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Naturheilkunde
Lesezeit: 10 Minuten

Die Welt der Klostermedizin

Von Käse, Schafdung und Honig

Immer weniger Menschen leben als Nonne oder Mönch im Kloster. Das Interesse an kirchlichen Einrichtungen schwindet. Lohnt sich die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Heilkunst überhaupt noch? Ich nehme es vorweg: Ja! Und das nicht erst, seitdem Hildegard von Bingen und ihre Lehre eine Renaissance erleben. Angesichts multiresistenter Keime weitet die moderne Wissenschaft ihren Blick wieder in Richtung traditioneller Heilpflanzen, z.B. Kapuzinerkresse und Thymian. Auch von der Forschungsgruppe Klostermedizin der Universität Würzburg kommen wertvolle Impulse. Ihr Ziel ist nicht nur, die Medizingeschichte und das historische Wissen über Heilpflanzen zu erforschen, sondern auch, es für die heutige Zeit sinnvoll nutzbar zu machen. Wagen wir also einen Blick in diese Zeit und die vielen Einsatzmöglichkeiten, die sich für die Praxis bieten.

Klostermedizin

Der Begriff bezeichnet weniger eine bestimmte Therapierichtung, vielmehr eine Epoche mittelalterlicher Medizingeschichte in Europa, die das 8. bis 12. Jh. n. Chr. umfasst, also den Zeitraum zwischen dem Untergang der antiken Hochkultur durch Völkerwanderung und Julianische Pestwellen und der breiten Einführung medizinischer Fakultäten an den neuen Universitäten nach 1200. Letzteres hatte zur Folge, dass das Medizinstudium auch für Mönche an Universitäten und nicht mehr im Kloster stattfand.

Historischer Überblick

Die Grundlagen der Klostermedizin bilden zum einen die Regel des Heiligen Benedikt von Nursia (480-547), zum anderen die Humoralpathologie (Viersäftelehre) des griechischen Arztes Galen von Pergamon (129-216).

Benedikt von Nursia war der Begründer des Benediktiner-Ordens und des Klosters Monte Cassino in Italien. Er hat in seiner um 527 verfassten Ordensregel nicht nur „ora et labora et lege“ (bete, arbeite und lese) empfohlen, sondern auch festgelegt, dass „die Sorge für die Kranken vor und über allen anderen Pflichten stehen muss“, weshalb jedes Kloster eine Krankenstation sowie geschulte Pfleger haben sollte. Ziel seiner Regel war ein erfülltes, gelungenes Leben. Dies alles überzeugte Papst Gregor I. (540-604), und er erklärte die Regel des Benedikt für die katholischen Klöster zum Vorbild. Damit war der Grundstein gelegt.

Die Mönche sammelten und studierten die Schriften und Lehren der antiken griechischen Ärzte (Hippokrates von Kos, Dioskurides und Galen von Pergamon) und schrieben sie ab. Ins Lateinische übersetzt wurden die griechischen Texte damals noch nicht. Trotzdem prägten die antiken Lehren die Medizin des Mittelalters.

Als Kaiser Karl der Große (748-814) den Klöstern neben Bildung, Wirtschaft, Vorratshaltung etc. offiziell auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung übertrug, „explodierten“ diese in der Karolingerzeit regelrecht.

Die Klöster wurden zu medizinischen Zentren, sie beinhalteten Heilpflanzengärten, dort entstanden auch die ersten Apotheken.

Die Klostermedizin brachte wichtige Schriften hervor, exemplarisch seien genannt:

Lorscher Arzneibuch

Es entstand um 795 im Reichskloster Lorsch und markiert den „Startschuss“ der Klostermedizin. Im Hauptteil finden wir fünf Rezeptsammlungen mit über 600 Pflanzen, wobei dem Fenchel eine sehr wichtige Stellung zuteil wird. Auch asiatische Gewürze, z.B. Ingwer und Pfeffer, sowie Harze, z.B. Weihrauch und Myrrhe, sind erwähnt. Seit 2013 ist das Lorscher Arzneibuch Weltkulturerbe.

Hortulus

Das berühmte Kräutergartengedicht verfasste der Reichenauer Abt und Dichter Walahfrid Strabo (um 840). Er beschreibt darin die Schönheit und den Nutzen von 24 Pflanzen.

Macer floridus

Der vom Mönch Odo Magdunensis Ende des 11. Jahrhunderts verfasste Band war das am meisten gelesene Kräuterbuch, in dem die Wirkung der 77 wichtigsten Heilpflanzen der Klostermedizin dargelegt wurden.

Liber graduum

Dieses Buch schrieb Constantinus Africanus (gest. 1087), ein Arzt aus Nordafrika. Er kam an die Medizinschule Salerno (Italien) und trat 1078 ins Kloster Monte Cassino ein. Constantinus übersetzte medizinische Schriften aus dem Arabischen ins Lateinische. Das bewirkte einen enormen Aufschwung der Medizin in Europa und hat vermutlich auch Hildegard von Bingen beeinflusst.

Causae et curae und Physica

Die beiden medizinischen Abhandlungen von Hildegard von Bingen (1098-1179) stellen die letzten großen Schriften der Klostermedizin dar.

Canon medicinae

Wurde von Ali Ibn Sina (Avicenna) verfasst, der Schriften von Galen in einem Werk zusammenfügte. Der Canon medicinae wurde um 1170 ins Lateinische übersetzt.

Klosterwissen in der Neuzeit

In den folgenden Jahrhunderten brachte der Dominikaner-Orden Enzyklopädien heraus, die Kapitel über Heilpflanzen enthielten. Es schlossen sich Kräuter-Kompilationen an, Sammlungen, die das Wissen aus anderen Quellen zusammentrugen, z.B. der deutschsprachige „Gart der Gesundheit“ (um 1490) oder das darauf aufbauende und der Neuzeit zuzurechnende „Kräuterbuch des Adam Lonitzer“ von 1557.

Rund ein Jahrtausend liegt zwischen der Epoche der Klostermedizin und der vorwiegend im deutschsprachigen Raum entstandenen klassischen Naturheilkunde im 19. Jahrhundert.

Klostermedizin damals

Während der ersten Phase der Klostermedizin wurden im Wesentlichen Heilwirkungen von Pflanzen beschrieben und Rezepte zur Herstellung von Arzneien und deren Anwendung festgehalten. Beispiel aus dem Lorscher Arzneibuch: „Bei einer tiefen Wunde am Unterschenkel soll eine Mischung aus Käse, Schafdung und Honig hergestellt und in die Wunde eingebracht werden.“ Zugegeben, ein für uns abschreckendes Rezept. Allerdings ergaben theoretische und pharmakologische Überlegungen moderner Forschungen, dass diese Mischung tatsächlich eine antibiotische Wirkung haben könnte.

Gängigere Zubereitungen waren Presssäfte oder -tees aus Frischpflanzen, Auszüge in Öl, alkoholische Destillate (da im Mittelalter oft kein sauberes Wasser zur Verfügung stand, war Alkohol ein Segen), Sirup oder Latwerge (ein mit Honig vermischter fester Pflanzen-/ Fruchtbrei, der „geleckt“ wurde). Zum anderen gab es wässrige, ölige und alkoholische Auszüge aus sog. Drogen (getrocknete Pflanzenteile). Natürlich wurden auch Salben und Auflagen hergestellt und Wickel angewandt.

Weitere Therapieformen waren ausleitende Verfahren z.B. Aderlass, Schwitzen, (teils drastische) Abführ- und Brechmittel sowie Fasten. Gerade für Hildegard von Bingen war die richtige Ernährung ein wichtiger Baustein der Heilkunde. Nicht zuletzt spielten die Spiritualität und das Ziel, ein gelingendes Leben zu führen, eine Rolle.

Moderne Klostermedizin

Jene Themen zeigen an, wie die Übersetzung der Klostermedizin in unsere Zeit gelingen kann. Wir finden dort bereits den heute populären Ansatz ganzheitlicher Heilkunst, auch zur Prävention/Gesunderhaltung, sowie die begleitende Therapie v.a. bei chronischen Beschwerden.

In Fortführung der Klostermedizin steht die Gesundheitslehre von Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897). Auch hier sehen wir den gesamten Menschen mit Körper, Geist und Seele wahrgenommen. Seine fünf Säulen (Ernährung, Wasser, Bewegung, Heilpflanzen, Lebensordnung) bieten umfassende Hilfen für diese drei Ebenen:

Bewegung
„Sitzen ist das neue Rauchen!“ Leider ist an dieser Behauptung viel Wahres dran. Wir sitzen zu viel und schaden damit nicht nur dem Bewegungsapparat, sondern auch der Durchblutung, Lymphfluss, Stoffwechsel, Geist und Seele. Der Mensch ist für die Bewegung gemacht. Eine moderate sportliche Betätigung aktiviert alle Seinsebenen und bessert viele Beschwerden.

Ernährung
Nicht erst seit der Fernsehsendung „Die Ernährungs-Docs“ ist bekannt, dass eine ausgewogene vollwertige Ernährung die Basis für unsere Gesundheit ist. Bereits Kneipp sagte „Der Weg zur Gesundheit führt durch die Küche, nicht durch die Apotheke!“

Lebensordnung
Heute bekannt unter dem Begriff „Mind-Body-Medizin“. Hier geht es um einen erfüllten Alltag mit ausgewogener Balance aus Arbeit und Ruhe, ausreichend gutem Schlaf und sozialen Kontakten. Was für die Mönche und Nonnen die Gebetszeiten und Meditation waren, sind heute Waldbaden, Achtsamkeits- und Atemübungen sowie Entspannungstechniken, z.B. Qigong und Yoga.

Pflanzenheilkunde
Ein großes, wertvolles Feld. Viele Heilpflanzen der Klostermedizin setzen wir heute noch ein. Sie sind häufig von der Kommission E untersucht, in Monografien erfasst und bewertet. Die Zubereitungsformen haben sich nicht wesentlich geändert: Tee, Frischpflanzen-Presssäfte, Sirup, Pulver oder Tinkturen finden Anwendung. Phytopharmaka in Form von Kapseln und Tabletten kamen hinzu.

Wasser
Heilsame Bäder in Quellwasser oder Thermen waren schon im Altertum bekannt. In unseren Breiten erhielt die Hydrotherapie ab dem 17. Jahrhundert durch die schlesischen Ärzte Siegmund und Johann Siegmund Hahn Bedeutung (Vater und Sohn waren als die „Wasserhähne“ bekannt). Vincenz Prießnitz und Wasserpfarrer Sebastian Kneipp bauten die Wasserkur weiter aus und verhalfen ihr im 19. Jahrhundert zu großer, auch internationaler Beliebtheit.

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten
Waschungen, Güsse, Wickel, Auflagen, Bäder, Wasser- und Tautreten, Schneegehen. Je nach Indikation kommen unterschiedliche Temperaturen zum Einsatz: kalt (10-15 °C), warm (36- 38 °C), heiß (40 °C), als Wechselanwendung oder mit Kräuterzusätzen.

Die Wassertherapie gilt als Reiztherapie. Wärme wirkt entspannend auf die Muskulatur und fördert die Durchblutung. Kaltes Wasser wirkt entzündungshemmend, abschwellend und schmerzlindernd. Kaltwasser-Anwendungen dienen auch der Abhärtung, das war Kneipp auch im Hinblick auf Kinder sehr wichtig: „Wo Medikamente wenig oder gar nichts vermögen, kann mit Wasser der beste Erfolg erzielt werden.“

Empfehlungen aus der Praxis

Vor allem Kräuter und entsprechende Mittel der Klostermedizin finden in meiner Praxis immer wieder Anwendung. Nachfolgend ein paar Beispiele:

Nervöse Beschwerden

Melissen-Tee hilft sehr gut bei leichten oder nervösen Magen-Darm-Beschwerden, bei Nervosität und depressiven Verstimmungen. Hierfür 2 TL frische Melisseblätter mit 1 Tasse kochendem Wasser übergießen und 5 Minuten zugedeckt ziehen lassen. Dann abseihen. Mehrmals täglich 1 Tasse genießen.

Darmgesundheit

Verstopfung ist ein weitverbreitetes Leiden. Hier empfehle ich gerne 3 EL Haferkleie täglich. Sie liefert wertvolle Ballaststoffe zur Anregung der Verdauung und „füttert“ gleichzeitig die Darmbakterien, was zur deutlichen Verbesserung des Mikrobioms führt. Außerdem ist Haferkleie hilfreich bei Diabetes mellitus und erhöhten Blutfettwerten. Wichtig ist, ausreichend zu trinken und die Dosis einzuschleichen, um den Darm nicht zu überfordern. Haferkleie kann vielfältig eingesetzt werden: im Müsli, in Gemüse, Suppen und Eintöpfen (wichtig: nicht mitkochen, sondern erst am Tisch untermengen).

Leberfunktion

Nicht nur bei Lebererkrankungen, auch für eine Leberkur sind die Früchte der Mariendistel in meiner Praxis im Einsatz. Ich verordne sie zur Vorbereitung von Ausleitungs- und Fastenkuren wie auch bei Zeichen von Leberbelastungen. Gerne setze ich das Präparat Silymarin-Intercell (Fa. INTERCELL) ein. Dosierung: 1 Kapsel täglich zu einer Mahlzeit, möglichst zum Abendessen.

Mundflora

Das Repha-OS® Mund- und Rachenspray (Fa. Repha) enthält Tormentill-Wurzelstock, Anis, Rathaniawurzel, Myrrhe, Eukalyptus, Nelke und Pfefferminze. Es hat ein breites antimikrobielles Wirkspektrum. Ich empfehle es in meiner Praxis zur Pflege der Mundschleimhaut (z.B. für Menschen, die viel sprechen), bei Mundgeruch, Zahnfleischentzündungen, zur Vorbeugung von Erkältungen sowie bei Belastungen mit Candida albicans. Das Mittel wird mehrmals täglich mit 1-2 Hüben in die Mundhöhle gesprüht oder kann mit Wasser als Gurgellösung verwendet werden.

Bewährte Rezepte für die Erkältungszeit

Temperaturansteigendes Fußbad
Dies sollte direkt bei beginnender Erkältung Anwendung finden. So geht’s: Eine ausreichend große Wanne mit 2 l warmem Wasser (35 °C) füllen und die Füße hineinstellen. Ein paar Tropfen ätherisches Öl dazu (Thymian oder Minze). Nach und nach heißes Wasser hinzugeben (Nicht auf die Füße gießen!), bis die Wassertemperatur 40 °C beträgt. Als Badedauer werden 15-20 Minuten empfohlen. Danach die Füße gut abtrocknen, warme Socken anziehen und mindestens eine halbe Stunde ruhen, besser gleich ins Bett gehen.

Menschen mit schweren Atem- oder Herz-Kreislauf-Beschwerden sollten zuerst ärztlichen Rat einholen.

Mit einigen Tropfen Lavendelöl ist dieses Fußbad auch außerhalb der Erkältungszeit als Schlafhilfe am Abend wunderbar geeignet.

Tee bei beginnendem Husten
Je 25 g Eibischwurzel, Spitzwegerich-, Königskerzen-, Malvenblätter und -blüten mischen. 1 EL davon mit 1 Tasse kaltem Wasser übergießen, erwärmen, 5 Minuten abgedeckt ziehen lassen und abseihen. Mit Honig gesüßt täglich mehrere Tassen trinken.

Salbei-Gurgel-Lösung
1 TL getrocknete Salbeiblätter mit heißem, nicht mehr kochendem Wasser übergießen, 10 Minuten abgedeckt ziehen lassen, danach abseihen. Bei Angina, Hals- und Rachenentzündung damit gurgeln.

Quark-Halswickel bei Mandelentzündung
200 g Quark mit 1 TL Essig glattrühren, etwa 2 cm dick auf ein nasses Leintuch streichen und dieses mit der Quarkseite um den Hals legen. Mit Schal befestigen und 1 Stunde wirken lassen, bis der Wickel Körpertemperatur hat.

Fazit

Die (weiterentwickelten) Methoden der Klostermedizin sind heute Teil der TEM (Traditionelle Europäische Medizin). In meiner Praxis kommen sie bei fast allen Patienten individuell zusammengestellt als Therapiebaustein zum Einsatz. Sei es ein Leberwickel während einer Fastenkur oder zur Unterstützung der Leberfunktion, ein Weißdorn-Tee beim Altersherz, ein alltagstauglicher Bewegungsplan bei Stress, Gelenkbeschwerden, Übergewicht oder eine optimierte Ernährung bei erhöhten Blutfettwerten. Besonders daran ist, dass die Patienten merken, dass sie mit relativ wenig Aufwand, kostengünstig und v.a. selbst so manches für mehr Gesundheit und inneres Gleichgewicht tun können, ohne lange auf Behandlungstermine warten zu müssen. Vieles aus der Klostermedizin ist als Präventivmedizin auch heute topaktuell.

Beate Rauch
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Ernährung, Darmgesundheit, Klostermedizin und Fußreflexzonentherapie
naturheilkunde@beaterauch.de

Literatur:

  • Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift. Haug Verlag, Ausgabe 4/18
  • Eisenmann-Tappe I, Mayer JG: Klostermedizin bei Erkrankungen des Verdauungstrakts. Haug Verlag, 2021 www.klostermedizin.de
  • Neue Zürcher Zeitung: Forscher werden im Pferdemist fündig, www.nzz.ch, 07.11.2014
  • Lauber H: Traditionelle Deutsche Medizin. Kirchheim Verlag, 2018
  • Mayer JG, Goehl K: Kräuterbuch der Klostermedizin der Macer Floridus. NikolVerlag, 2021
  • Mayer JG, Uehleke B, Saum K: Das große Buch der Klosterheilkunde. Zabert Sandmann Verlag, 2013
  • Michalsen A: Heilen mit der Kraft der Natur. Insel Verlag, 2017
  • Michalsen A: Mit Ernährung heilen. Insel Verlag, 2020
  • Saum K, Mayer JG, Witasek A: Heilkraft der Klosterernährung. Zabert Sandmann Verlag, 2006
  • Zeitschrift für Phytotherapie. Thieme Verlag, 2001(22); 241-245

 

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