Verzockt! Raus aus der Spielsucht
Die klassischen Süchte sind Alkohol, Nikotin und Drogen. In den letzten Jahren sind einige neue dazugekommen, die sich rasend ausbreiten, betreffend u.a. Internet, Handy, Sex, Essen, Kaufen und Glücksspiel. Als Suchttherapeut und Präventionstrainer ist es mir ein Bedürfnis, Therapeuten, Betroffene sowie am Thema Interessierte hierüber aufzuklären.
Was ist eine Sucht und wodurch entsteht sie?
Eine Sucht ist ein unbezwingbares Verlangen und der zumindest zeitweilige Verlust der Selbstkontrolle über das eigene Verhalten. Doch wie entsteht sie? Die Medizin hat das bis heute noch nicht genau herausgefunden. Es gibt nicht den einen Auslöser, an dem man Sucht festmachen kann. Stattdessen eine multifaktorielle Entstehung. Erkennbar sind einige Risikofaktoren, wir sprechen vom Suchtdreieck: der Mensch selbst, das Suchtmittel und das soziale Umfeld.
Risikofaktor 1: Der Betroffene
Ob Gefahr besteht, in Abhängigkeit von Glücksspielen zu geraten, kann genetisch bedingt sein. Gab es suchtkranke Menschen in der Familie? Auch wird das Risiko durch die Lebensgeschichte beeinflusst. Frühkindliche Erfahrungen können ausschlaggebend sein, ebenso traumatische Erlebnisse oder aktuelle Krisensituationen. Wen Konflikte schnell überfordern, der läuft schneller Gefahr, spielsüchtig zu werden.
Risikofaktor 2: Der Automat
Spielen gehört zu unseren Grundbedürfnissen, macht Spaß und ist von Kindesbeinen an Teil unseres Lebens. Wenn allerdings ungünstige Faktoren hinzukommen oder positive Spielerfahrungen wiedererleben werden wollen, ist man immer wieder bereit zu spielen. Dazu bietet das nervenstarke Spannungsmoment im Zusammenwirken mit einer Gewinnchance mehrere Anreize. Der Daddelkasten wird zum neuen Freund.
Risikofaktor Nummer 3: Das Umfeld
Die Umgebung kann die Suchtanfälligkeit ebenso beeinflussen wie die Zeit und die Gesellschaft, in der man lebt. Die wirtschaftliche Lage kann entscheidend sein, die Akzeptanz von Glücksspiel, die Nähe zu Spielhallen und Kneipen oder die Wirkung von Werbung. Nur das Zusammenspiel mehrerer Risiken kann zu einer Glücksspielsucht führen. Aktuelle Studien gehen von über 500 000 problematischen und suchtkranken (pathologischen) Spielern in Deutschland aus.
Der Teufelskreis der Spielsucht
Glückspiel hat immer eine Wirkung und auch Folgen. Ein normaler Kreislauf kann sein, dass Spielen Spaß macht und man dabei entspannt. Das ist die Wirkung. Folge ist, dass man wieder spielt. Das ist ein unbedenkliches Spielverhalten, alles gut. Problematisch wird es, wenn die psychotrope Wirkung einsetzt: Man spielt, um bewusst zu entspannen oder Probleme zu vergessen, man will seine Stimmung aufhellen, einen Kick erleben, Langeweile oder Einsamkeit bekämpfen.
Das Glücksspielverhalten verstärkt nun die negativen Folgen. Da die Probleme mehr werden, muss öfter gespielt werden, wodurch sich wiederum die Probleme vermehren. Der Ausstieg wird immer schwieriger, die Suchtgefahr immer größer.
Phasen der Glücksspielsucht
Die Glücksspielsucht lässt sich anhand eines Phasenmodells darstellen. Die Phasen können ineinander übergehen oder unterschiedlich verlaufen. So kann sich die Spielsucht für jeden anders entwickeln.
Einstiegsphase
Die ersten Kontakte entstehen als positive Erlebnisse durch den ersten Besuch in einer Spielhalle. Dabei werden Gewinne erzielt, die ein Glücksgefühl erzeugen. Oft wird der Gewinn den eigenen Fähigkeiten, nicht dem Zufall zugeschrieben. Vielleicht kam es zu einem Big-Win-Erlebnis: Mit z.B. 5 Euro Einsatz wurden 600 Euro gewonnen.
Das Glücksspiel kann hier als Freizeitbeschäftigung gesehen werden. Aber die Besuche werden regelmäßiger. Die Bereitschaft, Geld einzusetzen, ist vorhanden, wenngleich man noch risikoarm spielt. Weiterhin wurden schon Kontakte in die Zockerszene geknüpft. Kohle, die verloren wurde, wird versucht zurückzugewinnen.
Verlustphase
Man investiert mehr Zeit, Geld und Risikobereitschaft, um die stimulierende Wirkung zu erreichen. Der Teufelskreis entsteht, indem man die Verluste durch intensiveres Spielen versucht auszugleichen. Gewinne bleiben aus. Stattdessen wachsen die Verluste, die bagatellisiert werden.
Entstehende Probleme werden dem Umfeld gegenüber mit Lügen erklärt. Geld wird bei Familie oder Freunden, im Pfandhaus oder über Kredite beschafft. Arbeit, Familie und Freunde geraten in den Hintergrund. Ab und an verlässt man die Spielhalle sogar mit Gewinn. Man denkt, Kontrolle über sein Spielverhalten zu haben. Phasen der Abstinenz sind möglich.
Verzweiflungsphase
Das Suchtstadium. Glücksspiel wird bewusst aufgesucht, um Probleme wegzuspielen – bis die ganze Kohle verzockt ist. Die Kontrolle geht verloren, man hält kein Zeit- und Geldlimit mehr ein. Um die häufige Abwesenheit in der Arbeit und zu Hause sowie die permanenten Geldverluste zu erklären, lügt man am laufenden Band. Entzugserscheinungen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Antriebslosigkeit sind da. Da man beim Spielen diese Beschwerden vergisst, werden sie Motor für weiteres Glücksspiel, obwohl dies zu keinen positiven Erlebnissen, dafür zu größeren Problemen in allen Bereichen führt.
Um an Geld zu kommen, werden kriminelle Handlungen in Betracht gezogen. Nach dem Verlust großer Geldsummen entstehen Schuldgefühle, Selbstverachtung, vielleicht sogar Suizidgedanken. Die Versuche, weniger zu zocken oder aufzuhören, schlagen fehl, es kommt zu Rückfällen. Man wird antriebslos für alles außer für das Glücksspiel. Zocken geht immer. Und doch dauert es im Schnitt bis zu 10 Jahren, bis eine Glücksspielsucht erkannt wird.
Wie funktionieren Glücksspiele eigentlich?
Das Glückshormon Dopamin wird, wenn am Automaten gewonnen wird, ausgeschüttet und regt das Belohnungssystem an. Irgendwann reicht die Gewinnerwartung aus, um ein gutes Gefühl zu bescheren. Dieses möchte man wieder und wieder erleben. Gleichzeitig lösen Musik, Automatenlichter und Spielhallengeruch Glücksgefühle aus, da man in dieser Atmosphäre schon tolle Erfahrungen hatte.
Neuronale Veränderungen führen dazu, dass die Dopamin-Ausschüttung bei anderen Aktivitäten nicht mehr reicht. Nur noch Spielen macht glücklich. Das Belohnungssystem stumpft ab. Selbst Gewinne können es nicht mehr aktivieren. Lediglich das Spielen hält das Belohnungssystem bei Laune. Sogar hohe Verluste nimmt man nicht mehr wahr.
Kann ein Automat süchtig machen?
Nein. Automaten haben aber ein Gefährdungspotenzial und folgende Risikomerkmale:
• Die Gewinnwahrscheinlichkeit Viele kleine Gewinne machen das Spiel reizvoll. Je öfter man gewinnt, desto mehr Anreiz hat man weiterzuspielen. Man denkt: „Wenn ich lange genug spiele, muss ein Gewinn kommen!“
• Ununterbrochenes Spielen An Geldspielgeräten kann bis zu 1 Stunde durchgängig gespielt werden. Nach 5-minütiger Pause geht´s weiter. Solange man will und Geld hat.
• Die hohe Ereignisfrequenz Durch die schnelle Abfolge ist das Spiel interessant. In wenigen Sekunden weiß man, ob man gewonnen oder verloren hat.
• Fast-Gewinne Oft fehlt zum Gewinn nur ein einziges Symbol. Das verleitet weiterzuspielen, da ein Fast-Gewinn verdeutlicht, dass man kurz vor dem Gewinn steht.
• Die Ton- und Lichteffekte Die visuellen und akustischen Effekte der Geldspielgeräte sorgen für Spaß und Spannung und signalisieren dem Spieler, ob er gewonnen oder verloren hat.
• Fehlende Eingriffsmöglichkeit Durch die Risiko-, Start- und Stopptasten wird eine Einflussmöglichkeit vorgetäuscht. Man wird ins Spielgeschehen einbezogen, obwohl das Ergebnis festgelegt ist.
• Die Merkmalsübertragung An Geldspielgeräten wird in den Rubriken/Einheiten Bank, Preis und Level gespielt. Diese Modi sind weniger gesetzlichen Beschränkungen unterworfen, höhere Einsätze sind möglich. Höhere Gewinnmöglichkeiten vergrößern den Anreiz.
Umgang mit Geld
Der erste Schritt bei Geldschwierigkeiten ist, nachzuvollziehen, wie man derzeit mit Geld umgeht und wie die finanzielle Situation aussieht. Folgende Aussagen können schriftlich ergänzt werden
- Für mich bedeutet Geld:
- Bevor ich spielte, bedeutete Geld für mich:
- Ich bin früher in folgender Art mit Geld umgegangen:
- Jetzt gehe ich wie folgt mit Geld um:
- Zukünftig möchte ich so mit Geld umgehen:
Das Geldmanagement
Um den Umgang mit Geld neu zu gestalten, sind zwei Schritte notwendig:
- Beschränkung des Zuganges zu Geld
- Findung anderer Wege im Umgang mit Geld
Denn: Geld ist Auslöser sowie Voraussetzung für Glücksspiel. Wenn man keinen einfachen Zugang mehr zu Geld hat, ist es schwerer, das Spielen aufrechtzuerhalten. Viele Betroffene haben Defizite im Umgang mit Geld und benötigen jemanden, der ihnen hilft, ihren Geldzugang zu kontrollieren. Am besten, eine Vertrauensperson, der Partner, ein Familienmitglied oder ein guter Freund übernimmt vorerst das Geldmanagement.
Glücksspiel-Auslöser
Im Selbsttest kann geprüft werden, was auf einen zutrifft.
Ich spiele,
- weil ich mich langweile
- um Geld zu gewinnen
- wenn ich Stress habe
- wenn ich glaube, Glück zu haben
- wenn ich wütend bin
- wenn ich Probleme vergessen will
- weil ich verlorenes Geld zurückgewinnen will
- weil ich Spaß haben möchte
- wenn ich traurig, einsam oder depressiv bin
- weil meine Freunde mich darum bitten
- aus Gewohnheit
- wenn ich zu viel Geld bei mir habe
- wenn ich zu viel Zeit habe
Alternativen können überlegt und Ideen notiert werden, wie man mit jenen Auslösern künftig umgehen möchte.
Auswirkungen der Spielsucht
Spielsucht hat enorme negative Auswirkungen:
• Selbstzweifel und Selbstunsicherheit Man befindet sich in innerer Unsicherheit, was man tut, kann oder will. Positives wird übersehen.
• Schuldgefühle Die begleitenden, quälenden Schatten: „Wie konnte mir das passieren? Warum bin ich gescheitert? Wie kann ich das wieder gutmachen? Ich bin kein guter Mensch.“
• Ängste und Depressionen Suchtkranke leiden häufig an Angst und Depressionen. Dies erschwert die Behandlung und vergrößert das Risiko, dass eine dieser Störungen chronisch wird.
• Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Suizidgedanken Man hat kein Geld mehr, die Familie ist zerstört, Job und Wohnung sind weg. Die Freunde wenden sich ab, der Schuldenberg wächst und man weiß nicht mehr, wie es weitergeht. Suizid scheint die einzige Lösung. Wenn das die Gedanken sind, sollte man sich umgehend professionelle Hilfe suchen. Es gibt immer einen Weg aus der Sucht!
• Einsamkeit aufgrund fehlender sozialer Kontakte Emotionale Einsamkeit zeigt sich, wenn ein enger Vertrauter fehlt. Soziale Einsamkeit weist darauf hin, dass es an sozialen Beziehungen mangelt. Spielsüchtige erleben häufiger als Gesunde emotionale Einsamkeit, seltener soziale Einsamkeit. Immerhin hat man noch andere Zocker und Servicekräfte um sich herum.
• Verlust von Selbstbewusstsein Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein sind anfälliger für Sucht. Und Suchtkranke verlieren ihr Selbstbewusstsein komplett.
• Kontrollverlust Man nimmt sich vor, nur ein paar Minuten oder ein paar Euro zu zocken, doch dann werden etliche Stunden daraus und man zockt, bis das Konto blank ist.
• Eingenommenheit vom Spiel und fehlende Konzentrationsfähigkeit Der Spieler beschäftigt sich intensiv mit Spielerfahrungen und Nachdenken über Geldbeschaffung. Die fehlende Konzentrationsfähigkeit kommt, weil man den ganzen Tag nur blinkende Lampen und Automatenmusik wahrnimmt.
• Berufliche Konsequenzen Das süchtige Spielverhalten bedeutet meist den Verlust des Jobs.
• Finanzielle Probleme Die Spielsucht kostet extrem viel Geld, bis man finanziell am Ende ist.
• Verlust von Freundschaften und Partnerschaften Die Automaten sind irgendwann die besten Freunde. Man hat keine Zeit mehr für „echte“ Menschen. Diese wenden sich ab, man steht ganz alleine da.
• Soziale Isolation Wenn kein soziales Umfeld mehr besteht, ist ein freier Fall gegeben. Es beginnt eine Abwärtsspirale, an deren Ende häufig der Therapiebeginn steht. Isolation ist für viele der Auslöser, den Ernst der Lage zu erkennen.
• Familiäre Probleme Es kommt zu Schulden und der Partner muss den Tag allein bestreiten. Durch die Geldknappheit kann oft nicht einmal mehr Nahrung gekauft werden. Man versucht, die Sucht zu verheimlichen. Der Kontakt wird von der Familie als belastend empfunden. Die Gedanken sind nur noch auf das Spielen gerichtet. Die Beziehung ist irgendwann nicht mehr zu retten, die Familie geht.
• Verlust von Eigentum Wurden schon Wertgegenstände verkauft, um an Geld fürs Spielen zu kommen? Finanzierungsraten sind nicht mehr abstotterbar? Die Miete ist nicht mehr zahlbar, der Gerichtsvollzieher hat schon angeklopft.
• Beschaffungskriminalität und die Konsequenzen Ist man verschuldet, muss das Geld trotzdem beschafft werden. Man rutscht ab in die Beschaffungskriminalität. Diebstahl, Betrug, Hehlerei und schwere Kapitaldelikte – damit Geld zum Spielen reinkommt. Die Konsequenz ist eine Vorstrafe, oft ein längerer Gefängnisaufenthalt.
Tipps: Der Weg, spielfrei zu sein und zu bleiben
Abschließend einige Tipps und Leitsätze aus meiner Praxis für Betroffene. Wenn die Spielsucht bereits zu markant ist, ist auf jeden Fall eine Psychotherapie angeraten.
- Ich setze mir Ziele und arbeite daran.
- Ich prüfe meine Ziele regelmäßig, ob sie realistisch sind und ich Fortschritte mache.
- Ich versuche, Situationen, in denen ich mit Bargeld umgehen muss, zu vermeiden.
- Ich schaffe Geld- und Kreditkarten ab.
- Ich bitte jemanden, mein Geldmanagement für eine bestimmte Zeit zu übernehmen.
- Ich lasse mein Geld zuhause, wenn ich irgendwo hingehe, wo man Glücksspiele spielen kann.
- Ich lege ein Teil meines Geldes fest an.
- Ich erstelle einen Finanzplan und halte mich daran.
- Ich reduziere meine Ausgaben oder erhöhe mein Einkommen.
- Ich suche Kontakt mit anderen Menschen.
- Ich baue mir ein soziales, mich unterstützendes Netzwerk auf.
- Ich nutze ein Spieltagebuch, um meine Aktivitäten zu verfolgen.
- Ich spreche mit meiner Vertrauensperson über meine Ziele und Fortschritte.
- Ich suche eine Schuldnerberatung auf.
- Ich hole mir bei Depressivität oder Suizidgedanken sofort professionelle Hilfe.
- Ich vermeide den Konsum von Alkohol und Drogen.
- Ich spare, um mich mit Besonderem zu belohnen.
- Ich suche mir neue Freizeitaktivitäten.
- Ich verändere meine Lebensgewohnheiten und meide Glücksspielauslöser.
- Ich plane meine Tage genau, damit ich keine Zeit übrig habe.
- Ich starte sportliche Aktivitäten.
- Ich eigne mir mehr Wissen über Spielsucht an.
- Ich nutze positive Selbstinstruktionen, um meine Ziele zu erreichen.
- Ich beurteile Rückfälle realistisch und erstelle einen Plan, was ich bei einem Rückfall tun kann.
- Ich gehe Tag für Tag in kleinen Schritten voran.
Christian Hütt
Heilpraktiker für Psychotherapie, Suchttherapeut, Burnout- und
Vitalitätscoach, Dozent und Trainer für Spielsucht-Präventionsschulungen, zugelassen nach den Landesglückspielgesetzen
der Bundesländer
info@business-cor.de
CD-Tipp
Christian Hütt: Verzockt!
Dein Weg aus der Spielsucht.
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Foto: © Tomasz Zajda / fotolia.com
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