Naturheilkunde aus dem Regenwald
Exotische Pflanzen für die Tumortherapie und darüber hinaus
Die Vernichtung des Regenwaldes wirkt sich massiv auf unser Klima aus. Dass er darüber hinaus auch eine Rolle für Medizin und Pharmazie spielt, ist eher selten Gesprächsthema. Der Regenwald birgt viele Heilkräuter, die bei zahlreichen Erkrankungen helfen und unterstützend eingesetzt werden können. Einige Exoten werden in diesem Artikel vorgestellt.
Brasilianischer Ginseng
Pfaffia paniculata ist ein großer tropischer Strauch, der zur Familie der Fuchsschwanzgewächse gehört. Er stammt aus dem Amazonasbecken und den tropischen Bereichen südamerikanischer Länder. Man nennt ihn auch Suma oder Para toda (Für alles). Zu Heilzwecken genutzt wird seine Wurzel.
Die medizinischen Wirkungen des Brasilianischen Ginsengs sind zahlreich: So dient die Wurzel als Stimulans, sie stärkt das Herz, beruhigt die Nerven bei Stress und Müdigkeit. Daneben fördert sie die Blutzirkulation, hilft dem Immunsystem und hat aufgrund ihrer antioxidativen Inhaltsstoffe entzündungshemmende sowie wundheilende Effekte. Es gibt Hinweise darauf, dass sie die Funktion von Verdauungstrakt und Zentralnervensystem normalisiert. Im Rahmen von Forschungsarbeiten konnte eine Antikrebswirkung (z.B. gegen Leukämie) nachgewiesen werden. Sie soll bei chronischer Fatigue helfen, der bleiernen Müdigkeit, die auch Patienten nach einer Krebsoperation häufig befällt. Da die Pflanze jedoch auch als Östrogenersatz zur Anwendung kommt, wird vor einer Anwendung bei hormonabhängigen Tumorarten, die von Östrogenen beeinflusst werden, abgeraten.
Traditionelles Rezept
Die getrocknete und pulverisierte
Wurzel wird in ein Getränk gemischt. Dafür rührt man 1 TL Pulver in 250ml Wasser oder Saft, kocht diese Mischung ca.
15 Minuten und siebt die Rückstände ab. 2-3 Mal am Tag davon trinken.
Chancapiedra
Der Name der krautigen Pflanze bedeutet „Steinbrecher“. Phyllanthus niruri gehört zur Familie der Wolfsmilchgewächse und erreicht eine Wuchshöhe von 30-40 cm. Man findet sie im Regenwald Amazoniens und anderen tropischen Gebieten inkl. den Bahamas, Südindien und China. Aufgrund seiner zahlreichen Wirkungen erlangte das Kraut Weltruhm. Das Besondere daran ist, dass bislang keine Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung verzeichnet werden konnten.
Indigene Völker nutzen dieses Gewächs zur Ausscheidung von Gallen- und Nierensteinen. In Peru verwendet man Chancapiedra bei Harnwegsentzündungen. Die brasilianische Naturheilkunde setzt sie bei Blasen- und Prostataentzündung sowie als Spasmolytikum (krampflösend) und Relaxans der glatten Muskulatur, v.a. des Urogenitaltrakts, ein. Wissenschaftlich abgesichert sind seine harntreibende Wirkung und Fähigkeit zur Beseitigung von Gallen- und Nierensteinen. An einem Pflanzenextrakt konnte belegt werden, dass er die Steinbildung verlangsamt oder blockiert, selbst bei pathologisch hohen Konzentrationen von Kalziumoxalat. Die krampflösenden Effekte konnten brasilianische Forscher auf die in der Pflanze enthaltenen Alkaloide zurückführen. Diese Substanzen entspannen die glatte Muskulatur, v.a. die der Gallen- und Harnwege. Damit können Gallen- und Nierensteine leichter ausgeschieden werden. Schließlich scheint es auch Belege für eine Wirkung bei Krebserkrankungen zu geben.
Traditionelles Rezept
5 g Chancapiedra-Kraut in kaltem
Wasser aufweichen, dann ca. 10 Minuten kochen, stehen lassen und 2-3 Mal täglich 1 Tasse trinken.
Chuchuhuasi
(Maytenus macrocarpa R. & P. Briquet) ist ein großer, kronentragender Baum im Regenwald Amazoniens, der bis zu 30 m hoch wird. Für medizinische Zwecke werden Rinde, Blätter und Wurzel eingesetzt.
Chuchuhuasi verwendet man als Schmerzmittel und Immunstimulans. Örtliche Heilpraktiker, die Curanderos, nutzen Chuchuhuasi als allgemeines Stärkungsmittel. Die lange Anwendungszeit als Heilpflanze und die Effektivität ihrer Wirkung weckte auch das Interesse von Wissenschaftlern. Bereits in den 1960erJahren wurde die stimulierende Wirkung von Blattauszügen auf das Immunsystem entdeckt. Forscher fanden Wirkstoffe gegen Haut-, Gehirn- und andere Tumorarten. In der Wurzel wurden spezielle Wirkstoffe gefunden, die das Krebswachstum reduzieren sollen. Als Nebenwirkung hat man bislang nur eine Allergie bei empfindlichen Personen entdeckt.
Traditionelles Rezept
5g getrocknete, geschnittene innere
Rinde (Bast) in 1 Liter Wasser 25-30 Minuten kochen lassen, absieben und 3 Mal täglich 300 ml trinken. Wer den
Geschmack nicht mag, kann mit Honig süßen. (Achtung: Diese Rezeptur ist für Kinder unter 3 Jahren nicht geeignet,
Allergien sind möglich.)
Copaiba-Baum
Diese Baumart, die 15-30 m hoch wird, gehört zur Ordnung der Schmetterlingsblütenartigen (Fabales) und zur Familie der Hülsenfrüchte (Fabaceae). Man findet den Baum im Regenwald des tropischen Südamerikas. In Europa wurde Copaiba (Copaifera spp) bereits 1625 bekannt, als die Jesuiten ihn aus der neuen Welt mitbrachten. Das aus ihm gewonnene Öl erhielt die Bezeichnung „Jesuitenbalsam“.
Öl und Balsam kräftigen das strapazierte Nervensystem, verleihen Energie und Stärke, stimmen gelassen und fröhlich. Sie wirken aufbauend und kräftigend. Auch gegen Müdigkeit und Abgespanntheit soll es helfen. Außerdem gilt Copaiba als schmerzlindernd. Mischt man das Harz Körperölen bei, pflegt und schützt es die Haut. Nach indianischer Tradition trägt man den Balsam auch auf entzündete Hautstellen auf. Er soll die Wundheilung (Vernarbung) positiv beeinflussen. Tumorhemmende Eigenschaften sagt man der Pflanze ebenfalls nach. Vertreter der Curanderos in Peru setzen den Balsam äußerlich und innerlich bei Hautkrebs ein. Wissenschaftliche Laborversuche erbrachten den Nachweis über wachstumshemmende Eigenschaften bei Leukämie sowie bei Brust- und Darmkrebszellen.
Traditionelles Rezept
5-15 Tropfen des Baumharzes 2-3 Mal
täglich mit lauwarmem Wasser, 1 TL Honig oder Joghurt vermischen und einnehmen.
Annattostrauch
Der 5-10 m hohe Annattostrauch (Bixa orellana) stammt aus Brasilien. In Deutschland kennt man die Pflanze unter der Bezeichnung Orleans- oder Rukustrauch. An den zahlreichen Samen befindet sich ein rötliches Samenbläschen, das einen gelb-orangen Farbstoff (Annatto) aufweist. Diesen findet man häufig als natürlichen Farbstoff in Lebensmitteln in Europa als auch den USA (E106(B)).
In Peru soll ein Teeaufguss bei Prostata- und Harnblasenentzündung, mangelnder Nierenfunktion und zur besseren Ausscheidung von Harnsäure helfen. Auch setzt man ihn als leicht harntreibendes Mittel ein. In Forschungsarbeiten konnte belegt werden, dass Blüten- und Blattauszüge einen antibakteriellen Effekt gegen E. coli und Staphylokokken bewirken. Nachgewiesen ist, dass der Tee (2-3 Mal am Tag eine halbe Tasse) positive Auswirkungen auf Prostata- und Nierenprobleme hat. Die harntreibende Wirkung kann bei empfindlichen Menschen schon bei sehr niedrigen Dosierungen auftreten, z.B. nachdem man eine Tüte Popcorn gegessen hat, dem Annatto als Farbstoff zugegeben war. Untersuchungen bzgl. der Wirkung auf den Zuckerhaushalt waren nicht eindeutig, sodass Diabetikern von der Verwendung abgeraten wird. Da auch schon Gebärmutterkontraktionen aufgetreten sein sollen, empfiehlt man Schwangeren, die Pflanze nicht zu verwenden.
Traditionelles Rezept
8-10 Blätter (5 g) in kaltem Wasser
aufweichen, dann ca. 10 Minuten kochen, stehen lassen und 2-3 Mal täglich 1 Tasse trinken.
Madagaskar-Immergrün
Ursprünglich kam das Madagaskar-Immergrün (Catharanthus roseus) wirklich aus Madagaskar, heute ist es weltweit in den Regenwäldern verbreitet. Es handelt sich um eine unscheinbare Pflanze, die zur Familie der Hundsgiftgewächse gehört und eine rosafarbene fünfblättrige Blüte zeigt.
In der traditionellen Heilkunst wurde der Blütenauszug gegen Halsschmerzen und Erkältungen eingesetzt. In Afrika werden die getrockneten Blätter als Rauschmittel und Aphrodisiakum geraucht (das kann bei übermäßigem Gebrauch zu Nieren- und Nervenschädigungen führen). In der modernen Medizin ist sie fester Bestandteil der heute üblichen Krebstherapie, da sie eine wichtige Grundsubstanz für die Chemotherapie unterschiedlicher Krebsarten darstellt. Das Madagaskar-Immergrün enthält Vincristin und Vinblastin, die als Modellsubstanzen für Zytostatika dienen. Vinblastin ist inzwischen Standardmedikament bei Blasenkrebs. Vincristin wird in der Kombinationstherapie bei Leukämie und kleinzelligem Bronchialkarzinom eingesetzt. Auch gegen Hodenkrebs werden die Inhaltsstoffe des Immergrüns verwendet. Die Diagnose der Hodgkin-Krankheit (Lymphdrüsenkrebs), an der v.a. junge Erwachsene erkranken, und der akuten lymphatischen Leukämie kam ohne die Pflanze praktisch einem Todesurteil gleich. Durch den Einsatz von Vincristin in der Chemotherapie hat sich die Überlebenschance von an Leukämie erkrankten Kindern vervierfacht. Mit Vinblastin konnte die Zehn-JahresÜberlebensrate der Hodgkin-Krankheit von 2 auf 58% erhöht werden. Die Medikamente sind auch gegen einige weitere Krebsarten wirksam, z.B. gegen den Wilms-Tumor, primäre Hirntumore, Gebärmutterhals- und Brustkrebs.
Kein traditionelles Rezept
Madagaskar-Immergrün wird nur
industriell zur Gewinnung von Vincristin und Vinblastin genutzt. Vor einer Anwendung als Heilpflanze wird gewarnt, da
gesundheitsschädliche Wirkungen befürchtet werden.
Fazit
Es gibt so viele weitere exotische Heilkräuter, Bäume und Sträucher, die Hilfe gegen die unterschiedlichsten Krankheiten versprechen – und auch halten. Mit einigen werden heute Millionenumsätze erwirtschaftet. Leider hat dies in den seltensten Fällen Auswirkungen auf den Artenschutz. Viele hochwirksame Heilpflanzen weltweit sind inzwischen vom Aussterben bedroht.
Wichtiger Hinweis
Die im Artikel vorgestellten
Rezepturen dienen i.d.R. zur allgemeinen Stärkung. Sie sind keinesfalls als Vorschläge zur Selbstmedikation, v.a.
bei bestehenden (schweren) Erkrankungen, zu verstehen. Grundsätzlich gilt: Medizinische Laien sollten sich vor einer
Anwendung immer erst mit einem Arzt oder Heilpraktiker beraten, um Unsicherheiten zu vermeiden. Bei vorliegender
Erkrankung sollte ohnehin kein Einsatz ohne Rücksprache mit einem erfahrenen Therapeuten erfolgen. Sollten im Rahmen
einer Anwendung Nebenwirkungen bemerkt werden, ist diese auszusetzen und der Therapeut zu konsultieren.
Dr. rer. nat. Andrea Flemmer
Diplom-Biologin, Ernährungswissenschaftlerin, Autorin
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