteten Umfeld auf, so hat es alle Chancen, das traumatisch Erlebte zu verarbeiten und ins Leben zu starten, ohne dass langfristige Folgen für seine Entwicklung zu befürchten sind.
Literatur
- Thurmann, Ilka-Maria: Kaiserschnitt heilsam verarbeiten
- Emerson, William: Das verletzte Ungeborene
Ursel
Carls
Heilpraktikerin, Kinderheilpraktikerin, Psychologin und Spieltherapeutin, Dozentin an den
Paracelsus Schulen
u.carls-familienpraxis@web.de
Fotos: © chaunpis I adobe.stock.com, © Africa Studio I adobe.stock.com
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