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Naturheilkunde
Lesezeit: 4 Minuten

Glosse: Tradition und Moderne

WISSEN oder NICHT-WISSEN, das ist hier die Frage

Ein die Zeiten überdauernder Klassiker der Naturheilkunde ist die Phytotherapie. Seit dem altägyptischen Papyrus Ebers, der aus dem 16. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stammt, sind Therapien mit Pflanzen (-mischungen) bekannt, die differenziert und gezielt bei unterschiedlichen Erkrankungen eingesetzt werden: mit Gewichtsangaben, Pflanzenteilen, Zubereitung und Dosierung. Bei der Gabe sollen auch bestimmte Sätze gesprochen werden. Schaut man sich die genau an, kann man sagen: Das alles sind Affirmationen, die lange Zeit als Zaubersprüche in Misskredit gebracht wurden, deren Wirksamkeit heute aber eine Erfahrungstatsache ist. „Hat sich schon tausendmal bewährt.“

Tatsächlich hinterlässt jede Kultur, die allesamt nicht über mehr Arzneien verfügten als das, was die Natur ihnen anbot, pflanzliche Rezepturen: die Völker Mesopotamiens und Chinas, die Inka, Maya und Azteken, natürlich auch die abendländischen in ihrer griechisch-römischen Tradition.

In Europa wurde diese Form der Heilkunde bereits im Mittelalter systematisch untersucht. Paracelsus war einer der Forschenden, deren Werk bis heute Bestand hat und weitergeführt wird bis in die modernste Pharmakologie hinein. Schon damals wurde gerätselt, gedacht und geforscht. Intuition und Schlussfolgerungen fanden Einlass. Hildegard von Bingen tat hierzulande das ihre zu diesem großen Gebäude hinzu.

Dann begann man mit der Mikroskopie. Nicht nur mit Geräten, sondern auch in den Überlegungen. Reduzierte alles auf einfachste Wenn-Dann-Beziehungen. Moderne Medizin und Pharmazie traten auf den Plan und verkündeten: Alles Unsinn, das mit den Traditionen, viel zu pauschal und mystisch überfrachtet. Sie murmelten noch etwas von Nebenwirkungen, benannten die in unerwünschte Arzneimittelwirkungen um und nahmen die Sache in ihre gewinnbringende Hand. Gut, das ist jetzt nicht unbedingt unser Thema, wir Heilpraktiker gehen ja andere Wege.

Wir wissen aber doch: Auf Herausforderungen von außen, eben auch auf therapeutische Bemühungen, antwortet ein Lebewesen mit seinem gesamten (über-)komplexen System. Solche Systeme neigen zu spontanen Neuschöpfungen. Ich bewundere diesen beharrlichen Erfindergeist, der mit eiserner Konsequenz rasende Atome, ungebundene Elektronennebel und wilde Elemente zusammengehäuft hat, und diese nun zwingt, da sie in die Form eines Leibes gepresst sind, verschiedenste Aufgaben zu erfüllen. Welch geniale Kreativität, welch Präzision in der Ausführung. Die Schönheit der Organe, die gotische Anmutung des Knochengerüstes mitsamt seiner Gelenkfunktionen, die Labyrinthe kreisenden Blutes, die Architektur der Nervenfasern – tausende einander bändigende Systeme, die unsere Vorstellungskraft übersteigen. Als könnten wir das jemals bewältigen.

Mangels schlüssiger Antworten taucht man ins immer Kleinere ab und verliert dabei das Ganze aus den Augen. Man unterliegt einem alten, oft belächelten Fehler: Wir suchen da, wo das Licht ist, nicht dort, wo wir sind. Dabei hilft uns auch die modernste Technik nicht. Der KI (Künstlichen Intelligenz) fehlen zwei wesentliche Elemente menschlichen Daseins: die Neugier und die sinnvolle Integration der aus der Erfahrung abgeleiteten Erkenntnisse. (Noch.) Die Konstrukteure unserer eigenen Lernprozesse sind unvermeidlich immer noch wir selbst.

Wir wissen nicht, was Neugier überhaupt ist. Wir sind diesem Geheimnis nicht einmal ansatzweise auf der Spur. Vor allem die moderne Neurologie hat sich verloren in der Untersuchung immer kleinerer Systemteile: neuroendokrine Drüsen, Amygdala, Hippocampus, Corpus geniculatum laterale. Allein diese spröde lateinische Poesie ist geblieben. Versuchen Sie mal, die Forschung in der Neurologie voranzutreiben. Man würde Ihnen ein Kubikmillimeter großes Areal des Hirns zuweisen, um am Ende festzustellen: Nirgends finden wir den Quell der Neugier oder gar der Genialität. Wussten Sie, dass aus dem Gehirn Albert Einsteins nach dessen Tod Stücke herausgeschnitten, nummeriert und an Neurologen weltweit verteilt wurden. Niemand fand eine Antwort auf Einsteins Genius. Alles, worauf wir stoßen, ist Ausdruck unserer strukturellen Hilflosigkeit. Aber diese erkennen wir kaum mehr. Zerwürfelte Gehirne, ich bitte Sie!

Es gab einen Physiker und Philosophen, das war Werner Heisenberg, einer der Väter der Quantentheorie, der sagte: „Wer behauptet, die Quantenphysik verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden.“ Das immerhin war hell- und weitsichtig. Ich staune indes über nachweisliche Therapieerfolge, die auf weit subtileren Ebenen stattfinden müssen als der heute definierbaren.

Wir sind in unserer geistigen Heimat schon zu weit gelaufen, um jetzt aufzugeben. Dennoch sitzen wir mit unserer Ansammlung von Molekülen da, diagnostizieren und behandeln immer noch nach einfachsten Wenn-Dann-Beziehungen, anstatt das System Mensch als Ganzes, in seinem Streben nach Verbundenheit und Entfaltung zu verstehen. Dann dürfen wir uns zwar wundern, wenn eine Therapie nicht funktioniert, das steht uns ja frei. Aber überrascht sollten wir nicht mehr sein. Sie kennen doch die Frage: „Meinen Sie nicht, Sie hätten das wissen müssen?“

Immerhin, schon der sehr geehrte Herr Goethe lässt seinen Sarkastiker Mephisto in Faust sagen:

„Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen.
Ihr durchstudiert die große und kleine Welt,
um es am Ende gehen zu lassen,
wie’s Gott gefällt.“

Damit müssen wir erst einmal fertig werden.

Thomas Schnura
Psychologe M.A., Heilpraktiker und Dozent

Thschnura@aol.com

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