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Tierheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Körperarbeit mit Hunden

Über den Körper die Seele therapieren

2011-06-Koerperarbeit1Berühren beruhigt bekanntlich, und unsere vierbeinigen Freunde sind wahre Kuschelexperten. Ein schwedisches Forscherteam hat die positive Auswirkung von Streicheleinheiten ausführlich untersucht: Liebevolle Berührungen fördern nicht nur die taktile Stimulation und die Intelligenz, sondern sorgen für eine biochemische Reaktion im Körper durch die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon. Durch die Berührung wird die Durchblutung gefördert, der Blutdruck sinkt, die Stresshormone werden reduziert und das Immunsystem wird aktiviert. Außerdem stellt sich rasch ein Wohlgefühl ein.

Für mich und meine Arbeit mit Hunden steht der stressreduzierende Aspekt immer im Vordergrund, wobei Stress an sich nichts Negatives ist, im Gegenteil, er ist ein wichtiger Motor, um schwierige Aufgaben oder Situationen erfolgreich zu lösen. Wir Menschen sowie auch unsere Hunde sind täglich neuen Situationen ausgesetzt, auf die der Körper mit Ausschüttung von Stresshormonen reagiert. Je nach Charakter und/oder Erfahrungen hat jedes Lebewesen einen persönlichen Stresslevel. Nach jeder Spannungsphase soll eine Entspannungsund Erholungsphase folgen. Findet keine Erholungsphase statt, in der der Organismus die hormonellen Regelkreise harmonisiert und der Körper wieder in Balance kommen kann, stellt sich chronisch unbewältigter Stress ein und es kommt zu einer Erhöhung der Ausschüttung des Hormons Kortisol, welches langfristig das Immunsystem schwächen kann.

2011-06-Koerperarbeit2Bei meiner Arbeit mit Erwachsenen und Kindern im Bereich der Stressreduktion konnte ich viele Ansätze und Methoden einsetzen und dadurch Erfahrungen sammeln. Diese langjährigen Erfahrungen übertrug ich auch auf die Hunde und stellte rasch positive Reaktionen und Veränderungen fest. Daraus entwickelte sich die Methode „Dog Reläx©“, die Stressreduktion, Entspannung, Kommunikation, Bindung, präventive Übungen und Massageanleitungen umfasst. Erst später wurde mir klar, dass meine Arbeit mit Hunden sehr körpertherapeutisch orientiert ist und mir das Training mit Angsthunden sehr erleichtert. Voraussetzung ist immer, dass der Hund bereit ist, sich berühren zu lassen. Die Bestätigung für den körpertherapeutischen Ansatz bei Hunden habe ich in der Arbeit der Psychologin Babette Rotschild gefunden, sie schreibt, dass die moderne körperorientierte Psychotherapie davon ausgeht, dass nicht nur das Gehirn, sondern auch der Körper jede Angst- und Traumaerfahrung speichert. Dauerstress kann sich durch starke Muskelanspannungen oder -verkrampfungen in Form extremer Körperspannung bei Hunden zeigen.

Die Arbeit mit ängstlichen Hunden liegt mir seit vielen Jahren sehr am Herzen, denn ein Leben mit Angst nimmt jede Lebensqualität und Lebensfreude, egal ob bei Mensch oder Tier.

„Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben“ (Fritz Riemann, aus Grundformen der Angst), das gilt für Mensch und Tier, und Angst ist als ein die Sinne schärfender Schutzmechanismus anzusehen, der in vermeintlichen Gefahrensituationen die instinktiven Verhaltensweisen Kampf oder Flucht einleitet.

Die Definition Angst wird im Alltag oft als Synonym für Furcht gebraucht. Furcht ist immer eine konkrete Bedrohung und wird auch Realangst genannt. Angst ist unbestimmt und ein Gefühl in bedrohlich empfundenen Situationen. Die Übergänge von Furcht und Angst liegen nah beieinander und umgangssprachlich wird überwiegend die Bezeichnung Angst als allgemeine Aussage gewählt.

Ängste bei Hunden sind immer individuell zu betrachten, sie können sehr vielseitig und vielschichtig sein. Es gibt nichts, wovor ein Hund keine Angst entwickeln kann. Ist der konkrete Angstauslöser gefunden, kann man beispielsweise mit einem Desensibilisierungstraining oder einer Neukonditionierung beginnen.

Fotos: Ricardo PilgujTraumatische Angst ist dagegen sehr intensiv und übersteigt alles, was man gewöhnlich als Angst bezeichnen würde, die Hunde reagieren oftmals übertrieben heftig auf manchmal noch so kleine Geschehnisse. Bei einer Traumatisierung entsteht im Körper eine extreme Erregung, im Hirnstamm wird eine große Menge Energie frei, die zu Panik und Todesangst führen kann.

„Traumasymptome entstehen nicht durch das traumatische Erlebnis, sondern durch erstarrte Energie, die nach dem Abklingen des Ereignisses nicht aufgelöst wurde. Solche Energierückstände bleiben im Nervensystem gebunden und können verheerend auf Körper und Geist wirken“ (Levine 1998). Der Neurologe und Psychiater Bessel von Der Kolk geht sogar davon aus, dass eine traumatische Erinnerung eine Information ist, die beinahe unverändert in ihrer ursprünglichen Form im Nervensystem gespeichert wird. Ist die Gefahr dann vorüber, entladen die Muskeln die chemische Reaktion und der Körper kommt wieder in den Ruhezustand zurück. Wird die Entladung verhindert, bleibt der Körper kontinuierlich im Stresszustand und es kann zu einer Traumafolgestörung kommen, der Hund zeigt dann manchmal nicht zu verstehende beziehungsweise nachvollziehbare Verhaltensweisen.

Kommt ein Hund dann in eine ähnliche Situation wie bei dem traumatischen Erlebnis, werden alle Informationen aus dem Gedächtnis abgerufen und es kommt zu einer „Blitzerinnerung“, dem Wiedererleben. Eine solche durch „Flashback“ (Wiedererleben) erfahrene Situation beziehungsweise Gefahrreaktion kann sich in impulsivem bis zu aggressivem (= Verteidigungsreaktion), vermeidendem (= Fluchtreaktion) und reflexhaft gelähmtem Verhalten (Todstellreflex) zeigen.

Bei einem Greyhound, der bei mir eingezogen war, konnte ich mehrfach durch den entsprechenden „Trigger“ einen erhöhten Erregungszustand oder eine plötzliche tonische Immobilität (Erstarren) beobachten. Näherte sich ein fremder Hund frontal, zeigte er sich wie ein unkontrollierbares Wildpferd, so als würde er in Todesangst um sein Leben kämpfen. Unterschritt ein Hund seine Individualdistanz oder kam uns in dominanter Haltung entgegen, erstarrte der Rüde und war nicht mehr ansprechbar.

Hunde, die bei uns Menschen leben, können sehr häufig ihre instinktgebundenen Reaktionen nicht richtig ausleben. „Ein Trauma ruft eine biologische Reaktion hervor, die fließend und anpassungsfähig bleiben muss, also nicht erstarren darf“ (Levine). Vielleicht ist hier ein Zusammenhang zu sehen, wenn Hunde sich nach einer Rauferei oder einem Kampf kurz schütteln und weitergehen. Sich schütteln oder zittern ist eine wichtige spontane Reaktion, welche Tiere nach einer Gefahr als spannungsabbauendes Verhalten zeigen. Der Traumaexperte Dr. David Berceli beschreibt tief empfundenes Zittern bei Tier und Mensch als die natürlichste Form, extreme Erregung durch Angst, Schock oder eine traumatische Erfahrung wieder zu entladen. Es ist eine Selbstregulation des Körpers.

Mein Greyhound konnte bei seinen traumatischen Erfahrungen seine extreme Erregung durch Fliehen oder Ausweichen nicht zur notwendigen Entladung bringen. Jedoch war dies ein sehr wichtiger Trainingsansatz für mich. Zeigte sich eine Situation, in der er wie handlungsunfähig wirkte, oder kündigte sich eine extreme Überreaktion an, nutzte ich die Situation sofort, um die extreme Erregung durch Bewegung aus dem Körper zu leiten. Bald spürte ich schon Sekunden vorher, wann sich eine hohe geballte Erregung zeigen wollte. Durch den Ansatz, die interaktive Selbstregulationsfähigkeit mit einzubeziehen und so die blockierten Überlebensreflexe (Kampf-Flucht- Erstarren) wieder zu regenerieren, war mir die Bewegung des Hundes sehr wichtig. Anschließend kombinierte ich dann entsprechende Stressreduktionspunkte nach Dr. med. vet. habil. Draempaehl und entsprechende Punkte aus dem Aku-Yoga nach M. Gach, die bei großem Stress, Panik und Trauma empfohlen werden. So konnte ich auch auf der subtilen, energetischen Ebene die gestaute Energie wie- der in Fluss bringen, sodass der Hund wieder seine innere Balance finden konnte. Begleitend wurden homöopathische und anthroposophische Heilmittel verabreicht.

Ein Trauma bei einem Hund zu „heilen“ ist sicherlich nur bedingt möglich. Dies verlangt einen speziellen Zugang, in erster Linie über die Einbeziehung des Körpers, um zu versuchen, die gebundenen Energien freizusetzen und somit den Heilungsprozess anzuregen. Die Traumatherapiemethoden beim Menschen setzen auf der kognitiven Ebene an, aber wir können einen Hund schlecht anweisen, sich sein traumatisches Erlebnis noch einmal vorzustellen, um dann entsprechende Therapieformen anzuwenden. Aber man kann einem traumatisierten Hund die nötige äußere Sicherheit geben und ihm als verlässliche Vertrauensperson zur Seite zu stehen.

Geborgenheit und Zuwendung sind ebenso wichtig wie Ruhe und störungsfreie Rückzugsmöglichkeiten. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, denn ein traumatisierter Hund lebt in einer permanenten Übererregung, deshalb sind Achtsamkeit und Langsamkeit sehr wichtig.

Manchmal wird eine traumatische Erfahrung ein Lebewesen auch ein Leben lang begleiten, aber die Intensität der Entladung beziehungsweise der Reaktionen kann sich durch ein intensives körperorientiertes und verhaltenstherapeutisches Training verringern und einen Schritt zu mehr Lebensqualität für Mensch und Hund bedeuten.

Sabina Pilguj Sabina Pilguj
Hundeverhaltensberaterin und Tierpsychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, ausgebildet in Kinesiologie, Yogalehrerin, Dozentin an den Paracelsus Schulen

sabiza@t-online.de

Literaturempfehlungen:

  • Pilguj, Sabina: Weisheiten der Schnüffelnasen – Botschaften der Hunde für uns Menschen, 1. Via Nova, 1. Aufl., 2011
  • Pilguj, Sabina: Dog Reläx, Entspannter Mensch – entspannter Hund, Müller Rüschlikon, 2009
  • Burghardt, Walter F.: Studie 2009, PSTD, in: Military working dogs, 2009
  • Temple, Gradin: Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier, Ullstein Taschenbuch; 1. Aufl., 2006
  • LeDoux, Joseph: Das Netz der Gefühle, dtv, 2001
  • Levine, Peter A.: Traumaheilung, Synthesis Verlag, 1998,
  • Essen Gach, Michael Reed: Heilende Punkte, Verlag Knaur, 1992
  • Gach, Michael Reed, Aku Yoga, Kösel Verlag, 1985
  • Draempaehl, Dr. med. vet. habil., Akupuntur bei Hund und Katze, Enke; 5. überarbeitete und erweiterte Aufl., 2009
  • Drampaehl, Dr. met. vet. habil., Akupuntur des Hundes, Poster Enke; 1. Aufl., 1997
  • Hüther, Gerald Prof. Dr. rer, nat. Dr. med. habil., Biologie der Angst, Wie aus Stress Gefühle werden, Vandenhoeck & Rubprecht, 2009
  • Van der Kolk, Bessel: Traumatic Stress, Junfermann, 2000
  • Rotschild, Babette: Der Körper erinnert sich – Die Psychophysiologie des Traumas, Synthesis Verlag, 2004
  • Berlowitz, Diana, et. al.: Stress und Lebensbewältiung, Stress und Lernen, Stressreaktion als Anpassungsprozesse und Warnsignale, Sonderausgabe Nr. 1 „Lernen und Verhalten“, Schweizer Hundemagazin, 2007
  • Levine, Peter, et. al.: Das Erwachen des Tigers. Unsere Fähigkeit, traumatische Erfahrungen zu transformieren, Verlag Synthesis, 2. Aufl., 1999

www.paracelsus-bookshop.de

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