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Naturheilkunde
Lesezeit: 7 Minuten

Nahrungsmittelpräferenzen

Vorlieben und Aversionen für bestimmte Lebensmittel – meist vom Instinkt geleitet

von Volker Gerlach, Oecotrophologe

„Du ißt was auf den Tisch kommt!”

Diese Drohung in ähnlicher oder etwas abgewandelter Form hat wohl jeder noch in Erinnerung. Millionen und Abermillionen eßgestörter Erwachsener, die als Kind erst aufstehen durften, wenn der Teller leergegessen war?
Übertrieben? Vielleicht ein bißchen! Eltern machen sich in erster Linie erst einmal Sorgen, dass Ihre Lieben mit allem versorgt sind, um sich prächtig zu entwickeln. Danach machen sie sich Sorgen, weil Kinder von dem Einen zu viel und von dem Anderen zu wenig essen. Eine gute und abwechslungsreiche Essenszusammensetzung heißt nicht gleichzeitig eine gute Ernährung. Vielleicht eine gesunde, aber für das Kind nicht unbedingt eine gute. Das Ammenmärchen von “Du musst viel Spinat essen, damit Du groß und stark wirst” geistert immer noch in den Köpfen vieler Eltern.

“Als Eisenquelle hätte Popeye besser die Dosen verzehrt” TJ.Hamblin

Und wenn sie sich von Ernährungstabellen und Lehrbüchern leiten lassen, werden sie sogar noch bestätigt. Dort findet man unter der Kategorie “eisenreich” immer noch das grüne Wundergemüse. Schon längst ist jedoch bekannt, dass ein Lebensmittelanalytiker im vorigen Jahrhundert, der erstmals in den Mikrobereich des Spinats vordrang, bei der Bestimmung des Eisengehaltes, das Komma aufgrund eines Rechenfehlers um eine Stelle nach rechts verschoben hat. Zum Leidwesen von Millionen Kindern.
Vielleicht mögen deshalb die “Knirpse” und heute viele Erwachsene keinen Spinat, da sie ihn, aufgefordert durch den erhobenen Zeigefinger, bis zur bitteren Neige in sich hineinquälten, um dem Vater ein Lächeln abzutrotzen.

Zurück in die Vergangenheit

Nicht wenige Fakten deuten darauf hin, dass viele Organismen eine vorprogrammierte Neigung besitzen, ihren Nährstoffbedarf mit Süßem zu decken. Evolutionsgeschichtlich war in der freien Wildbahn vor Urzeiten das Nahrungsangebot sehr knapp bemessen. Hatte man nicht gerade den Essensvorrat durch Erlegung eines Mammuts auf Wochen gesichert, war man immer darauf angewiesen, dem Körper süße Nahrung zugänglich zu machen, die ja eine hohe Konzentration an Zucker und damit Kalorien besitzt. Eine konzentrierte Quelle für süße Kalorien waren reife Früchte, die zum einen zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen und zum andern eine Versorgung von Vitaminen bewirkten. Diese Vorliebe für Süßes war evolutionsgeschichtlich ein entscheidender Vorteil, der uns das Überleben sichtlich ermöglichte.

Ebenso musste eine Vorliebe für Salziges entstehen, denn viele physiologische Körperfunktionen erfordern das unbedingte Vorhandensein von Salz. Die Salzpräferenz unserer Vorfahren mußte zu einer Zeit entstanden sein, wo man aus Gründen der Bequemlichkeit vermehrt natriumarme pflanzliche Nahrung aß und nicht mehr so sehr auf das Jagen angewiesen war.

Nomaden und Jäger wiederum mussten sich um den täglichen Salzbedarf nicht scheren, da das Muskelfleisch der Tiere sie mit ausreichend Salz versorgte. Die Vorliebe für Salziges ist zwar angeboren, tritt allerdings bei Säuglingen erst nach vier Monaten zutage.
Offenbar werden vorher die spezifischen Geschmackspapillen erst ausgebildet, wohingegen süß, sauer und bitter das Neugeborene sofort erkennen kann. Diese Eigenschaft des Schmeckens unterschiedlichster Geschmacksrichtungen ist von ernormer Wichtigkeit, denn der Körper muss ja schon vor dem Verzehr “gut oder schlecht” entscheiden können, um eventuellen Vergiftungen vorzubeugen.

Der Körper nimmt sich, was er braucht

Eine groß angelegte Studie in den zwanziger und dreißiger Jahren führte die Krankenschwester CM. Davis durch, die in der Fachwelt großes Aufsehen erregte. Kurz nach dem sie abgestillt waren, wurden 15 Kinder zwischen 6 und 15 Monaten vor einer freien Nahrungsauswahl gestellt, Sie saßen vor einem reich gedeckten Tisch, wo sie nur durch Fingerzeigen der Krankenschwester andeuteten, was sie essen wollten. Sie konnten von Erbsen und Äpfeln über Lamm und Hühnchen bis zu Innereien und Knochenmark wählen. Die Studie, die bis zu 4,5 Jahren dauerte, brachte hervor, dass es den Kindern an nichts fehlte und sie sehr gut gediehen. Ein Kind ernährte sich hauptsächlich von Früchten, ein anderes aß überwiegend Milchprodukte und ein drittes gierte nach Knochenmark, das, wie wir heute wissen, in der Urzeit zu den Leibspeisen zählte, während fast alle Kinder den von den Rohköstlern heute so lebensnotwendigen propagierten Frischkornbrei ausnahmslos ablehnten. Kein Wunder, denn es ist allgemein bekannt, dass beispielsweise der in den Körnern enthaltene Planzenabwehrstoff Phytin die Aufnahme von Eiweiß und verschiedenen Spurenelementen hemmt. Trotz dieser beobachteten extremen Nahrungsmittelvorlieben und -abneigungen würden sich Säuglinge und Kleinkinder wenn sie könnten, ihre Nahrung optimal zusammenstellen. Das Experiment hat zwar eindeutig bewiesen, dass die Nahrungsmittelauswahl instinktiv erfolgt, wirft aber zwangsläufig die Frage auf, warum diese Verhaltensweise nicht bis ins hohe Greisenalter funktioniert. Würden wir weiter so instinktiv handeln, hätten wir gestählte, makellose und durchtrainierte Körper, so wie wir sie im Tierreich vorfinden. Tiere leiden nicht an Übergewicht und Herzinfarkt. Sie essen nur das, was sie brauchen, um zu überleben.

Grundsätzlich ist Nahrungszufuhr ein für den Organismus ständiges Ausloten von Vor- und Nachteilen. Er unterliegt bestimmten Regelmechanismen, die ihm Signale übersenden, ob das Nahrungsmittel ihm was nützt, ihm gut tut oder schadet.
Der Appetit ist von drei Faktoren abhängig: Vom Nähstoffgehalt der Nahrung, dem Gehalt von Abwehrstoffen und Giften und dem Verlangen nach Stimmungsmachern.
Aber warum haben wir dann diese massiven Probleme mit Gewicht und Gesundheit? Anscheinend funktioniert die körpereigene Regulation nicht immer. Lebensmitteldesigner und ihre Labors sind dafür verantwortlich, dass unser Appetit manchmal die Orientierung verliert. Sie kreieren aus unterschiedlichsten und vor allem billigeren Rohstoffen neuartige Produkte, die geschmacklich den altbewährten sehr nahe kommen. Unser Appetit regelt das normalerweise mit einer Ablehnung des jeweiligen Produkts. Wir kennen das, wenn uns ein neues Vollkornbrot mit der Zeit überdrüssig wird, vorausgesetzt man lässt uns diese. Aus der Trickkiste der gewieften Erfinder entstehen jedoch ständig neue Produkte, so dass eine Rückkopplung des Appetits oftmals so schnell nicht erfolgen kann.

Bedenklich wird es dann, wenn die Regulationsmechanismen vor allem bei Kindern nicht mehr greifen. Ihre oftmals einseitige Ernährung mit Fastfood – sicherlich auch ein Erziehungsproblem – begünstigt die Ausschüttung von stimmungsmachenden Hormonen, wie zum Beispiel das Serotonin, das gute Laune verbreitet. Süchtig nach guter Laune veranlasst den Menschen das zu essen, was ihn in Zukunft weiterhin gut tut und nicht das, was ihm wirklich nutzt. Das Süßeste, was Mrs. Davis in ihrer Studie den Kindern zu Essen gab, waren Früchte. Doch was hätte die Studie zutage gebracht, wenn ihnen statt Früchten Schokolade und andere Süßigkeiten zur Verfügung gestanden hätten?

Vorliebe für Schokolade

Die vermeintliche Sucht nach Schokolade setzt offenbar den natürlichen Regulationsmechanismus gehörig zu. Schokolade ist Verführung pur, wofür fünf Komponenten verantwortlich gemacht werden:

  • Der Zuckergehalt von bis zu 50% spricht unsere weitgehend vererbte Süßpräferenz an.
  • Der relativ hohe Fettgehalt von durchschnittlich 30% befriedigt unsere Gelüste nach Fettem (siehe Artikel “Warum sind die meisten Diäten zum Scheitern verurteilt”; Heft 02/2000).
  • Der Gehalt an Koffein, der die Neubildung des Serotonins stimuliert, das, wie wir uns aus Heft 02/2000; “Warum sind die meisten Diäten zum Scheitern verurteilt”, erinnern, als Stimmungsmacher fungiert.
  • Inhaltsstoffe (biogene Amine), wie Theobromin oder Phenylethylamin, ähneln in ihrer Wirkungsweise dem Serotonin und sind außerdem Vorboten zur Bildung von süchtigmachenden Opiaten (Suchtpotential!).
  • Die Schokoladenstücke haben eine glatte, angenehme Oberflächenbeschaffenheit, meist mit der passenden Gaumenform und schmelzen bei Körpertemperatur – sie zergehen auf der Zunge!

Es ist also leicht anzunehmen, dass die Versuchskinder von Mrs. Davis sich lieber der Schokolade zugewendet hätten.Der junge Mensch wird immer den Geschmack der aufgenommenen Nahrungsmittel mit bestimmten Auswirkungen im Körper oder Alltagssituationen verknüpfen.

In der Hauptsache sind es zwar immer noch die Nahrungsmittel selbst, die über Neigung und Abneigung entscheiden, heutzutage wird in aller Regel aber nicht mehr gegessen, weil es gesund ist, sondern weil es schmeckt. Vielleicht würde der instinktgeleitete Herr Robinson Crusoe nach 28 Jahren Einsamkeit in der heutigen Überflußgesellschaft auch auf seine angeborenen Verhaltensweisen pfeifen!

Volker Gerlach

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