Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis – Posttraumatische Belastungsstörung nach Autounfall
Patient
Der 44-jährige Mann wird über die Berufsgenossenschaft (Arbeitsunfall) an mich verwiesen. Seit einem Autounfall 8 Wochen vor dem Ersttermin ist er krankgeschrieben. Er leidet an Schlafstörungen und heftiger körperlicher Unruhe. Emotional fühlt er sich sehr gestresst.
Anamnese
Der Patient ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern im eigenen Haus. Seit 2 Jahren ist er angestellter Vertreter im Außendienst eines großen Unternehmens und muss mit seinem Firmenwagen täglich Hunderte Kilometer zurücklegen. Während einer Berufsfahrt ereignet sich der unverschuldete Unfall. Eine Autofahrerin sei ihm auf einer Landstraße frontal in seinen Firmenwagen gekracht. Mit Kopfschmerzen und Sehstörungen kommt er ins Krankenhaus. Fachärztlich wird alles abgeklärt, demnach liegen keine medizinischen Folgeerkrankungen vor.
Seit dem Unfall kann der Patient keine längeren Strecken mehr fahren. Ihn plagen Albträume, in denen er Tod und Sterben erlebt. Seine innere Unruhe und der emotionale Stress belasten ihn sehr. Hinzu kommt die Befürchtung, nie wieder in seinem Beruf arbeiten zu können.
Der Patient hat keine weitere psychologische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen. Sein Therapieziel: Wieder „zum Alten“ werden beim Fahren.
Diagnose
Es kann die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung gestellt werden (PTBS, F43.1). Der Patient zeigt ein Hyperarousal mit deutlich reduzierter Stresstoleranz, Flashbacks, Schlafstörungen, Angstsymptomen und sozialem Rückzug. Es ist ihm nicht möglich, Auto zu fahren; er hat ein massives Vermeidungsverhalten. Spezifische Fragmente des Traumaerlebens fungieren bereits als Trigger.
Therapieplan
Da der Patient eine hohe Alltagsstabilität aufweist und Zugriff auf innere und äußere Ressourcen hat, planen wir ein rasches Vorgehen mittels EMDR: kurze Stabilisierungsphase mit Psychoedukation, anschließende Traumakonfrontation und -integration (nach Drei-Zinken-Modell) sowie eine abschließende Neu-Organisation.
Verlauf
Im Sinne von Psychoedukation erkläre ich zunächst, was Traumaerleben neurophysiologisch bewirkt und wie wir diesbezüglich
mit EMDR ansetzen können. Dies entlastet den Patienten deutlich und weckt Zuversicht. Abschließend implementieren wir durch Imagination den „Sicheren Ort“ mit Körperanker. Dies soll der Patient zu Hause üben und zur Herstellung innerer Sicherheit nutzen.
Während des 3. Termins erarbeiten wir psychoedukativ ein auf den Patienten passendes Angstmodell zur Neubewertung der Symptome. Ihm wird immer klarer, dass er seinen Ängsten gegenüber nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern bewusst und selbstwirksam regulierend handelnd kann. Anschließend (re-)aktivieren wir seine Selbstregulationsfähigkeiten durch u.a. Progressive Muskelentspannung und die PEP-Klopftechnik.
Konfrontation und Integration
Der Patient berichtet zu Beginn des 4. Termins, dass es ihm besser gehe. Er sei eigenständig mit dem Auto zur Praxis gefahren, allerdings unsicher. Als ihn Ängste überkamen, habe er angehalten und sich durch das Klopfen schnell beruhigen können.
Wir prozessieren das Thema „Autounfall“ mithilfe von EMDR. Der Patient nennt als repräsentatives Bild den schlimmsten Moment („Die Sekunde vor dem Zusammenprall“). Verbunden mit der negativen Kognition („Ich sterbe“), den aufkommenden Emotionen und dem vorherrschenden Körperempfinden beginne ich die bilaterale Stimulation des Patienten durch Augenbewegungen. Während des Prozesses zeigen sich unterschiedliche Emotionen wechselnder Qualität sowie wandernde Körperempfindungen. Es kommen verschüttete Erinnerungsbruchstücke hervor, die im Prozess neu bewertet und in das Erleben integriert werden können. Zum Abschluss des EMDR-Prozessierens verfestigt sich die positive Kognition: „Es wird alles gut, ich überlebe.“ Die emotionale Belastung wie auch die unangenehmen Körperempfindungen können reduziert werden. Es zeigt sich eine minimale Restbelastung (SUD 0,5; Subject Unit of Distress, Skala 1-10), die bei der Methode nicht unüblich ist. Dies ist häufig der „Letzte Zeuge“ dafür, dass dem Patienten etwas Schreckliches widerfahren ist.
Zum 5. Termin bringt er ein Foto des Unfalls mit. Wir haben dies im vorausgehenden Termin vereinbart, um den „Letzten Zeugen“ zu externalisieren, damit dieser in Zukunft symptomatisch keine Belastung mehr darstellt. Der Unfall kann somit intrapsychisch der Vergangenheit zugeordnet werden. Im Sinne einer Evaluation der vorausgehenden EMDR-Sitzung berichtet der Patient von einer deutlichen Beruhigung. Er habe keine Albträume mehr und sei auch beim Autofahren nicht mehr so angespannt. Auf entgegenkommende Fahrzeuge achte er nicht mehr bewusst.
Neu-Organisation
Dem Patienten geht es deutlich besser. Er plant, seine Arbeit aufzunehmen und wieder im Außendienst zu arbeiten. Kurvenreiche Strecken kann er wieder fahren und Gegenverkehr tolerieren, ohne körperlich oder emotional zu reagieren. Wir prozessieren mittels EMDR eine Zukunftsperspektive ohne Vermeidungsverhalten: Der Patient fährt in seiner Vorstellung die Unfallstrecke mit dem PKW. Das Maß der Belastung ist sehr gering (SUD 2). Das Prozessieren erfolgt ohne Bildung von Assoziationsoder Affektbrücken.
Ausblick
Während des letzten Termins berichtet der Patient, dass er wieder arbeiten könne und einen neuen Firmenwagen habe. Zwar dasselbe Modell wie das Unfallfahrzeug, allerdings in anderer Farbe. Außerdem sei er mit seiner Familie an die Nordsee in den Urlaub gefahren. Er selbst habe den PKW gesteuert. Der Patient zeigt keine traumabezogene Symptomatik mehr: keine Schlafstörungen, kein Hyperarousal, keine Flashbacks, keine Vermeidung, kein sozialer Rückzug, keine traumabezogenen oder frei flottierenden Ängste.
Fazit
Hier zeigt sich, dass EMDR eine schnelle und effektive Methode zur Behandlung einer PTBS nach Monotrauma ist (Typ 1 – akzidentell). Innerhalb weniger Sitzungen und in einem zeitlichen Umfang von 10 Wochen konnte mittels EMDR das traumatische Erleben des Unfalls integriert und durch den Patienten kognitiv neu bewertet werden.
Julia Koch
Heilpraktikerin für Psychotherapie und Sozialpädagogin (BA) mit Schwerpunkten
Traumafolgestörungen und Trauerbegleitung, Dozentin an den Paracelsus Gesundheitsakademien info@praxis-julia-koch.de
Seminar-Tipp
EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing Dozentin: Julia Koch Start Ort
15.03. Kassel 12.04. Jena 24.05. Bielefeld 16.08. Osnabrück
Alle Termine und Informationen auf www.paracelsus.de
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