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Naturheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Die richtigen Nährstoffe zur richtigen Zeit

Dank den Forschungen auf dem Feld der Epigenetik wissen wir heute, dass unsere Lebensweise (v.a. die Ernährung) Einfluss auf die Genaktivität nimmt. Krankheiten und Störungen entstehen nur in den wenigsten Fällen allein aufgrund genetischer Veranlagung. Der Großteil entwickelt sich unter dem Einfluss von Faktoren, die Auswirkungen auf die Genaktivität nehmen, ohne dass die DNA-Sequenz selbst verändert wird. Es kommt dabei zu einer Aktivierung oder Deaktivierung bestimmter Gene, was langfristig Auswirkungen sowohl auf die eigene Gesundheit als auch auf die der nachfolgenden Generationen haben kann. Dieser Artikel beleuchtet, welche Nährstoffe in die Genregulation involviert sind und wie wir im Takt der inneren Uhr positiv Einfluss darauf nehmen können, um gesund und leistungsstark zu bleiben. 

 

 

DER METHYL-KREISLAUF

Ein wesentlicher Mechanismus der Epigenetik ist die DNAMethylierung. Mithilfe dieses biochemischen Prozesses kann ein Gen aktiviert oder deaktiviert werden, was es dem Körper gestattet, potenziell krankmachende Gene zu unterdrücken. Die dafür notwendigen Methylgruppen werden im Methyl-Kreislauf gebildet, für dessen Funktionalität spezifische Nährstoffe wichtig sind. Methylgruppen sind im Übrigen nicht nur für die Genregulation, sondern für über 200 Körperprozesse elementar. So helfen sie z. B. dabei, erhöhte Stressanfälligkeit, hormonelle Dysbalancen und Zellschäden zu vermeiden. 

 

 

WAS AKTIVIERT DEN METHYL-KREISLAUF?

Vitamin B9 (Folsäure): u.a. Keimlinge, Sprossen, Endiviensalat, Speisekleie, Weizen- und Haferkeime, Leber, Spargel, Hanfsamen, Kohl, Spinat, Eigelb, Vollkornprodukte, Kräuter 

 

Vitamin B12 (Cobalamin): u.a. Ei, Butter, Käse, Joghurt, Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch, Innereien 

Methionin: u.a. Fisch, Fleisch, Käse, Ei, Hanf- und Sesamsamen, Lupinen 

 

Betain und Cholin: u.a. Spinat, Eigelb, Brokkoli, Weizenkeime, Quinoa, Rote Beete, Leber, Fisch, Fleisch 

 

Vitamine B2 (Riboflavin) und B6 (Pyridoxin): u.a. Leber, Käse, Speisekleie, Hülsenfrüchte, Fisch, Steinpilze, Spinat, Sprossen, Bierhefeflocken, Hanf- und Leinsamen, Avocado, Basilikum, Schnittlauch 

 

Magnesium: u.a. Hanf-, Lein- und Sesamsamen, Kürbiskerne, Speisekleie, Mandeln, Weizenkeime, Amaranth, Quinoa, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, grünes Gemüse, Kräuter 

 

Zink: u.a. Weizenkeime, Kürbiskerne, Leber, Sesam- und Mohnsamen, Sojamehl, Edamer, Kakao, Emmentaler, Fisch, Pinienkerne, Vollkorngetreide, Hirse, Eigelb, Mandeln 

 

 

ERNÄHRUNG IM TAKT DER INNEREN UHR

Die Ernährung, als Nutri-Epigenetik verstanden, kann beeinflussen, ob und wie Gene aktiviert werden. Eine chronobiologische Ernährung birgt dabei eine besondere Effektivität. Warum? Wer im Einklang mit seinem circadianen Rhythmus isst, nimmt Nährstoffe zu den Zeiten auf, wenn der Körper sie am besten verwerten kann und sie ihre optimale Wirkung entfalten (s. Literatur). Dies gilt auch für die Aufnahme von Nährstoffen, die für den Methyl-Kreislauf unabdingbar sind. 

» FRÜHSTÜCK 

Cortisol erreicht in den frühen Morgenstunden seinen Höhepunkt, gefolgt von Insulin. Der physiologische Anstieg beeinflusst den Fettstoffwechsel, mobilisiert Zucker, Proteine und Mineralstoffe (z. B. Calcium und Magnesium), die der Körper benötigt, um sich auf die bevorstehenden Aktivitäten am Tag vorzubereiten – selbst ohne Frühstück. Es empfiehlt sich morgens der moderate Konsum langkettiger Kohlenhydrate, wie sie z. B. in Vollkornprodukten vorkommen. Süßes hingegen, auch Obst (z. B. Bananen), kann zu starken Schwankungen des Blutzuckers führen. 

 

Als Vitamin-B12-Lieferanten stehen für Mischköstler und Vegetarier Eier und Rohmilchprodukte zur Verfügung, die gleichzeitig Methylgruppen-Spender liefern, z. B. Methionin, Cholin und Magnesium. Die Aufnahme von naturbelassenem, gesättigtem Fett morgens stabilisiert den Blutzuckerspielgel und reduziert die physiologische Produktion von Cholesterin und Triglyceriden mit positiver Auswirkung auf Gesundheit, Sättigung, Energielevel und Figur. (Veganer sollten auf die regelmäßige Einnahme von aktivem Vitamin B12 achten.) 

 

Lebensmittel, die viel Vitamin B2 und B6 enthalten, z. B. Keimlinge und Sprossen, Weizenkeime, Hanf- und Leinsamen, Avocado und Käse, sind für ein chronobiologisches Frühstück sehr geeignet. Neben den B-Vitaminen liefern sie noch Methionin, Magnesium und Zink. Darüber hinaus sind sie reich an Ballaststoffen, die der Darmgesundheit zugutekommen. Hanf- und Leinsamen enthalten zudem Omega-3-Fette, die morgens die höchste antientzündliche Wirkung entfalten. Um dem physiologischen Calciumverlust entgegenzuwirken, ist der Verzehr von Sesam- und Mohnsamen zum Frühstück empfehlenswert. 

 

» MITTAGESSEN 

Mittags ist der Verzehr komplexer Kohlenhydrate (z. B. Vollkornreis, Amaranth oder Quinoa) aufgrund einer stärkeren physiologischen Insulinausschüttung sinnvoll. So kann der Blutzuckerwert stabil gehalten werden. Diese Lebensmittel liefern zugleich eine Fülle an wichtigen Nährstoffen für den Methyl-Kreislauf. Zudem ist der Körper mittags bestens mit Enzymen ausgestattet, um schwerverdauliche Lebensmittel, z. B. Bohnengerichte oder Fleisch, effektiv zu verwerten. Eiweißreiche Lebensmittel sind mittags ideal, denn sie füllen den Aminosäuren-Pool auf und stellen epigenetisch relevante Nährstoffe bereit, z. B. Methionin, Zink, Magnesium und BVitamine. Auch Gemüse und Salate (z. B. Spargel, Brokkoli, Feld- und Endiviensalat) sind aufgrund ihres B-Vitamin- und Magnesiumgehalts für den Gesamtstoffwechsel von Vorteil. 

 

Die Kombination von Eiweiß mit Gemüse und Salat ist daher besonders günstig, da die darin enthaltenen B-Vitamine sowie Vitamin C die Zinkaufnahme steigern. Im Gegensatz dazu hemmen Milchprodukte die Zink-Bioverfügbarkeit. 

 

» SNACK AM NACHMITTAG 

Am späten Nachmittag (16-17 Uhr) finden wir physiologisch die niedrigste Cortisol- und Insulinausschüttung. Außerdem sinkt jetzt die Insulinempfindlichkeit der Zellen natürlicherweise. Dies macht den Nachmittag zum perfekten Zeitpunkt für einen kleinen (!) süßen Snack, ohne Nachteile auf den Blutzuckerspiegel und die Figur fürchten zu müssen. Im Sinne einer Vorbereitung auf die nächtliche Reparaturphase speichert der Körper jetzt Mikronährstoffe viel effektiver als morgens. So können nun z. B. mit Hanf- und Sesamsamen die Magnesium-, Calcium- und Vitamin-B-Speicher effektiver aufgefüllt werden als morgens. Auch Sprossen, Beeren und süßes Obst in kleinen Mengen sind jetzt aufgrund ihrer Fülle an epigenetisch relevanten Vitalstoffen wertvoll. Eine Kombination von Kernen oder Nüssen mit frischem Obst liefert dem Körper nachmittags eine willkommene Ladung an gesunden Fetten sowie Methionin, Magnesium, Zink und B-Vitaminen. Der chronobiologische Snack bringt Sättigung und Entspannung mit sich und liefert zusäätzlich die Bausteine für Melatonin, unser Anti-Aging- und Schlafhormon. 

» ABENDESSEN 

Abends ist die physiologische Ausschüttung von Cortisol und Insulin mäßig und die enzymatische Ausstattung reduziert. Leicht verdauliche Eiweiße, z. B. grüne Bohnen, Sprossen, Fisch oder mageres Fleisch, sind chronobiologisch gesehen abends sinnvoll, um zugleich für Sättigung und Nachschub an Aminosäuren und Mineralstoffen zu sorgen, die im Methyl- Kreislauf und zur Zellreparatur benötigt werden. 

 

Nachts während der Regenerations- und Reparaturphase ist der Spiegel des Wachstumshormons (GH) am höchsten. Damit es seine Funktion ungestört erfüllen kann, sollte es nicht durch seinen natürlichen Gegenspieler Insulin gehemmt werden. Daher ist es abends günstig, regelmäßig auf kohlenhydrat- und fettreiche Lebensmittel (gesättigtes Fett) zu verzichten. Hingegen ist leicht verdauliches Gemüse, begleitet von Algen- oder Leinöl, am Abend wertvoll, um essenzielle und epigenetisch bedeutsame Nährstoffe (u.a. Magnesium, B-Vitamine, Omega-3-Fettsäuren, v.a. DHA) für die nächtliche Zellreparatur zu speichern und einen gesunden Schlaf zu fördern. Zinkreiche Lebensmittel, z. B. Fisch, Fleisch und Kürbiskerne, dienen nicht nur dem Methyl-Kreislauf, sondern entfalten abends auch ihre stärkende Wirkung auf das Immunsystem. 

 

 

BESONDERE HERAUSFORDERUNGEN

Vegetarische und vegane Ernährung Mit einer vegetarischen Ernährung werden wenig, in der veganen Ernährung gar keine tierischen Proteine aufgenommen, wodurch die Versorgung mit Methionin erschwert wird. Tierische Lebensmittel sind nach wie vor die Hauptquelle dafür. Pflanzliche Methionin-Quellen, z. B. Lupinenbohnen, Nüsse und Samen (hier v.a. Hanf und Sesam), sollten daher unbedingt im Speiseplan enthalten sein. Methionin ist für den Methyl-Kreislauf unverzichtbar, und der Bedarf steigt unter Stress und Schadstoffbelastung. Auch Vitamin B12, das in tierischen Lebensmitteln vorkommt, ist für einen funktionierenden Methyl-Kreislauf essenziell. Selbst Menschen, die Eier, Fisch und Fleisch konsumieren, können unter hoher Belastung einen Mangel an Methionin und Vitamin B12 entwickeln. Bei erhöhtem Bedarf und Mangelzuständen ist eine entsprechende Supplementierung notwendig. 

 

Disstress 

Der Abbau von Stresshormonen (Adrenalin und Noradrenalin) erfordert Methylgruppen. Bei chronischem Stress wird dieser Prozess stark beansprucht, was einen Mehrbedarf an Vitalstoffen mit sich bringt, die für den Methyl-Kreislauf wichtig sind. Wenn dieser nicht bedient wird, können Stress- und weitere Hormone (z. B. Östrogen) nicht mehr effizient entgiftet werden, wodurch hormonelle Dysbalancen entstehen. Zudem sind Genregulierung und -reparatur sowie diverse Organfunktionen betroffen. 


 

MITHILFE DIESES BIOCHEMISCHEN PROZESSES KANN EIN GEN AKTIVIERT ODER DEAKTIVIERT WERDEN, WAS ES DEM KÖRPER GESTATTET, POTENZIELL KRANKMACHENDE GENE ZU UNTERDRÜCKEN 



 

Umweltbelastungen 

Die Methylierung spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Entgiftung schädlicher Substanzen. Fehlen dem Körper Methylgruppen, kann er die Entgiftung nicht korrekt durchführen. Schadstoffe können im Körper Enzyme blockieren, Stoffwechselprozesse stören und die Entwicklung verschiedener Erkrankungen fördern. Eine starke Quecksilberbelastung z. B. kann zu erheblichen Mängeln an Magnesium, Zink und B-Vitaminen führen, die u.a. essenziell für den Methyl-Kreislauf sind. 

 

FAZIT

Das Zusammenführen der Erkenntnisse aus der Epigenetik und des Wissens um den Mehrwert einer Ernährung im Rhythmus der inneren Uhr verdeutlichen, dass wir durch eine gezielte Nährstoffversorgung zum richtigen Zeitpunkt einen größeren Einfluss auf unsere Gesundheit haben, als bisher angenommen. Während die Nutri-Epigenetik aufzeigt, welche Nahrungsmittel im Sinne einer günstigen Genregulation für die entsprechenden Stoffwechselprozesse essenziell sind, bietet die chronobiologische Ernährung einen praktischen Ansatz, um Nährstoffe im Einklang mit unserem biologischen Rhythmus möglichst effektiv aufzunehmen. Indem wir epigenetisch relevante Nährstoffe regelmäßig zur richtigen Zeit aufnehmen, können wir unser Wohlbefinden steigern und unser gesundheitliches Potenzial effektiv entfalten. 

 

 

AUSBLICK

Im Folgeteil widmen wir uns weiteren Stoffwechselwegen und den Themen Anti-Aging und Gewichtsregulierung als Ausdruck bedarfsgerechter Versorgung im Takt der inneren Uhr. 

Anamaria Hager

Gesundheits-, Ernährungs- und Epigenetik-coach, Mentaltrainerin, Dozentin der Paracelsus Gesundheitsakademien

mail@anamariahager.de

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