Die Geheimnisse der Dilts-Pyramide
Bedeutung und Wirkung der 6 psychologischen Ebenen der Veränderung
Die Dilts-Pyramide, auch als „Modell der logischen Ebenen der Veränderung” bekannt, ist ein Erklärungsmodell für die Wirkung und Wirkrichtung von Veränderungsprozessen. Dilts‘ logische Ebenen basieren auf der Idee, dass die Veränderungsdynamik bei Menschen, Teams und Organisationen durch 6 aufeinander aufbauende Ebenen gekennzeichnet ist. Wie sich dies nun auf Prozesse in Coaching und Therapie auswirkt, darum wird es im Folgenden gehen.
Ursprung der Dilts-Pyramide
Die „logischen Ebenen der Veränderung“ wurden von Robert Dilts entwickelt, einem der Mitbegründer des NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren). In der NLP-Literatur werden die logischen Ebenen deshalb oft unter dem Namen „NLP-Pyramide“ beschrieben. Dilts kreierte sein Modell der logischen Ebenen in den 1980er-Jahren in Anlehnung an die Lerntheorie von Gregory Bateson. Seit ihrer ersten Veröffentlichung haben die „logischen Ebenen“ einige Aktualisierungen in der Deutung erfahren. Damit ist das Dilts-Modell bzw. seine Pyramide heute ein wichtiger Erklärungsansatz für die positive Gestaltung von Prozessen im Coaching- und Therapie-Kontext. Seit vielen Jahren hat das Modell als „die psychologischen Ebenen der Veränderung“ in den systemischen Verfahren der Psychotherapie und im systemischen Coaching Fuß gefasst. Viele Therapeuten und Berater nutzen diesen Ansatz für Planung und Reflektion von Veränderungen in Coaching und Therapie. Die logischen Ebenen dienen der Klärung und dem Verständnis, wo ein Problem, ein Ziel oder eine Herausforderung angesiedelt ist.
Der Kaskadeneffekt
Die Funktion jeder übergeordneten Ebene der Dilts-Pyramide ist es, den Inhalt der darunterliegenden Ebene zu organisieren. Veränderungen auf höherer Ebene bewirken deshalb notwendigerweise Veränderungen in der direkt darunterliegenden, was sich wiederum auf die nächstgelegene tiefere Ebene auswirkt. Ein Kaskadeneffekt entsteht.
Aufbau der Dilts-Pyramide
Die Dilts-Pyramide ist in 6 Ebenen unterteilt (Abb. 1). Auch wenn die Wirkrichtung der Veränderungen von oben nach unten deutet, ist es in der Anamnese sinnvoll, die Inhalte aller Ebenen von unten nach oben im Sinne einer Bestandsaufnahme zu beschreiben. So finden wir die Ursprungsebene eines Problems und tappen später nicht in die Falle, genau hier erste Interventionen zu planen, deren Erfolg unwahrscheinlicher ist. In der Praxis bedeutet dies, dass eine gewünschte Veränderung stets auf einer jeweils darüberliegenden Ebene ihren Ursprung haben sollte.
Beim Reflektieren des Fortschritts von Veränderungsprozessen lohnt sich auch der Blick nach oben. Meist zeigt eine „Veränderungsebene“ Wechselwirkungen mit der darüberliegenden Ebene während des gestalterischen Prozesses. Steve de Shazer, Mitbegründer der Lösungsorientierten systemischen Kurztherapie, beschreibt diesen Sachverhalt in einem seiner Kernsätze: „Die Lösung muss nicht zwangsläufig mit dem Problem zu tun haben.“
Fähigkeiten ermöglichen Handlungen
Die Regeln und die Art der Interventionen, nach denen etwas auf einer bestimmten Ebene verändert wird, unterscheiden sich von jenen Techniken, die auf anderer Ebenen genutzt werden. Wir arbeiten auf einer höheren Ebene, wenn diese den Inhalt der darunterliegenden erfasst und steuert. Deshalb sind Glaubenssätze auf einer höheren Ebene angesiedelt als unsere Fähigkeiten, die wir zum Ausführen von Handlungen benötigen. Wir fühlen uns v.a. dann zu etwas FÄHIG, wenn wir GLAUBEN, dazu fähig zu sein. Durch das Verlagern der Initiative von der Problem- auf die nächsthöhere Ebene werden Veränderungsprozesse erleichtert, Ressourcen aktiviert und Lösungsfokussierung möglich. Albert Einstein sagte einmal sinngemäß: „Man kann Probleme nicht auf der ‚Denk‘-Ebene lösen, auf der sie entstanden sind.“ Sie dürfen auch gern zwei, drei, vier oder fünf Ebenen höher ansetzen, wenn es Ihnen und Ihrem Klienten sinnvoll erscheint.
Fallstudie
Der Hausarzt meines Klienten Max meint, 20 kg weniger Körperfett könnten dabei helfen, seine bestehenden quälenden Knieschmerzen loszuwerden. Gesagt, getan: Max will abnehmen und wünscht sich dabei Unterstützung aus der Coaching-Praxis. Wir beginnen mit der Bestandsaufnahme der einzelnen Ebenen der Dilts-Pyramide.
Ebene 6 (Ziel, Zugehörigkeit, Sinn): „Ich möchte schlanker sein und zu den Menschen zählen, die sich aktiv um ihre Gesundheit kümmern“, definiert Max sein Ziel.
Ebene 5 (Identität) bringt folgende Selbstbeschreibung hervor: „Ich bin gesund und voller Lebensfreude.“ Das ist sein Selbstbild. „Natürlich sehe ich morgens im Spiegel mein Hüftgold, aber deswegen bin ich doch nicht krank und übellaunig.“
Interessant sind einige Glaubenssätze von Max (Ebene 4): „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt/Fleisch ist mein Gemüse/Ohne Kaffee und Cola bin ich kein Mensch, da kann man mich zu nichts gebrauchen.“
Schon hier wird die Wirkweise der Pyramide deutlich. Die Ebenen darunter (Fähigkeiten, Handlungen und Verhalten, Umgebung und Kontext) „reagieren“ auf diese Glaubensätze:
Max hat die Fähigkeit (Ebene 3), mittags zwei große Portionen Lasagne zu verspeisen. Da seine Mittagspause relativ kurz ist, schafft er es, sein Lieblingsessen in kürzester Zeit zu „inhalieren“, wie er selbst berichtet. Handlungen und Verhalten (Ebene 2): „Meine Frau ist auch der Meinung, dass ich viel zu schnell esse.“ „In der Kantine auf der Arbeit ist es sehr laut (Umgebung und Kontext, Ebene 1), und ich mag diesen Geräuschpegel nicht. Ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich zu lange einer lauten Umgebung ausgesetzt bin.“ Damit schließt er die Pyramide ab.
Die spannende Frage für Coaches und Therapeuten ist: Auf welcher Ebene entsteht das Übergewicht? Prinzipiell kann die Ursache auf allen vier unteren Ebenen liegen. Wichtig ist die Einschätzung von Max. Er sieht die Ursache in seinem Verhalten, dem schnellen unkontrollierten Essen, v.a. dann, wenn es schmeckt.
Die Ebenen im Detail
Ebene 1 Umgebung & Kontext
Die unterste Ebene der Dilts-Pyramide beschreibt die Umwelt, die
Umgebung, den Kontext, in dem wir als Individuum leben und arbeiten. Diese Ebene lässt sich mit Frageworten, wie z.B.
„Wer“, „Wann“, „Wo“ und „Mit wem“, gut erschließen. Jedes Ereignis findet in einer bestimmten Umwelt statt. Jede
Erfahrung hat ihren zeitlichen und räumlichen Kontext. Klienten beschreiben gern die äußeren Umstände und Auslösereize
für ein spezifisches, problemförderndes Verhalten. Damit geben sie einen Einblick in das, was sie für ihre
Wirklichkeit halten. Mehr dazu bei Paul Watzlawick in „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“. Die Worte „in“, „bei“ oder
„wenn, dann“ sind typisch für die Satzstruktur und beziehen sich ausdrücklich auf bestimmte Situationen oder
Rahmenbedingungen.
Im Sinne unseres Beispiels meint Max: „Unser Kühlschrank ist immer gut gefüllt. Ich habe eine große Auswahl an Dingen, die ich gern esse.“
Ebene 2 Handlungen & Verhalten
Auf dieser Ebene beschreiben wir das Verhalten, die
Handlungen und die Affektivität eines Klienten. Auch hier sind Umwelt und Kontext immer im Zusammenhang zu betrachten.
Wir können unser eigenes Verhalten wie ein Außenstehender beobachten und beschreiben: „Wie verhalte ich mich wo?“,
„Was siehst du, wenn…?“, „Was höre ich?“ oder „Was wird getan, wenn…?“ – all das sind Fragen, die auf den Inhalt
dieser Ebene abzielen. Sie bezieht sich auf unser konkretes Verhalten, auf alle Aktionen und Reaktionen einer Person,
die von außen wahrnehmbar sind. Das betrifft neben der Wortwahl ebenso den Kommunikationsstil, wie z.B. die Färbung
der Stimme, Gestik und Mimik, das Tun und Handeln, die Motorik, die Atmung etc. Das Verhalten kann auch mit
sinnesspezifischen Begriffen beschrieben werden, also mit dem, was andere Personen sehen, hören, riechen, schmecken
oder fühlen. Max beschreibt z.B. sein Feierabendritual so: „Ich komme immer sehr hungrig nach Hause, weil ich tagsüber
nur ein Mal zum Essen komme. Dann mache ich mir schnell eine Kleinigkeit und warte, bis meine Frau nach Hause kommt.
Dann essen wir gemeinsam in Ruhe und genüsslich.“
Ebene 3 Fähigkeiten & Strategien
Abgeschlossene Lernprozesse haben meist Fähigkeiten als
Ergebnis. Wir KÖNNEN etwas. Im Gegensatz zu Umwelt und Verhalten sind Fähigkeiten nicht direkt sichtbar. Mit
Fähigkeiten beschreiben wir ein spezifisches inneres Verhalten, welches ein konkretes, von außen beobachtbares
Verhalten ermöglicht. Fähigkeiten sind also kognitive (denken) und emotionale (fühlen) Prozesse, die eine Person
durchläuft, damit ein bestimmtes sichtbares Verhalten möglich wird. Diese Prozesse sind von außen nicht mehr
wahrnehmbar und müssen vom Klienten erklärt werden: „Ich koche mit viel Leidenschaft und Liebe.“ Oder: „Ich mag es,
unseren Esstisch dekorativ einzudecken.“ Ein Fragenschema auf dieser Ebene zielt auf das „Wie“ ab. Wie führt jemand
eine Handlung aus, welche inneren Prozesse laufen ab? Was musste gelernt werden, um…?
Max hat z.B. gelernt, sich in kürzester Zeit satt zu essen.
Ebene 4 Werte & Glaubenssätze
Werte und Glaubenssätze wirken als psychologischer Filter auf
unsere Wahrnehmung der Welt. Viele unserer Handlungen beruhen bewusst oder unbewusst auf Programmen und
Wertvorstellungen, die uns im Laufe unserer Entwicklung vom Säugling über die Kindheit und die Pubertät bis hinein ins
junge Erwachsensein prägen. Wir setzen unsere Fähigkeiten nur ein, wenn entsprechende Wertvorstellungen und
Glaubensätze den Einsatz dieser Fähigkeit erlauben. Wir lernen Neues dann, wenn es der Erfüllung unserer Werte
dienlich ist.
Werte bestimmen die Richtung unseres Denkens und unserer Wahrnehmung. Gesundheit oder Unabhängigkeit sind z.B. Motivatoren und beeinflussen unsere Glaubenssätze. Stehen Werte zueinander in Konflikt, sind Menschen zögerlich und unentschlossen. Hilfreiche Fragen auf dieser Ebene können sein: „Was habe ich davon?“, „Wofür tue ich das?“, „Was bringt es mir, dass ich…?“ oder „Was passiert, wenn ich es nicht täte?“.
Ich lasse Max seine fünf wichtigsten Werte benennen und der Wichtigkeit nach sortieren. Seine Wertehierarchie zeigt „Gesundheit“ an Platz 1. Sein Handeln offenbart allerdings einen Wertekonflikt. Welche neue Fähigkeit müsste er lernen, um diesem Dilemma zu entgehen?
Glaubenssätze sind unsere Überzeugungen und Leitideen vom Funktionieren der Welt und des Zusammenlebens der Menschen. Sie entstehen durch Gewöhnung und Prägung. Wir messen dem, was uns widerfährt, mithilfe unserer Glaubensätze eine Bedeutung bei (z.B. „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Deutschen Pünktlichkeit“). Diese Leitideen und Überzeugungen können wir gut in Kategorien, sog. Glaubenssatzsysteme oder innere Antreiber, zusammenfassen: Beeil dich! Streng dich an! Sei gefällig! Sei perfekt! Sei stark!
Fragen Sie sich selbst einmal, welche Ratschläge oder Tipps Sie jemanden in Bezug auf Gesundheit, Finanzen, Pünktlichkeit, Partnerschaft geben. Je stärker die Verallgemeinerung, umso hartnäckiger der Glaubenssatz (z.B. „Jeder sollte am Tag mindestens einen Apfel essen“). Kein Glaubenssatz ist per se schlecht oder gut. Manchmal sind sie einfach nur hinderlich beim Umsetzen von Veränderungen oder Erreichen von Zielen.
Auch Metaprogramme haben ihren Platz auf Ebene 4. Sie sortieren unsere Wahrnehmung und unser Denken, lange bevor sie unser Bewusstsein erreichen. Alle Metaprogramme wirken als Prozesse der Tilgung, Verzerrung und Generalisierung. Im Kontext von Veränderung ist ein Metaprogramm sehr wichtig. Es lautet: WEG von oder HIN zu. Dieses Programm zeigt die Richtung der Motivation einer Person. So beschreibt der Satz „Ich möchte nicht als Fettklops ohne Kondition durchs Leben rollen” eine typische „WEG von“-Motivation. Dagegen erklärt die Aussage „Ich will schlank, sportlich und voller Lebensenergie sein“ eine typische „HIN zu“-Motivation.
Ebene 5 Identität & Selbstbild
Die nächste Ebene ist jene der Identität und des
Selbstbildes. Hier beschreiben wir die Vorstellungen und Überzeugungen, die Klienten von sich als ganzer Person in
Bezug auf ihren Charakter haben. „Wer bist du, wenn du dich morgens nackt im Spiegel siehst?“ Wenn auf die Frage keine
Antwort kommt: „Was, glaubst du, denken andere über dich, wenn sie dich als Gast auf einer Feier am Buffett
beobachten?“, „Was würdest du von jemandem denken, der so einkauft, wie du es tust?“.
Ebene 6 Zugehörigkeit, Sinn, Ziel, Spiritualität
Die höchste Ebene ist die der Zugehörigkeit,
der Spiritualität, der Ziele und Visionen. Diese Ebene geht über das Selbstbild hinaus und beinhaltet Vorstellungen,
Gedanken und Glauben von Menschen über etwas, das mehr ist als ihre eigene Individualität. Wir finden umfassende
Visionen, den Sinn des Lebens, Lebensaufgaben und eine tiefe Geborgenheit. Veränderungen, die hier bewusst ihren
Ursprung haben, wirken nach und nach auf allen Ebenen – der Kaskadeneffekt wird hier sehr deutlich.
Prozess der Veränderung
Die Chance für einen nachhaltigen Veränderungsimpuls sehe ich auf der Glaubenssatz-Ebene. Aus „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ formt Max den hilfreichen neuen Glaubenssatz (Erlauber-Satz) „Was auf den Tisch kommt, darf gesund und lecker sein“. Dieser neue Denkansatz, mithilfe von Autosuggestion gefestigt, wirkt auf die darunterliegende Ebene und verlangt von Max, eine neue Fähigkeit zu erlernen: fettarme, kohlenhydratreduzierte Speisen als wohlschmeckend zu akzeptieren. Seine bereits vorhandene Fähigkeit, die Arme schmerzfrei zu bewegen, nutzt Max für ein tägliches leichtes Krafttraining (Handlungs-Ebene), um sein tägliches Kaloriendefizit zu vergrößern. Max schafft es auch, Anreize zu integrieren, um sich mehr zu bewegen. Sieht er eine Treppe, läuft er diese einmal rauf und wieder runter. Umgebung und Kontext werden genutzt, achtsamer mit sich umzugehen. Er meidet die laute Kantine, und seine Mittagspause besteht aus wohlschmeckenden, aber kleinen und gesunden Snacks. Seit einem Jahr haben Max und seine Frau einen Garten, wo sie Obst und Gemüse selbst anbauen.
Ausblick
Für meinen Klienten Max gibt es ein Schlüsselerlebnis. Er verinnerlicht einen neuen Glaubenssatz: „Gesundheit beginnt beim Einkauf im Supermarkt.“ Er entdeckt Lebensmittel, deren Zubereitung erst erlernt werden muss. Neue Fähigkeiten entstehen, und das Essen wird nicht mehr „totgekocht“. Die Küche verändert sich, Gewürze kommen hinzu, neue Kochutensilien werden angeschafft, mit dem Ergebnis, dass sein Ziel, schlank, ausdauernd und vital zu sein, in greifbare Nähe rückt. Innerhalb von sechs Monaten reduziert er sein Gewicht um 9 kg. Wenn wir uns heute sehen, strahlt er und sagt: „Ich bin glücklich, selbstbewusst und fast schlank.“
Fazit
Die Struktur der Veränderungsprozesse in Coaching und Therapie fühlt sich stimmig an und stärkt die intrinsische Motivation der Klienten. Sie setzen die Veränderungen dann selbstbestimmt um, weil diese in ihrer systemischen Wirkung vorhersehbar werden.
Torsten
Kuhnke
SL-Coach©, Heilpraktiker für Psychotherapie, Vitalstoffberater und Aromapraktiker, Dozent an den
Paracelsus Schulen
info@kuhnke.online
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