Qualitätsmanagement in der HP- und der HP Psy-Praxis
Teil 1 – Brauchen wir ein Qualitätsmanagement (QM)? Ja!
Festgeschrieben in den bundeseinheitlichen „Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktiker-Anwärterinnen und -Anwärtern“ vom 7. Dezember 2017, seit 22. März 2018 in Kraft:
„1.2.2 Die antragstellende Person ist sich der Bedeutung von Qualitätsmanagement und Dokumentation bei der Berufsausübung bewusst; sie ist in der Lage, diese Kenntnisse bei der Ausübung des Berufs zu beachten.“
Auch indirekt werden wir aufgefordert, ein „QM-System“ einzurichten. Sofern Sie in der Praxis wiederaufbereitbare Medizinprodukte regelmäßig anwenden, müssen Sie sich nach den Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) richten: Zu den Anforderungen, die an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten gestellt werden, gehört, „in regelmäßigen Abständen qualitätssichernde Maßnahmen durchzuführen“.
Für „Vollheilpraktiker“ (m/w), die in Hessen invasiv arbeiten, gilt in diesem Zusammenhang zusätzlich, „dass invasive
Tätigkeiten nur von Personen durchgeführt werden dürfen,
die über die dafür notwendige Sachkunde verfügen.“
„Invasive Tätigkeiten sind solche, bei denen in den Körper des Patienten eingedrungen wird. Dazu zählen auch die Verabreichung einer Spritze und das Setzen von Akupunkturnadeln (s. Bales/Baumann/Schnitzler/IfSG, § 36 Nr. 7).
Damit knüpft die Infektionshygieneverordnung an die potenzielle Gefährlichkeit der Handlung an, die bei allen Eingriffen mit Blutkontakt besteht, unabhängig davon, ob durch die Verwendung von Einmalbesteck das Risiko minimiert wird.
Für Tätigkeiten, die eine bewusste Verletzung der Haut oder Schleimhaut vorsehen, fordert die Infektionshygieneverordnung weitergehende Kenntnisse als bei Tätigkeiten, bei denen eine Verletzung nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Verordnung gibt vor, dass das Gesundheitsamt i.d.R. davon ausgehen darf, dass die Personen, die an einem 40-Stunden-Kurs mit Inhalten zur Aufbereitung teilgenommen haben, über diese entsprechende Sachkunde verfügen.“ (Quelle: Regierungspräsidium Darmstadt, Dezernat II 24.1 – Öffentliche Gesundheit, Gesundheitsfachberufe)
Damit knüpft die Infektionshygieneverordnung Hessen direkt an Punkt 1 der Überprüfungsleitlinien zur Qualitätssicherung an:
„1.2.1 Der antragstellenden Person sind die Grundregeln der Hygiene einschließlich Desinfektions- und Sterilisationsmaßnahmen bekannt; sie ist in der Lage, diese bei der Ausübung des Berufs zu beachten.“
Das heißt konkret: Jeder Heilpraktiker muss in seiner Praxis, egal ob in Hessen oder nicht, Maßnahmen zur Qualitätssicherung (Kapitel „1.2 Qualitätssicherung“ in den Leitlinien) in seiner Praxis durchführen. Das gilt für neue Heilpraktiker ebenso wie für bereits praktizierende Kollegen, auch für den Heilpraktiker für Psychotherapie! Als wesentliche Instrumente der Qualitätssicherung in der HeilpraktikerPraxis gelten Hygienemanagement, Qualitätsmanagement und Dokumentation.
Wir möchten Ihnen gleich vorab eine Sorge nehmen: QM bedeutet nicht, dass Sie sich ab sofort nach irgendeiner „DIN EN“ zertifizieren müssen. Die Kosten dafür sind für Inhaber einer Einzelpraxis unverhältnismäßig hoch. Sie müssen nicht, aber Sie können, wenn Sie wollen.
Bei der Gestaltung Ihres QMs sind Sie als Praxisinhaber oder bei Kooperationsformen wie der Berufsausübungsgemeinschaft (ehemals Gemeinschaftspraxis) grundsätzlich frei. Auch was den potenziellen Aufwand betrifft, den ein QM mit sich bringt, müssen Sie sich nicht „verrückt“ machen. Ihr Aufwand darf und muss im „angemessenen Verhältnis insbesondere zur personellen und strukturellen Ausstattung Ihrer Praxis stehen“. Als Mindeststandard wird ein QM-Handbuch (engl. quality manual) plus mitgeltende Unterlagen angesehen, und dieses kann schlicht aus ein paar handelsüblichen Aktenordnern bestehen.
Primäres Ziel: Patientensicherheit
Das primäre Ziel der Überprüfungsleitlinien für Heilpraktiker ist die größtmögliche Patientensicherheit. Wir haben schon mehrfach darüber berichtet, dass Patientensicherheit „der Leitgedanke bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens“ sowie „vorrangiges Ziel der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland und ein wichtiges Thema der europäischen Gesundheitspolitik“ ist. Damit deckt sich das primäre Ziel der Leitlinien mit dem primären Ziel eines „gelebten QMs“.
Es versteht sich, dass wir Heilpraktiker diese vorrangige Absicht mittragen und damit sicherstellen, dass die
Ausübung der Heilkunde keine „Gefahr für die Gesundheit der Bevölke
rung oder für die ihn aufsuchenden Patienten
bedeuten würde.“ (s.a. HeilprGDV 1)
Wie wird Patientensicherheit definiert?
Patientensicherheit ist das aus der Perspektive der Patienten bestimmte Maß, in dem handelnde Personen wie Heilpraktiker, Berufsgruppen, Teams, Organisationen, Verbände und das Gesundheitssystem
- einen Zustand aufweisen, in dem unerwünschte Ereignisse selten auftreten, Sicherheitsverhalten gefördert wird und Risiken beherrscht werden.
- über die Eigenschaft verfügen, Sicherheit als erstrebenswertes Ziel zu erkennen und realistische Optionen zur Verbesserung umzusetzen.
- in der Lage sind, ihre Innovationskompetenz in den Dienst der Verwirklichung von Sicherheit zu stellen. (aus M. Schrappe, APS-Weißbuch Patientensicherheit, S.11; Hrsg.: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin, 2018)
Kurz: Es geht um die „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“. Hieraus folgt, dass Risiko- und Fehlermanagement zwei tragende Säulen bei der Einrichtung eines praxisindividuellen QMs sind.
Begriffsbestimmungen
„Unerwünschtes Ereignis“ (engl. adverse event): Ein schädliches Vorkommnis, das eher auf der Behandlung, als auf der Erkrankung beruht. Es kann vermeidbar oder unvermeidbar sein. Beispiel: Ein Patient erhält ein Medikament und reagiert allergisch darauf.
„Vermeidbares unerwünschtes Ereignis“ (engl. preventable adverse event): Ein
unerwünschtes Ereignis, das vermeidbar ist. Beispiel: Ein Patient erhält ein Medikament, auf das er allergisch
reagiert. Die Allergie war dem Patienten bekannt und ist auch in der Patientendokumentation vermerkt.
„Unvermeidbares unerwünschtes Ereignis“ (engl. non-preventable adverse event): Ein unerwünschtes Ereignis, das nicht
verhinderbar ist. Beispiel: Ein Patient erhält ein Medikament und entwickelt eine allergische Reaktion, obwohl er noch
nie auf ein Medikament allergisch reagiert hat.
„Kritisches Ereignis“ (engl. critical incident): Etwas, das zu einem unerwünschten Ereignis führen könnte oder dessen Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht. Beispiel: Der Patient hat eine Allergie auf ein Medikament, die bei der Anamnese nicht erfasst und deshalb auch nicht dokumentiert wird.
„Fehler“ (engl. error): Eine Handlung oder ein Unterlassen, bei dem eine Abweichung vom Plan, ein falscher Plan oder gar kein Plan vorliegt. Ob daraus ein Schaden entsteht, ist für die Definition des Fehlers irrelevant. Beispiel: Der Heilpraktiker benutzt bei der Untersuchung Latexhandschuhe, obwohl in der Patientendokumentation der Warnhinweis „Latexallergie“ vermerkt ist.
„Beinahe-Schaden“ (engl. near miss): Ein Fehler ohne Schaden, der zu einem Schaden hätte führen können. Beispiel: Der Patient hat einen Herzschrittmacher und der Heilpraktiker verordnet ihm Magnetfeldtherapie. Kurz vor der Anwendung fällt ihm auf, dass der Patient einen Herzschrittmacher hat und wendet die Behandlung ab.
Welche Fehler können in der Praxis passieren?
Behandlungsfehler
betreffen Diagnose und Therapie. Ein
Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Heilpraktiker die zur Zeit der Behandlung geltenden anerkannten fachlichen
Standards in der Naturheil- oder in der Heilpraktiker-Praxis für Psychotherapie nicht korrekt angewendet hat.
§
630a Abs. 2 BGB: Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag
Sonst: Verletzung der Sorgfaltspflicht!
Formen von Behandlungsfehlern
- Befunderhebungsfehler
- Diagnosefehler
- Therapieauswahlfehler
- Therapiefehler
- Organisationsfehler
- Koordinationsfehler
- Übernahmeverschulden
- Anfängerfehler
- Mangelnde Sicherheitsaufklärung
- Verstoß gegen die Informationspflichten
Aufklärungsfehler
betreffen Ihre Informationspflichten. Vor
Durchführung einer medizinischen Maßnahme, v.a. eines Eingriffs in den Körper (invasive Tätigkeit!) oder die
Gesundheit, sind Sie verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Recht auf Selbstbestimmung!
§ 630d
BGB: Einwilligung (in Kombination mit § 228 StGB)
§ 630e BGB: Aufklärungspflichten
Sonst: Verletzung der Sorgfaltspflicht!
Dokumentationsfehler
betreffen die Patienten-Akte. Sie
müssen (handschriftlich oder elektronisch) eine Patienten-Akte zum Zweck der Dokumentation führen und sind
verpflichtet, sämtliche wesentlichen Maßnahmen aufzuzeichnen.
Dokumentationsfehler liegen vor bei unterlassener, unvollständiger oder nachträglich veränderter Dokumentation. Letzteres bedeutet nicht, dass Sie überhaupt keine Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patienten-Akte vornehmen dürfen. Diese müssen jedoch nachvollziehbar sein und sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patienten-Akten sicherzustellen.
Was Sie bei der Dokumentation zu beachten haben und welche Maßnahmen aufzuzeichnen sind, haben wir Ihnen in
Paracelsus 05.19 (Beitrag: Dokumentation in der HeilpraktikerPraxis) vorgestellt.
§ 630f BGB: Dokumentation
Sonst: Verletzung der Sorgfaltspflicht!
Ihre persönlichen „Checklisten für die Dokumentation“ finden Sie im VUH- bzw. VFPMitgliederbereich unter Downloads/Qualitätssicherung.
Wichtig
Ihre Aufzeichnungen müssen Sie mindestens 10 Jahre lang aufbewahren. Bei Heilbehandlungen tritt neben die „Verjährung des Behandlungsvertrags“ jedoch immer die „Verjährung aus Delikt“ (Körperverletzung). Für Verletzungen „des Körpers und der Gesundheit“ gilt eine Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren (§ 199 Abs. 2 BGB). Das heißt, wenn Sie den Verdacht haben, ein Patient könnte irgendwann Ansprüche gegen Sie geltend machen, sollten Sie Ihre Dokumentation besser 30 Jahre aufbewahren.
Beweislast bei der Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler
Ein Fehler wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für Sie voll beherrschbar war und zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. § 630h BGB klärt die Beweislastregelungen, z.B.: Gab es eine Einwilligung? Eine umfassende Aufklärung und Dokumentation? Hinweise auf mangelnde Sachkenntnis?
Ansprüche des Patienten
Sollte der schlimmste aller denkbaren Fälle eintreten, kann der Patient auch Ansprüche gegen Sie geltend machen. Das ist sein Recht. Er kann Schadensersatz oder Schmerzensgeld verlangen. Die Rechtsgrundlagen finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) §§ 630a ff („Patientenrechtegesetz – PatRechteG“) und im Strafgesetzbuch §§ 222, 223, 227, 229. Mögliche Rechtsfolgen für Sie? Geld- oder Freiheitsstrafe (ggf. auf Bewährung) oder Berufsverbot.
Fazit
Wenn das primäre Ziel eines Qualitätmanagements die „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“ bzw. die „Vermeidung von Fehlern“ ist, dann hat die Einrichtung eines QMs für Ihre Patienten und für Sie ganz klar einige Vorteile.
Vorteile eines „gelebten QMs“
Ein gutes Qualitätsmanagement hilft Ihnen, Fehler zu vermeiden bzw. Fehler, Haftungsansprüche und Kosten zu reduzieren. Sie erfüllen die Anforderungen Ihrer Patienten und des Gesetzgebers (Patientenrechtegesetz) und haben bei Praxisbegehungen gleich ein Hilfsmittel an der Hand. Ein wesentlicher Pluspunkt ist die Verbesserung der Praxisorganisation, das erkennen die Patienten hoch an. Und wenn Sie Ihre Arbeitsabläufe planen und schriftlich fixieren, lassen sich Fehler bereits im Entwurf erkennen!
Wie muss das Ganze angegangen werden?
Das erfahren Sie in Teil 2 im nächsten Paracelsus Magazin. Dann sprechen wir über konkrete Instrumente des QMs und wie Sie Schritt für Schritt ein einfaches System in Ihre Praxis integrieren.
Sonja
Kohn
Heilpraktikerin, Leiterin Bereich Presse und Medien des Verbandes Unabhängiger Heilpraktiker e.V.
(VUH)
pressestelle@heilpraktikerverband.de
Foto: ©New Africa / stock.adobe.com
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