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Osteopathie
Lesezeit: 9 Minuten

Malheur Umknicken

Ein unterschätztes Verletzungsbild aus osteopathischer Sicht

Wer kennt die Aussage von Patienten aus der eigenen Praxis nicht: „Ich bin beim Joggen umgeknickt! Dann war ich beim Orthopäden, der ein Supinationstrauma festgestellt und mir eine Orthese verschrieben hat, die ich jetzt erst einmal tragen soll. Leider habe ich das Gefühl, dass dadurch mein gesamter Körper nicht mehr im Gleichgewicht ist.“ Das Supinationstrauma stellt eine Alltagsverletzung („Umknicken“) dar und kommt v.a. bei Sportarten mit schnellen Richtungswechseln sowie hoher bis extremer Sprunggelenksbelastung vor (Ballsportarten, Tennis, Badminton, Bergabsteigen, Jogging, Nordic Walking, Tanzen). Aber selten bleibt es nicht nur allein beim Supinationstrauma, sondern es kann andere körperliche Beschwerden zur Folge haben, wie das im Artikel beschriebene Patientenbeispiel zeigen wird. Doch zunächst zur Theorie.

Anatomie des Sprunggelenks

Das Sprunggelenk ist eine komplexe Struktur, das aus zwei Hauptteilen besteht: dem oberen (Talus-Fibula- und Talus-Tibia-Gelenk) und dem unteren (Sprungbein- oder Subtalargelenk).

Oberes Sprunggelenk
Das Talus-Fibula-Gelenk (Articulatio talocruralis) befindet sich zwischen dem Talus (Sprungbein) und der Fibula (Wadenbein) und ermöglicht hauptsächlich die Bewegung des Fußes nach oben (Dorsalflexion) und unten (Plantarflexion), während seitliche Bewegungen begrenzt sind.

Unteres Sprunggelenk
Das Sprungbein- oder Subtalargelenk befindet sich zwischen dem Talus und dem Calcaneus (Fersenbein) und ermöglicht v.a. die Bewegungen der Inversion (nach innen drehen) und Eversion (nach außen drehen) des Fußes.

Die Teile des Sprunggelenks werden von Bändern stabilisiert, darunter das Innenband (Mediales Kollateralband). Diese Bänder unterstützen die Stabilität des Sprunggelenks und verhindern übermäßiges Bewegen in seitliche Richtung.

Die Muskeln und Sehnen um das Sprunggelenk herum spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Stabilität und Bewegung des Gelenks. Die wichtigsten Muskeln sind dabei die Wadenmuskeln (M. gastrocnemicus und M. soleus) auf der Rückseite des Unterschenkels sowie die Muskeln des Fußrückens und der Fußsohle.

Das Supinationstrauma

Supinationstrauma ist eine Zwangsbewegung, die unter Belastung (im Stehen) auftritt. Der Kompressionsmechanismus ist dabei ein wichtiger Faktor. Es kann verschiedene Schäden an den Außenbändern, am Chopart-Gelenk, an Gelenkkapseln und Faszien verursachen. Manchmal kommt es auch zu einem Malleolus-Ausriss. Häufig sind die Ursachen der Schmerzen durch die Blockaden der Gelenkkapseln sowie Funktionsstörungen der Faszien und nicht durch Risse der Bänder selbst bedingt.

Ein Supinationstrauma verursacht eine mechanische Unordnung, oft nicht nur im Sprunggelenk, sondern auch in Knie, Hüfte und Wirbelsäule. Für uns Osteopathen ist der Schaden an den Ligamenten wichtig, aber nicht das Hauptproblem. Vielmehr sind die Dysfunktionen von Kapseln und Faszien die Prioritäten. Deren frühzeitige Beseitigung ermöglicht eine baldige funktionelle Mobilität und Belastung. Das aktiviert den Regenerationsmechanismus und die Kapselbandvernarbung.

Gefahren reiner Schonung durch Orthesen

Die alleinige orthopädische Behandlung mit Ruhigstellung und Schienung führt meist nicht zum gewünschten Ergebnis. Bei dieser Behandlung wird nämlich immobilisiert, was die Regeneration, aber auch die Vernarbung behindert. Denn je länger das Gelenk nicht bewegt wird, umso länger dauert auch die Regenerationszeit. Dadurch erfolgt eine Förderung und Verschlimmerung eines Ödems – zusätzlich zur vasomotorischen Zustandsstörung. Ebenso werden Gelenksteifigkeit, Muskelmassenverlust, propiozeptive Störungen und Faszienverklebungen begünstigt, schließlich auch ein Vernarbungsprozess, der die Mobilität beschränkt und bei Belastung Schmerzen produziert, sowie eine Chronifizierung des Geschehens mit Langzeitödem.

Verletzungsgeschehen und Intervention

Im Moment der Verletzung steht der Fuß in Plantarflexion und Supination. Es entsteht eine Druckerhöhung auf der superioren lateralen Seite des Talus. Das bewirkt eine anteriore Gleitbewegung des Talus über den Calcaneus, die von einer Supinationsbewegung begleitet wird (Innenrotation). Os naviculare und Os cuboideum werden in Innenrotation (Richtung Mittelachse des Fußes) positioniert. Die Ossa cuneiformia blockieren sich normalerweise in Cranialposition im Vergleich zum Os naviculare. Der Calcaneus steht in Adduktion.

Der wichtigste Verletzungsmechanismus ist die Kompression von Tibia und Talus. Diese Dysfunktion hat Priorität bei der Behandlung. Sie reguliert sich nicht von allein, sondern muss manuell behandelt werden, weil sich sonst eine Osteochondrose entwickeln kann.

Neben der Faszien- und Bänderüberdehnung wird der Malleolus lateralis nach vorne gezogen, was zusammen mit dem Spasmus des M. biceps femoris den Fibulakopf nach posterior positioniert. Dieser Beugemuskulatur-Spasmus blockiert normalerweise auch das Os ilium nach posterior, was die typische kompensatorische Blockierung nach einem Supinationstrauma darstellt.

Es ist wichtig, nach einem Supinationstrauma eine mögliche Beinlängendifferenz zu überprüfen. Dazu kann es durch den Schiefstand des Os sacrum und des posterioren Os ilium kommen. Es könnte sein, dass nach einiger Zeit eine Kompensation von L2-L3 und Th12- L1 folgt.

Normalerweise wirken der Faszienzug und die aufsteigende Kette auf die oberen Halswirbel (oft ohne Symptome) und blockieren den craniocervikalen Übergang. Das Occiput ist dann in posteriorer Rotation blockiert, der Atlas führt eine kontralaterale Gleitbewegung aus und der Axis befindet sich in posteriorer Rotation.

Beschwerde- und Symptombild

Symptome sind Schmerzen, Schwellungen, Blutergüsse, Instabilität des Gelenks und eine eingeschränkte Beweglichkeit. In unserer Praxis zeigen sich in den meisten Fällen folgende Befunde bei den Patienten: eingeschränkte Beweglichkeit bei Dorsalflexion des Fußes, Ödem im Bereich des Außenknöchels, Schmerzen bei passiver Plantarflexion, Schmerzen bei Palpation des Lig. talofibulare anterius, häufig auch der Malleolusspitze, Schwierigkeiten, in die Hocke zu gehen oder sich auf den Fersen abzustützen, Schwierigkeiten beim Treppensteigen nach oben (Blockade der Tibia nach anterior).

Arten des Supinationstraumas

Es werden drei mögliche Formen des Supinationstraumas unterschieden:

Ruptur des Lig. talofibulare anterius
Es kommt zu einer Instabilität des Tibiotarsus (Verbindung zwischen Tibia und oberer Fußwurzelreihe) mit einer Talus-Blockade nach anterior. Das Ligament schränkt normalerweise die Plantarflexion ein. Um die Intaktheit des Ligaments zu überprüfen, wird die Schublade nach anterior getestet.

Ruptur von Lig. talofibulare anterius und Lig. calcaneofibulare
Das Ligament schränkt normalerweise die Supinationsbewegung ein. Es wird mit einer passiven Lateralflexion getestet.

Ruptur von Lig. talofibulare anterius, Lig. talofibulare posterius und Lig. calcaneofibulare (totaler Außenbandriss)
Es wird mit der Schublade nach posterior getestet.

Diagnostik und Testverfahren

Bei der Diagnostik ist es wichtig, eine Knöchelfraktur (Ausriss) des Malleolus lateralis der Fibula auszuschließen. Als ersten Test kann man den Fuß in passive Pronation und Dorsalflexion bringen, damit der Calcaneus an die Malleolus-Spitze stoßen kann. Wenn dies sehr starke Schmerzen verursacht, deutet das auf eine Fraktur hin, und eine osteopathische Behandlung ist kontraindiziert.

Man kann auch den Klopftest anwenden: Hierbei wird mit den Fingern von unten gegen die Ferse des betroffenen Fußes oder auf den Bereich, wo eine etwaige Fraktur erwartet wird, geklopft oder gestoßen.

Im Rahmen der osteopathischen Diagnostik werden folgende Tests bzw. Untersuchungen durchgeführt:

  • Testung der tibiotalaren Dysfunktion (Testung der anterior-posterioren Gleitbewegung der Tibia)
  • Testung der anterior-posterioren TalusBeweglichkeit (wie Untersuchung der tibiotalaren Dysfunktion, mit Daumen und Zeigefinger am Talus-Hals)
  • Testung der Beweglichkeit des Calcaneus
  • Testung des Mittelfußes (Dysfunktionen von Talus, Os naviculare, Übergänge Ossa cuneiformia – Os naviculare und Os metatarsale I – Os cuneiforme mediale)
  • Testung der Beweglichkeit des Os cuboideum in Innen- und Außenrotation
  • Testung der Cranialposition der Ossa cuneiformia
  • Mögliche Kompensationen von Knie, Ilium-Sacrum, LWS, BWS, Occiput-Atlas-Axis

Möglichkeit einer Chronifizierung

Verstauchungen, die nicht richtig behandelt wurden, können chronifizieren. Der Patient spürt immer wieder Schmerzen unter Belastung oder beim Sport, obwohl das Trauma vor langer Zeit stattgefunden hat. In diesem Fall finden sich eine Hypomobilität im unteren und eine Hypermobilität im oberen Sprunggelenk. Diese Dysfunktionen müssen behoben werden. Außerdem ist das falsch verheilte Triggerband zu behandeln. Mögliche Chronifizierungsfaktoren, die Schmerzen im Fußbereich nach einem Supinationstrauma produzieren können, sind:

Fehlstellungen von L5-S1-S2

  • Blockade der Art. tibiofibularis
  • viszerale Dysfunktionen (Herz- und Nierenprobleme können zu Stauungen in den unteren Extremitäten führen)
  • Dysfunktionen von Knie-Hüfte-LWS
  • Dysfunktion von Iliosacralgelenk und Os sacrum
  • Blockade des Fibulaköpfchens
  • Dysfunktion Os naviculare-Os cuboideum

Osteopathische Behandlung

Neben den Dysfunktionen von Gelenken und Gelenkkapseln sowie Blockierungen im Fuß muss man auch an Verletzungen der Faszien denken. Triggerbänder (entstehen durch Aufreißen und Verdrehen einer bandartigen Faszie), Continuum-Distorsionen (Störung der Übergangszone zwischen Faszie und Knochen) und Faltdistorsionen (entstehen durch Traktion oder Kompression bei gleichzeitiger Torsion) sind oft nach einem Supinationstrauma zu finden. Am häufigsten kommt es durch die Überdehnung des Ligaments, die einen Zug auf die Übergangszone verursacht, zu Continuum-Distorsionen an folgenden Stellen:

  • Distorsion im oberen Sprunggelenk zwischen Tibia und Talus; um diese besser zu erreichen, bringt man den Fuß passiv in Flexion und Extension
  • Distorsion am lateralen Malleolus
  • Continuum-Distorsion lateral am Calcaneus: lateral neben dem Ansatz der Achillessehne

Fallstudie

Ein Patient klagt über regelmäßige Kopfschmerzen seit gut einem Jahr. Bei der Untersuchung sind auf der rechten Seite Blockaden am Atlanto-Occipitalen-Übergang (OAA) und der 1. Rippe (C7/Th1) sowie eine Sakrumtorsion nach rechts posterior festzustellen. Die Störungen werden mithilfe von MET (Muskel-Energie-Technik) im Bereich der 1. Rippe beseitigt, ebenso die Sakrumtorsion mit MET und einer Manipulationstechnik. Die Blockierung im Bereich der OAA wird mit Counterstrain- und myofaszialen Techniken behandelt. Der Patient ist nach der Behandlung zu etwa 85% beschwerdefrei. Es wird vereinbart, dass er sich die nächsten 2 Tage körperlich/sportlich etwas ruhiger verhalten und sich in 4 Wochen wieder in der Praxis vorstellen soll.

Nach dieser Zeit kommt der Patient mit den gleichen Symptomen und Dysfunktionen wieder. Daher wird anamnestisch tiefer nachgeforscht. Der Patient erinnert sich, dass er ungefähr ein Jahr zuvor einen Sportunfall gehabt hat. Er sei umgeknickt, war aber mit dem umgeknickten Fuß nicht beim Arzt und habe auch keine Selbstbehandlung vorgenommen, da das Fußgelenk überempfindlich gewesen sei.

Daraufhin behandle ich das alte Supinationstrauma mit Manipulationstechniken von Os naviculare und Talus sowie die Mm. peronei des Fußes mit MET. Außerdem werden die Kompensationen auf die aufsteigende Kette wie Tibia-Innenrotation und Fibula-Fehlstellung mit Faszienmanipulation therapiert. In der Folge sind die Schmerzen komplett verschwunden.

Fazit

In dem hier beschriebenen Patientenbeispiel zeigt sich, dass es lohnenswert ist, auch an Störungen zu denken, die weit ab vom eigentlichen Problem liegen können. Da der Mensch seine Last auf den Füßen trägt und sie der Teil des Bewegungsapparats sind, der enormen Herausforderungen ausgesetzt ist, können sich Störungen in diesem Bereich im gesamten Körper manifestieren. Wir sollten also auch ohne Probleme oder Verletzungen des Fußes immer daran denken, die Füße zu trainieren und zu pflegen. In der Praxis zeigt sich, dass eine Behandlung der Füße immer wieder positiven Einfluss auf den gesamten Körper haben kann.

Elke Bartz
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten (Kinder-)Osteopathie, Neuraltherapie und Massage
praxis@elkebartz.de

Foto: © PheelingsMedia I adobe.stock.com

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