Pikante Tücken der Beziehungsebene
Das Beherrschen einer Sprache hängt nicht alleine vom grammatikalisch richtigen Umgang mit den Vokabeln ab. Erst die Kenntnis der fremden Umgangsregeln kann eine störungsfreie Kommunikation gewährleisten. Wer das nicht verinnerlicht hat, wird unter Umständen schwer mißverstanden – wie das folgende Beispiel zeigt…
An einem heißen Sommertag besuchte ich zum ersten Mal einen Gynäkologen in Los Angeles.
Die Sprechstundenhilfe
begrüßte mich mit der für LA üblichen Freundlichkeit und führte mich sofort in das Untersuchungszimmer mit der Bitte,
mich zu entkleiden.
Es wäre mir lieber gewesen, dem fremden Arzt erstmal bekleidet zu begegnen, so wie ich es von
zuhause gewöhnt war. Aber ich war finster entschlossen, mich auf die manchmal etwas ungewohnten Bräuche des Landes der
unbegrenzten Möglichkeiten einzulassen und zu lernen, es “easy zu taken”.
Also gehorchte ich.
Es gab keinen
Untersuchungsstuhl, wie in Deutschland, sondern nur eine Pritsche. So ließ ich mich darauf nieder, ließ die Beine
baumeln und bemühte mich, nackt und gelassen die Kühle zu genießen.
Und dann kam’s.
Mit einem Temperament, das mindestens Stärke 7 auf der Richterskala eines Seismographen ausgelöst hätte, stürmte ein rübezahlartig rothaariger 2-Meter Mensch in den Raum. Bei meinem Anblick wurden zwei auffallend blaue Augen in blankem Entsetzen weit aufgerissen und das sommersprossige Gesicht verfärbte sich dunkelrot. Er machte auf dem Absatz kehrt und suchte fluchtartig das Weite, wobei er die Sprechstundenhilfe, die ihm höchstens bis unter die Achseln reichte, einfach über den Haufen rannte.
Erschrocken und etwas verwirrt sah ich an mir herab. So schlimm…?
Der Blick der Sprechstundenhilfe war geneigt, mir den letzten Rest an Fassung zu rauben. Mit einer Entschlossenheit,
die an die inquisitorischen Ausführungsorgane der Hexenverbrennung des Mittelalters erinnerte, marschierte sie auf
mich zu, nahm eines der weißen Tücher, die auf der Pritsche lagen, und schleuderte es mir auf den Schoß.
“Ziehen
Sie das an!”
Fauchte und entschwand türenknallend.
Wie in Trance glotzte ich die Türe an…
Dann klamüserte ich, krampfhaft um Ruhe bemüht, das weiße Etwas auseinander, das sich als OP-Hemd entpuppte. Etwas
ratlos drehte ich es hin und her…
Na, vermutlich den Schlitz nach vorne. Schließlich war dies eine gynäkologische
Untersuchung, bei der es angebracht erschien, daß der Arzt etwas sehen konnte… Also rein in das Flügelhemd und
Schleifchen unter dem Kinn binden.
Diesmal hatten sie sich abgesprochen. Die Sprechstundenhilfe äugte erst vorsichtig um die Ecke, um zu sehen, ob die
Luft rein war.
Mein Anblick entlockte ihr einen gequälten Seufzer.
“Nein, nein, nein, nicht so!”
Ungeduldig
zerrte sie mir das Hemd vom Körper. Also doch Schlitz nach hinten…
“HINLEGEN!!!”
Wie ferngesteuert gehorchte ich, ohne mich gegen den Befehlston zu wehren. Als ich lag, breitete sie ein überdimensionales Laken über mir aus…
Mit einem Mal verstand ich!
Sie verwechselten mich mit jemandem, der operiert werden sollte!
Unendlich
erleichtert, die Bedeutung dieses höchst denkwürdigen Verhaltens erfaßt zu haben, rief ich:
“Entschuldigung, aber
ich bin nur zur Untersuchung hier, nicht für eine Operation!”
“Was glauben Sie, was das hier ist? Eine Peepshow?”
“…?”
Krachend fiel die geplagte Türe ins Schloß. Mein erleichtertes Lächeln war einem blöden Grinsen gewichen, das sich wie eingemauert auf meinem Gesicht festhielt. Ich war eingemummelt wie ein Kokon und es war mir völlig schleierhaft, wie ich in diesem Zustand untersucht werden sollte.
Easy! Dachte ich.Take it ea-syl!!!
Mit dem gleichen Schwung wie zuvor rauschte Dr. Rübezahl in den Raum, gefolgt von Sprechstundenhilfe Rumpelstilz. Er
war wirklich riesig und mit einem Schlag begann ich zu beten, daß ich mich nicht in der Türe geirrt hatte.
Mit
scheinbar gelassenem Gesichtsausdruck, der mir jedoch durchaus ein wenig gezwungen erschien, begann er seine Pranken,
mit dem Durchmesser eines mittleren Klodeckels, erst umständlich durch das Laken und anschließend durch das OP-Hemd zu
wurschteln, um dann meine Brüste abzutasten.
Fast wie ein richtiger Arzt… Nur, daß er seinen Blick stur auf die
Wand über mir heftete, so,als wolle er die Knubbeln im Rauhputz zählen.
Anschließend die gleiche umständliche
Prozedur von unten, nur daß er diesmal neben den Klodeckeln auch noch seinen gesamten massigen Oberkörper unter das
Laken wühlte.
Bewegungslos wie eine Statue stand Rumpelstilz daneben und ließ mich nicht aus den Augen.
Langsam
begannen meine Gesichtsmuskeln mir wieder zu gehorchen. Endlich war ich in der Lage, den Mund zu schließen und
anschließend die Lippen zu Worten zu formen, Nur den verzweifelten Unterton in meiner Stimme hatte ich nicht unter
Kontrolle.
“Was zum Teufel, machen Sie da?”
Ruckartig schoß sein errötetes Gesicht unter dem Laken hervor. Mein Anblick veranlaßte ihn zu einem
väterlich-beruhigenden Lächeln und mit sanfter Stimme erklärte er mir, daß dies eine gynäkologische Untersuchung sei,
daß ich nichts zu befürchten habe, denn alles was er tue, sei zu einer Untersuchung dieser Art notwendig.
Hatte er
einen Knall oder ich?
Ein gnädiger Adrenalinstoß erlöste mich von meiner Sprachlosigkeit.
“Aber Sie können doch da unter dem Laken gar nichts sehen, verdammt nochmal!” Jetzt keifte ich.
Verwirrt-verschmitzt lächelnd zog er eine Taschenlampe unter dem Laken hervor und hielt sie mir mit einer Geste hin, die aussah als wolle er sagen: sieh mal, was ich für ein Hund bin.
“Seit zehn Jahren unterziehe ich mich zweimal jährlich einer gynäkologischen Untersuchung, aber das hier ist das Bescheuertste, was ich jemals erlebt habe.”
“S-S-Sie haben schonmal… w-w-wieso bescheuert?”
“Erst verpacken Sie mich wie eine Mumie und dann gehen Sie mit einer Taschenlampe auf Tauchstation. Das IST bescheuert. Aber egal, jetzt setzten Sie mir endlich die Spirale ein und lassen Sie mich nach Hause gehen. lch habe die Schnauze voll.”
Der amerikanische Ausdruck für Spirale ist lUD (intrautenary device). In meiner Aufregung hatte ich jedoch etwas verwechselt, und den Begriff HBO benutzt (homebox office) -den Namen eines amerikanischen Kabelkanals.
Jetzt war er es, der sich sichtlich um Ruhe bemühte.
Mit einer Kopfbewegung schickte er Rumpelstilz nach draußen.
Sie ging und schloß die Türe zum ersten Mal ganz leise. Dann zog er einen Stuhl heran, setzte sich und seinem Gesicht
einen Ausdruck auf, den ich eher bei einem Psychiater erwartet hätte.
“Wissen Sie welchen Tag wir heute haben?” fragte er sanft…
Erst jetzt stellte sich heraus, daß ich als Deutsche mit der Gesetzgebung, die es amerikanischen Gynäkologen unter Strafe verbietet, Patientinnen unbekleidet zu untersuchen, nicht vertraut war. Mein amerikanischer Akzent hatte ihn nicht vermuten lassen, ich könnte eine Ausländerin sein.
Erst, wenn man in einer Fremdsprache Witze erzählen kann, beherrscht man sie wirklich…
Tina
Hötzl,
Psychotherapeutin,
München
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