Homöopathie: Der geschockte Kanarienvogel
Gedanken zur Homöopathie in Verbindung mit einem Preisrätsel
für fachkundige Leser von
Peter Raba
“Willst Du das Tier ahnend erfühlen
in seiner eigenen Ewigkeit mußt
Du
Dich in es hineinträumen oder
tanzend Dich ihm ähnlich machen”
PETER RABA
Im Mai 1986 kommt eine Patientin mehr oder weniger routinemäßig und erzählt beiläufig von ihrem Kanarienvogel.
Derselbe benehme sich seit einiger Zeit sehr merkwürdig. Er sei ausgesprochen singfaul geworden und säße dösend, fast
schlafend wie somnambul in seinem Käfig. Trotz geöffneter Käfigtür würde er auch nicht mehr im Zimmer umherfliegen,
was er früher immer voll Freude getan hatte. Von seinem ehemals sprühenden Temperament sei jedenfalls nicht viel, um
nicht zu sagen, gar nichts mehr übrig geblieben.
Ich frage, ob sie denn nicht glaube, daß der Kanari allmählich “in
die Jahre” komme und ganz einfach seines Alters wegen nicht mehr so überschäumend sei. Das verneinte sie ganz
entschieden.
Nach näheren Einzelheiten befragt, kommt noch heraus, daß der Vogel offensichtlich bisweilen Anstrengungen mache, zu fliegen, und zu diesem Zweck die Flügel anhöbe, dann aber immer wieder, wie von einer unsichtbaren Macht gehindert, sitzen blieb. Auch den Schnabel würde er öfters lautlos öffnen, wie um zum Singen anzusetzen, ihn dann aber ebenso lautlos wieder schließen, als säße ihm ein Kloß im Hals.
Diese Symptomatik ist so exzellent geschildert, daß mir ein ganz bestimmter Verdacht kommt. Ich frage die Frau, ob das merkwürdige Verhalten des Tieres mehr oder weniger plötzlich begonnen habe, woran sie sich zu erinnern glaubt. So etwa vor einem knappen halben Jahr im Winter habe alles angefangen. Meine Hypothese weiterverfolgend frage ich, ob sie glaube, daß der Vogel vielleicht durch irgend etwas maßlos erschrocken sein könne, vielleicht den Besuch einer Bekannten mit Katze oder dergleichen. Das wird verneint. Jedoch glaubt die Frau sich zu erinnern, daß der Beginn der Störung ziemlich genau mit dem Beginn des neuen Jahres zusammenfalle, und daß der Vogel in der Sylvesternacht unbeaufsichtigt und außerhalb des nicht abgedunkelten Käfigs im Schlafzimmer im achten Stock eines Hochhauses herumgeflattert sei, und daß höchstwahrscheinlich der Schreck durch das Sylvestergeballer und die aus dieser Höhe eindrucksvoll zu beobachtenden Feuerwerkskörper ausgelöst wurde.
In der Tat paßt das seltsame Gebaren des Tiers gut zu der Annahme eines Schockerlebnisses, und ganz auf diese Hypothese bauend, wird ein einziges Korn der 200sten Potenz unseres Hauptschockmittels in etwas Wasser aufgelöst. Nachdem die Frau etwas von dieser Lösung mit einer Pipette aufgesogen und dem Kanari in den halbgeöffneten Schnabel bzw. Schlund gespritzt hat, bleibt dieser noch einen Augenblick ruhig sitzen, schüttelt sich dann und beginnt sein Gefieder zu putzen. Ein paar Minuten später fliegt er wieder auf seine geliebte Vorhangstange und singt die untergehende Sonne an.
Danach flattert er ein wenig im Zimmer umher, und das noch dazu in der Abenddämmerung, was er vorher überhaupt noch niemals getan hatte! So der telephonische Bericht der Frau am Abend desselben Tages.
Eine ähnlich schnelle Wirkung dieser Arznei erlebte ich einmal bei einer Frau mit einem Phantomschmerz über
dem rechten Auge. Sie war in ihrer Wohnung ausgerutscht und mit dem Gesicht in Richtung auf einen
gußeisernen Ofen zugefallen. Der im Bruchteil einer Sekunde durch ihren Kopf schießende Gedanke dabei war, daß sie
sich im nächsten Moment das Auge ausschlagen würde.
Sie konnte jedoch gerade noch rechtzeitig im Fallen die
Richtung ändern und das vermeiden. Es bildete sich aber fast augenblicklich danach jener Schmerz heraus, der ihr nun
seit fast 6 Wochen den Kopf”vernebelte”, wie sie sich ausdrückte. In der Folgezeit war sie bei allen möglichen
Spezialisten gewesen – ohne jeden Erfolg.
Das leuchtet dem mit unserer Materie Vertrauten auch ein, denn der Schmerz – und ganz speziell dieser – sitzt ja im
Ätherleib, besteht gleichsam in einer Verzerrung desselben und kann eben auch nur mit “ätherisierten Mitteln” – die
noch dazu zu seiner Ursache passen müssen – vertrieben werden.
Ironie des Schicksals: Die Frau hatte ihre Freundin
mit in meine Praxis begleitet und gar nichts im Sinn gehabt mit Homöopathie. Ihr konnte ich sofort helfen – der
Freundin nicht. Die Freundin war aber Zeuge, wie sich der Schmerz buchstäblich in Sekundenschnelle verlor. Spontaner
Freudenausbruch der Frau: “Können Sie zaubern? Das ist ja, als ob Nebelschleier aus meinem Kopf weggeblasen werden und
die Sonne wieder scheint!”
Genauso schnell ging es einmal bei einem jungen Mann, der nach einem Autounfall zitternd mit defokussiertem Blick und halboffenem Mund am Straßenrand neben seinem Auto saß. Auch er war innerhalb von Sekunden nach Einnahme eines einzigen Kügelchens der bewußten Arznei wieder “da”.
Sogar aus komatösen Zuständen bei schweren Erkrankungen hat dieses Mittel schon den einen oder anderen zurückholen können.
Beschäftigen wir uns also ein wenig näher mit der Symptomatik, um aus den damit verbundenen Überlegungen heraus allmählich eine Vorstellung davon zu bekommen, welches Pharmakon ähnlich genug sein könnte, um bei einem Gesunden solche Erscheinungen zu produzieren.
Das seltsame Symptom bei unserem Vogel ist zweifellos das Öffnen des Schnabels, ohne zu singen. Dieses Nicht-singen-Können kommt dem Unvermögen gleich, sich zu artikulieren. Das steht im “Kent” unter
MUND/SPRACHE/SCHWIERIG III,208
Hier ist unser Mittel bereits dreiwertig vertreten. Allerdings gibt es noch mehrere andere fettgedruckte Heilstoffe in dieser Kolonne. Wenn man aber unterstellt, daß der Sprachverlust eine Folge des Schocks ist, bleiben nicht mehr viele Medizinen übrig.
Wer etwas weiter liest, findet sogar noch eine präzisere Rubrik, in der es heißt
MUND/SPRACHE VERLOREN/NACH SCHRECK III,207
Hier steht ein einziges Mittel (welches?), das ebenfalls als ein Schockmittel bekannt ist. Synonym hierzu ist eine Rubrik unter
KEHLKOPF/TRACHEA (LUFTRÖHRE) III,324
Hier stehen außer unserem in Aussicht genommenen Mittel auch noch Aconit und Gelsemium, der wilde Jasmin zweiwertig.
Wir haben allerdings noch ein zweites wertvolles Symptom und das ist die merkwürdige Schlafsucht des Vogels, den Somnambulismus, wie die Frau das nennt. Und sowohl in der Rubrik
GEMÜT/SOMNAMBULISMUS = SCHLAFWANDELN I,86 wie unter
SCHLAF/COMATÖS I,371
muß unsere Arznei in möglichst hoher Wertstufe vertreten sein. Auch in der Synonymen Rubrik
GEMÜT/TEILNAHMSLOSIGKEIT I,102
können wir nachsehen.
Der aufmerksame Leser wird immer wieder bemerken, daß ein Homöopath ebenso wendig wie präzise sein muß, vergleichbar einem Kriminalisten, der an einem schwierigen Fall arbeitet.
Bleibt also noch der von der Frau beobachtete “Kloß im Hals” beim Öffnen des Schnabels, den man auch dahin deuten kann, daß dem Vogel vor Schreck ganz einfach “die Luft weggeblieben” ist, so daß er jetzt unter Hypoxie leidet, was wiederum die Schlafsucht erklärt, wodurch erstere, die Hypoxie nämlich, jedoch nicht besser wird, wie man weiß.
Unter
ATMUNG/UNTERBROCHEN III,350
ist unser Mittel ebenfalls dreiwertig vertreten. Jedoch bewegen wir uns hier schon auf dem Boden der Spekulation und interpretieren, was wir beobachten. Und das sollte man, genau genommen, natürlich nicht.
Das homöopathische Mittel muß aufgrund exakter Beobachtung gefunden werden. Persönliche Interpretationen, die hierüber hinausgehen, sind mit Vorsicht zu genießen. Allerdings muß man aus dem Beobachteten auch richtige Schlüsse ziehen können. Allein nach den Symptomen läßt sich nicht gut therapieren – in den meisten Fällen wenigstens nicht. Und Tiere können ja nicht gut sagen, was ihnen fehlt.
Wenn man im vorliegenden Fall die spärlichen Symptome in einen noch so gut programmierten Computer einspeist, um das
Simile ausgeworfen zu bekommen, wird man entweder den Computer oder die Homöopathie verfluchen, welch letzteres
natürlich unsinnig wäre. Das heilende Mittel für diesen Vogel wird niemals herauskommen. Es fehlt der ordnende Geist.
Homöopathie behandelt die gestörte Seele, und das kann keine noch so schnell und exakt arbeitende, aber letzten Endes
doch seelenlose Maschine.
Das heißt, der Rechner wird immer nur so gut sein wie der Mensch, der hinter ihm sitzt.
Daß man sich mit ihm die Arbeit, vor allem bei chronischen Fällen mit vielen Symptomen, erheblich erleichtern kann,
steht auf einem anderen Blatt.
Das heilende Mittel – der erst allmählich in die neue Denkungsart der Homöopathie Hineinwachsende wird bereits
ungeduldig darauf warten – war …
Dieses ist das Haupt- und Staatsmittel der Homöopathie bei Folgen von
Schreck, weil eben jene Folgen sehr ähnlich denen sind, die dieses Pharmakon beim Gesunden erzeugt.
Das Groteske, man möchte sagen: Schizophrene an der Sache – was die Verordnung der Droge in homöopathischer Hochpotenz angeht – ist allerdings, daß uns die Behandlung mit ihr jahrelang untersagt war, da dieser Stoff dem Drogengesetz unterworfen ist.
Der Leser darf folgende Überlegung anstellen: Auf der einen Seite wird dem Homöopathen vorgeworfen, er behandle rein
suggestiv, weil ja in den hohen Dynamisationen seiner Heilmittel sowieso “nichts mehr drin” sei. Auf der anderen Seite
werden einzelne solcher Mittel auf den Index gesetzt, weil der zugrundeliegende Ausgangsstoff dem Drogengesetz
unterliegt. Die “Deutsche Gesellschaft für klassische Homöopathie” hat inzwischen dieses für uns unersetzlich wichtige
Mittel wieder freigekämpft. Andere, ebenso wichtige, wie beispielsweise Coca, die göttliche Pflanze der Inkas, oder
Cannabis indica, der Indische Hanf, sind auch in diesen hohen Potenzen immer noch nicht zugänglich.
Wer’s jetzt
noch nicht weiß, muß seine Arzneimittellehre besser studieren.
Der vorliegende Fall – ein Tierversuch der ungewöhnlichen Art – war jedenfalls wieder einmal ein schöner Beweis für
die Wirksamkeit der substanzfreien Hochpotenz am unbeeinflußten Tier.
Natürlich lassen die dort gegebenen
Ratschläge sich auf alle Tiere anwenden.
PREISFRAGE
Wie heißen
die beiden möglichen Simile?
Auflösung erfolgt im nächsten Heft.
Weitere Artikel aus dieser Ausgabe
- 1Praxis: 3 unter einem Dach
In einer einzigartigen interdisziplinären Praxis arbeiten ein Arzt, eine TCM-Akupunkteurin und eine Heilpraktikerin zusammen, um Patienten ganzheitlich und mit minimalen Nebenwirkungen zu behandeln.
Naturheilkunde - 2Frage & Antwort
Fragen an den FVDH beantwortet: Von Arbeitserlaubnis als Heilpraktiker in den USA bis hin zu Salbenherstellung und Werbung. Experten klären rechtliche Aspekte und Praxisfragen.
Naturheilkunde - 3Erfolgstherapien von Kopf bis Fuß – Teil 12 – Herzerkrankungen Teil 2
Herzerkrankungen können zu gefährlichen Lungenödemen führen, die eine sofortige Behandlung erfordern. Dieser Artikel beleuchtet Ursachen, Symptome und Therapiemöglichkeiten.
Naturheilkunde - 4Gedanken zum Thema Beziehungen
Der Artikel untersucht verschiedene Modelle von Beziehungen, wie diese gelebt werden und welche Faktoren für deren Gelingen entscheidend sind.
Psychotherapie - 5Pikante Tücken der Beziehungsebene
Ein Missverständnis in einer gynäkologischen Praxis in Los Angeles sorgt für chaosartige Verwirrung und kulturelle Aha-Erlebnisse. Eine humorvolle Erzählung über sprachliche und kulturelle Fallstricke.
Psychotherapie - 6Ganzheits-Therapie nach Dr. med. Friedrich Bösser
Die Ganzheitstherapie von Dr. med. Friedrich Bösser basiert auf einer dreistufigen Methode zur Behandlung chronischer Erkrankungen. Sie kombiniert Entsäuerung, Herztonisierung und Aufbau mit speziellen Präparaten.
Naturheilkunde - 7Zytoplasmatische Krebsfrühdiagnose nach Dr. Scheller
Die zytoplasmatische Krebsfrühdiagnose nach Dr. Scheller untersucht Veränderungen der Zellatmung, um Anzeichen von Krebs frühzeitig zu erkennen. Eine wichtige Rolle spielt die Bildung von Milchsäure und Mitochondrien.
- 8Bioresonanz – ein kritischer Dialog
Ein kritischer Dialog über Bioresonanz: Technik, Missverständnisse und die Herausforderungen, die es in der Naturheilkunde zu überwinden gilt. Ein tiefgehendes Interview mit Dipl. Ing. Peter Barski.
Naturheilkunde - 10Infektions-Prophylaxe mit Nosoden
Ein Prophylaxekonzept mit Nosoden für Reisen und gegen durch Zecken, Insekten und Flöhe übertragene Zoonosen wird vorgestellt, um Infektionen vorzubeugen.
Naturheilkunde - 11Warum Pflanzenheilkunde?
Pflanzenheilkunde, eine der ältesten Heilmethoden, bietet eine umfassende Behandlung, indem sie nicht nur Symptome bekämpft, sondern auch Ursachen angeht.
Naturheilkunde - 12Der naturheilkundliche Umgang mit Ohrgeräuschen (Tinnitus)
Tinnitus wird als störendes Ohrgeräusch wahrgenommen. Naturheilkundliche Therapeuten suchen nach alternativen Ansätzen zur Behandlung, um die Patienten ganzheitlich zu unterstützen.
Naturheilkunde - 13Haaranalyse – Resonanztest
Die Haaranalyse bietet Einblicke in Mineralstoff-Regulationen und deren Bedeutung bei Ernährungsfehlern. Symptome wie Übelkeit könnten auf Blei-Vergiftungen hindeuten.
Naturheilkunde - 14Gua Sha Fa
Gua Sha Fa, eine manuelle Therapie aus der TCM, zeigt Erfolge bei Lähmungen, Muskelatrophie und orthopädischen Störungen. Diese Methode regt die Durchblutung an, lindert Schmerzen und harmonisiert den Qi-Fluss.
Naturheilkunde - 15Interview mit HP Franz Thews
Heilpraktiker Franz Thews spricht über seine Lehrtätigkeit, die Bedeutung der TCM und den Balanceakt zwischen Praxis und Ausbildung. Einblicke in seine Philosophie und Zukunftspläne.
Naturheilkunde - 16Suizid-Prävention
Die Prüfungsarbeit von Sigrid Kaußmann befasst sich mit der Suizidprävention bei der Klientin Frau R., die nach dem Tod ihres Mannes an Depressionen leidet.
Psychotherapie - 17Energetisch-ganzheitliche Pferdepflege
Erfahren Sie, wie die Akupunkt-Massage nach Penzel das Energiekreislaufsystem bei Pferden beeinflusst und Blockierungen löst. Erleichtern Sie die Pflege durch gezielte Massagen und Behandlungen.
Tierheilkunde - 18Psychotherapie und ihre Risiken
Der Artikel beleuchtet Risiken und Herausforderungen in der Psychotherapie, einschließlich der fehlenden Qualitätsmaßstäbe, möglichen Therapieschäden und Problemen sowohl für Klienten als auch Therapeuten.
Psychotherapie - 19Tibetische Medizin
Die traditionelle tibetische Medizin basiert auf buddhistischen Prinzipien und nutzt Heilkräuter, Pulsdiagnose und Energiemanagement zur Behandlung von Krankheiten. Sie bleibt bis heute weitgehend unbeeinflusst von westlicher Medizin.
Naturheilkunde - 20900 Jahre Hildegard von Bingen (1098-1179)
Ein umfassender Einblick in das Leben und Werk von Hildegard von Bingen, einer bedeutenden Frau des christlichen Abendlandes, deren Visionen, Schriften und Gesundheitslehren auch heute noch von großer Relevanz sind.
Naturheilkunde