Wer rastet, der rostet
Viele Menschen spüren mit zunehmendem Alter, dass ihr Körper nicht mehr wie in früheren Jahren „mitmacht“. Vorhandene Schmerzen gewinnen an Intensität und neue kommen hinzu. Nachlassende Beweglichkeit, v.a. in den Regionen, die vom Schmerz betroffen sind, verstärkt diesen Kreislauf. Außerdem werden koordinierte Bewegungsabläufe unpräziser, auch die Kraft nimmt spürbar ab. Infolgedessen werden Gelenke nicht im gewohnten Ausmaß bewegt und umliegendes Gewebe wird weniger intensiv stimuliert. Dies wird häufig resigniert mit einem Schulterzucken als altersgemäße Degeneration hingenommen. Wie wir jedoch schmerzfrei und vital bis ins hohe Alter bleiben können, erläutere ich in diesem Artikel.
DAMOKLESSCHWERT EINER GENERATION
Etwa ein Viertel aller Deutschen leidet an Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich wesentlich höher, da viele Betroffene sich nicht darüber im Klaren sind, dass sie eine medizinisch relevante Erkrankung entwickelt haben. Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland sind von symptomatischen Arthrosen betroffen. Dieses auf Knorpelabnutzung zurückgehende Leiden ist die weltweit häufigste Gelenkerkrankung (Gelenkverschleiß). Dabei ist die Generation 50+ am häufigsten von Folgeerscheinungen einer Arthrose betroffen, tendenziell mehr Frauen als Männer.
Gehandelte Risikofaktoren, z. B. Alter oder Übergewicht, werden mitunter kontrovers diskutiert. Es gibt unterschiedliche Studien, die untersucht haben, inwieweit diese beiden Parameter die Erkrankungsgefahr für Arthrose erhöhen. Bisher konnte aus den Daten keine eindeutige Korrelation abgeleitet werden. Demnach würden ein fortgeschrittenes Alter und/oder Übergewicht die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Arthrose nicht signifikant steigern. Die Ursachen für abgenutzte Gelenke könnten also vielfältig sein.
SYMPTOME UND FOLGEPROBLEME
Grundsätzlich können alle Gelenke von einer Arthrose betroffen sein. Am häufigsten findet man sie an Hüfte (Coxarthrose), Knie (Gonarthrose), Fingern und Wirbelsäule (Spondylarthrose). Die Hauptsymptome der Arthrose sind eine Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit mit oft folgenden Schmerzen im jeweiligen Gelenk und im Bereich darum. Als klassisches Erstsymptom gilt der Anlaufschmerz: Nach dem Aufwachen sind die Gelenke noch steif und unbeweglich. Diese Morgensteifigkeit hält jedoch nur maximal 30 Minuten an und bessert sich durch Bewegung. Das Phänomen kann ebenso nach längeren Ruhephasen (Sitzen oder Liegen) auftreten.
Durch die Einschränkung der Beweglichkeit wird das Gelenk zwangsläufig weniger benutzt. Dadurch werden Schon- und Fehlhaltungen unbewusst verstärkt und das Gewebe um das Gelenk herum wird nicht mehr in gleichem Ausmaß stimuliert. Es kommt v. a. in den Faszien zu Verklebungen, Elastizitätsverlust und Steifigkeit, wodurch Schmerzrezeptoren, die dort in großer Anzahl vorhanden sind, aktiviert werden. Anlauf- und Belastungsschmerzen sind die Folge, diese müssen jedoch nicht unbedingt Anhaltspunkte für den Schweregrad einer Arthrose geben.
ALTERNATIVE THERAPIEMÖGLICHKEITEN
Unabhängig vom Stadium und den begleitenden Symptomen ist es erforderlich, Bewegung in den Alltag einzubauen, um den Abbauprozess des Knorpels zu stoppen oder ihn zumindest zu verlangsamen. Denn die Alternative zu den bekannten Therapien (z. B. Schmerzhemmer, Knorpelaufbausubstanzen, Vital- und Wirkstoffe aus der Natur, Hormone, gelenkerhaltende oder -ersetzende Operationen) sind Übungen, welche die richtigen Bewegungswinkel der Gelenke ansteuern, das umliegende Muskel- und Fasziengewebe anregen und beleben.
Regelmäßige, aber auch sinnvolle Bewegung ist nicht nur die beste Therapie, sondern auch die effektivste Prävention, damit der Abbauprozess im Gelenk hinausgezögert werden kann oder es erst gar nicht so weit kommt.
EINE FRAGE DES ALTERS?
Viele sprechen davon, dass Muskelabbau und Kraftverlust typisch für das Alter sind. Es stimmt zwar, dass das Thema Muskeln und damit die Bewegung im Alter eine sehr große Rolle spielen, aber die wahrgenommene geringere Leistungsfähigkeit ist nicht ausnahmslos ein Resultat des Älterwerdens, sondern stark verknüpft mit dem Gebrauch unserer Muskeln und Gelenke. Nicht zuletzt werden in den Muskeln durch deren Aktivität Myokine freigesetzt, hormonähnliche Botenstoffe, die 2007 von dänischen Forschern entdeckt wurden.
Ihre Funktion ist derzeit noch nicht gänzlich aufgeschlüsselt. Definitiv tragen sie aber zur positiven Wirkung von Bewegung bei, denn sie reduzieren die Krankheits- und Entzündungsaktivität im Körper. Unsere Muskeln zu trainieren, sollte daher fester Bestandteil unseres Alltags werden.
KRAFTTRAINING VS. BEWEGLICHKEITSTRAINING IM ALTER
Die beste Voraussetzung dafür, unsere körpereigene Apotheke erfolgreich zu nutzen, schaffen wir nur mit regelmäßigem und altersangepasstem Training. Dabei sind die Steigerung von Muskelaktivität und Kraftaufbau im Alter nicht nur möglich, sondern aus vielen Gründen wünschenswert. Sie können dies mithilfe von Geräten und Maximalkraft trainieren oder einfache Übungen anwenden, wie ich sie Ihnen am Ende des Artikels vorstelle.
Heißt das nun, dass Dehnungs- und Mobilisationsübungen mit zunehmendem Alter irrelevant werden? Nein, natürlich nicht. Wie bereits erwähnt, nimmt die Beweglichkeit der Gelenke im Alter ab. Darüber hinaus sollte im schmerzhaften Zustand kein primärer Fokus auf Kräftigungsübungen gelegt werden. Der Grund ist einfach und nachvollziehbar: In einem Gewebe, das unter massiver Spannung leidet, würde mehr Kräftigung (Spannungsaufbau) die Spannung dort potenzieren, wo sie ohnehin zu ausgeprägt ist, und die Schmerzen würden sich mittel- und langfristig sogar verstärken.
DEHNUNG UND MOBILISIERUNG
Setzen Sie daher in der schmerzhaften Phase unbedingt hauptsächlich oder ausschließlich Dehnungs- und Mobilisationsübungen ein, um die übermäßige Spannung im betroffenen Areal zu reduzieren. Dies ist eine einfache und effektive Möglichkeit, um die Stimulation der Schmerzrezeptoren einzudämmen. Auch steht das vernünftige Gleichgewicht von Übungen zur Kräftigung und Dehnung im Mittelpunkt. Würden Sie nur kräftigen, erzeugen Sie zu viel Spannung. Würden Sie nur dehnen, fehlt Ihnen Kraft und Stabilität in Ihren Muskeln und Sie geraten in eine Hypermobilität, also ein unnatürliches Übermaß an Beweglichkeit. Dies kann langfristig zu einer funktionellen Instabilität führen, die eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung zur Folge hat. Diese wieder zu korrigieren, ist mit einem langen und mühsamen Trainings- und Therapieprozess verbunden.
Frauen tendieren eher zu mehr Beweglichkeit in den Gelenken und laxeren Bändern, weshalb sie sich daher eher Kräftigungsübungen (im schmerzfreien Zustand) widmen sollten. Männer wiederum neigen primär zu Verkürzungen, wobei die Kraft vergleichsweise langsamer abbaut. Sie sollten eher in Dehnungen und Mobilisationsübungen investieren. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel. Mit fortschreitendem Alter werden die Kräftigungsübungen für beide Geschlechter noch wichtiger.
DIE WICHTIGKEIT RICHTIGER BEWEGUNG
Eine gesunde und sinnvolle Bewegung, angepasst an individuelle Möglichkeiten und Rahmenbedingungen, hat immer positive Effekte – und das auf mehreren Ebenen:
- Gelenke, Knochen und Knorpel: Knochen- und Knorpelabbau verlangsamen sich, der Gelenkverschleiß setzt später oder nicht im sonst möglichen Ausmaß ein, und die Knochenfestigkeit im Alter geht nicht so schnell verloren.
- Muskeln, Sehnen, Faszien und Bänder: Eine kräftige Muskulatur ist auch im fortgeschrittenen Alter möglich. Sie schützt Knochen und Gelenke, regt den Organismus aufgrund erhöhter Durchblutung an und stärkt das Immunsystem.
- Immunsystem und Hormonsystem: Myokine werden freigesetzt und hemmen die Entzündungsaktivität im Körper.
- Herz-Kreislauf-System: Bluthochdruck (Hypertonie) kann verringert werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung schwerer Erkrankungen sinkt (z. B. Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Herzrhythmusstörungen). Zusätzlich wird das Arteriosklerose-Potenzial gesenkt, die ebenso weitere Zivilisationskrankheiten auslösen kann.
- Stoffwechsel: Das Risiko, an Diabetes zu erkranken oder mit Übergewicht kämpfen zu müssen, verringert sich.
- Gehirn: Bei aktiven Menschen sinkt das Demenz-Risiko deutlich. Bewegung regt auch die Gehirnaktivität an und stärkt die Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit.
- Psyche und Gemüt: Bewegung fördert Resilienz und ermöglicht ein leichteres Abschalten von den Belastungen des Alltags. Außerdem verbessert sie die Grundstimmung.
- Schmerzfreiheit: Aktive Menschen leiden weniger häufig unter Schmerzen im Bewegungsapparat.
- Zellentartung: Das Krebsrisiko, v.a. bezüglich Darm-, Brustund Prostatakrebs, kann eingeschränkt werden.
- Soziale Kontakte: Gemeinsame Bewegung mit dem Partner, Freunden oder Bekannten fördert den sozialen Austausch und steigert die Freude an körperlicher Betätigung.
- Schlaf: Wer sich bewegt, erholt sich definitiv besser.
MIT EIGENINITIATIVE ZU MEHR BEWEGLICHKEIT
Natürlich ist es von Vorteil, bereits in jüngeren Jahren mit regelmäßiger Bewegung begonnen zu haben, aber für einen Einstieg ist es nie zu spät. Menschen, die in einem guten Zustand sehr alt werden, vereint vor allem eines: regelmäßige Bewegung!
Als Heilpraktiker oder Arzt können und sollten Sie Ihre Patienten zu sinnvoller und regelmäßiger Bewegung motivieren. Die meisten Menschen, bei denen Bewegung nicht schon automatisch in deren Alltag integriert ist, kostet es jedoch große Überwindung, damit zu starten. Unsere professionelle Aufgabe ist es, ihnen vor Augen zu führen, dass bereits einfache und leicht in den Alltag zu integrierende Übungen Beweglichkeit und Mobilität verbessern können.
ÜBUNGEN
Exemplarisch stelle ich ihnen eine Kräftigungsübung für Arme und Schultern sowie eine Dehnungs- bzw. Mobilisationsübung für Gesäß und Hüfte vor:
Übung 1: Seitliche Drehung mit kräftigen Armen Begeben Sie sich in den Vierfüßlerstand und stellen Sie einen Fuß schräg nach hinten auf. Die Fußsohle liegt fest am Boden auf (Abb. 1). Mit der Einatmung drehen Sie sich zur Seite des aufgestellten Fußes, heben den Arm und strecken ihn in Richtung Decke (Abb. 2). Dabei können Sie den Kopf mitdrehen, müssen das aber nicht. Achten Sie darauf, dass v.a. der untere Arm stabil und gestreckt bleibt. Bei Schwierigkeiten mit der Balance führen Sie die Übung vor einer Wand durch. Wiederholen Sie die Übung langsam 6-mal pro Seite.
Übung 2: Dehnung der Gesäßmuskulatur
Greifen Sie in Rückenlage mit der gegenüberliegenden Hand zur Außenseite des Knies. Achten Sie darauf, dass das Knie nicht mehr als 90 Grad gebeugt ist, also nicht zu weit nach vorn kommt, sonst hebt sich der untere Rücken zu hoch vom Boden ab. Der andere Arm ist seitlich ausgestreckt (Abb. 3). Bringen Sie nun, während Sie ausatmen, das gebeugte Bein über das gestreckte, wobei das Becken ruhig vom Boden abheben kann (Abb. 4). Mit der Einatmung kommen Sie dann wieder in die Ausgangsposition zurück. Wiederholen Sie die Übung langsam 12-mal auf einer Seite, dann 12-mal auf der anderen. Am Ende jeder Seite halten Sie die Dehnung (Abb. 4) für jeweils 30-40 Sekunden.
Peter Poeckh
Arzt, Sportmediziner, Bewegungsspezialist, Yogatherapeut, Health-Influencer
poeckh@bewegungsspezialist.atWeitere Artikel aus dieser Ausgabe
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